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Keine Kassen-Gelder für Homöopathie, als Krebstherapie ein Verbot: Nachdem viele Gesundheitspraktiker eine Verschärfung der Heilpraktiker-Gesetze gefordert haben, setzt Josef Hecken, Chef des Gemeinsamen Bundesauschusses, eins drauf. Er verlangt Evidenz.
In Folge der mindestens drei Krebspatienten, die kurz nach der Behandlung eines Heilpraktikers im „Biologischen Krebszentrum“ in Brüggen-Bracht verstarben, forderten viele Gesundheitspolitiker eine Überarbeitung der Heilpraktiker-Gesetze. „Das Heilpraktikergesetz muss überarbeitet und geschärft werden“, verlangte beispielsweise Edgar Franke (SPD), Vorsitzender des Bundestags-Gesundheitsausschusses, gegenüber DAZ.online. Der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Josef Hecken, geht jetzt noch einen deutlichen Schritt weiter.
„Es sollte den Kassen untersagt werden, Dinge zu bezahlen, für die es keine Evidenz gibt“, erklärte Hecken gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Auch alternativmedizinische Therapien sollten nur mit Wirknachweis von Kassen erstattet werden können, dort tappe man bisher im Dunklen. Es dürfe nicht sein, dass Beitragsgelder für Präparate ohne wissenschaftlichen Beleg ausgegeben würden. „Wir sollten es nicht hinnehmen, dass im Sozialgesetzbuch Schritt für Schritt eine Grauzone eingeführt wird“, forderte er.
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Im Rahmen von Satzungsleistungen, mit denen Krankenkassen abseits des aufwendigen Verfahrens des G-BA auch Therapien ohne nachgewiesene Wirkung erstatten dürfen, übernehmen aktuell rund zwei von drei Krankenkassen die Kosten für homöopathische Behandlungen. Hecken wolle zwar nicht die Einnahme von Globuli madig machen, wie er der FAZ sagte – doch ein australisches Gutachten hätte kürzlich ein „vernichtendes Urteil“ über homöopathische Präparate gefällt. „Es gibt keine Überlegenheit gegenüber Placebos“, erklärt der G-BA-Chef.
Hecken: Es geht „nicht um Befindlichkeiten, sondern um Menschenleben“
Aufgrund der schlechten Evidenzlage habe der öffentliche Gesundheitsdienst im Vereinigten Königreich auch die Bezahlung homöopathischer Präparate eingestellt. Ihm sei unklar, warum Patienten ihr Nasenspray – mit belegter Wirksamkeit – selber zahlen müssen, während die Kassen Therapien erstatten, bei denen ein Nutzen völlig unklar ist. Verwundert zeigte Hecken sich auch darüber, dass Ärztekammern eigene Abteilungen für die „Komplementärmedizin“ gegründet haben, „obwohl die von der Evidenz her betrachtet eine riesige Black Box ist“.
Doch Hecken will noch einen Schritt weitergehen. „Bei schwerwiegenden Erkrankungen wie Krebs müsse eine homöopathische Therapie auch Selbstzahlern verboten werden können, solange die Wirksamkeit nicht mit Studien belegt worden sei“, schreibt die FAZ über Heckens Forderungen. „Da brauchen wir ganz klare Verbote“, zitiert sie den G-BA-Chef. Schließlich ginge es „nicht um Befindlichkeiten, sondern um Menschenleben“.
Eine Grenze wird überschritten
Gerade dort, wo Patienten mit nicht belegten Heilsversprechen von bewährten Therapien wie einer Chemotherapie abgehalten würden, könnten sich die Therapie- und Überlebenschancen verschlechtern und höhere Kosten durch Verschleppung entstehen. „Hier wird eine Grenze überschritten“, sagte Hecken.
Die Befürworter der anthroposophischen Medizin forderte Hecken laut FAZ auf, den Gegenbeweis anzutreten. „Es ist an der Zeit, die Leute, die dafür werben, beim Wort zu nehmen und die Evidenz zu prüfen“, sagte er. „Der Gesetzgeber sollte den Gemeinsamen Bundesausschuss oder ein anderes Institut beauftragen, sich im Rahmen einer Metaanalyse der Evidenz der homöopathischen Medizin anzunehmen und entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen.“
Dabei ist Hecken sich der Brisanz seiner Forderungen klar. „Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir eine breite öffentliche Diskussion brauchen“, erklärte er. „Dafür bin ich auch bereit, mich öffentlich schelten zu lassen.“
Natalie Grams: Patient muss wissen, was ihn in Heilpraktiker-Praxis erwartet
Auf Zustimmung treffen die Forderungen Heckens bei Natalie Grams, ehemalige Homöopathin und Mitbegründerin des „Informationsnetzwerks Homöopathie“, das kritisch über das Thema berichtet. Sie findet es begrüßenswert, wenn die Tätigkeiten von Heilpraktikern hinterfragt werden. „Es ist schade, dass es zu so vielen Todesfällen kommen musste, bevor die Diskussion die Politik erreicht hat“, erklärt sie gegenüber DAZ.online. Da Heilpraktiker bisher schon keine infektiösen oder meldepflichtigen Erkrankungen behandeln dürfen, frage sie sich, warum man Krebs oder andere schwere Erkrankungen nicht auch aus dem Behandlungsspektrum herausnimmt.
„Es besteht Therapiewahlfreiheit, das ist ein wichtiges Gut“, sagt die Ärztin. „Aber man muss bei dieser Freiheit auch wissen, dass man in einen komplett evidenzfreien Raum kommt, wenn man eine Heilpraktiker-Praxis betritt.“ Dies müsste stärker kommuniziert werden. „Für Patienten sind die Grenzen zwischen Heilpraktikern und Homöopathen fließend“, sagt Grams. Aber Alternativmedizin wie Homöopathie sei bei Medizinern nicht besser aufgehoben. „Wird eine wirkungslose Therapie in den Händen eines Arztes wirkungsvoller?“, fragt sie.
Homöopathen: Wessen Interessen vertritt Hecken?
Auf völliges Unverständnis treffen die Forderungen Heckens hingegen bei Cornelia Bajic, Vorsitzende des Zentralvereins homöopathischer Ärzte. „Die Patienten sind nicht aufgrund einer homöopathischen Behandlung gestorben!“, betont sie auf Nachfrage von DAZ.online in einer Stellungnahme. „Es handelte sich also nicht um eine homöopathische Behandlung, nicht um ein homöopathisches Arzneimittel, und trotzdem stellen verschiedene Medien den Bezug zur Homöopathie her“, erklärt sie.
Der „Jurist“ Hecken werfe Ärzte und Heilpraktiker sowie Therapiemethoden der „integrativen Medizin“ wild durcheinander, beschwert sich Bajic. Bei der vom GBA-Chef angesprochenen homöopathischen Therapie sei die Erstattung von Heilpraktiker-Leistungen durch Krankenkassen ausgeschlossen. Auch kenne Hecken nicht den aktuellen Forschungsstand, erklärt sie. „Wessen Interessen vertritt Herr Hecken?“, fragt Bajic.
Als unparteiischer Vorsitzender des G-BA sei er zur Wahrung von Unparteilichkeit und Unbefangenheit verpflichtet. „Diese wurde hiermit offensichtlich verletzt“, erklärt Bajic. Sie frage sich, ob der Posten richtig besetzt ist.
10 Kommentare
Wo verläuft die Grenze?
von Udo Endruscheit am 31.08.2016 um 1:03 Uhr
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AW: Patientenbetreuung
von ChemDoc am 31.08.2016 um 1:36 Uhr
Law and order
von norbert brand am 30.08.2016 um 9:28 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Josef Hecken und Homöopathie
von Markus Junker am 29.08.2016 um 23:00 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: das Problem...
von ChemDoc am 31.08.2016 um 1:25 Uhr
Tödliche Homöopathie
von Lars Dittrich am 29.08.2016 um 16:12 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 3 Antworten
AW: "Tödliche Homöopathie"
von Markus Junker am 29.08.2016 um 23:19 Uhr
AW: Eigentlich Antwort auf die Antwort...
von Christian Becker am 30.08.2016 um 8:26 Uhr
AW: Potenzierung
von ChemDoc am 31.08.2016 um 1:50 Uhr
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