- DAZ.online
- News
- Politik
- Was bedeutet das ...
Black-Box TTIP
Was bedeutet das Freihandelsabkommen für das Gesundheitswesen?
Lange hieß es, TTIP würde den Gesundheitssektor nicht betreffen. Aber stimmt das? Wie wird in Zukunft mit den Ergebnissen von klinischen Studien verfahren? Und bleibt es bei dem apothekenrechtlichen Fremd- und Mehrbesitzverbot? Die DAZ.online-Analyse, Teil 2.
Ähnlich intransparent wie der aktuelle Stand der Verhandlungen für TTIP könnten zukünftig auch die Ergebnisse klinischer Studien werden, befürchten Kritiker der derzeit bekanntenen Pläne wie Gerd Antes vom Deutschen Cochrane-Zentrum in Freiburg. Der Medizinstatistiker fordert schon lange, dass die Daten umfassend veröffentlicht werden, so dass Wirkungen und Nebenwirkungen transparent sind und eine unabhängige Überprüfung der Ergebnisse möglich ist. Ein Ziel, dass auch das Ombudsgremium der Europäischen Union verfolgt. Es brachte inzwischen die Europäische Arzneimittelbehörde dazu, Studienergebnisse umfassend zu veröffentlichen.
Doch im Zuge vom TTIP versuchen Pharmaverbände, Studienergebnisse wieder vermehrt als Betriebsgeheimnisse zu deklarieren. So sieht der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie TTIP als Gelegenheit, nicht alle Daten zu veröffentlichen – sondern ein gewisses Maß an Schutz für kommerziell vertrauliche Informationen zu behalten. Dies sagte der Verband in einem vertraulichen Treffen mit der Europäischen Kommission, wie aus einem vom Recherchebüro Correctiv veröffentlichten Dokument hervorgeht.
(Foto: VdPP)
Das Europäische Ombudsgremium beurteilt
die Lage deutlich anders: „Im allgemeinen enthalten klinische
Studienergebnisse keine kommerziell vertraulichen Informationen“, sagt
der dort tätige Jurist und Gesundheitsexperte Fergal O'Regan. Diese
Informationen seien für praktische Ärzte wie auch Patienten
unverzichtbar, um zu verstehen, ob ein Produkt geeignet sei. „Es besteht
sicherlich ein übergeordnetes öffentliches Interesse, dass diese
Informationen verfügbar sind“, sagt O’Regan.
„Das wäre ja noch schöner“
Martin Zentgraf, Vorsitzender des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, spricht sich gegenüber DAZ.online bei den Veröffentlichungen von Daten für eine Einzelfallbetrachtung aus: „Aus Sicht des BPI ist eine Pauschalisierung auf Grund der enormen Komplexität und Vielfalt der denkbaren Konstellationen nicht angemessen.“ Klinische Studienergebnisse könnten kommerziell vertraulich sein – „vor allem auch im Hinblick auf personenbezogene Daten“, sagt Zentgraf. Doch können personenbezogene Daten von Versuchspersonen tatsächlich als Betriebsgeheimnisse gelten?
„Natürlich nicht, das wäre ja noch schöner“, sagt Gerd Antes von Cochrane Deutschland. Die personenbezogenen Daten lieferten die Grundlage für Wissen, das der nächsten Patientengeneration diene. „Das als Betriebsgeheimnis zu deklarieren, ist das exakte Gegenteil des beabsichtigten Patientennutzens.“ Zwar müssen Informationen, die einzelne Patienten identifizieren könnten, vor der Veröffentlichung geschwärzt werden. Doch als Argument für die TTIP-Verhandlungen können sie wohl kaum herangezogen werden.
Die Geheimhaltung von Studienergebnissen hat es in ein Übersichtsdokument der Europäischen Kommission geschafft. Dort ist bezüglich der verschärften Zusammenarbeit zwischen den US-amerikanischen und europäischen Behörden FDA und EMA von „besonderen Geheimhaltungsvorschriften“ die Rede. „Internationale Regulierungen würden die nationalen Gesetze übertrumpfen“, sagt O’ Regan. Sie könnten zu einem Ausschluss der sehr fortschrittlichen Transparenz-Regeln führen, die in der EU inzwischen gelten.
Apothekenrechtliches Fremd- und Mehrbesitzverbot „angestrebt“
Durch eine Harmonisierung von Normen kann TTIP unnötige Studien oder doppelte Kontrollen verhindern. Doch würden die Standards bei TTIP aus ökonomischen Gründen gewählt – und nicht um Patienten zu schützen, sagt Gerd Antes.
Die Bundesregierung hat inzwischen erklärt, dass sie sich gegen übermächtige Schiedsgerichte einsetzt, die unabhängig von ordentlichen Gerichten entscheiden könnten. Im Hinblick auf die das in Deutschland (und den meisten EU-Staaten geltenden) apothekenrechtlichen Fremd- und Mehrbesitzverbotes hat die Bundesregierung angekündigt, in TTIP entsprechende Bestimmungen „anzustreben“. Ob dies tatsächlich gelingt, ist noch nicht gesichert – genauso, wie es mit den Zulassungsverfahren und der Kostenübernahme von neuen Arzneimitteln aussieht.
Die Bundestagsabgeordnete Kordula Schulz-Asche von den Grünen befürchtet, dass es durch Aufweichungen der strengen Verfahren in Deutschland zu erheblichen Kostensteigerungen im Pharmabereich kommen könnte. „Wir wissen noch gar nicht, welche Auswirkungen TTIP auf Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses haben werden“, sagt die Gesundheitspolitikerin. „Es ist eine große Black-Box für unser Gesundheitssystem.“
TTIP: Mehr Chancen oder Risiken für das Gesundheitswesen?
Was denken Sie?
Schreiben Sie uns: Redaktion_daz.online@deutsche-apotheker-zeitung.de
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.