DAZ aktuell

„Zurückhaltung war gestern“

Zum letzten Protesttag im November versammeln sich 3000 Demonstrierende in Dresden

mik/mz | Der Protestmonat fand in der vergangenen Woche in Dresden einen Schlusspunkt. Aber ans Ende sind die Apothekenteams noch lange nicht gekommen. Das machten die Redner und Rednerinnen auf der Kundgebung klar. Von den Vertretern der Lokalpolitik gab es warme Worte – was aber folgt für die Bundespolitik?

Der Wintereinbruch konnte sie nicht stoppen: Trotz Kälte und Schnee kamen Apothekenteams aus ganz Ostdeutschland in Dresden zusammen, um für die Zukunft der Vor-Ort-Apotheken und gegen die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu demonstrieren. Mehr als 3000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen zählten Polizei und Veranstalter zeitweilig auf dem Theaterplatz vor der Semperoper. Bei blauem Himmel und Temperaturen um den Gefrierpunkt versammelten sich die Apo­thekenteams aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Berlin und Brandenburg in weißen Westen und mit Plakaten vor der Bühne und machten mit Trillerpfeifen auf sich aufmerksam.

Foto: Christoph Busse/SAV

Protest vor der Dresdner Semperoper In den Reden vor der Menge wurde auch auf die prekäre Lage von PTA und PKA hingewiesen.

Ein „Weiter so“ nicht möglich

Der Vorsitzende des Sächsischen Apothekerverbandes, Thomas Dittrich, erklärte in seiner Begrüßung, dass man nun einen „Schlusspunkt“ hinter die Novemberproteste setze. „Und dieser wird dank Ihnen ein lauter und deut­licher sein.“ Es sei nun die Zeit für „drastische Maßnahmen“ gekommen: „Zurückhaltung, stilles Klagen und freundliches Bitten war gestern“, ein „Weiter so“ sei nicht mehr möglich.

Während es in anderen Branchen Gehaltserhöhungen gebe wegen Inflation und gestiegener Energiepreise, werde eben dies den Apotheken verwehrt. „Meinen die Verantwortlichen in Berlin und in der Zentrale der GKV, dass die Apothekerinnen und Apotheker und die Apothekenteams dieses Landes schon ruhig bleiben und sich mit der Zeit fügen werden? Auge zu und durch?“ Mit „aller Entschiedenheit“ stelle er klar: „Das werden wir nicht.“ Im Gespräch mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen der Kundgebung stellt sich heraus: Das sehen sie alle so. Ein Apotheker der Löwen-Apotheke in Sülzetal in Sachsen-Anhalt klagt über immer längere Arbeitszeiten, massive Kostensteigerungen und nicht zuletzt die Lieferengpässe. Er betreibt zwei Apotheken auf dem Land. Im Grunde sei permanent einer seiner Angestellten ausschließlich damit beschäftigt, nach Alternativen für fehlende Medikamente zu suchen. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten mache es zwar alles kaum noch Sinn. Aber er liebt seinen Beruf, sagt er, macht deshalb weiter, wünscht sich jedoch eine größere Wertschätzung durch die Gesellschaft.

Die Absurdität der Zustände beschreibt auch der Inhaber der Markt-Apotheke im thüringischen Rudolstadt: Er betreibt zwei Apotheken, eine davon in der Stadt, die andere im ländlichen Raum. Auf die Frage nach der wirtschaftlichen Lage antwortet er, dass es um die Landapotheke sehr schlecht stehe. Auch in der Stadt sei die Lage nicht gerade rosig – aber durch das Wegsterben der Konkurrenz sei hier ein leichter wirtschaftlicher Aufschwung spürbar, antwortet er mit spürbarem Zynismus.

Lieferengpässe, niedriges Honorar und Personalnot

Neben den niedrigen Honoraren und Lieferengpässen ist vor allem die Personalnot ein dringliches Thema und damit verbunden die viel zu niedrige Zahl an Studien- und Ausbildungsplätzen. Eine Apothekerin aus der Hauptstadt-Apotheke in Berlin beklagt, dass es ihr nicht einmal gelungen sei, Praktikant:innen zu finden, von qualifiziertem Personal ganz zu schweigen. In Thüringen könne man Pharmazie nur in Jena studieren und die Anzahl der Studienplätze sei viel zu gering, bemängelt der Apotheker aus Rudolstadt. Viele Absolvent:innen suchten sich lieber lukrativere Berufe, beispielsweise bei Pharmaproduzenten.

Ähnliches beschreibt eine junge Apothekerin aus der Leipziger Hansa-Apotheke: Auch in Sachsen gebe es lediglich den Standort Leipzig, um Pharmazie zu studieren und auch dort sei die Anzahl der Studienplätze viel zu gering. Sie hat erst vor knapp einem Jahr angefangen als Apothekerin zu arbeiten. Während ihres Studiums hätte sie sich nicht vorstellen können, dass sie einmal für die Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz auf der Straße protestieren muss.

Foto: Christoph Busse/SAV

Kein „Weiter so“ Der Vorsitzende des Sächsischen Apothekerverbandes, Thomas Dittrich, sieht die Zeit für „drastische Maßnahmen“ gekommen.

Massiver Mangel an Studienplätzen im Osten

Insbesondere in Ostdeutschland sieht sie einen massiven Mangel beim Angebot an Studienplätzen im Bereich Pharmazie. Auch hinsichtlich der Lehrinhalte sieht sie Verbesserungsbedarf: Das Studium sei sehr stark naturwissenschaftlich geprägt. Nicht zuletzt deswegen, würden sich viele Absolventen auch für andere Berufe, als den des Apothekers entscheiden. Im Rahmen ihres Pharmaziestudiums seien ihr beispielsweise keinerlei betriebswirtschaftliche Grundlagen vermittelt worden. Auch durch diesen Mangel an kaufmännischer Sachkenntnis schreckten viele junge Pharmazeuten vor der Existenzgründung zurück, sagt sie, insbesondere in wirtschaftlich ohnehin unsicheren Zeiten.

Auch ihre Chefin meldet sich zu Wort: Vor allem für junge Menschen, ins­besondere junge Frauen, sei eine ausgeglichene Work-Life-Balance entscheidend. Viele wollen nicht mehr im Vollzeit-Modell arbeiten und darauf müsse man auch in den Apotheken eine angemessene Antwort finden. Zum Glück, sagt sie, konnte sie drei syrische Angestellte gewinnen. Ohne sie müsste sie ihre Apotheke schließen, da es anders nicht möglich sei, genügend Personal einzustellen.

Aber nicht nur jene, die bereits in den Apotheken stehen, brachten ihre Forderungen lautstark hervor. Schüler und Schülerinnen der Gesundheitsschule Eisenhüttenstadt, Brandenburg, waren beispielsweise nach Dresden gekommen, um auf die besonderen Probleme des Nachwuchses hinzu­weisen. Ihr Hauptthema: die Ausbildungsvergütung für PTA und PKA. Sie halten ein Schild mit der Aufschrift „Pharmazeutisch Technische Aus­gebeutete“ in die Höhe. Aber es gehe natürlich auch um eine allgemeine Perspektive für den Berufsstand, so die Schüler. Sie hoffen, dass der Protest in Berlin wahrgenommen wird und sich etwas zum Positiven ver­ändert, „wenn auch nur ein wenig“.

Lokalpolitiker: „Der Blick nach Berlin tut weh“

Unterdessen lieferten auf der Bühne die anwesenden Politiker und Politikerinnen. In unterschiedlichem Maß gibt es je nach Parteizugehörigkeit Kritik am Bundesgesundheitsminister. Aber: Petra Köpping, sächsische Staatsministerin für Soziales (SPD), Alexander Dierks, MdL und Generalsekretär der CDU Sachsen, Susanne Schaper, MdL Sachsen für die Linke, Robert-Martin Montag, MdL Thüringen für die FDP und Babette Pfefferlein, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Thüringer Landtag, sie alle haben großes Verständnis für die Forderungen der Apothekenteams. So sagte unter der Moderation des Journalisten Klaus Prömpers beispielsweise Montag von der FDP, der „Blick nach Berlin tut weh“, und er gab zu, dass das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz „ein Fehler“ gewesen sei.

Aber auch Bianca Schmidt, Leiterin der Regionalen Geschäftsstelle Mitte & Ost der Apothekengewerkschaft Adexa und Kristina Kasek, Beisitzerin im Vorstand der Landesseniorenvertretung Sachsen kamen zu Wort. Schmidt wies noch einmal auf die prekäre Situation von PTA und PKA hin, Kasek betonte, dass Senior:innen die Apotheken vor Ort mit all ihren Diensten und dem niedrigschwelligen Zugang sehr zu schätzen wüssten – auch wenn sie es nicht immer zeigen würden.

Donner: Warnung vor einer„Zwei-Klassen-Pharmazie“

Mit der Rede des Präsidenten der Sächsischen Landesapothekenkammer, Göran Donner, fand die Kund­gebung ihr Ende. „Die Zeiten, dass Apotheken brav ihren Dienst tun und sich ansonsten ruhig verhalten“ seien vorbei. Mit Blick auf Weihnachten sagte er, man habe keine Wünsche, man habe Forderungen. Zu diesen würde unter anderem gehören, dass „unsere Sorgen ernst genommen werden“. Zudem wolle er über die Vorhaben Lauterbachs nicht über die Medien informiert werden. Er betonte, dass die „Liberalisierungspläne“ in eine „Zwei-Klassen-Pharmazie“ führen würden: „Sie werden die Probleme nicht lösen, sondern verschärfen.“

Zum Schluss wünscht Donner sich dann doch etwas: maximalen Erfolg der Forderungen, allen eine schöne Adventszeit und ein ruhiges Weihnachtsfest. „Ich wünsche, dass wir Kraft schöpfen können, um mit viel Schwung im neuen Jahr unsere Forderungen zum Erfolg zu führen.“ |

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