Nusinersen

EMA empfiehlt Zulassung von Arzneimittel gegen Muskelerkrankung

London - 25.04.2017, 09:05 Uhr

Bislang ist Nusinersen für manche Patienten im Rahmen eines Härtefallprogramms erhältlich. (Foto: Hersteller)

Bislang ist Nusinersen für manche Patienten im Rahmen eines Härtefallprogramms erhältlich. (Foto: Hersteller)


Für Kinder mit der genetischen Muskelerkrankung „Spinale Muskelatrophie“ gibt es bislang keine Hilfe durch Arzneimittel. Nach der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA empfiehlt nun auch die europäische Arzneimittelagentur EMA die Zulassung von Nusinersen, das laut Studien die Symptome etwas verbessern kann.

Wie die Europäische Arzneimittelagentur EMA am Freitag bekannt gab, empfiehlt der Ausschuss für Humanarzneimittel die Zulassung des Arzneimittels Spinraza® (Nusinersen) für die Behandlung von Patienten mit spinaler Muskelatrophie (SMA). Bislang gibt es keine medikamentösen Therapieoptionen für die Patienten, die von zunehmenden und bei schweren Fällen lebensgefährlichen Komplikationen durch die Muskelschwäche betroffen sind. „Es gibt daher einen bedeutenden, bislang nicht erfüllten medizinischen Bedarf für die Patienten“, erklärt die EMA in einer Presseerklärung.

Bei der spinalen Muskelatrophie handelt es sich um eine vererbte Erkrankung, bei der ein „Survival Motor Neuron“ (SMN) genanntes Protein fehlt – dieses ist für die normale Funktion von Motorneuronen essenziell, welche die Willkürmotorik steuern. Bei Patienten ist normalerweise das zugehörige Gen SMN1 fehlerhaft, so dass das für das Überleben der Motorneurone notwendige Protein nicht ausreichend gebildet wird. Nusinersen soll als Antisense-Oligonukleotid die Exprimierung des ähnlichen Gens SMN2 erhöhen, welches auch bei SMA-Patienten geringe Mengen des SMN-Proteins herstellt.

Eine Studie an 121 Kleinkindern mit besonders schwerer Form der Erkrankung war im vergangenen Sommer aufgrund guter Ergebnisse vorzeitig abgebrochen worden. Die Kinder hatten entweder per notwendiger Lumbalpunktion das Arzneimittel erhalten – oder ihnen war in der Vergleichsgruppe mit einer Nadel die Haut an anderer Stelle durchstochen worden, ohne dass sie eine Injektion erhielten. Aus der Wirkstoffgruppe sprachen 51 Prozent der Patienten auf die Therapie an, während dies bei keinem der Kinder der Vergleichsgruppe der Fall war.  

22 Prozent der behandelten Patienten erhielten laut EMA eine volle Kontrolle über ihre Kopfmotorik, 8 Prozent konnten ohne Hilfe sitzen, und 1 Prozent der Patienten konnte mit Hilfe stehen. Hingegen konnte kein Patient aus der Vergleichsgruppe diese Fähigkeiten erreichen. Gleichzeitig sank bei den mit Nusinersen behandelten Patienten das Risiko für die Notwendigkeit einer dauerhaften Beatmung oder sogar für Tod um 47 Prozent. Jedoch half die Behandlung jedem zweiten Patienten nicht.

Erste Studie wurde aufgrund guten Erfolgs abgebrochen

„Diese Effekte werden als von beträchtlicher klinischer Wichtigkeit angesehen“, erklärte die EMA in ihrer Mitteilung – da Patienten, die bereits von Geburt schwer betroffen sind, ansonsten nie ohne Hilfe sitzen können und ohne intensive Behandlung oft innerhalb der ersten zwei Jahre versterben.

Junge Patienten mit schwerem Verlauf konnten seit Oktober bereits das Arzneimittel über ein Härtefallprogramm erhalten. Basierend auch aufgrund weiterer Studien an Patienten mit leichterem Erkrankungsverlauf, die noch andauern, sprach nun die EMA ihre Zulassungsempfehlung im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens aus. Auch bei 126 Patienten, bei denen die Erkrankung erst später während der Kindheit einsetzt, zeigte eine Studie gewisse Verbesserungen in ihrer Motorfunktion, während diese ohne Behandlung laut EMA mit der Zeit nur abnimmt. Die FDA hatte Nusinersen daraufhin bereits Ende Dezember zugelassen. 

In zwei weiteren Studien ohne Vergleichsgruppe seien motorische Fähigkeiten beobachtet worden, die einer normalen Entwicklung entsprechen, schreibt die Arzneimittelbehörde. Allerdings sei aufgrund fehlender Langzeitbeobachtungen noch unklar, ob die Erfolge von Dauer sind – und ob Nusinersen Heilung versprechen kann. Als unerwünschte Nebenwirkungen seien Entzündungen der Atemwege und Verstopfungen beobachtet worden – doch laut Hersteller Biogen seien diese überwiegend auf die Grunderkrankung zurückzuführen. Bei den unbehandelten Kindern hätte es deutlich mehr Komplikationen gegeben, schreibt Biogen in einer Pressemitteilung.

Da Nusinersen vierteljährlich per Lumbalpunktion verabreicht wird, kann es nur von Ärzten mit entsprechender Erfahrung gegeben werden. Unter Kritik gekommen ist bereits der Preis des neuen Arzneimittels: Der Hersteller Biogen verlangt für eine Therapie mit Nusinersen offenbar im ersten Jahr 750.000 US-Dollar. Unklar ist noch, welche Kostenträger in den USA die Behandlung erstatten werden. In Europa wird nun die Europäische Kommission entscheiden, ob sie sich bei der Zulassung des Arzneimittels der Empfehlung der EMA anschließt.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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