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DAZ aktuell

Des einen Leid, des anderen Freud?

Skalenerträge durch Apothekenschließungen sind begrenzt

Politiker verfolgen den Rückgang der Apothekenzahl oft erstaunlich gelassen. Denn offenbar hilft die Umverteilung der Umsätze den verbliebenen Apotheken, trotz fehlender Honoraranpassung weiter zu arbeiten. Das kann die Politik verleiten, das System kaputtzusparen. Doch wie stark wirkt der Umverteilungseffekt und wie lange kann er noch andauern? Die Politik hat bisher offenbar übersehen, dass sprung­fixe Kosten die Skalenerträge begrenzen. Vermutlich ist diese Grenze vielerorts schon erreicht. | Von Thomas Müller-Bohn

Die zentrale Frage zu den wirtschaftlichen Folgen von Apothekenschließungen lautet: Was bedeuten Skalenerträge für die Rentabilität von Apotheken? – Skalenerträge sind wirtschaftliche Vorteile, die aus dem Wachstum des Geschäftsbetriebs entstehen. Sie ergeben sich aus den Unterschieden zwischen fixen und variablen Kosten. Während variable Kosten definitionsgemäß mit den Umsätzen steigen oder fallen, bleiben fixe Kosten bei Umsatzveränderungen konstant. Bei steigenden Umsätzen und steigenden Roherträgen muss also nur zusätzliches Geld zur Deckung variabler Kosten aufgewendet werden, nicht für fixe Kosten. Damit bleibt ein größerer Anteil des Rohertrags als Gewinn übrig. Dieser zusätzliche Ertrag ist der Skalenertrag. Der Effekt wird auch Fixkostendegression genannt.

Weniger Apotheken – uralte Sparidee

In der langen Geschichte der Spardebatten im Gesundheitswesen hat dieser Effekt die Fantasie vieler Apothekenkritiker angeregt. In Zeiten steigender oder stabiler Apothekenzahlen wurde argumentiert, es gäbe zu viele Apotheken, und mit weniger und damit größeren Apotheken ließe sich sparen. Denn größere Apotheken könnten Skalenerträge erzielen und dann mit geringeren Aufschlägen auskommen. Interessierte Kreise schürten Erwartungen, dass dieser Effekt viel Geld für die Krankenkassen sparen könnte. Dabei übersahen sie die Kostenstruktur der Apotheken. Der größte Anteil der Kosten ergibt sich aus den patientenbezogenen Abläufen der Abgabe und Beratung sowie den organisatorischen Folgen. Zusätzliche Kunden erhöhen alle diese Kosten. Der Anteil der Fixkosten und damit auch die Skalenerträge sind viel geringer, als damals suggeriert wurde.

Rechenweg für Honoraranpassung – langer Streit

Besonders bedeutsam war die Frage nach den Skalenerträgen, als 2012 das Bundeswirtschaftsministerium die bis heute einzige Anpassung des Festzuschlags für verschreibungspflichtige (Fertig-)Arzneimittel berechnete. Das Ergebnis war die Erhöhung zum 1. Januar 2013 um nur 25 Cent auf 8,35 Euro. Die Erhöhung fiel damals so gering aus, weil dabei der zusätzliche Rohertrag, der sich aus den zusätz­lichen Umsätzen seit der Einführung des Kombimodells ergeben hatte, vom Kostenanstieg abgezogen wurde (zu einer Kommentierung des Rechenweges siehe DAZ 2012, Nr. 32, S. 46 – 48). Der Verfasser dieses Beitrags hat schon damals kritisiert, dass dabei die zusätzlichen Kosten aufgrund zusätzlicher Arbeit ignoriert wurden. Das wäre so, als sollten Angestellte bezahlte Überstunden erbringen statt eine Gehaltserhöhung zu erhalten, die die Inflation kompensiert. Der damals verwendete Rechenweg unterstellte implizit, dass in Apotheken nur fixe Kosten, aber keine variablen Kosten anfallen. Der Verfasser hat daher vorgeschlagen, den Rechenweg zu korrigieren. Um den Anpassungsbetrag zu ermitteln, sollte vom Kostenanstieg nicht der gesamte Rohertragszuwachs, sondern nur der Fixkostenanteil abgezogen werden (siehe DAZ 2015, Nr. 46, S. 26 – 31).

Zuordnung abhängig vom Zeithorizont

Spätestens hier stellt sich die Frage, wie hoch die variablen und die fixen Kosten der Apotheken sind. Dazu gibt es keine frei zugänglichen repräsentativen Angaben. Außerdem sind zwischen den Apotheken große Unterschiede zu erwarten, besonders wegen der Raumkosten. Daneben besteht ein grundsätzliches Problem bei der Zuordnung der Kostenarten zu variablen und fixen Kosten. Denn diese Zuordnung hängt vom Zeithorizont der Betrachtung ab. Auf sehr kurze Sicht sind nur diejenigen Kosten variabel, die unmittelbar davon abhängen, ob ein bestimmter Vorgang in diesem Moment aufgrund einer Kundennachfrage ausgeführt wird. Auf sehr lange Sicht sind dagegen fast alle Kosten variabel. Denn auch ein jahrzehntelanger Mietvertrag endet irgendwann, und dann kann die Entscheidung über die Anmietung eines Raumes neu getroffen werden, sodass die Miete dann variabel ist. Das Gedankenexperiment mit den beiden Extremen veranschaulicht die Begriffe, hilft aber in der Praxis nicht weiter. Im Sinne einer entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre muss sich die Zuordnung an dem Zeithorizont orientieren, der für die Entscheidung gilt, die mit der jeweiligen Betrachtung unterstützt werden soll. Viele Kosten können abhängig vom Zeithorizont fix oder variabel sein.

Kostenstruktur und Skalenertrag bei Umsatzzuwachs. Die Abbildung zeigt die Verteilung des Rohertrags vor und nach einem Umsatzzuwachs. Die fixen Kosten (im Bild rot) bleiben unverändert, aber die variablen Kosten (im Bild blau) steigen. Das Betriebsergebnis (im Bild grün) steigt proportional durch den Umsatzzuwachs und zusätzlich durch den Skalenertrag (im Bild gelb) aufgrund der unveränderten fixen Kosten.

Personalkosten – drohendes Missverständnis

Besondere Beachtung verdienen die Personalkosten, zumal dies die größte Kostenposition der Apotheken ist. In Lehrbüchern für kaufmännische Ausbildungen und für Grundlagenveranstaltungen im betriebswirtschaftlichen Studium wird gerne das plakative Beispiel benutzt, dass Akkordlöhne für Arbeiter variable Kosten und Gehälter für Angestellte fixe Kosten seien. Denn Akkordlöhne hängen definitions­gemäß von der Stückzahl der produzierten Güter ab, und Gehälter für Angestellte müssen zeitabhängig auch dann gezahlt werden, wenn gerade wenig Arbeit zu verrichten ist. Doch diese oberflächliche Betrachtung wird den Arbeitsabläufen in Apotheken und der Qualifikation des Apothekenpersonals nicht gerecht. Sie führt hier in die Irre. Vielmehr kann das Apothekenpersonal aufgrund seiner hohen Qualifikation vielfältig eingesetzt werden. Bei geringem Kundenaufkommen kann kurzfristig (innerhalb von Minuten oder Stunden) eine der in Apotheken zahlreichen Tätigkeiten zur Organisation, Verwaltung oder Qualitätssicherung aufgenommen werden. Schwankungen im Geschäftsbetrieb, die sich über Wochen oder Monate erstrecken, können durch Teilzeitregelungen ausgeglichen werden. Darum gibt es bei guter Organisation praktisch keinen Leerlauf, und damit sind Personalkosten in Apotheken im Normalfall als variabel zu betrachten. Personalkosten sind nur dann fix, wenn sie bei Arbeiten anfallen, die für die Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft der Apotheke unabhängig von einer Kundennachfrage in diesem Moment unerlässlich sind. Nur diese Interpretation erscheint mit dem Konzept einer entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre vereinbar. Nur aus einer solchen Einteilung lassen sich betriebswirtschaftlich sinnvolle Konsequenzen ableiten.

Christiansen: „Wie viele Apotheken will sich Deutschland leisten?“

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Dr. Kai Christiansen

Dass die Politik mit immer geringeren Apothekenzahlen sparen will, wird auch in der Berufspolitik angesprochen. Offen an die Politik gerichtete Fragen dazu sind hingegen selten. Besonders deutlich äußerte sich Dr. Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, bei der Kammerversammlung am 16. November in Kiel (siehe DAZ 2022, Nr. 47, S. 84 – 87).

Christiansen hatte dort betont, die Apotheken hätten in der Pandemie ihre Effizienz gezeigt. Deshalb habe es ihn umso mehr geschmerzt, dass im Zusammenhang mit der Erhöhung des Kassenabschlags von Effizienzreserven gesprochen worden sei. Obwohl der erhöhte Kassenabschlag schon beschlossene Sache war, sei der Streik am 19. Oktober sinnvoll und „ein voller Erfolg“ gewesen, hatte Christiansen erklärt. In der letzten Sitzung der Kammerversammlung vor den nun anstehenden Kammerwahlen hatte Christiansen sich offenbar bewusst offensiv gezeigt. Er hatte die ABDA aufgerufen, Vorschläge für die angekündigte Strukturreform zu machen und auf eine mögliche Wiederholung und Ausweitung von Aktionen wie beim Streik am 19. Oktober hingewiesen.

Es gehe darum, die knappe verfügbare Arbeitszeit für Versorgung und Beratung zu nutzen und die Apotheken für die nächste Generation an Arbeitnehmern und Selbstständigen attraktiv zu machen. Christiansen hatte dies auf die Frage zugespitzt: „Wie viele Apotheken will sich Deutschland leisten?“ Er erwarte Ehrlichkeit und wolle wissen: „Bis wohin treibt Ihr dieses Spiel?“ Denn durch die Erhöhung des Kassenabschlags vor dem Hintergrund der steigenden Preise und des zunehmenden Personalmangels werde die Apothekenzahl „weiter dramatisch sinken“. Natürlich würden die Wege zur nächsten Apotheke dann weiter und „im Notdienst noch viel, viel länger“. Christiansen hatte betont, schon jetzt würden keine Effizienzreserven gehoben, „sondern die Politik spart die Vor-Ort-Apotheke zu Tode“. Dabei böten die Vor-Ort-Apotheken eine hocheffiziente und maximal kostengünstige Arzneimittelversorgung. „Wer hier weiter spart, spart nicht nur am falschen Ende, sondern gefährdet Menschenleben“, hatte Christiansen gefolgert.

Zu diesem Thema wird Christiansen auch am 21. April bei der Interpharm Apotheke & Wirtschaft sprechen. Der Titel seines Vortrages lautet dort: „Herr Habeck, sparen Sie uns nicht zu Tode!“ Mehr Informationen zu allen Veranstaltung im Rahmen der Interpharm 2023 sowie zur Anmeldung finden Sie unter www.interpharm.de

Mehr variable als fixe Kosten

Gemäß Apothekenwirtschaftsbericht der ABDA für 2021 betragen die Personalkosten in Apotheken durchschnittlich 9,7 Prozent, die sonstigen Kosten 7,1 Prozent, jeweils vom Nettoumsatz. Demnach machen die Personalkosten 57,7 Prozent aller Kosten aus, die übrigen Kosten 42,3 Prozent. Der weitaus größte Teil der Personalkosten ist wegen der obigen Argumentation als variabel zu betrachten. Die Daten aus dem Apothekenwirtschaftsbericht bestätigen dies. Denn gemäß diesen Daten betrugen die Personalkosten der Apotheken zwischen 2003 und 2020 immer zwischen 10,1 und 11,0 Prozent des Nettoumsatzes, obwohl sich der Nettoumsatz einer Durchschnittsapotheke in dieser Zeit von 1,42 auf 2,78 Millionen Euro fast verdoppelte. Doch die Relation zwischen Personalkosten und Umsatz blieb konstant. Durch die wachsenden Betriebsgrößen wurden hier keine Skalenerträge realisiert.

Unter den sonstigen Kosten, also den Nicht-Personalkosten, haben die Kosten für Räume sowie die Abschreibungen für Möbel und technische Ausstattung einen großen Anteil. Da Mieten und Abschreibungen für große Investitionen über Jahre hinweg nicht zu beeinflussen sind, können diese Kosten als fix betrachtet werden. Doch auch unter den Nicht-Personalkosten gibt es einige vom Geschäftsumfang abhängige und damit variable Kosten, beispielsweise für den Botendienst, die Finanzierung des Warenlagers, umsatz­abhängige Gebühren für Steuerberatung und Kammermitgliedschaft (in den meisten Kammern) und verschleißabhängige Anschaffungen geringwertiger Wirtschaftsgüter. Zum Verständnis des Fixkostenbegriffs ist anzumerken, dass auch eine an einen Preisindex gekoppelte Miete zu den fixen Kosten gehört. Eine solche Miete ändert sich zwar abhängig vom allgemeinen Preisniveau, aber dies hängt nicht mit dem Umsatz oder Absatz der Apotheke zusammen – und allein darauf kommt es an. Eine umsatzabhängige Pacht gehört hingegen zu den variablen Kosten.

Die Daten aus dem Apothekenwirtschaftsbericht stützen die These, dass ein relevanter Teil der Nicht-Personalkosten als fix zu betrachten ist. Denn die Nicht-Personalkosten der Apotheken sanken von 9,8 Prozent vom Nettoumsatz im Jahr 2003 auf 6,8 Prozent vom Nettoumsatz im Jahr 2020. Wäre es bei einem Anteil von 9,8 Prozent geblieben, hätte im Jahr 2020 eine Durchschnittsapotheke 3,0 Prozentpunkte mehr Kosten gehabt, also eine zusätzliche Belastung von etwa 83.000 Euro. Die Senkung der Kostenquote ist allerdings ein Resultat mehrerer Effekte. Der steigende Anteil immer teurerer Hochpreiser hat die nominellen Umsätze und damit die Bezugsgröße erhöht, ohne dass die Roherträge mitgewachsen sind. Wegen des Margendrucks haben die Apotheken Rationalisierungseffekte ausgenutzt. Die beeinflussbaren „Effizienzreserven“ sind damit längst gehoben (siehe unten). Hinzu kommen die Skalenerträge, weil die fixen Kosten nicht mit den Umsätzen wachsen. Damit spielen sowohl fixe als auch variable Kosten eine Rolle in Apotheken, aber der deutlich größere Teil der Kosten ist als variabel zu betrachten. Die Skalenerträge dürfen daher nicht überschätzt werden.

Overwiening: „Jede einzelne Apotheke ist wichtig“

Foto: ABDA

Gabriele Regina Overwiening

Erst kürzlich hat ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening in einem Interview der DAZ bekräftigt: „Die Politik verfolgt keinen konkreten Plan, Apotheken zu dezimieren“ (siehe DAZ 2023, Nr. 4, S. 10). Darin hat Overwiening auf die Bürgermeisterkampagne der ABDA verwiesen. Es sei den Kommunen sehr wichtig, mindestens eine Apotheke zu haben und zu halten. - Dieses Versorgungsargument ist zwar sehr überzeugend, aber es entkräftet nicht, dass andere Politiker mit Blick auf die Städte durchaus auf Einsparungen durch eine Bündelung der Umsätze auf weniger Apotheken setzen könnten. Dieser Effekt hat allerdings unabhängig vom Versorgungsaspekt eine ökonomische Grenze, wie der nebenstehende Beitrag zeigt.

Sonderfall 2021

Bei den hier beschriebenen langfristigen Entwicklungen im Apothekenwirtschaftsbericht sind für 2021 allerdings zwei Abweichungen feststellbar. Die Personalkosten lagen mit 9,7 Prozent vom Nettoumsatz erstmals unter der 10-Prozent-Marke. Dagegen stieg der Anteil der Nicht-Personalkosten erstmals seit 2003. Er betrug 7,1 Prozent vom Nettoumsatz, während es 2020 noch 6,8 Prozent waren. Im Ergebnis haben sich diese beiden Effekte 2021 kompensiert. Doch bleibt abzuwarten, ob dies Besonderheiten im Zusammenhang mit der Pandemie waren oder sie zu einem neuen Trend werden.

Skalenertrag durch Umverteilung

Zurück zum zentralen Thema – den Skalenerträgen. Eine Ursache des zunehmenden Geschäftsbetriebs, der zu diesen Skalenerträgen führt, ist die Umverteilung der Umsätze geschlossener Apotheken. Der höchste Jahresendbestand der Apotheken in Deutschland wurde 2008 erreicht und betrug 21.602 Apotheken. Ende 2021 gab es noch 18.461 Apotheken. Die Anzahl sank also in 13 Jahren um 14,5 Prozent. Da wahrscheinlich eher kleinere Apotheken geschlossen wurden, stieg der Umsatz der verbliebenen Apotheken durch die Umverteilung wohl um einen geringeren Prozentsatz, vielleicht um etwa 10 Prozent. Um die allein daraus erzielten Skalenerträge abzuschätzen, muss die Höhe der Fixkosten bekannt sein. Aufgrund der obigen Schätzungen erscheinen etwa 30 Prozent Fixkosten als plausible Größenordnung. Im Jahr 2009 (also im ersten Jahr mit sinkenden Apothekenzahlen) betrug die Gesamtkostenquote der Apotheken 19,6 Prozent vom Nettoumsatz. In einer Apotheke mit 2 Millionen Euro Nettoumsatz wären damals also Kosten von 392.000 Euro zu erwarten gewesen. Bei 30 Prozent Fixkostenquote wären davon 117.600 Euro fix gewesen. Ein Umsatzanstieg um 10 Prozent durch die Schließung einer Apotheke in der weiteren Umgebung hätte dann einen Skalenertrag von 11.760 Euro generiert, weil die Fixkosten trotz der Umsatzsteigerung konstant bleiben. Das Betriebsergebnis, das damals durchschnittlich 6,4 Prozent vom Nettoumsatz betrug, wäre also von 128.000 Euro durch den 10-prozentigen Umsatzanstieg auf 140.800 Euro und zusätzlich durch den Skalenertrag um weitere 11.760 Euro auf 152.560 Euro gestiegen. Es ist davon auszugehen, dass jede mindestens seit 2008 bestehende Apotheke in dieser Zeit im Durchschnitt einmal eine solche Entwicklung erlebt hat – oder mehrmals entsprechend geringere Zuwächse.

Effiziente Arbeit bei guter Auslastung

Die Zahlen zeigen, dass dies durchaus ein relevanter, aber mit Blick auf einen einmaligen Zuwachs in über zehn Jahren doch überschaubarer Effekt ist. In einer Zeit geringer Preissteigerungen konnte dieser Effekt einen Beitrag leisten, um die fehlende Anpassung der Apothekenmarge zu kompensieren. In dem obigen Beispielfall würde die Apotheke durch die Schließung einer anderen Apotheke mit einem dauerhaften zusätzlichen Ertrag von 24.560 Euro profitieren, wenn die Kosten unverändert blieben. Dagegen hätte bei derselben Ausgangssituation eine nur zweiprozentige inflationsbedingte Kostensteigerung diese Apotheke schon nach drei Jahren mit 23.994 Euro zusätzlichen Kosten (einschließlich „Zinseszinseffekt“) belastet. Nach drei Jahren wäre der Vorteil durch die Umverteilung damit „verbraucht“.

Darum können die Skalenerträge nur zu einem Teil erklären, warum so viele Apotheken ohne Honoraranpassung überleben konnten. Daneben dürften vielfältige Rationalisierungen die Apotheken gestärkt haben. Doch auch wirtschaftlich schwache Apotheke bestehen mittelfristig weiter, weil viele Apothekeninhaber nur langfristig über eine Schließung entscheiden können. Mietverträge müssen erfüllt werden, um größere wirtschaftliche Schäden zu vermeiden, und viele warten auf den Rentenbeginn. Dies alles sind Gründe, weshalb das System trotz der seit zwei Jahrzehnten weitgehend fehlenden Honoraranpassung noch besteht.

Die Kostenstruktur erklärt auch, weshalb sich die wirtschaftliche Situation der Apotheken so unterscheidet. Einige Apotheken profitieren durch eine niedrige Kostenquote besonders stark von Umsatzzuwächsen oder sie haben mehrfach Schließungen im Umfeld erlebt. Apotheken, deren personelle und materielle Ressourcen ideal ausgelastet sind, arbeiten besonders wirtschaftlich. Auch dies ist eine Form von Effizienzreserve. Die Tatsache, dass viele Apo­theken trotz fehlender Honoraranpassung bisher Gewinne erzielt haben, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Effizienzreserven erfolgreich ausgenutzt wurden.

Dies alles dürfte in der Politik den Eindruck hinterlassen haben, dass das Apothekensystem auch ohne Honorarerhöhung bestehen kann. Es drängt sich sogar der Gedanke auf, dass die Politik Apothekenschließungen hinnimmt, damit die verbleibenden Apotheken von Skalenerträgen profitieren und Honorarerhöhungen herausgezögert werden können. Hier hat sich ein perfider Mechanismus entwickelt, der von Apothekenschließungen angetrieben wird. Das wirft die Frage auf, bis zu welcher Zahl von Apotheken dies noch getrieben werden soll. Dr. Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, fragte daraufhin bei der Kammerversammlung am 16. November 2022 (siehe Kasten): „Wie viele Apotheken will sich Deutschland leisten?“

Kein endloser Spareffekt

Doch die wirtschaftliche Betrachtung führt noch weiter. Die Politik neigt dazu, Sparmechanismen, die zunächst irgendwie funktionieren, nicht mehr zu hinterfragen. Stattdessen werden sie beliebig extrapoliert, und die langfristigen Folgen werden übersehen. Das Festbetragssystem und die Rabattverträge, die die Preise für Generika ausgequetscht haben und nun zu massiven Lieferengpässen führen, sind ein eindrucksvolles Beispiel. Doch auch die Skalenerträge durch Apothekenschließungen lassen sich nicht beliebig in die Zukunft fortschreiben. Das liegt längst nicht allein an der Ausdünnung der Versorgungslandschaft. In Städten wäre das vielfach noch kein relevantes Argument. Doch es gibt zwei weitere Gründe: Der erste Grund ist die massive Inflation. Die beschriebenen Effekte haben den verbliebenen Apotheken geholfen, mit den geringen Kostensteigerungen der Vergangenheit umzugehen, aber sie sind kein Mittel gegen die derzeitige Inflation, die in einer ganz anderen Größenordnung liegt. Der zweite Grund liegt in den Skalenerträgen selbst begründet.

Sprungfixe Kosten – die übersehene Grenze

Denn es gibt in der Betriebswirtschaft nicht nur fixe und variable Kosten, sondern noch eine weitere Kategorie dazwischen: die sprungfixen Kosten. Dies sind Kosten, die sich bei moderaten Umsatzerhöhungen nicht ändern, ab einem bestimmten Umsatz aber sprunghaft steigen. Dies liegt in Apotheken bei den Kosten für Räume, Möbel und die technische Ausstattung sehr nahe. Üblicherweise ist die Zahl der Kassenarbeitsplätze so ausgelegt, dass für Stoßzeiten zusätzliche Kapazität zur Verfügung steht. Nimmt die Kundenzahl nach einer Schließung der Nachbarapotheke zu, wird der zusätzliche Platz auch im Normalfall genutzt. Bei weiter steigender Kundenzahl muss ein neuer Bedienplatz eingerichtet werden, der erhebliche Kosten verursacht. Das kann auch die gesamte IT betreffen, die irgendwann nicht mehr genug Leistung bietet, und im äußersten Fall die ganze Apotheke. Wenn der Raum nicht mehr ausreicht, kann ein teurer Umzug oder Umbau nötig werden. Wenn eine Apotheke in einem Dorf in der Umgebung einer Kleinstadt schließt, muss eine Stadtapotheke vermutlich den Botendienst neu konzipieren. Wenn alle Kunden in einem bestimmten Zeitfenster versorgt werden sollen, muss möglicherweise ein zusätz­liches Botenfahrzeug angeschafft werden. Die vermeintlich fixen Kosten der Apotheken sind also in Wahrheit sprungfixe Kosten. Damit liegt es in der Natur der Sache, dass die Skalenerträge versiegen, sobald die Sprungstelle erreicht wird. Stattdessen steigen die Kosten dann sogar.

Außerdem liegt es im Wesen der sprungfixen Kosten, dass gerade vor einer Sprungstelle die bestehende Betriebs­ausstattung optimal ausgenutzt wird und so zu maximalen Skalenerträgen führt. Dann kann weiteres Wachstum unerwünscht sein, weil es auf absehbare Zeit vor allem die Kosten erhöht. Bis mit der neuen Ausstattung wieder eine gute Auslastung erreicht wird, ist ein weiter Weg. Insbesondere ein unsicheres Gesamtumfeld spricht dann gegen die Ausdehnung des Betriebs.

Variable und sprungfixe Kosten. Die Abbildung zeigt die Entwicklung der Kosten eines Unternehmens (z. B. einer Apotheke) in Abhängigkeit vom Umsatz. Variable Kosten (blaue Linie) steigen mit dem Umsatz. Im hier gezeigten idealtypischen Fall geschieht dies proportional zum Umsatz. Sprung­fixe Kosten (rote Linie) bleiben dagegen bei geringen Umsatzsteigerungen unverändert, steigen aber an bestimmten Schwellenwerten sprunghaft.

Ist die Grenze erreicht?

Die Vorteile durch Skalenerträge haben also eine Grenze. Zu fragen bleibt, wann wie viele Apotheken diese Grenze erreichen oder bereits erreicht haben. Dazu gibt es bisher nur Hinweise. Mittlerweile ist die Apothekenzahl praktisch überall gesunken, sodass fast alle bestehenden Apotheken irgendwann einen Wachstumsschub durch eine Schließung in der Umgebung erfahren haben. Der kleine Anstieg der Nicht-Personalkosten in Relation zum Umsatz im Jahr 2021 (siehe oben) kann ein Artefakt oder eine erste Folge des sprunghaften Kostenanstiegs in einigen Apotheken sein. Außerdem hat der Verfasser bei verschiedenen Gelegenheiten den Eindruck gewonnen, dass die Schließung von Apotheken auch von den Kollegen in der Umgebung mittlerweile als problematisch wahrgenommen wird. Insbesondere zusätzliche Notdienste erscheinen als Belastung. Im ländlichen Raum ist die Versorgung weiterer Einzugsbereiche mit dem Botendienst eine zunehmende Herausforderung. Das sind Hinweise für die These, dass viele Apotheken optimal ausgelastet sind und ihren Geschäftsbetrieb nur nach erheblichen neuen Investitionen ausdehnen könnten. Selbstverständlich unterscheidet sich dies zwischen einzelnen Apotheken. Hier geht es vorerst nur um einen plausiblen Trend, der aber immer mehr Apotheken betreffen dürfte. Bis dies in auswertbaren betriebswirtschaftlichen Daten abzulesen ist, dauert Jahre. Kurzfristig kann die These eher durch Umfragen unter Apothekeninhabern überprüft werden.

Wirtschaftliche Grenze für das Apothekensterben

Wenn sich diese Hinweise bestätigen, würden sich alle Spekulationen über ein denkbares Interesse der Politik an sinkenden Apothekenzahlen erübrigen. Das gilt auch in Städten, in denen sich manche Betrachter fragen, warum relativ nahe beieinander zwei oder mehr Apotheken bestehen. Die Möglichkeit der Auswahl zwischen unabhängigen heilberuflichen Angeboten ist dafür bisher das entscheidende Argument. Wirtschaftlich kommt der Schutz vor einem Monopol bei frei kalkulierbaren Arzneimitteln hinzu. Doch Politiker könnten aus den bisherigen Erfahrungen folgern, dass eine einzelne große Apotheke billiger wäre. Das ist angesichts der beschriebenen Kostenstrukturen aber zu bezweifeln. Aus zwei gut funktionierenden Apotheken mittlerer Größe eine Großapotheke zu machen, ist erst mal sehr teuer. Ob und wann sich das rechnet, ist fraglich. Neben der Versorgungssicherheit und dem heilberuflichen Anspruch bietet also die Ökonomie des Apothekenbetriebs ebenfalls eine Untergrenze für die Apothekenzahl. Ab einem bestimmten Punkt ist die weitere Verdichtung des Systems auch wirtschaftlich kontraproduktiv. Betriebswirtschaftlich ist dieser Punkt als Sprungstelle im Kostenverlauf fassbar. Es spricht viel dafür, dass dieser Punkt vielerorts erreicht ist. |

Autor

Dr. Thomas Müller-Bohn,

Apotheker und Dipl.-Kaufmann, DAZ-Redakteur

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