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Medizin

Kurzer Darm, lange krank

Das Kurzdarmsyndrom im Kindesalter ist eine versorgungsintensive Erkrankung

Einfach mal ein Eis essen gehen! Für Kinder mit Kurzdarmsyndrom ist das mitunter schwierig bis unmöglich, da sie oft parenteral ernährt werden. Das Kurzdarmsyndrom im Kindes- und Säuglingsalter ist selten, die Betroffenen und ihre Angehörigen profitieren von einer interdisziplinären Therapie. Doch was ist das Kurzdarmsyndrom? | Von Juliane Russ

Müssen große Teile des Dünndarms operativ entfernt werden, nennt man den entstehenden Symptomkomplex Kurzdarmsyndrom. Gründe für die Dünndarmresektion gibt es viele, zum Beispiel eine Obstruktion des Dünndarms, Dysmotilität, Dünndarmnekrose oder -entzündung oder angeborene Fehlbildungen. Durch die verkürzte Darmpassage und vor allem die reduzierte Resorptionsfläche des Dünndarms ist der Organismus dann mehr oder weniger unfähig, den Energie- und Nährstoffbedarf über den Magen-Darm-Trakt zu decken. Die Patienten müssen oft ihr Leben lang parenteral ernährt werden oder zumindest essenzielle Nahrungsbestandteile oral substituieren. Die Ernährungssituation ist herausfordernd und benötigt ein multidisziplinäres Team.

Besonders kritisch ist die richtige Ernährungsform, wenn Kinder und Säuglinge betroffen sind. Angeborene Fehlbildungen wie ein vorgefallener oder verdrehter Darm oder Mobilitätsstörungen, z. B. Morbus Hirschsprung, verursachen oft bereits kurz nach der Geburt Symptome wie Blähungen, unregelmäßigen bzw. ausbleibenden Stuhlgang oder Appetitlosigkeit. Sind Nekrosen oder Entzündungen z. B. aufgrund von Morbus Crohn stark fortgeschritten, müssen der Dünndarm oder Teile davon chirurgisch entfernt werden. Als Folge können Durchfälle, Blähungen, Fettstühle, Dehydration, Elektrolytentgleisungen und Nährstoffmangel auftreten. Das Kurzdarmsyndrom ist selten, statistisch erkranken in Deutschland ein bis zwei Personen von 100.000 Einwohnern pro Jahr [1, 3].

Zu Beginn obligat: parenterale Ernährung

Damit das Kind oder der Säugling mit Kurzdarmsyndrom adäquat mit Nährstoffen versorgt ist und altersgerecht heranwächst, ist zumindest zu Beginn eine parenterale Ernährung angezeigt. Die Patienten durchlaufen nach der Operation drei Phasen, in denen sich der Darm erholt und die Resorptionskapazitäten so weit wie möglich optimiert werden, indem Zotten sich vergrößern und Furchen sich vertiefen (siehe Tab.). In der ersten Zeit nach dem chirurgischen Entfernen von Teilen des Dünndarms ist oft kein Essen möglich, und die gesamte Nährstoffaufnahme muss in der Klinik über eine Infusion erfolgen.

Tab.: Nach einer Dünndarmresektion durchläuft ein Patient drei Phasen, in denen der Restdarm seine Funktion so weit wie möglich optimiert. Die parenterale oder enterale Ernährung muss entsprechend angepasst werden [nach 8].
Phase
Zeitraum
Merkmale
Ernährung und Therapie
Hypersekretionsphase
bis zu zwölf Wochen nach Dünndarm­resektion
  • Durchfall mit massivem Elektrolytverlust
  • Reflektorische Überproduktion von Magensäure
  • Fettstühle
  • parenterale Ernährung und Flüssigkeitssubstitution
  • orale Rehydratationslösungen
  • Reduktion der Magensäureproduktion durch Protonen­pumpenhemmer
  • möglichst frühe orale Ernährung anstreben
Adaptationsphase
bis zu zwei Jahre nach der Operation
  • Rückgang des Flüssigkeitsverlustes
  • Verbesserung der Nährstoff­resorption durch Regeneration und Adaptation des Restdarms
  • Umstellung auf orale Ernährung, soweit möglich
Stabilisierungsphase
ab ein bis zwei Jahre nach der Operation
  • Stabilisierung von Flüssigkeitsverlusten, Durchfall und Fettstühlen
  • Größtmögliche Resorptionsfähigkeit erreicht
  • dauerhafte Einstellung der Ernährung (Kombination aus oral/Substitution und parenteral)

Stabilisiert sich der Zustand, kann der Patient essen und trinken. Ist die Resorptionsleistung nicht ausreichend, vor allem wenn Dünndarmabschnitte fehlen, muss oral substituiert werden. Reicht auch das nicht aus, muss – zumindest phasenweise, zum Beispiel über Nacht – parenteral ernährt werden. Die regelmäßige parenterale Ernährung erfolgt laut Leitlinie am besten über einen zentralvenösen Katheter, einen dauerhaften Zugang direkt in eine der beiden großen Hohlvenen. Meist lernen die Bezugspersonen des kleinen Patienten noch im Krankenhaus, wie der Infusionsbeutel mit der Nährstofflösung steril an den Venenkatheter angebracht und wieder entfernt wird.

Ist es nicht möglich, nach der Resektion einen stabilen Zustand zu erreichen, kann eine darmverlängernde Operation Resorptionsfläche zurückbringen, als Ultima Ratio beim Kurzdarmsyndrom kann eine Darmtransplantation vorgenommen werden. 2022 wurden in Deutschland nur zwei Dünndarmtransplantationen durchgeführt [4 – 7].

Abb.: Lang andauernde parenterale Ernährung über einen zentralvenösen Katheter. Der äußere (extra­korporale) Teil besteht aus einem oder mehreren Schläuchen, an die die Nahrungsinfusion angeschlossen wird. Diese gelangt durch eine portable Pumpe in den Körper. Der Katheterschlauch verläuft dann unter der Haut bis zur oberen Hohl­vene, in die er mündet. Die Infusionslösung wird unmittelbar vor dem linken Vorhof in die obere Hohlvene abgegeben.

Auf den Abschnitt kommt es an

Je nachdem, welcher Darmabschnitt noch vorhanden und funktionsfähig ist, muss die Nährstofflösung oder Supplementation angepasst werden. Fettlösliche Vitamine, Makronährstoffe, Calcium und Folat werden hauptsächlich im Duodenum, Natrium im Jejunum und Ileum, Vitamin B12 und Gallensäuren vorwiegend im Ileum resorbiert. Ist der Dünndarm im Erwachsenenalter weniger als einen Meter lang, also auf weniger als ein Viertel seiner ursprünglichen Länge verkürzt, ist eine lebenslange parenterale Ernährung nötig.

Das Alter des Kindes sowie weitere individuelle Faktoren beeinflussen, ob und wie lange das Kind mit Kurzdarmsyndrom parenteral ernährt werden muss und wie diese Ernährungsform zusammengesetzt sein sollte [6, 7].

Symptomatik lindern

Patienten mit Kurzdarmsyndrom leiden häufig an Durchfällen, Blähungen und Fettstühlen. Maßnahmen, um diese Symptomatik zu reduzieren, gibt es einige: Mittelkettige Triglyceride, wie sie zum Beispiel in Kokosfetten vorkommen, können im Gegensatz zu langkettigen Fetten auch ohne Gallensäuren resorbiert werden und verringern Fettstühle. Außerdem ist es ratsam, kleinere Mahlzeiten über den Tag verteilt zu verzehren und wenig zum Essen zu trinken, um die Transitzeit des Speisebreis zu verlängern. Um Flüssigkeit besser aufnehmen zu können, eignen sich isotonische Getränke. Die Apotheke kann entsprechende Pulver zum Auflösen anbieten.

Generell sollte feste Nahrung altersgerecht so früh wie möglich eingeführt werden, um einer Lebensmittelaversion vorzubeugen, das gastrointestinale Gewebe zu stimulieren und das Darmmikrobiom positiv zu beeinflussen [5, 7].

Komplikationen parenteraler Ernährung

Eine der schwerwiegendsten Komplikationen bei parenteral ernährten Kindern ist die Hepatopathie (Funktionsstörung der Leber). Diese multifaktoriell bedingte Lebererkrankung manifestiert sich meistens als Cholestase (Gallenstauung) und Fibrose (Umbau von Lebergewebe in Bindegewebe), aber auch als Steatose (Fettleber). Im weiteren Verlauf schreitet der fibrotische Leberumbau fort und kann eine Transplantation nötig machen. Um eine Hepatopathie zu vermeiden, sollte die parenterale Ernährung nicht hyperkalorisch sein (weniger als 100 kcal/kg Körpergewicht täglich). Auch die zyklische Freisetzung gastrointestinaler Hormone und die intermittierende Gabe der Nahrungsinfusion (zum Beispiel nur nachts) entlasten die Leber. Außerdem sollte früh die zumindest teilweise Rückkehr zur enteralen oder oralen Ernährung angestrebt werden.

Ein Restrisiko für Hepatopathie geht von rezidivierenden Infektionen, Phytosterol-reichen Fettemulsionen, hoher Vitamin-A- und geringer Vitamin-E-Zufuhr sowie hepatotoxischen Arzneimitteln aus. Es gibt Hinweise darauf, dass Fischöl-haltige Lipidemulsionen, die durch Omega-3-Fettsäuren antiinflammatorisch wirken, in frühen Stadien der Lebererkrankung einen positiven Effekt haben.

Andere Komplikationen einer lang andauernden intravenösen Nährstoffaufnahme im Kindesalter sind bakterielle Fehlbesiedelung des Darms, Wachstumsminderung, metabolische Störungen (Azidose, gestörter Elektrolythaushalt), intestinale Komplikationen sowie Probleme mit dem venösen Zugang (Katheterdislokation, Kathetersepsis). Im Erwachsenenalter kann es schließlich zu Osteopathie und peptischen Erkrankungen wie Reflux oder Ulkus kommen [1, 2, 3, 5].

Interdisziplinär herausfordernd

Apotheken können Kinder, die parenteral ernährt werden, mit den entsprechenden Zubereitungen und Hilfsmitteln versorgen. Die Offizin wird dann Teil der komplexen und individuellen Therapie von erkrankten Jungen und Mädchen, da gerade bei pädiatrischen Patienten mit Kurzdarmsyndrom eine angemessene parenterale Versorgung besonders wichtig ist: Wachstumsstörungen aufgrund von Mangel­ernährung und andere Komplikationen gilt es frühzeitig zu erkennen und zu therapieren. Die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Kinderarzt, Gastroenterologen und anderen versorgenden Experten, wie zum Beispiel Apothekern, ist notwendig, um die Ernährungssituation sowie den allgemeinen Zustand des Patienten richtig einzuschätzen. Spezialisierte Zentren für das Kurzdarmsyndrom im Kindesalter erreichen mehr Behandlungserfolge und eine niedrigere Sterberate als Versorgungssituationen ohne Spezialisten für dieses seltene Krankheitsbild [1, 4, 5]. Zu einer Liste mit Spezialkliniken gelangen Sie, wenn Sie den Webcode D4IV9 direkt in die Suchfunktion auf daz.online, www.deutsche-apotheker-zeitung.de, eingeben [1, 4, 5].

Pharmakotherapie

Das Glucagon-like-Peptid-2-Analogon Teduglutid (Revestive®) kann bei Kurzdarm-Patienten eingesetzt werden, um die intestinale Aufnahme von Nährstoffen und Flüssigkeit zu verbessern. Der Arzneistoff führt dazu, dass die Darmmukosa sich regeneriert, Darmzotten vergrößert und die Krypten der Darmmukosa vertieft werden, was die Resorption verbessert. Dadurch soll die Zahl der infusionsfreien Tage maximiert werden. Teduglutid kann bei Kindern ab vier Monaten angewendet werden, sobald sie die Stabilisierungsphase erreicht haben (s. Tab.). Die Applikation erfolgt einmal täglich subkutan in die Bauchregion.

Patienten, die essen können, nehmen oft Pankreasenzyme ein, um Fette und Proteine besser zu verdauen. Protonenpumpenhemmer reduzieren die Magensäureproduktion und senken das Ulcus-Risiko. Sie werden vor allem in der Sekretionsphase benötigt. Kurzdarm-Patienten leiden durch die verkürzte Darmlänge häufig unter Durchfall. Antidiarrhoika regulieren den Stuhlgang und beeinflussen die Darmmotilität. Kommt es aufgrund der herausfordernden Nährstoffsituation von Heranwachsenden und Kindern zu Wachstumsstörungen, kann neben einer angepassten Nährstoff­lösung Wachstumshormon gegeben werden [4, 5]. |

Literatur

[1] Krawinkel MB et al. Chronisches Darmversagen im Kindesalter. Dtsch Arztebl Int 2012, 109(22-23):409-15; doi: 10.3238/arztebl.2012.0409

[2] Lloyd DA, Gabe SM. Managing liver dysfunction in parenteral nutrition. Proc Nutr Soc. 2007 Nov;66(4):530-8. doi: 10.1017/S002966510700585X

[3] O‘Keefe SJ et al. Short bowel syndrome and intestinal failure: consensus definitions and overview. Clin Gastroenterol Hepatol. 2006 Jan;4(1):6-10. doi: 10.1016/j.cgh.2005.10.002.

[4] Patienteninformation Hemiparenterale Ernährung. Fresenius Kabi, 2018, www.fresenius-kabi.com/de-at/documents/Patienteninformation_Heimparenterale_Ernaehrung.pdf

[5] Olieman J, Kastelijn W. Nutritional Feeding Strategies in Pediatric Intestinal Failure. Nutrients. 2020 Jan 8;12(1):177. doi: 10.3390/nu12010177.

[6] Die Dünndarmtransplantation. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, www.organspende-info.de/organspende/transplantierbare-organe/duenndarmtransplantation/ (letzter Aufruf 17. November 2023)

[7] Hircin E, Antwerpes F. Kurzdarmsyndrom. DocCheck Community GmbH, https://flexikon.doccheck.com/de/Kurzdarmsyndrom. Stand: 6. Oktober 2023

[8] Kurzdarmsyndrom. Amboss GmbH, www.amboss.com/de/wissen/Kurzdarmsyndrom. Stand: 19. April 2023

Autorin

Juliane Russ hat Ernährungswissenschaft an der Universität Hohenheim studiert. Seit April 2022 absolviert sie ein Volontariat bei der DAZ.

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