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Arzneimittel und Therapie
Auch bei Fencheltee beraten
Datenlage zur Toxikologie von Estragol durch EMA neu bewertet
Aufgrund ihrer krampflösenden und schleimlösenden Wirkung werden die Früchte des Fenchels (Foeniculum vulgare) traditionell zur symptomatischen Behandlung von Blähungen, Bauchschmerzen und Husten eingesetzt. Insbesondere in Form von Tees ist die Anwendung von Fenchel bei Babys, Kleinkindern, Schwangeren und Stillenden beliebt. Die Wirkung wird unter anderem dem in dem ätherischen Öl enthaltenen Estragol zugeschrieben. Bereits 2005 hatte der Herbal-Medicinal-Products(HMPC)-Ausschuss der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) auf das potenziell kanzerogene Risiko von Estragol-haltigen Arzneimitteln hingewiesen. Damals konnte in tierexperimentellen Untersuchungen gezeigt werden, dass dosisabhängig aus Estragol der reaktive Metabolit 1‘-Hydroxyestragol gebildet wird. Dieser bindet an die DNA und bedingt so die genotoxischen und karzinogenen Folgen. Vor allem in sehr hohen Dosierungen traten in zahlreichen Studien Lebertumoren bei Mäusen auf. Damals kam der HMPC zu dem Schluss, dass bei einer kurzzeitigen Anwendung von Estragol-haltigen Tees in der empfohlenen Dosierung bei Erwachsenen nicht von einem signifikanten Krebsrisiko ausgegangen werden kann. Sicherheitshalber empfahl der Ausschuss 2005 aber aufgrund der limitierten Datenlage, dass Kinder unter vier Jahren möglichst keinen Fencheltee zu sich nehmen sollten.
Ergebnisse für Menschen durchaus relevant
Inzwischen hat sich einiges getan, und die Ergebnisse neuer toxikologischer Untersuchungen wurden veröffentlicht. In einer aktuellen Revision der Richtlinie hat der HMPC deshalb die Datenlage zu Fenchel-haltigen Arzneimitteln erneut aufgerollt. Dabei kamen die Experten unter anderem zu dem Schluss, dass sich die Ergebnisse der tierexperimentellen Untersuchungen durchaus auf den Menschen übertragen lassen. Infolgedessen sollte generell die Zufuhr von Estragol so niedrig wie möglich gehalten werden. Ein genauer Grenzwert für Estragol lässt sich dennoch laut HMPC nicht festlegen, da es aktuell zu wenig Daten zur Aufnahmemenge von Estragol über die Nahrung gibt. Als groben Orientierungswert für sensible Gruppen wie Schwangere und Stillende berechnen die Experten eine maximale Estragol-Aufnahme von 0,052 mg/Tag. Kinder bis elf Jahre sollten den Experten zufolge nicht mehr als 1,0 µg Estragol pro kg Körpergewicht täglich zu sich nehmen.
Stark schwankende Estragol-Gehalte
Ass.-Prof. Dr. Dr. Peter Voitl, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde und Leiter der Kinderintensivstation in Wien, ordnete die Ergebnisse des HMPC in der „Monatsschrift Kinderheilkunde“ ein. Es konnte in einer österreichischen Übersichtsarbeit gezeigt werden, dass der Estragol-Gehalt in Tees mit Werten zwischen 78,0 und 4633,5 µg/l stark schwankt. Für Säuglinge entspricht das etwa einer täglichen Estragol-Zufuhr von 0,008 bis 20,78 µg pro kg Körpergewicht. Da auch in einzelnen Babynahrungsmitteln wie Brei Fenchel verarbeitet sein kann, ist es daher durchaus möglich, dass die verabreichte Estragol-Tagesdosis dem von der EMA deklarierten hepatotoxischen Bereich nahekommt. Voitl empfiehlt deshalb, so wenig und nur so kurz wie möglich Estragol-haltige Produkte anzuwenden. Entscheidend ist seiner Meinung nach vor allem auch die „korrekte pharmakologische Zubereitung, die einen standardisierten Gehalt von Estragol in einem sicheren Dosisbereich in den Tees garantiert.“ Zudem schätzt Voitl die Gabe von Fenchel-haltigen Tees bei unruhigen Säuglingen aufgrund der nicht nachgewiesenen Wirksamkeit als fragwürdig ein. |
Literatur
Public statement on the use of herbal medicinal products containing estragole. Informationen des Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC), European Medicine Agency (EMA), EMA/HMPC/137212/2005 Rev 1 Corr 1*12. Mai 2023
Voitl P. Fencheltee für Kinder? Die aktuelle Richtlinie der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA zur Verwendung von estragolhaltigen Produkten. Monatsschrift Kinderheilkunde 2023, Ausgabe 11
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