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Gesundheitspolitik

Dimensionen eines Systemwechsels

Welche Folgen hätten Verhandlungen zwischen DAV und GKV über das Packungsfixum?

Nicht mehr das Bundesministerium für Wirtschaft soll künftig für die Anpassung des Apotheken-Fixums zuständig sein, sondern GKV-Spitzenverband und Deutscher Apothekerverband (DAV) sollen dies künftig festlegen. So sehen es die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgelegten Eckpunkte für eine Apothekenhonorar- und Apothekenstrukturreform vor. Die ABDA wertete diesen Punkt sogar als „positives Signal“. Doch was würde ein solcher Systemwechsel mit sich bringen? Dieser Artikel ist als Beitrag zu einer fälligen Grundsatzdebatte gedacht. | Von Hilko J. Meyer 

Ein Kernpunkt der Apothekenhonorar- und Apothekenstrukturreform ist die Abschaffung der bisher in § 78 Abs. 1 Satz 2 Arzneimittelgesetz (AMG) geregelten Zuständigkeit des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz für die Anpassung des packungsbezogenen Fixzuschlags für Fertigarzneimittel entsprechend der Kostenentwicklung der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung. Stattdessen soll die Anpassung des Packungsfixums künftig durch Verhandlungen zwischen GKV-Spitzenverband und Apothekerschaft im Benehmen mit den privaten Krankenkassen festgelegt werden. Die Vereinbarungsparteien sollen dabei „Anpassungen insbesondere unter Berücksichtigung der Entwicklung der Versorgungssituation zur Sicherstellung einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung und der Änderungen des Verbraucherpreisindexes und der Grundlohnsumme“ beachten. Ausgerechnet in diesem Eckpunkt des „Weihnachtspapiers“ aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) erkannte die ABDA-Spitze – bei aller Kritik an den übrigen Punkten des Papiers – das „erste kleinste positive Signal“ mit Aussicht auf eine „Dynamisierung durch eine regelmäßig zu verhandelnde Anpassung des Fixhonorars“. ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening erklärte in einer Videobotschaft zum Jahresstart 2024: „Wie bei den Kassenärzten hätten wir dann festgelegte Normen und festgelegte Prozesse für eine Anpassung des Fixzuschlags.“

Inzwischen konzentrieren sich die öffentlichen Forderungen der Apothekerschaft – insbesondere nach dem Skonti-Urteil des Bundesgerichtshofs – auf wirksame Sofortmaßnahmen wie die Erhöhung des Fixzuschlags auf zwölf Euro und die Abschaffung des Kassenrabatts. Es gibt aber auch kritische Stimmen, die davor warnen, die vorgesehenen Verhandlungen über den Fixzuschlag mit den Verhandlungen der Ärzte über ein Gesamtbudget zu verwechseln, und darauf hoffen, „dieses möglicherweise vergiftete Angebot von Lauterbach ausgiebig diskutieren zu können“ (Kammerpräsident Kai Christiansen vor der Kammerversammlung Schleswig-Holstein, 21. Februar 2024). Das wäre angesichts der Dimensionen des angekündigten Systemwechsels in der Tat dringend angebracht.

Schwerwiegender Eingriff in das geltende Preisbildungsregime

Die Festlegung des Fixzuschlags durch Verhandlungen der Apothekerschaft mit den gesetzlichen Krankenkassen wäre der schwerwiegendste Eingriff in das geltende Preisbildungsregime auf Ebene der Arzneimitteldistribution seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts am 2. September 1976 und der darauf beruhenden Preisspannenverordnung vom 1. Januar 1978. Mit dem damals im Arzneimittelrecht verankerten, 1980 in die Arzneimittelpreisverordnung übernommenen und bis heute fortgeltenden Prinzip der verbindlichen Gewährleistung einheitlicher Apothekenabgabepreise auf Basis staatlich festgelegter Handelsspannen für apothekenpflichtige Arzneimittel, übernahm der Gesetz- und Verordnungsgeber die gesundheitspolitische Verantwortung für die Sicherstellung der wirtschaftlichen Grundlagen einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch wirtschaftlich unabhängige inhabergeführte öffentliche Apotheken. Zugleich traten damit die für alle öffentlichen Apotheken in gleicher Höhe verbindlichen packungsbezogenen Apothekenspannen an die Stelle der bis zum Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 1958 geltenden staatlichen Niederlassungsbeschränkungen als entscheidendes gesundheitspolitisches Instrument zur Gewährleistung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung durch die öffentlichen Apotheken. Zusammen mit dem Apothekengesetz (ApoG) vom 20. August 1960 und der Apothekenbetriebsordnung vom 7. August 1968 wurde damit die erfolgreiche Neupositionierung der Apotheker in einem wettbewerbs- und industriepolitisch deregulierten und auf den gemeinsamen europäischen Markt ausgerichteten Umfeld vollendet.

Die ordnungspolitischen Grundlagen

Dieser Entscheidung lagen grundlegende ordnungs- und wettbewerbspolitische Erwägungen zugrunde, die kollektive Verhandlungen über einheitliche Arzneimittelpreise wegen der starken Stellung der GKV als nicht mit der Wirtschaftsordnung zu vereinbaren ablehnte. Eine zufriedenstellende Einbeziehung der Nachfrageseite in den Preisbildungsprozess – also die Stärkung der Krankenkassen gegenüber der Preispolitik der Industrie – setze vielmehr voraus, dass die Preisgestaltung auf der Angebotsseite – also die Festlegung einheitlicher Verbraucherpreise – preis- und wettbewerbspolitisch klar geordnet wird, was aufgrund des damit verbundenen Eingriffs in die Wettbewerbsordnung allein Sache des Gesetzgebers sei: „Nur Regierung und Parlament können diese Verantwortung übernehmen.“ (Ministerialrat Karl Bauer: Entwurf einer Konzeption über die Preisgestaltung auf dem Arzneimittelmarkt von der Erzeuger- bis zur Verbraucherstufe, Pharmazeutische Zeitung, 1972, S. 1709 ff.) Die vom Gesetzgeber 1976 übernommene und auf Druck des Bundesrats 1989 ausdrücklich in § 78 Abs. 2 AMG festgeschriebene Verantwortung des Staates für die Gewährleistung einheitlicher Apothekenabgabepreise bezieht sich nicht auf die wirtschaftliche Existenz jeder einzelnen Apotheke, sondern hat die wirtschaftliche Sicherung der Apotheken als flächendeckend verfügbare Institution der Gesundheitsversorgung, deren Aufgaben über die Arzneimittelabgabe an Versicherte der GKV weit hinausgehen, zum Maßstab. Die zu berücksichtigenden berechtigten Interessen der öffentlichen Apotheken sind durch ihren öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag nach § 1 ApoG und die ständig zunehmenden kostensteigernden arzneimittel-, apotheken- und sozialrechtlichen Anforderungen an die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung geprägt, deren Kosten die Apotheken aus ihrer gesetzlichen Handelsspanne bei der Abgabe von Arzneimitteln zu erwirtschaften hat. Dass es bei der Festlegung der Spannen um die Sicherstellung eines flächendeckend funktionierenden Apothekensystems geht, ergibt sich zudem aus der Definition der nach § 78 Abs. 2 AMG zu berücksichtigenden Verbraucherinteressen, die ausdrücklich die Sicherstellung der Patientenversorgung durch die Apotheken und die angemessene und kontinuierliche Bereitstellung des Arzneimittels für Apotheken durch Industrie und Großhandel zur Deckung des Bedarfs der Patienten umfassen. Diese gesetzlichen Maßgaben für den Verordnungsgeber beziehen sich nicht allein auf die erstmalige Festlegung der Preise und Preisspannen, sondern konstituieren die fortdauernde Verpflichtung des Verordnungsgebers, die in dieser Verordnung festgelegten Zuschlagssätze und Preise periodisch unter wirtschafts-, sozial- und gesundheitspolitischen Gesichtspunkten zu überprüfen und ggf. in ihrer Höhe anzupassen (Bundestags-Drs. 112/77 S. 9.).

Arzneimittel sind Waren besonderer Art

Ordnungs- und wettbewerbspolitisch begründet sind auch die gesetzlich zugewiesenen Zuständigkeiten für die Festlegung und Anpassung der Preise- und Preisspannen der Apotheken und des Großhandels. Die Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministeriums und die Marktaufsicht des Bundeskartellamts für den Erlass der Verordnung begründet sich aus der durch § 78 AMG konstituierten gesetzlichen Preisbindung der zweiten Hand für industriell hergestellte verschreibungspflichtige Arzneimittel, die insoweit das Kartellverbot aushebelt und erhebliche Auswirkungen auf die Funktionsweise des gesamten Arzneimittelmarktes hat. Die preis- und wettbewerbspolitische Sonderbehandlung der Arzneimittel bezieht ihre Rechtfertigung allein aus ihrer Eigenart als Waren besonderer Art, die besondere Maßnahmen des Verbraucherschutzes, der Arzneimittel- und der Versorgungssicherheit erfordern und daher die Bestimmung der Arzneimittelpreise durch die Kräfte des Marktes nur bedingt zulassen. Die Preisbildung auf der Handelsstufe ist daher im Arzneimittelgesetz geregelt und im Einvernehmen mit dem Bundesgesundheitsministerium festzusetzen. Die erforderliche Zustimmung des Bundesrates trägt dem besonderen Interesse der Länder an der flächendeckenden Gesundheitsversorgung vor Ort Rechnung, die dieser zuletzt in seiner Stellungnahme zum Arzneimittellieferengpass- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) deutlich gemacht hat (BT-Drs. 20/6871, S. 63), und beruht verfassungsrechtlich auf der ursprünglichen Zustimmungsbedürftigkeit des Arzneimittelgesetzes als von den zuständigen Landesbehörden zu vollziehendes Bundesgesetz (Art. 84 Abs. 1, 80 Abs. 2 GG).

Die neue Arzneimittel&Recht

Eine ausführlichere Fassung dieses Beitrags von Professor Hilko J. Meyer ist auch in der aktuellen Zeitschrift Arzneimittel&Recht erschienen.

In der Ausgabe 1/24 finden sich überdies u. a. folgende Beiträge:

Sabine Wesser: Die Abgabe vertragsärztlich verordneten Sprechstunden-/Impfstoffbedarfs an „Vertragsarztpraxen“ und deren Vergütung

Ulrich Grau / Christina Deckers / Tatjana Teterjukow: Erstreckung der Impfberechtigung von Apothekern auf weitere Schutzimpfungen

www.arzneimittel-und-recht.de
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Antizipierter Anpassungsbedarf des Packungsfixums

Aufgrund der weitgehenden Abkoppelung der Apothekenspanne von den Industriepreisen durch das „Kombimodell“ antizipierte der Gesetzgeber bereits im GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14. November 2003 einen regelmäßigen Anpassungsbedarf des fixen Bestandteils des Packungsaufschlags und erleichterte dessen turnusmäßige Anpassung durch den Verordnungsgeber ohne erforderliche Zustimmung des Bundesrates. Er begrenzte dieses vereinfachte Verfahren jedoch aus ordnungspolitischen Gründen auf die Anpassung des Festzuschlags entsprechend der Kostenentwicklung der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung und ermächtigte den Verordnungsgeber nicht zu einer darüber hinaus gehenden Neuberechnung der Preisspannen oder Umstrukturierung des Spannensystems ohne Zustimmung des Bundesrats.

Die Gesetzesbegründung sah ausdrücklich vor, dass die Überprüfung in der Regel im Abstand von zwei Jahren erfolgt, um häufige Anpassungen im geringen Cent-Bereich zu vermeiden (BT-Drs. 1515/25, S. 166). Eine Anpassung des Festzuschlags durch den Verordnungsgeber erfolgte jedoch seitdem nur ein einziges Mal und führte 2012 zur Erhöhung des Festzuschlags um 25 Cent auf den bis heute geltenden Betrag von 8,35 Euro.

Der Kassenabschlag 2003 – 2015: Ein Lehrstück über Verhandlungen über die Apothekenspanne

Dass es der Apothekerschaft nicht gelang, den Verordnungsgeber in die Verantwortung zu nehmen, hat nicht nur mit der fehlenden rechtlichen Stringenz der Anpassungsklausel zu tun. Dies ist vielmehr entscheidend auf eine ordnungspolitisch misslungene Änderung des Apothekenabschlags nach § 130 SGB V durch das GMG zurückzuführen, die die Apothekerschaft ab 2004 in einen fruchtlosen Dauerkonflikt mit der GKV verwickelte. Als unlösbarer Streitpunkt erwies sich eine Anpassungsregelung, die den Vertragspartnern des Rahmenvertrags die Aufgabe übertrug, den Zwangsrabatt so anzupassen, „dass die Summe der Vergütungen der Apotheken für die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel leistungsgerecht ist unter Berücksichtigung von Art und Umfang der Leistungen und der Kosten der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung.“ Damit konstituierte das GMG ein konfliktträchtiges Nebeneinander zweier angebotsbezogener Anpassungsregelungen der Apothekenspanne, deren Anwendungsbereich sich großteils überschnitten, ohne Kollisionsregelungen zu enthalten, deren Kriterien nicht kongruent waren und deren Akteure unterschiedliche Interessen zu berücksichtigen haben. Während der Verordnungsgeber bei der Anpassung des Fixzuschlags nach § 78 AMG die wirtschaftliche Grundlage des flächendeckenden Apothekensystems unter Wahrung der Interessen von Verbrauchern, Apotheken und Großhandel zu gewährleisten und daher nur die Kostenänderungen zu berücksichtigen hat, sollten die in einem antagonistischen wirtschaftlichen Interessensgegensatz stehenden Vertragspartner des Rahmenvertrags mit der Abschlagshöhe die leistungsgerechte Summe der Vergütungen der Apotheken für die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel grundlegend neu festlegen. Vorhersehbares Resultat dieses ordnungspolitischen Desasters waren jahrelange ergebnislose Verhandlungen der Vertragspartner und wiederholte Änderungen der gesetzlichen Berechnungsgrundlagen, die die Widersprüche zwischen beiden Anpassungsregelungen nicht ausräumten.

Gesetzliche Festlegung des Apothekenabschlags

Schließlich fügte das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) die Klausel ein, dass die Veränderungen der Leistungen der Apotheken auf Grundlage einer standardisierten Beschreibung der Leistungen im Jahre 2011 zu ermitteln und die Einnahmen und Kosten der Apotheken durch tatsächliche Betriebsergebnisse repräsentativ ausgewählter Apotheken zu berücksichtigen seien. Da auch dies nicht zu einem gemeinsamen Verständnis der Vertragsparteien führte, wurde die Höhe des Apothekenabschlags mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz von 2015 gesetzlich auf 1,77 Euro festgesetzt (BT-Drs. 18/4095 S. 118). Seitdem ist es bei der gesetzlichen Festlegung des Zwangsrabatts geblieben, der für den Zeitraum vom 1. Februar 2023 bis zum 31. Januar 2025 auf zwei Euro je Arzneimittel erhöht wurde (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, BGBl. I 2022, S. 1990, 1993.) Die Verhandlungslösung für die Anpassung des Kassenabschlags nach § 130 SGB V hat sich damit als ungeeignet erwiesen, die antagonistischen Interessen der Verhandlungspartner im Hinblick auf die Apothekenspanne zu einem Ausgleich zu bringen, weil das Verfahren und die Kriterien im Widerspruch zu den übergeordneten Zielen des einheitlichen Apothekenabgabepreises stehen, wie sie in § 78 AMG verankert sind. Das sieht die GKV allerdings genau umgekehrt.

Das 2HM-Gutachten: Ein aufschlussreicher Einblick in die GKV-Strategie

In seiner Stellungnahme zum Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz von 2020 erinnerte der GKV-Spitzenverband an das 2016 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie beauftragte 2HM-Gutachten („Ermittlung der Erforderlichkeit und des Ausmaßes von Änderungen der in der Arzneimittelpreisverordnung geregelten Preise“) und schlug vor, dessen Ergebnisse zu nutzen, „um die in der AMPreisV genannten Beträge für die Vergütung der Apotheken und des Großhandels auf ein leistungsgerechtes Niveau anzupassen“. Das Interessante an diesem Gutachten war, dass es sich ganz wesentlich auf die bereits 2015 zu den Akten gelegten „leistungsgerechten“ Parameter für Verhandlungen über dem Kassenrabatt in der Fassung des GMG stützte. Quasi im Vorgriff auf die nun mit den Eckpunkten angestrebte Systemänderung verkündete es die irrige These, dass „die gesetzliche Grundlage der Vergütung für die Abgabe von Fertigarzneimitteln einen seit 2004 verstärkt leistungs- und kostenorientierten Ansatz mit gezielter Vergütung kaufmännischer und freiberuflicher Leistungen der Apotheke“ aufzeige. Obwohl die leistungs- und kostenbezogenen Verhandlungsparameter des § 130 SGB V gescheitert und 2015 endgültig außer Kraft gesetzt worden sind, behauptete das Gutachten ihre unveränderte Fortgeltung, aber jetzt als gültige Parameter der Anpassung im Rahmen der Arzneimittelpreisverordnung. Das ist zwar juristisch abwegig, zeigt aber eindrucksvoll, was es bedeuten würde, wenn die Anpassung der Apothekenhonorierung von den in § 78 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 AMG niedergelegten Parametern abgekoppelt und damit der Verantwortung des Gesetz- und Verordnungsgebers entzogen würde. Auf Basis der so umgemodelten Rechtsgrundlage errechnete das Gutachten, dass die Abgabe rezeptpflichtiger Fertigarzneimittel nur 39,7 Prozent aller in den Apotheken abgegebenen und verkauften Packungen ausmache und daher der absolute Festzuschlag für rezeptpflichtige Fertigarzneimittel ebenfalls nur 39,7 Prozent der nach Notdienst, BtM, Rezepturen und Warenwirtschaft verbleibenden Kosten zzgl. des GKV-Rabattes decken müsse. Die von dem Gutachten auf dieser Basis kalkulierte „leistungsgerechte Vergütung“ für die flächendeckende Versorgung mit verschreibungspflichtigen Fertigarzneimitteln hätte 2017 eine Absenkung des Apothekenzuschlags um insgesamt ca. 1,24 Milliarden Euro bedeutet.

Fazit

Das in den Eckpunkten vorgesehene Verhandlungsverfahren zur Anpassung des Festzuschlags der Apotheken gibt die bisher geltende ordnungspolitisch begründete Dualität von angebots- und nachfragebezogenen Steuerungsinstrumenten auf und macht die Festlegung der Apothekerspannen zum Spielball eines antagonistischen Verhandlungsprozesses deutlich ungleichgewichtiger Marktkontrahenten. Die Verhandlungslösung entlässt Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung aus der bisher wahrgenommenen gesamtgesellschaftlichen gesundheits- und wettbewerbspolitischen Verantwortung für die wirtschaftlichen Existenzbedingungen einer sicheren, umfassenden, gleichmäßigen und flächendeckenden Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch unabhängige inhabergeführte öffentliche Apotheken. Demgegenüber haben die Verhandlungen der Apothekerschaft über den Rahmenvertrag und die Hilfstaxe – bis in die jüngste Vergangenheit – nicht gerade die Erwartung geweckt, dass hier konstruktiv und auf Augenhöhe über die wirtschaftliche Sicherung des Apothekensystems und seines gesetzlichen Versorgungsauftrags gestritten wird. Die existenzielle wirtschaftliche Bedeutung des Packungsfixums für die Apotheken wird durch die vorgesehene Senkung des prozentualen Anteils weiter erhöht. Die angedachten Verhandlungsparameter weichen erheblich von den bisherigen Anpassungsparametern des § 78 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AMG ab und weisen eher in Richtung einer abgesenkten, weil auf die Kosten der unmittelbaren Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte eingeengten Apothekenspanne. Eine in Aussicht gestellte Dynamisierung lassen das Eckpunktepapier und seine beispielhaft genannten Parameter nicht erkennen. Dagegen spricht bereits das übergeordnete Reformmotto der „Umverteilung des finanziellen Fördervolumens“. Der Verbraucherpreisindex spiegelt nicht die Betriebskosten der Apotheken wider, die Grundlohnsumme begrenzt die GKV-Einnahmen und die „Entwicklung der Versorgungssituation zur Sicherstellung einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung“ kann bei steigender Versandquote die Absenkung begründen. Das vorgeschaltete Gutachterverfahren erlaubt die Abkehr von bisher sicher geglaubten Kalkulationsgrundlagen bei gleichzeitigem Ausschluss der bisher gewährten parlamentarischen Korrekturmöglichkeiten. Entscheidende Weichenstellungen für die im öffentlichen Interesse gebotene wirtschaftliche Existenzsicherung der Apotheken, wie sie Bundestag und Bundesrat in der Vergangenheit wiederholt durchgesetzt haben, entfielen. Würde die Verhandlungslösung gleichwohl realisiert, so würde dies meiner Einschätzung nach zu erheblichen tektonischen Verwerfungen im gesamten Bereich der flächendeckenden Arzneimittelversorgung der Bevölkerung mit ungewissem Ausgang führen. |

Autor

Prof. Dr. Hilko J. Meyer war von 1997 bis 2018 Professor für Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences. Davor war der Jurist 13 Jahre in den Verbänden der Apotheker, der pharmazeutischen Industrie und des pharmazeutischen Groß­handels auf Bundes- und EU-Ebene tätig. Als Mitglied des Zentrums für Gesundheitswirtschaft und -recht widmet er sich weiterhin seinem Forschungsschwerpunkt des deutschen und europäischen Arzneimittel- und Apothekenrechts.

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