- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 49/2023
- Kündigung des ...
DAZ aktuell
Kündigung des Rahmenvertrags: Ist das wirklich eine Lösung?
Wer wegen Kassenwillkür Verträge aufkündigen will, sollte die Folgen bedenken
Die Forderung nach einer Vertragskündigung ist nicht neu. Was genau man sich davon verspricht, ist dabei nicht immer klar. Der gesetzliche Versorgungsauftrag (§ 1 Abs. 1 ApoG) bleibt schließlich bestehen. Die Apotheken müssen die Menschen also weiterhin mit den nötigen Arzneimitteln versorgen – und § 129 Sozialgesetzbuch V macht dazu mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit einige Vorgaben, die der Rahmenvertrag dann detaillierter ausführt. Beispielsweise der Verband innovativer Apotheken (via) fordert die Kündigung in der Erwartung, dass der Vertrag grundlegend neu verhandelt wird – in der Hoffnung auf bessere Regelungen.
Gesetze und Rechtsprechung setzen den Rahmen
Aber ist das realistisch? Was würde passieren, wenn der Deutsche Apothekerverband (DAV) den Rahmenvertrag kündigen würde? Klar ist: Damit entsteht kein Zustand ohne Regeln, der die Apotheken „befreien“ würde. Vieles, wogegen die Apotheken Sturm laufen ist gesetzlich geregelt oder ergibt sich aus der Rechtsprechung der Sozialgerichte. Preise und Abschläge zugunsten der Kassen etwa sind (abgesehen von Zubereitungen) vom Gesetz- bzw. Verordnungsgeber festgelegt. Und dass (Null-)Retaxationen möglich sind, haben die Gerichte abgesegnet. Schon ein kleiner Fehler bei der Abgabe lässt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich den gesamten Vergütungsanspruch entfallen, das ist eine sehr spezielle sozialrechtliche Logik, die dem Zivilrecht unbekannt ist. Dahinter steckt auch der Gedanke, dass die wirtschaftliche Arzneimittelversorgung einfach laufen muss und man nicht jeden Einzelfall neuerlich bewerten will. Der Gesetzgeber hat bereits vor einer Weile erkannt, dass die Rechtsprechung zu völlig unverhältnismäßigen Absetzungen führen kann. Schließlich werden die Versicherten mit einem Arzneimittel versorgt – und dafür soll die Apotheke am Ende gar nichts bekommen?
2015 wurden DAV und GKV-Spitzenverband daher per Gesetz aufgefordert, im Rahmenvertrag zu regeln, „in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt“. Funktioniert hat das nicht. Die Schiedsstelle musste angerufen werden; sie legte am Ende fest, welche Fehler als exemplarisch „unbedeutend“ und die Arzneimittelsicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht wesentlich tangierend gelten. Seitdem gibt es im Rahmenvertrag einen Katalog von Retax-Verboten, der den Apotheken sehr viel weitergehenden Schutz gibt, als die Rechtsprechung ihnen gemeinhin zugestehen würde. Mit dem ALBVVG folgten in diesem Sommer ausdrücklich gesetzlich festgeschriebene Retax-Einschränkungen für einige wesentliche Abweichungen von den rechtlichen Vorgaben. Welche Auslegungsmethoden den Kassen einfallen werden, wird sich zeigen. Was den Schutz vor Retaxationen betrifft, stünden Apotheken ohne den Rahmenvertrag also wahrscheinlich weitaus schlechter da als mit. Gäbe es die detaillierten Retax-Ausschlüsse nicht, müssten sie sich auf eine geänderte Rechtsprechung zu ihren Gunsten verlassen – ein gewagtes Unterfangen.
Nach dem Vertrag ist vor dem Vertrag
Denken wir dennoch weiter: Kündigt der DAV in der Hoffnung auf bessere Regelungen, werden Fristen in Gang gesetzt: Der Vertrag gibt eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres vor. Anders als teilweise in der Hilfstaxe, gibt es keine Bestimmung, dass die Regeln fortgelten bis eine Nachfolgeregelung gefunden ist. Nach den Erfahrungen, die man in den vergangenen Jahren zu den Verhandlungen zwischen DAV und GKV-Spitzenverband machen durfte, ist kaum zu erwarten, dass die Rahmenvertragspartner innerhalb eines halben Jahres einvernehmlich zu einem neuen Vertrag kommen werden. Und ganz ohne Vertrag wird es nicht laufen. Denn wenn DAV und GKV-Spitzenverband ihn nicht zeitnah vereinbaren, wird das Bundesgesundheitsministerium intervenieren und eine Frist setzen – dafür muss es nicht einmal die sechs Monate abwarten. Und wenn dieser Druck nicht fruchtet, muss die Schiedsstelle den Vertragsinhalt festlegen. Diese ist paritätisch mit je fünf Vertretern der Apotheken- und Kassenseite besetzt sowie einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Der Vorsitzende, dies ist der frühere Chef des Gemeinsamen Bundesausschusses, Rainer Hess, ist am Ende das Zünglein in der Waage.
Kassen werden im Zweifel gegen Schiedsspruch vorgehen
Ob der Schiedsstellen-Vertrag am Ende günstiger für die Apotheken ausfällt, ist keine ausgemachte Sache. Schon jetzt ist auch die GKV-Seite nicht glücklich mit dem Vertrag. Und sicher dürfte sein: Hat es aus Kassensicht auch nur den Anschein, dass die Apotheken nach einem Schiedsstellen-Beschluss günstig wegkommen, wird der GKV-Spitzenverband dagegen vor Gericht ziehen. Das hat er in jüngster Zeit immer wieder getan. Umgekehrt würde sich auch der DAV zur Wehr setzen, wenn er den Vertrag für nicht haltbar hält. Anhängig sind die Klagen der Kassenseite gegen die Schiedssprüche zu den Zytostatika-Preisen – die festgesetzten Arbeitspreise hält der GKV-Spitzenverband für „rechtswidrig“ – sowie den pharmazeutischen Dienstleistungen. Solche Klagen haben keine aufschiebende Wirkung, sodass die festgesetzten Regelungen vorerst fortbestehen. Letztlich gilt auch hier das zu den Retaxationen gesagte: Die Entscheidungen der Sozialgerichte bergen stets eine nicht unbeachtliche Gefahr für Apotheken.
Apothekenrechtsexperte: Neue Gefahren durch Machtgefälle
Apothekenrechtsexperte Professor Elmar Mand gibt gegenüber der DAZ einen weiteren wesentlichen Punkt zu bedenken: Was macht eine einzelne Apotheke, die ohne Vertrag der riesigen Marktmacht der GKV gegenübersteht? Ihren gesetzlichen Verpflichtungen muss sie nachkommen. Man hält es für nicht unwahrscheinlich, dass die Kassen die Apotheken gegeneinander auszuspielen versuchen und noch mehr Druck ausüben werden. Dieses Machtgefälle ist aus seiner Sicht nicht zu unterschätzen. Die Geschlossenheit im Rahmenvertrag gebe vielmehr Schutz. Er sieht in den Kündigungsforderungen einen verständlichen, aber „symbolischen Verzweiflungsschrei“. Dieser werde in der Politik wahrgenommen, aber dass am Ende etwas Positives für die Apotheken herauskommt, hält Mand für eine trügerische Hoffnung. |
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.