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- Tamiflu gegen Grippe
Welche Informationen sind bei einem Beratungsgespräch in der Apotheke für den Patienten wichtig? Welche hilfreichen Tipps kann der Apotheker zu Arzneimitteln und Therapien geben? Im Beratungs-Quickie stellen wir jeden Donnerstag einen konkreten Patientenfall vor. Diese Woche erfolgt die Arzneimittelberatung einer an Grippe Erkrankten. Sie hat sich trotz Influenzaimpfung mit dem Virus angesteckt – ihr Arzt verordnete ihr nun Tamiflu.
Formalien-Check
Eine 60-jährige Frau löst ein Rezept über Tamiflu® 75 mg N1 mit zehn Kapseln ein. Das Rezept ist vollständig und gültig. Der Nachname der Patientin fehlt – allerdings ist ihr durch die Angabe ihrer Versicherten-Nummer die Verordnung dennoch eindeutig zuordenbar. Die Apotheke hält das antivirale Arzneimittel vorrätig. Frau Ute L. ist gebührenpflichtig und leistet eine Zuzahlung von fünf Euro.
Was wäre, wenn ... Tamiflu nicht vorrätig und lieferbar ist?
Wie müsste die Apotheke vorgehen, wenn Tamiflu 75 mg N1 weder vorrätig noch lieferbar wäre? Pharmakologisch ist die Lösung einfach: Der pharmazeutische Unternehmer Roche vertreibt Tamiflu® in weiteren Wirkstärken: Tamiflu® 30 mg und Tamiflu® 45 mg, jeweils in der Packungsgröße N1 à zehn Kapseln. Pharmakologisch können diese Präparate problemlos kombiniert werden, um die erforderliche Zieldosis von 75 mg Oseltamivir bei Erwachsenen zu erreichen. Wie sieht es seitens der Krankenkasse aus? Der Apotheker muss in diesem Fall ärztliche Rücksprache halten. Er darf nicht ohne Weiteres andere Stärken eines Arzneimittels abgeben. Das schließt auch der seit 2016 gültige neue Rahmenvertrag aus. Ist der Arzt mit der vorgeschlagenen Substitution einverstanden, dokumentiert der Apotheker die Rücksprache. Wichtig: Er zeichnet diese mit Datum und Unterschrift ab. Der Landesapothekerverband Baden-Württemberg empfiehlt in diesem Fall für die Rezeptdokumentation, nochmals explizit auf die Dringlichkeit einer raschen Arzneimittelversorgung hinzuweisen. Frau Ute L. müsste in diesem Fall die Gebühr für zwei Arzneimittel bezahlen, sprich zehn Euro.
Beratungs-Basics
Tamiflu® enthält den Wirkstoff Oseltamivir. Dieser verhindert als Neuraminidaseinhibitor die Freisetzung neu assemblierter Viren von der Oberfläche der Wirtszelle. Nach ihrer Replikation binden die neuen Viren zunächst noch über ihr Oberflächenprotein Hämagglutinin an ihrer Wirtszelle. Normalerweise spaltet die Neuraminidase diese Bindung, setzt die neue Virus-Charge frei und führt so zur Verbreitung dieser in den Atemwegen. Unterbleibt – wie im Falle einer Therapie mit Oseltamivir – die Abspaltung, „kleben“ die Viruspartikel an dieser alten Wirtszelle und infizieren folglich keine weiteren Zellen. Das Enzym Neuraminidase findet sich sowohl auf der Oberfläche von Influenza A- als auch Influenza B-Viren.
Tamiflu® ist zugelassen zur Prophylaxe, zur Postexpositionsprophylaxe nach Kontakt mit einer infizierten Person und zur Therapie einer akuten Influenza. Die Dosierungen unterscheiden sich je nach Indikation. Frau Ute L. erhält das antivirale Arzneimittel gegen ihre akute Grippeinfektion. Sie arbeite ehrenamtlich im Krankenhaus und besuche dort Patienten, die ansonsten keinen Angehörigenbesuch erhielten, erklärt sie. Dabei habe sie sich offensichtlich angesteckt.
Zur Therapie der akuten Grippe nehmen Patienten zweimal täglich je eine Kapsel à 75 mg über einen Zeitraum von fünf Tagen. Der Apotheker weist die Patientin darauf hin, zwischen den einzelnen Gaben optimalerweise einen Abstand von zwölf Stunden einzuhalten, um die höchstmögliche kontinuierliche Versorgung mit Oseltamivir zu gewähren. Die Dosierungsempfehlungen gelten für Jugendliche ab einem Alter von 13 Jahren und einem Mindestgewicht von 40 kg.
Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen zählen zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen bei Tamiflu®-Einnahme. Darüber hinaus informiert Roche in der Fachinformation zu Tamiflu® über das Auftreten „neuropsychiatrischer Ereignisse“ – Sinnestäuschungen, Wahnvorstellungen, Delirium und Krampfanfälle. Diese könnten auch im Zusammenhang mit der Influenza-Erkrankung stehen, eine Kausalität sei bislang nicht bewiesen, heißt es in den informierenden Texten.
Tamiflu® verursacht wenig Wechselwirkungen. Oseltamivir hat eine schwache Proteinbindung von lediglich drei Prozent und wird CYP-unabhängig metabolisiert – was zwei der dominierenden Wechselwirkungsfaktoren von vornherein ausschließt. Oseltamivir wird über anionische Transporter tubulär sezerniert und renal eliminiert. Hemmstoffe dieses Eliminationsweges können somit die Konzentration von Oseltamivir erhöhen. So führt das – bei Hyperurikämie eingesetzte – Probenecid, zu doppelten Wirkspiegeln an Tamiflu.
Den Effekt, dass sich durch kombinierte Einnahme von Probenecid und Oseltamivir die Wirkspiegel des antiviralen Arzneimittels verdoppeln, zogen Wissenschaftler bereits 2005 im renommierten Magazin Nature als potenzielle Maßnahme bei Versorgungsengpässen mit Tamiflu® in Betracht.
Auch noch wichtig
Die Patientin kann ihre Grippebeschwerden symptomatisch behandeln. Gegen hohes Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen wirkt Paracetamol, Ibuprofen oder ASS. Wechselwirkungen gibt es laut Fachinformation keine.
Geht die Grippe mit einem Reizhusten einher, kann der Apotheker in der Selbstmedikation Antitussival mit Dextrometorphan (Wick® Hustensirup), Pentoxyverin (Silomat®) oder als pflanzliche Alternative Phytohustil® zur Linderung empfehlen. Für alle Präparate ist die Datenlage dünn. Wörtlich heißt es in der DEGAM-Leitlinie Husten: „Antitussiva wirken hinsichtlich des Hustenreizes nicht besser als Placebo“. Da sie allerdings teilweise die Fähigkeit zu schlafen verbesserten, könnten die Patienten diese zur Nacht einnehmen.
Frau L. sollte – unabhängig vom Zustand ihrer eigenen Gesundheit – den Kontakt mit anderen Menschen meiden, um das Influenzavirus nicht unnötig zu verbreiten. Händeschütteln sollte unterbleiben. Im Mittel sinkt die Gefahr einer Ansteckung nach vier bis fünf Tagen nach Beginn der Beschwerden.
Zudem sollten an Grippe Erkrankte in den Ärmel husten und niesen und Einwegtaschentücher verwenden. Das RKI empfiehlt zusätzlich, Mülleimer häufiger zu leeren, dass diese sich nicht zu „Virenschleudern“ entwickelten. Auch regelmäßiges Lüften sei gut, da es die Anzahl der erregerhaltigen Infektionströpfchen reduziert.
Darf`s ein bisschen mehr sein?
Für „Leichtgewichte“ und Kinder stehen entsprechend geringer dosierte Kapseln zur Verfügung: Tamiflu® 30 mg Kapseln und Tamiflu® 45 mg Kapseln. Alle Darreichungsformen sind bioäquivalent und können so beliebig kombiniert werden, um – beispielsweise bei Lieferschwierigkeiten einer Stärke – die erforderliche antivirale Dosis für den Patienten zu ermöglichen. Dies gilt gleichermaßen für Tamiflu® Pulver zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen (6 mg / ml), das bevorzugt Kinder oder Patienten mit Schluckstörungen einnehmen.
Tamiflu kann auch prophylaktisch eingenommen werden, allerdings nur während einer Influenzaepidemie in der Bevölkerung. Neuraminidaseinhibitoren ersetzen keine Grippeschutzimpfung.
Bislang ist die Resistenzsituation weitgehend günstig. Sie wurden bislang hauptsächlich für Influenza-A-Viren des Typs H1N1 beschrieben. Influenza-A-Viren H3N2 sowie Influenza-B-Viren reagieren derzeit noch sensibel auf Oseltamivir.
Eine Grippeschutzimpfung bietet keinen 100-prozentigen Schutz vor einer Infektion. Im Mittel liegt die Wirksamkeit der Vakzination bei 40 bis 60 Prozent. Wie passend ein Impfstoff ist, hängt davon ab, inwiefern der von den Impfstoffentwicklern prognostizierte saisonale Antigendrift der Influenzaviren mit den dann tatsächlich zirkulierenden Viren übereinstimmt. In der aktuellen Grippesaison dominieren mit 75 Prozent Influenza-A-Viren H3N2 des Typs Bolzano – der im aktuellen Impfstoff nicht enthalten ist. Eine Impfung mache dennoch Sinn, mildere sie die Schwere des Grippeverlaufs deutlich ab, betonen die Experten des RKI.
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