Aus den Ländern

Blick auf die Pharmaziegeschichtsschreibung

Bericht von der Pharmaziehistorischen Herbsttagung in Tübingen

Im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) im Hörsaalzentrum der Universität Tübingen fand am 7. Oktober 2023 das Vorsymposium der Fachgruppe Geschichte der Pharmazie der DPhG statt. Das Symposion bildete dieses Jahr zugleich die traditionelle Pharmaziehistorische Herbsttagung der Landesgruppen Baden und Württemberg der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie (DGGP).

Die Präsidentin der DPhG, Prof. Dr. Dagmar Fischer, begrüßte rund 100 Teilnehmer und betonte die Rolle der Pharmaziegeschichte als tragende Säule der Pharmazie. Tübingen sei eine pharmaziehistorisch wichtige Stätte. Hausherr Prof. Dr. Stefan Laufer wies darauf hin, dass Friedrich Miescher 1869 im Chemielaboratorium des Schlosses Hohentübingen die DNA entdeckt hatte, die er damals „Nuklein“ nannte.

Die Tagung stand unter dem Thema „Pharmazie in Tübingen“ und der erste Vortrag beschäftigte sich mit der Entwicklung der Hochschulpharmazie an der 1477 gegründeten Universität. Hier spielte unter anderem die Tübinger Gelehrtenfamilie Gmelin eine wichtige Rolle. Prof. Dr. Christoph Friedrich berichtete, dass erst unter Johann Georg Gmelin („d. Jüngere“) (1709 – 1755) ein chemisches Laboratorium erbaut wurde, in dem ab 1753 Praktika abgehalten wurden. An diesen nahmen auch immature Apothekergehilfen teil. 1817 erhielt der Arzt Christian Gottlob Gmelin („d. Jüngere“) (1792 – 1860) die erste ordentliche Professur für Chemie und Pharmazie. In diesem Jahr ist auch der erste immatrikulierte Pharmaziestudent nachweisbar. Apotheker und Chemiker Karl Seubert (1851 – 1942) war 1893 der erste eigene Vertreter der Pharmazeutischen Chemie. Zu den weiteren Tübinger Professoren gehörte Eduard Buchner (1860 – 1917), der 1907 den Nobelpreis für Chemie erhielt.

Nach dem Krieg zog man 1953 in ein neues Pharmazeutisch-chemisches Institut. Unter Harry Auterhoff (1915 – 1983) und Hermann Josef Roth (geb. 1929) wurde die Universität eine der führenden pharmazeutischen Ausbildungs- und Forschungsstätten. Tübingen übernahm eine Vorreiterrolle unter den pharmazeutischen Instituten auch durch die Einführung eines Diplom- sowie eines Masterstudienganges („Pharmaceutical Sciences and Technologies“) in den Jahren 2000 bzw. 2009. Der erste Professor für Pharmakologie, Hermann Philipp Theodor Ammon (geb. 1933), ist allen Apothekern durch sein Werk „Arzneimittelneben- und Wechselwirkungen“ bekannt. Auch die Geschichte der Pharmazie hat ihren festen Platz in Tübingen: sie wurde ab 1960 von Engelbert Graf (1922 – 2007) gelesen, ab 1981 von Armin Wankmüller (1924 – 2016) und seit 2004 von Michael Mönnich. Friedrich ging auch auf die weitere Entwicklung der Pharmazie in Tübingen und die Etablierung der anderen pharmazeutischen Fächer ein.

Foto: DGGP

Referenten und Veranstalter Dr. Elisabeth Huwer, Prof. Marcus Plehn, Prof. Michael Mönnich, Dr. Ines Winterhagen, Dr. Stefan Rothfuß, Prof. Christoph Friedrich (v. l.)

Armin Wankmüllers pharmaziehistorische Untersuchungen

Der Pharmaziehistoriker und Mit­begründer der Pharmazeutischen Zentralbibliothek in Stuttgart, Armin Wankmüller, kann getrost als Nestor der schwäbischen Pharmaziegeschichtsschreibung gelten. Michael Mönnich gab einen Einblick in dessen Arbeiten über die Geschichte der beiden Tübinger Apotheken, die es bis 1811 in Tübingen gab: die „Obere Apotheke“, für die die erste Erlaubnis 1470 an den Arzt Johannes Münsinger (1423 – nach 1502) erteilt wurde und deren Eigentümer der ab 1478 als erster Medizinprofessor wirkende Johannes May wurde. 1482 übernahm Johannes Benslin (ca. 1490 – 1568) die Offizin. Seit 1934 im Besitz der Familie Römmig erinnert der Name „Dr. Linz‘sche Apotheke am Marktbrunnen“ noch an den Vorbesitzer. Die zweite Apotheke, die als „Untere Apotheke“ 1597 von Michael Greiff eröffnet wurde, hieß nach der Übernahme 1708 durch Johann Georg Gmelin („d. Ältere“) (1674 – 1728) „Gmelinsche Apotheke“ und blieb bis 1861 im Besitz dieser Familie. Mit dem nächsten Eigentümer, Wilhelm Mayer (1833 – 1906), gehörte sie wieder einem Tübinger Universitätsprofessor und wurde 1906 in „Mayersche Apotheke“ umbenannt. Sie blieb bis zur Schließung 2017 in Besitz dieser Familie. Beispielhaft für Wankmüllers Arbeit zu Apothekern als Fabrikanten stellte Mönnich den Tübinger Apotheker und Chemiker Julius Denzel (1852 – 1915) vor, der 1885 ein chemisches Laboratorium gründete und dort mit Ergotin „Denzel“ ein Präparat aus dem Mutterkorn herstellte. Der Apotheker Julius Hauff (1835 – 1899) leitete zunächst die „Tübinger Gesellschaft für Schieferöl-Fabrikation“. 1870 gründete er die „Chemische Fabrik Hauff“ in Feuerbach. Dort stellte er unter anderem Produkte für die Fotografie her („Hauff Diapositiv-Photo-Platten“), die sogar eine Silbermedaille auf der Weltausstellung 1900 erhielten. Das Werk in Feuerbach wurde 1943/44 zerstört, 1948 in Vaihingen/Enz wiederaufgebaut und in den 1970er-Jahren von Agfa übernommen. 2008 wurde der Standort geschlossen. Schließlich ging Mönnich noch auf Apotheker Christian Friedrich Lechler (1820 – 1877) ein, der 1871 mit seinem Sohn Paul (1849 – 1925) die „Wagenlack- und Firnis-Fabrik von Christian Lechler“ in Feuerbach gründete. Paul Lechner unterstützte viele karitative Projekte und gründete 1906 das „Deutsche Institut für Ärztliche Mission“ (DIfÄM), das Träger der 1909 entstandenen Tropenklinik (Paul-Lechler-Krankenhaus) ist.

Homöopathische Apotheken in Württemberg

Dr. Ines Winterhagen zeigte in ihrem Vortrag, warum Württemberg eine Vorreiterrolle als Zentrum der Homöopathie unter den deutschen Ländern einnahm. Ein wichtiger Aspekt war etwa die klare Gesetzgebung, die Württemberg deutlich früher als andere deutsche Staaten eingeführt hatte. So wurde der Dispensierstreit zwischen Ärzten und Apothekern durch eine Ministerialverfügung 1883 zugunsten der Apotheker geregelt. Ebenso waren die homöopathischen Laienvereine ab 1892 gesetzlich verpflichtet, ihren Bedarf an Arzneimitteln über Apotheken zu beziehen. Somit wurde die Rolle der Apotheken als Ort der Zubereitung und Abgabe homöopathischer Arzneien gestärkt. Im Gegenzug wurde die Qualität homöopathischer Apotheken ab 1883 durch eine „homöopathische Apothekenbetriebsordnung“ gestärkt, die Räumlichkeiten, Personal sowie Kontrollen regelte. Man unterschied homöopathische Vollapotheken (mit ausschließlich homöopathischem Sortiment), homöopathische Abteilungen in einer allopathischen Apotheke mit getrennten Räumen und Eingängen, sowie homöopathische Dispensatorien (reine Verkaufsstellen). Zur Belieferung homöopathischer Vereine sowie regionaler Apotheken existierten zusätzlich sogenannte Homöopathische Zentralapotheken, wie z. B. die von Prof. Dr. Mauch in Göppingen, aus der später die Staufen-Pharma hervorging. Diese betrieben einen regen Versandhandel und konnten den Laienvereinen homöopathische Arzneien zu Sonderpreisen liefern. Zwischen 1884 und 1912 verdoppelte sich die Zahl der homöopathischen Abteilungen in Württemberg, die Zahl der Dispensatorien verdreifachte sich fast.

Das Dispensatorium perfectum von Leonhart Fuchs

Einblick in die Arzneimittellehre des in Tübingen wirkenden Arztes Leonhart Fuchs (1501 – 1566) gewährte Dr. Stefan Rothfuß. Die Werke von Fuchs, der als einer der „Väter der Botanik“ bekannt ist, entwickelten sich von kleineren medizinischen Lehrbüchern ohne arzneilichen Inhalt (1531) über Lehrbücher mit kombinierten medizinischen und zusätzlich pharmazeutischen Themen (1541) bis hin zu einem eigenständigen Arzneimittelwerk einer großen Rezeptsammlung im Jahr 1555. Zu einem Streit mit dem Mediziner Johann Brettschneider (1540 – 1577), latinisiert Johannes Placotomus, kam es, als dieser über Fuchs‘ Werk urteilte, dass es viel Überflüssiges enthalte, während Notwendiges fehle. Fuchs verfasste daraufhin ein „Dispensatorium perfectum“, dessen Appendix gleichzeitig auch die „Vorwürfe und Verleumdungen“ des Johannes Placotomus beantworten sollte.

Die Tagung wurde am Sonntag abgerundet durch Führungen im neuen, sehr sehenswerten Dußlinger Apothekenmuseum, das von Dr. Ursula Barthlen liebevoll aufgebaut und fachkundig geführt wird, sowie dem Museum „Alte Kulturen“ im Schloss Hohen­tübingen. Unterstützt wurde die Veranstaltung von der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg. |

Deutsche Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie (DGGP)

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