Arzneimittel und Therapie

Hoffnung bei schwerer Myasthenia gravis

CAR-T-Zelltherapie bei erster Patientin erfolgreich

cel | CAR-T-Zelltherapien sind vornehmlich aus der Krebsbehandlung bekannt. Erstmals brachten Mediziner der Neurologie der Uniklinik Magdeburg den CAR-T-Ansatz bei einer Patientin mit Myasthenia gravis zum Erfolg – ein erster Schritt, dass CAR-T-Zellen womöglich auch andere schwere neurologische Erkrankungen lindern können.

In der Uniklinik Magdeburg konnten der Direktor der Neurologischen Klinik Prof. Aiden Haghikia und sein Team erstmals eine schwer an Myas­thenia gravis erkrankte und therapierefraktäre Patientin mit einer chimären-Antigen-Rezeptoren(CAR)-T-Zelltherapie erfolgreich behandeln. Darüber berichten sie im Fachjournal „The Lancet Neurology“ [1]. Myasthenia gravis ist eine neurologische Autoimmunerkrankung, bei der der Körper Antikörper gegen Strukturen der motorischen Endplatte bildet – meist den Acetylcholin-Rezeptor. Klinisch zeigen die Patienten eine ausgeprägte Muskelschwäche. So war die Magdeburger Patientin aufgrund ihrer Erkrankung mittlerweile geh­unfähig und hatte Atem- und Schluckprobleme. Myasthenische Krisen hatten zwischenzeitlich mehrere intensivmedizinische Betreuungen und maschinelle Beatmung erfordert. Alle Therapieversuche waren erfolglos geblieben, darunter eine Thym­ektomie und Therapien mit Acetylcholinesterase-Inhibitoren, dem B-Zell-depletierenden Antikörper Rituximab und dem Proteasom-­Inhibitor Bortezomib.

Besser verträgliches CAR-T-Konstrukt

Bei der CAR-T-Zellbehandlung setzten die Mediziner auf ein vollständig humanes autologes Anti-CD19-CAR-T-Konstrukt der zweiten Generation. Dieses sei mit einer „geringeren Zytokinproduktion und Toxizität verbunden“ als murine Anti-CD19-Konstrukte, wie z. B. im Präparat Axicabtagen ciloleucel, erklären die Studienautoren. Sie hatten der Patientin körpereigene T-Zellen entnommen, diese mit dem Anti-CD19-CAR-T-Konstrukt transduziert und in vitro expandiert. Die so modifizierten Anti-CD19-CAR-T-Zellen (1 × 108 Anti-CD19-CAR-T-Zellen, ca. 30 ml) reinfundierten sie der Patientin, nachdem diese eine Lymphodepletion mit Fludarabin und Cyclophosphamid erhalten hatte. Anders als der B-Zell-depletierende Antikörper Rituximab binden Anti-CD19-CAR-T-Zellen im Körper eine „breite Palette CD19-positiver, Antikörper-produzierender Zellen und deren Vorstufen (Prä- und Pro-B-Zellen, Plasmazellen und Plasmablasten [Plasmazell-Vorläufer])“, erklärt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) die Vorteile der Behandlung.

Lymphome durch CAR-T-Therapien

js | Bei der CAR-T-Zelltherapie wird das Gen für den chimären Antigenrezeptor mittels Retroviren integriert. Dabei ist es möglich, dass Onkogene aktiviert werden. Dieses Risiko ist seit den ersten Studien bekannt, nun (zehn Jahre später) gab es erste Patientenfälle mit malignen Erkrankungen. Um das Risiko für T-Zell-Malignitäten zu bewerten, hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA im November 2023 eine Untersuchung eingeleitet. Diese betrifft alle sechs CAR-T-Zell-Therapien, die in den USA und der EU zugelassen sind. Experten rechnen aber nicht mit einer Indikationseinschränkung, denn die Präparate kommen nur bei austherapierten Pa­tienten zum Einsatz, und der Nutzen überwiege die Risiken [3, 4].

Deutlich weniger Acetylcholinrezeptor-Antikörper

Die pathogenen Autoantikörper gegen den Acetylcholin-Rezeptor (AChR-­Antikörper) sanken den Studienergebnissen zufolge bis Tag 62 um 70% – von 2434 nmol/mL an Tag 0 der CAR-T-Zell-Infusion auf 718 nmol/mL an Tag 62. Diese Beobachtungen deuten den Wissenschaftlern zufolge darauf hin, dass ein erheblicher Anteil der pathogenen AchR-Antikörper von Plasmablasten und kurzlebigen Plasmazellen produziert wird, die CD19 exprimieren, was sie anfällig macht für die CAR-T-Zellen. Schützende Autoantikörper ohne CD19, die von langlebigen Plasmazellen des Knochenmarks produziert würden, seien hingegen vor den Auswirkungen der CD19-CAR-T-Zellen geschützt.

Die Patientin vertrug die Behandlung gut und zeigte kein Zytokinfreisetzungssyndrom. Klinisch verbesserte sich die Muskelkraft der jungen Frau, sodass sie ohne Gehhilfe gehen kann. Ihre Lungenkapazität erhöhte sich deutlich (von 0,9 auf 3,9 l). Der DGN zufolge, die sich auf aktuelle Daten der Studienautoren bezieht, ist die Patientin seit sieben Monaten klinisch stabil und hat bisher keine weitere Immuntherapie benötigt. Natürlich müssten randomisierte Studien diesen ersten Therapieerfolg bestätigen. „Der Erfolg der CD19-CAR-T-Zelltherapie nach Versagen anderer immunmodulierenden Therapien lehrt uns Neues zur Pathogenese autoimmuner Myasthenien“, kommentiert Erstautor Prof. Dr. Aiden Haghikia. „Möglicherweise kann die Therapie künftig auch bei einem breiten Spektrum anderer schwerer neurologischer Krankheiten helfen“, hofft der Mediziner. |

Literatur

[1] Haghikia A, Hegelmaier T, Wolleschak D et al. Anti-CD19 CAR T cells for refractory myasthenia gravis. Lancet Neurol 2023;22(12):1104-1105, doi: 10.1016/S1474-4422(23)00375-7

[2] CAR-T-Zell-Therapie gegen CD19 bei refraktärer autoimmuner Muskelschwäche. Pressemeldung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie vom 23. November 2023

[3] BCMA-Directed or CD19-Directed Autologous Chimeric Antigen Receptor (CAR) T cell Immunotherapies: FDA Safety Communication - FDA Investigating Serious Risk of T-cell Malignancy. Pressemitteilung der FDA, 28. November 2023, www.fda.gov/safety/medical-product-safety-information/bcma-directed-or-cd19-directed-autologous-chimeric-antigen-receptor-car-t-cell-immunotherapies-fda?utm_medium=email&utm_source=govdelivery#subscribe

[4] FDA: CAR-T-Zelltherapie kann manchmal Lymphome auslösen. Artikel des Deutschen Ärzteblatts, 30. November 2023, www.aerzteblatt.de/nachrichten/147715/FDA-CAR-T-Zelltherapie-kann-manchmal-Lymphome-ausloesen

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