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„Hier entscheidet sich die Zukunft des Berufsstandes“, hieß es am heutigen Mittwoch auf dem Deutschen Ärztetag in Freiburg: Die Delegierten der Bundesärztekammer diskutierten, wie sie mit der um sich greifenden Digitalisierung umgehen sollten. Viele Ärzte hätten am liebsten an Ort und Stelle die Musterberufsordnung geändert, um zukünftig auch ausschließlich aus der Ferne behandeln zu dürfen.
Das Schwerpunktthema des diesjährigen Deutschen Ärztetages ist ein inzwischen altes Thema: Die Digitalisierung. Am heutigen Mittwoch diskutierten die Delegierten die Frage, wie weit sie sich Videosprechstunden oder anderen modernen Entwicklungen öffnen wollen – und ab welchem Punkt „die Digitalisierung gruselig wird“, wie Redner und Blogger Sascha Lobo es auf dem Ärztetag formulierte.
„Ich denke, es ist wichtig zu sagen, dass wir in einer ganz besonderen Zeit leben“, sagte er – und erklärte gleichzeitig, dass dies wohl seit 2000 Jahren jede Generation so sehe. Doch die Veränderungen, die das Smart-Phone und die gesamte Digitalisierung mit sich gebracht hat, seien von grundsätzlicher Natur. „Sie sind verpflichtet, sie mitzugestalten“, appellierte Lobo an die vertretenen Ärzte.
Datenschutz über die vereinten Nationen
Wird es bald heißen „An App a day keeps the doctor away“, fragte die Medizinethikerin Christiane Woopen, die bis zum letzten Jahr Vorsitzende des Deutschen Ethikrats war. Die Digitalisierung fördere die Selbstbestimmung des Patienten, sagte sie – und erinnerte gleichzeitig an die Gefahren beispielsweise durch personalisierte Werbung. „Totalitäre Systeme“ kämen heutzutage in neuem Gewand, sagte Woopen. Sie plädierte für einen Vertrag zum Datenschutz auf Ebene der Vereinten Nationen, um diesen Risiken zu begegnen – und rief die vertretenen Ärzte dazu auf, die Digitalisierung zur Verbesserung einer partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Beziehung zu nutzen.
„Der Zug der Digitalisierung fährt mit oder ohne uns“, erklärte Peter Bobbert, Mitglied der Ärztekammer Berlin – er zeigte sich „irritiert“, wie wenig die Ärzteschaft die Digitalisierung bislang für ihren Beruf genutzt habe. „Seien wir mutig, seien wir zukünftig der Taktgeber“, plädierte Bobbert an seine Kollegen. „Die Digitalisierung verändert unsere ärztliche Welt wie damals der Buchdruck auch“, erklärte der frühere Berliner Kammerpräsident Ellis Huber.
Wird die Videosprechstunde fester Bestandteil ärztlicher Arbeit?
Doch wie weit soll es gehen – beispielsweise bis hin zu millionenhaften Arztkontakten über zweifelhafte Apps wie in vielen Ländern Asiens? „Fernbehandlung wird zum festen Bestandteil der ärztlichen Arbeit“, hieß es in einem Antrag, der den meisten Delegierten offenbar zu weit ging – sie beschlossen, sich damit nicht zu befassen. Doch nach einem engagierten Vortrag des Präsidenten der Ärztekammer Baden-Württemberg war klar, dass die deutsche Ärzteschaft den Zug in Richtung von mehr Fernbehandlung lenken will.
Natürlich
nutzen wir schon fast alle EDV in der Praxis“, sagte Kammerpräsident Ulrich Clever – ohne die ginge es eigentlich nicht mehr. Doch auch wenn er – wie schon lange
– weiterhin vor Überwachung und der Aushöhlung des Arztgeheimnisses warnt, ist
er inzwischen gleichzeitig ein großer Fan der Fernbehandlung, die er als
„Riesenchance“ sieht. Daher habe sich die Landesärztekammer als deutschlandweit
erste dafür entschlossen, die Berufsordnung dafür zu öffnen, dass Ärzte
zukünftig ohne jeglichen physischen Kontakt Patienten behandeln können –
zumindest in Modellprojekten.
„Herz“ des ärztlichen Selbstverständnisses
Zwei Gründe gab es für den Schritt, ans „Herz“ des Berufsrechts und des ärztlichen Selbstverständnisses zu gehen, wie Clever sagte: Im Ländle gab es immer mehr Ärzte, die für den Schweizer Telemedizin-Anbieter Medgate arbeiten und denen aktuell berufsrechtliche Probleme in Baden-Württemberg drohen. Und Clever fürchtet, dass Ärzten vonseiten der Politik vorgeschrieben wird, vermehrt aus der Ferne zu behandeln, wenn sie sich nicht selber in diese Richtung öffnen. „Wir wollten und wollen unsere Patientenschutzordnung, wie ich unsere Berufsordnung verstehe, in unserer Hand behalten“, erklärte er. Gleichzeitig will der Kammerpräsident das Feld nicht Heilpraktikern überlassen, „die das schon längst für sich entdeckt haben“.
Modellprojekte müssen eine ordentliche Dokumentation vorweisen können, Haftungsfragen klären, die Patienten über die Fernbehandlung aufklären und das Arztgeheimnis wahren. Das vielleicht erste derartige Projekt bereitet derzeit die Kassenärztliche Vereinigung in Baden-Württemberg vor, die eine ärztliche Beratung per Video und Telefon plant . Derartige Projekte seien aber als Ergänzung zur „normalen“ Behandlung gedacht, sagte Clever – der Erfahrung nach würden rund 70 Prozent aller Fernbehandlungs-Gespräche mit der Empfehlung enden, zum Arzt zu gehen.
Kein „ausschließliches Pillenverschreiben über das Internet“
Der Großteil der Wortmeldungen war positiv – ein Antrag sah sogar vor, an Ort und Stelle die Musterberufsordnung der Bundesärztekammer zu ändern, die Fernbehandlung bisher nur erlaubt, wenn Ärzte ihren Patienten auch mal persönlich gesehen haben. Doch das geht laut Satzung nicht, wie Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery betonte. „Eine Änderung der Musterberufsordnung ist hier und heute überhaupt nicht möglich“, erklärte er. Er selber zeigte sich jedoch offen gegenüber neuen Formen der Fernbehandlung. „Ein ausschließliches Pillenverschreiben über das Internet ist damit mit Sicherheit nicht gemeint“, versuchte er Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Es dürfe nicht sein, dass Patienten durch die neuen Möglichkeiten in vermeintlich kostengünstige Lösungen gedrängt werden, betonte Frank J. Reuther von der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Sein Kollege Norbert Metke warb hingegen dafür, nicht nur auf Modellversuche zu setzen, sondern Videoberatungen schnell in die Breite zu bringen. „Nokia war zwei Jahre nach Erfindung des iPhones tot“, sagte er. „In Zeiten des Hausärztemangels – und gerade auf dem Lande – sollte man sich die digitalen Möglichkeiten zunutze machen“, erklärte auch Johannes Grundmann von der Landesärztekammer Bremen
Der Vorsitzende des Telematik-Ausschusses Franz Bartmann zeigte sich zufrieden vom aktuellen Stand der Diskussion auf dem Ärztetag – er habe die Wahrnehmung gemacht, dass das Thema inzwischen nun nicht mehr allein schwarz-weiß diskutiert wird. „Das finde ich einen großen Fortschritt“, sagte er. „Hier entscheidet sich die Zukunft des Berufsstandes“, erklärte auch Thomas Lipp, Vorsitzender des Landesverbands Sachsen des Hartmannbunds. Die Jugend „lacht und nimmt uns nicht ernst“, wenn die Ärzte sich nicht entschlossen der Digitalisierung annehmen, befürchtet er.
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