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Arzneimittel und Therapie
Colchicin vorsichtig einsetzen
Aktualisierte Gicht-Leitlinie empfiehlt niedrige Dosierung
Seit September 2023 liegt die aktualisierte Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) zur Therapie der akuten Gicht vor. Sie basiert auf der Vorlage der US-amerikanischen ACP (American College of Physicians); länderspezifische Empfehlungen und Vorgaben wurden adaptiert. Die einzelnen Kapitel gehen unter anderem auf Epidemiologie, Diagnostik und Therapiemöglichkeiten ein. Teilweise – wie etwa bei epidemiologischen und ätiologischen Erläuterungen – wird auf weitere Leitlinien verwiesen. Der Anhang enthält zusätzliche Materialien wie zum Beispiel eine Patienteninformation und eine Kurzversion zum Management der akuten Gicht. Bei der Überarbeitung der Leitlinie wurden von der ACP und DEGAM formulierte Schlüsselfragen berücksichtigt. Etwa zu Vor- und Nachteilen unterschiedlicher Gichtarzneimittel oder zur Gabe bestimmter Wirkstoffe bei bestehenden Komorbiditäten. In acht Empfehlungen wird auf die medikamentöse und nichtmedikamentöse Therapie der akuten Gicht eingegangen.
Wer ist besonders gefährdet?
Die Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht, frühere Episoden akuter Monoarthritiden und das Trinken von Bier sind Risikofaktoren für das Auftreten eines akuten Gichtanfalls. Kardiovaskuläre Erkrankungen stehen ebenfalls mit Gicht in Zusammenhang. Auch korreliert die Wahrscheinlichkeit, an Gicht zu erkranken, mit dem Harnsäurespiegel im Blut: Oberhalb von 0,535 μmol/l (9 mg/dl) steigt die Wahrscheinlichkeit auf das rund Zehnfache an. Dabei ist zu beachten, dass ein erhöhter Harnsäurespiegel im Blut allein noch keine Beschwerden hervorruft. Aufgrund der schlechten Löslichkeit der Harnsäure können sich Uratkristalle bilden, die in Geweben mit geringem Stoffwechsel – beispielsweise den Gelenken, Knochen, Weichteilen und inneren Organen – ausfallen, von Leukozyten phagozytiert werden und so die typischen Gichtsymptome hervorrufen. In der kürzlich erschienenen 3. Auflage des Patientenratgebers „Essen und Trinken bei Gicht“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) finden Betroffene hilfreiche Tipps, wie sie mit gesunder Ernährung Gichtanfällen vorbeugen können. Neben dem Anstreben von Normalgewicht (Body-Mass-Index < 25 kg/m2) stellen eine vegetarische und vollwertig Purin-reduzierte Ernährung die wichtigsten Maßnahmen dar. Insbesondere die ovo-lacto-vegetarische Ernährung kann dabei helfen, Arzneimittel einzusparen oder sie sogar überflüssig zu machen.Interessierte Apotheken können die Patientenbroschüre beim Medienservice der Deutschen Gesellschaft für Ernährung erhalten.
Blickdiagnose meist ausreichend
Mehrere charakteristische Zeichen weisen auf einen akuten Gichtanfall hin. So etwa eine Entzündung, die sich innerhalb eines Tages entwickelt hat, Rötung über den betroffenen Gelenken, ein schmerzhaftes oder geschwollenes Zehengrundgelenk, nachgewiesene oder vermutete Gichtknoten (Tophi) sowie eine Hyperurikämie. Laut Leitlinie sollte die Diagnose Gichtanfall gestellt werden, wenn Patienten innerhalb eines Tages ohne Vorzeichen Schmerzen in den Extremitätengelenken entwickeln und die weder über ein Trauma (z. B. eine Operation) noch eine intraartikuläre Injektion noch ein akut eingetretenes Krankheitsgefühl oder Fieber berichten. Von dem Nachweis von Uratkristallen per Gelenkpunktation sowie der Blutanalyse bei klinisch eindeutigen Fällen raten die Leitlinienautoren ab.
Therapie unmittelbar beginnen
Da ein nicht behandelter akuter Gichtanfall in der Regel drei Tage bis zwei Wochen anhält, sollte so rasch wie möglich eine antiinflammatorische Behandlung eingeleitet werden. Am besten innerhalb der ersten 12 bis 24 Stunden, um die Entzündungskaskade zu unterbrechen. Die in der Leitlinie ausgesprochenen Empfehlungen beruhen auf der Auswertung von 33 Studien, aus denen folgende Aussagen hervorgehen:
- Mittel der Wahl sind Glucocorticoide, nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und Low-dose-Colchicin, falls eine Kontraindikation für NSAR vorliegt.
- In der Regel erfolgt eine Monotherapie.
- Bei der Auswahl eines Wirkstoffs sind Komorbiditäten und die Komedikation zu berücksichtigen.
- Vor Einleiten der medikamentösen Therapie sollte ein Interaktionscheck durchgeführt werden, der von Seiten der Apotheke erfolgen kann.
- Die Dauer der Therapie richtet sich nach Schwere und Dauer des Gichtanfalls und sollte in der Regel bis zum weitgehenden Abklingen der Symptome erfolgen.
- Beim ersten Gichtanfall sollte keine harnsäuresenkende Therapie eingeleitet werden.
Corticosteroide nur oral
Corticosteroide sind aufgrund ihrer antiinflammatorischen Wirkung auch bei Gicht effektiv. Sie sind etwa gleich gut wirksam wie NSAR. Ihre langfristige Anwendung ist mit den bekannten Nebenwirkungen wie etwa Dysphorie, Stimmungsstörungen, Erhöhung des Blutzuckerspiegels, Immunsuppression und Flüssigkeitsretention assoziiert. Die Tagesdosis soll als Einmalgabe verabreicht werden, ab dem zweiten Tag vorzugsweise morgens. Am ersten Tag kann mit 50 mg Prednisolon-Äquivalent oral begonnen werden. Die weitere Dosierung hängt von der Schwere und Dauer der Beschwerden sowie vom Körpergewicht des Patienten ab. Da die orale Therapie rasch anspricht, rät die Leitlinie von parenteralen Corticoid-Gaben ab. Im Hinblick auf die Wirksamkeit scheint es keine Unterschiede zwischen Corticosteroiden und nichtsteroidalen Antirheumatika zu geben, allerdings wird das Nebenwirkungsprofil nichtsteroidaler Antirheumatika etwas schlechter beurteilt als das der Corticoide.
Bei NSAR auf Nebenwirkungen achten
Nichtsteroidale Antirheumatika werden aufgrund ihrer antiinflammatorischen Eigenschaften eingesetzt. Ihre Wirkung bei Gicht ist ausreichend dokumentiert. Zu beachten sind gruppenspezifische Nebenwirkungen wie die Verschlechterung einer bestehenden Herz- oder Niereninsuffizienz, gastrointestinale unerwünschte Wirkungen (Dyspepsie, Gastritiden, Perforationen, Colitiden, Ulcera und Blutungen) sowie eine eventuell abgeschwächte Wirkung blutdrucksenkender Arzneimittel. Ob ein bestimmter Wirkstoff bevorzugt werden sollte, ist nicht bekannt. In den meisten Studien wurde Indometacin eingesetzt, in einigen auch Coxibe. Letztere waren bei gleicher Wirksamkeit mit weniger Nebenwirkungen assoziiert.
Colchicin: Tabletten den Tropfen vorziehen
Für Colchicin, den ehemaligen „Klassiker“ zur Gichttherapie, haben sich die Dosierungsempfehlungen aufgrund seiner engen therapeutischen Breite geändert, und die empfohlenen Wirkstoffmengen wurden reduziert. So sollen am ersten Tag 2 mg Colchicin, am zweiten und dritten Tag zwei- bis dreimal täglich 0,5 mg und ab dem vierten Tag maximal zweimal täglich 0,5 mg eingenommen werden. Eine Höchstdosis von 6 mg Colchicin pro Gichtanfall soll nur in Ausnahmefällen überschritten werden. Bislang noch nicht veröffentlichte Berichte lassen vermuten, dass die meisten unerwünschten Nebenwirkungen bei Anwendung der flüssigen Darreichungsform auftreten. Die Leitlinie empfiehlt daher die Einnahme in Form von Tabletten. Vor der Einnahme von Colchicin ist ein Interaktionscheck durchzuführen, da bei gleichzeitiger Anwendung von CYP3A4- oder P-Glykoprotein-Inhibitoren die Toxizität von Colchicin ansteigt.
Kühlen und Trinken
Die Leitlinie rät zusätzlich zur Kühlung, Hochlagerung und Ruhigstellung der betroffenen Gelenke. Des Weiteren sollte auf eine angemessene Flüssigkeitszufuhr geachtet werden, um die Löslichkeit von Urat in der Gelenkflüssigkeit aufrechtzuerhalten und eine Kristallbildung und Ausfällung zu vermeiden. Die örtliche Anwendung von Eis hat eine betäubende Wirkung auf akut entzündete Gelenke. |
Literatur
Diagnostik und Therapie der akuten Gicht. S2e-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), Version 2,0, Stand: August/2023
Neue Broschüre der DGE zu Essen und Trinken bei Gicht. Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) vom 7. November 2023
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