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Ärzte diagnostizieren bei Kindern oft fälschlicherweise Asthma und behandeln sie dann dauerhaft mit inhalativen Arzneimitteln. Dieses Thema hat ein führender Schweizer Pneumologe jetzt angestoßen.
In einem Interview mit der überregionalen Schweizer Tageszeitung „Tages-Anzeiger“ aus Zürich macht der Lungenspezialist Alexander Möller, Leiter Pneumologie am Kinderspital Zürich und ehemaliger Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie (SGPP), darauf aufmerksam, dass Asthma bei Kindern oft zu leichtfertig diagnostiziert wird. Asthma gehört zu den häufigsten chronischen Krankheiten im Kindesalter.
Laut Tages-Anzeiger leiden in dem Alpenland rund 70.000 Schulkinder an Asthma. Das heißt, dass eventuell Tausende überbehandelt werden. Möller stützt seine Vermutung auf eigene Erfahrungen sowie auf eine niederländische Studie aus dem Frühjahr 2016.
Erkenntnisse aus den Niederlanden
In einer retrospektiven Analyse hatten die Forscher etwa 650 Fälle von Kindern zwischen sechs und 18 Jahren mit einer Asthmadiagnose oder einer chronischen Behandlung mit inhalativen Asthmamitteln aus Zentren für die Primärversorgung in Utrecht untersucht. Bei mehr als 50 Prozent der 546 Kinder mit einer Asthmadiagnose war diese tatsächlich eher unwahrscheinlich. Bei etwa einem Viertel wiesen die Symptome immerhin darauf hin, aber nur bei 16 Prozent war die Diagnose spirometrisch abgesichert worden. Trotzdem erhielten rund 300 Kinder dauerhaft eine inhalative Asthmamedikation, darunter knapp die Hälfte sowohl Beta-2-Sympathomimetika als auch Corticoide.
Bereits frühere Studien hätten solche Überdiagnosen festgestellt, schreiben die Autoren um Ingrid Looijmans-van den Akker im Fachblatt "British Journal of General Practice". Das Ausmaß sei mit der neuen Untersuchung jedoch erstmals quantifiziert worden.
Ein Drittel Fehldiagnosen vermutet
Möller glaubt, dass die Befunde aus dem Ausland teilweise durchaus auf die Schweiz übertragbar sind. Er geht davon aus, dass es in der Schweiz bei rund einem Drittel der Kinder, die Asthmamedikamente bekommen, keine korrekte Diagnosen hierfür gibt. Typische Fälle aus seiner praktischen Erfahrung, bei denen die verschriebenen Arzneimittel nicht gerechtfertigt sind, teilt Möller in drei Kategorien ein: heranwachsende Kinder mit Atembeschwerden beim Sport, Kinder mit Husten und kleine Kinder. „Bis zum fünften Lebensjahr hat ein Drittel aller Kinder öfter eine sogenannte obstruktive Bronchitis mit pfeifender Atmung“, sagt Möller. „Aber nur ein Teil leidet an Asthma. Bei der Mehrheit der Fälle steckt eine Virusinfektion dahinter. Hier bringt inhalatives Cortison kaum etwas. Trotzdem wird es sehr häufig eingesetzt.“
Medikamente auch auf Druck der Eltern
Im Praxisalltag ließen sich diese Kinder leider schlecht von den Asthmatikern unterscheiden. Die Ärzte kämen unter Druck, weil die Kinder bei jedem Infekt eine pfeifende Atmung bekämen und die Eltern die Ärzte zusätzlich drängten, etwas zu unternehmen. Dabei könne man mit ein paar gezielten Fragen und Abklärungen erkennen, ob weitere Untersuchungen nötig sind. „Kinder, die zwischen den einzelnen Episoden total gesund sind, bei Anstrengung nicht husten oder pfeifen, haben meistens kein Asthma“, beruhigt der Pneumologe. Wenn tatsächlich ein schwerwiegendes Problem vorliege, sollte das Kind zu einem Spezialisten geschickt werden.
Nebenwirkungen der Medikamente eher gering
Das Risiko für relevante Nebenwirkungen der inhalativen Cortisontherapie hält Möller für sehr klein. Es gebe Effekte der Langzeittherapie mit Cortison auf das Wachstum, aber diese seien gering. Er rät jedoch dazu, bei jedem Kind während der Behandlung regelmäßig die Größe zu messen, um Wachstumshemmungen gegebenenfalls rechtzeitig zu erkennen. Auswirkungen auf die Nebennierenrinde seien zwar im Labor messbar, zu Symptomen führen sie seiner Einschätzung nach jedoch äußerst selten. Auch bei den bronchienerweiternden Arzneimitteln seien unerwünschte Effekte wie hoher Puls oder Nervosität selten wirklich spürbar. Wenn tatsächlich Asthma vorliegt, überwiegen die Vorteile deutlich, glaubt Möller, und die Therapie dürfe über Jahre bedenkenlos durchgeführt werden.
Was sagen die Leitlinien?
Nach internationalen Richtlinien ist eine Kombination aus einer suggestiven Anamnese, körperlicher Untersuchung, Lungenfunktionstests und zusätzlichen Tests erforderlich, um eine korrekte Diagnose von Asthma zu gewährleisten. Eine Lungenfunktionsprüfung ist allerdings erst ab 6 Jahren möglich.
Für Deutschland wird gerade eine Neufassung der Empfehlungen der Deutschen Atemwegsliga und der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) sowie der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP) und der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Pneumologie (GPP) zu Asthma erstellt.
Die Aktualisierung sollte bis Ende 2016 abgeschlossen sein. Sie soll die „Asthma-Leitlinie" der Deutschen Atemwegsliga und der DGP aus dem Jahre 2006 ersetzen.
Auch die Nationale Versorgungs-Leitlinie Asthma wird derzeit aktualisiert.
1 Kommentar
Asthma
von Richard Friedel am 30.06.2017 um 20:15 Uhr
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