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Niedersachsens Landwirtschaftsminister zu Antibiotika
Verbraucherschutz muss Lobbyinteressen überwiegen
Weniger Antibiotika in der Tierhaltung - das fordert der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) im Interview mit DAZ.online. Der Schutz menschlicher Gesundheit müsse Vorrang vor Interessen der Pharmaindustrie und von Tierärzten haben. Er will bestimmte Reserveantibiotika für die Humanmedizin reservieren – und das Dispensierrecht überdenken.
DAZ.online: Herr Meyer, Antibiotika und resistente Keime sind ja derzeit ein viel diskutiertes Thema. Wie groß sind die Probleme Ihrer Einschätzung nach – einerseits im Humanbereich, andererseits in der Tierhaltung?
Christian Meyer: Die Entwicklung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen ist sehr ernst zu nehmen. Der neue Bericht der britischen Regierungskommission warnt vor jährlich 10 Millionen Toten bis 2050. Die Experten appellieren, in der Tierhaltung nicht wie bisher weiterzumachen. Die EU warnt, die WHO warnt, Kanzlerin Merkel hat das zum Schwerpunktthema bei der G7 gemacht. Dabei kann man die Human- und Tiermedizin nicht trennen. Daher muss man in der Tierhaltung sehr vorsichtig mit Antibiotika umgehen, damit man sie nicht unnötig einsetzt und es dann keine wirksamen Antibiotika mehr für Menschen und Tiere gibt.
DAZ.online: Wo sehen Sie als grüner Landwirtschaftsminister ihre Verantwortung?
Meyer: Wir haben in Europa jährlich rund 25.000 Tote durch multiresistente Keime – diese Erreger kommen nicht alle aus der Tierhaltung. Aufgrund der Warnungen von Wissenschaftlern dürfen nicht weiter so viele Antibiotika, vor allem in der Massentierhaltung, gegeben werden. Rund 99 Prozent der Tier-Antibiotika werden in der Nutztierhaltung verwendet, nicht in der Haustierhaltung. Deshalb geht auch rund ein Drittel nach Niedersachsen, weil wir ca. ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutztiere haben. Das stellt mich vor besondere Herausforderungen.
Auch mit weniger Antibiotika können die Tiere gesund bleiben
DAZ.online: Durch die 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes wird seit 2014 der Antibiotikaeinsatz in der Tiermast systematisch erfasst. Was ist Ihr erstes Resümee?
Meyer: Vor allem bei Mastgeflügel und Schweinen haben wir durch das neue Gesetz einen erschreckend hohen Antibiotikaeinsatz festgestellt, so dass man unbedingt zu einer Reduktion kommen muss – nicht nur zum Schutz der Tiere, sondern auch zum Schutz der menschlichen Gesundheit. Erfreulicherweise ist seit Inkrafttreten der 16. Arzneimittelgesetz-Novelle ein Rückgang der Therapiehäufigkeit von 20 bis 30 Prozent bei Puten, Masthühnern und Mastschweinen zu verzeichnen. Und ich habe keine Indizien, dass sich der Gesundheitszustand durch den geringeren Antibiotikaeinsatz verschlechtert hat.
DAZ.online: Zwar sinken außer bei Ferkeln die Antibiotika-Verschreibungen, doch wurde dies wohl mit einer Zunahme der Reserve-Antibiotika erkauft, die in der Tiermast gegeben werden. Bis wann wird es eine Liste mit Notfall-Antibiotika geben, die nur in der Humanmedizin verschrieben werden dürfen?
Meyer: Wir haben über die Agrarministerkonferenz den Bund einstimmig aufgefordert, eine solche Liste mit den drei Kategorien Verbot, Einschränkung oder weitere Verwendung vorzulegen. Bislang weigert sich der Bund, eine solch differenzierte Liste zu entwickeln. Auch in der EU wird das diskutiert. Der britische Regierungsreport wie auch die Diskussionen bei der WHO und die aktuellen Nachrichten zur Colistin-Resistenz sollte den Druck auf eine Neuregelung für sogenannte „Reserveantibiotika“ erhöhen. Es darf nicht sein, dass man von weichen auf harte bzw. kritische Antibiotika umsteigt, um das Gesetz zu umgehen.
Ist „Bio“ nur ein Etikettenschwindel?
DAZ.online: Nach Recherchen der taz setzen Biobauern trotz anderslautender Versprechen in Einzelfällen Antibiotika ein. Ist „Bio“ in Bezug auf Antibiotika also auch nur Etikettenschwindel?
Meyer: Nur wenn andere Heilverfahren nicht wirken, sind auch in der Öko-Tierhaltung Antibiotikagaben erlaubt, um kranke Tiere behandeln zu können. Dies muss grundsätzlich durch einen Tierarzt verordnet werden. Bei Tieren, die weniger als ein Jahr alt werden, ist aber nur eine einmalige Antibiotikabehandlung erlaubt. Im beschriebenen Fall waren es wenige Ausnahmeanträge für Bioland-Betriebe. Deren Richtlinien zur Anwendung von Tierarzneimitteln gehen über die Anforderungen der EU-Öko-Verordnung weit hinaus. So sind bestimmte in Deutschland für Tiere zugelassene Antibiotika bei Bioland nicht erlaubt, da sie als Reserveantibiotika in der Humanmedizin gelten.
Der Bericht der taz bezieht sich auf die Erteilung von 35 Ausnahmegenehmigungen für Antibiotika und andere Medikamente bei insgesamt 1,6 Millionen Bioland-Tieren. Von einem Etikettenschwindel kann man also nicht sprechen. In der Biohaltung werden deutlich weniger Antibiotika als in konventionellen Betrieben eingesetzt und es gibt nach einer Reihe von Studien dort auch deutlich weniger resistente Keime und Landwirte mit MRSA-Keimen.
DAZ.online: Können Sie mit dem aktuellen Rückgang der Antibiotika-Menge in der konventionellen Landwirtschaft zufrieden sein, oder bedarf es dort nicht grundsätzlicher Veränderungen?
Meyer: Ziel muss es sein, die Haltebedingungen der Tiere zu verbessern. Antibiotika dürfen nicht dazu dienen, Erkrankungen bei Tieren, die durch Mängel in der Tierhaltung und im Management hervorgerufen werden, zu kaschieren. Man muss auch Anreize wie Mengenrabatte oder das Dispensierrecht der Tierärzte überprüfen. Es kann nicht sein, dass Tierärzte vom Verkauf von Arzneimitteln und nicht von ihrem Know-how abhängig sind. Deshalb ist es aus meiner Sicht auch nötig, zu einer anderen Vergütung der tierärztlichen Leistung zu kommen.
Menschliche Gesundheit schützen
DAZ.online: Wie groß ist der Widerstand gegen das Verbot von Mengenrabatten und Fixpreise?
Meyer: Als Länder sind wir uns bei Mengenrabatten einig, der Bund traut sich da nicht dran. Ich halte sie aber für sehr bedenklich, weil sie Anreize bieten, möglichst viele Antibiotika abzugeben oder zu verabreichen. Deshalb ist mein Ziel das gleiche wie das der Vorgängerregierung in Niedersachsen: Wir müssen dazu kommen, dass der Verdienst von Tierärzten, die die Tierbestände betreuen, von der Gesundheit der Tiere abhängt und nicht vom Umfang des Verkaufs von Arzneimitteln. Eine Reduzierung des Antibiotika-Einsatzes würde auch den Umsatz der pharmazeutischen Unternehmen schmälern. Aber der Schutz der menschlichen Gesundheit muss Vorrang haben, auch vor möglichen ökonomischen Interessen. Und ich hoffe, dass der Bundesagrarminister die Worte seiner Bundeskanzlerin, dass man den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung senken muss, deutlich ernster nimmt; das offensichtliche Interesse des gesundheitlichen Verbraucherschutzes hat gegenüber möglichen Lobby-Interessen zu überwiegen.
DAZ.online: Was versprechen Sie sich davon, dass Tierärzte die Arzneimittel nicht mehr selber abgeben dürfen?
Meyer: Die Dänen haben das Dispensierrecht abgeschafft und eine deutliche Reduzierung des Antibiotikaverbrauchs innerhalb weniger Jahre erreicht. Das Vorbild ist die Humanmedizin, wo Krankenkassen und Apotheken genauer hinschauen. Das heißt nicht, dass ein Tierarzt nicht auch Arzneimittel für eine notwendige Sofortversorgung dabeihat – auch beim Humanarzt ist das ja der Fall. Andere Länder zeigen, dass Tierärzte auch ohne Dispensierrecht Tiere behandeln und einen guten tierärztlichen Gesundheitszustand erzielen können. Daher habe ich durchaus Sympathien für das dänische Modell, wo der Tierarzt sich die Arzneimittel beim Apotheker abholt.
Auch beim Dispensierrecht: Der Bund blockiert
DAZ.online: Einschränkungen des Dispensierrechts werden auch vom Bundesverband der Verbraucherzentralen gefordert. Für wie realistisch halten Sie derart tiefgreifende Änderungen?
Meyer: Da will der Bund überhaupt nicht ran, und beruft sich auf ein Gutachten mit Vor- und Nachteilen des Dispensierrechts. Ich glaube, dass man sich ein neues Vergütungssystem überlegen muss, um den Antibiotikaeinsatz deutlich zu senken. Und warum richten wir nicht ein Bonus-Malus-System für Tierärzte ein – damit Tierärzte einen Anreiz bekommen, keine oder möglichst wenige Antibiotika zu verwenden – mit Maßnahmen für jene, die besonders viele Antibiotika vergeben? Diesen Weg finde ich sehr gut. In Niedersachsen machen wir Ähnliches, weil wir bei Landwirten mit überdurchschnittlicher Antibiotika-Menge eine gebührenfinanzierte Kontrolle durch unsere Amtstierärzte durchführen. Der Effekt ist, dass der Tierhalter seinen Tierarzt hinzuzieht, um Ursachen für einen hohen Antibiotikaverbrauch zu klären und damit weniger Antibiotika verschrieben werden.
DAZ.online: Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat in einem Schreiben letztes Jahr verkündet, die Landesministerien dürften keine Statistiken zur Antibiotikagabe veröffentlichen. Sie machen es trotzdem. Fühlen Sie sich als Gesetzesbrecher?
Meyer: Wir haben eine andere Rechtsauffassung. Ich glaube, dass ich verpflichtet bin, die Öffentlichkeit und das Parlament zum Umfang von Antibiotikaanwendungen und damit zur Resistenzentwicklung bzw. -ausbreitung zu unterrichten. Wir geben keine einzelbetrieblichen Daten von Erzeugerbetrieben heraus, da das unserer Einschätzung nach rechtswidrig wäre. Laut Bundesminister Schmidt wäre es aber schon rechtswidrig zu sagen, wie viele Betriebe in Niedersachsen erfasst werden. Das sehen wir anders – wie beispielsweise auch die Bayern, die ebenfalls gemeldet haben und, glaube ich, CSU-geführt sind. Wir Landesminister haben Minister Schmidt empfohlen, seine Rechtsauffassung zu überdenken. Diese ist rechtlich nicht haltbar und so wirkt es auch, als gäbe es etwas zu verschleiern. Die deutlichen Reduzierungszahlen können sich sehen lassen, damit kann auch der Bund sich schmücken. Außerdem ist es für die Öffentlichkeit wichtig zu sehen, wo noch weitere Probleme sind. Deshalb kann ich diesen Maulkorb nicht verstehen.
3 Kommentare
Falschinformation durch Minister Meyer und DAZ
von Georg Keckl am 04.09.2017 um 10:16 Uhr
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Ein Politiker
von Theo am 22.02.2016 um 16:49 Uhr
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