Deutscher Apothekertag 2023

Lauterbachs Reformideen führen in eine Abwärtsspirale

Kommentierende Analyse zu den Plänen von Minister Lauterbach

tmb | Wo liegen die Gefahren in den Plänen des Bundesgesundheitsministers für die Apotheken? Dies herauszuarbeiten, wird nötig sein, um andere Politiker und die Öffentlichkeit zu überzeugen. Diese kommentierende Analyse von Dr. Thomas Müller-Bohn soll ein Beitrag dazu sein. Sie zeigt, an welchen Missverständnissen der Zugang zum Problem scheitern kann, und sie zeigt, wie groß das zerstörerische Potenzial ist.

Die Kritik an den jüngsten Plänen von Bundesgesundheitsminister Lauterbach ist vielfältig. Die Ideen werden als „Nebelkerzen“, „Störfeuer“ und „vergiftetes Angebot“ eingestuft. Wie lassen sich die vielen Probleme ordnen? Vor dem Blick auf einzelne Inhalte erscheint schon der grundsätzliche Ansatz höchst problematisch. Die Apotheker fordern mehr Geld, weil das System anders nicht zu erhalten ist. Diese Kausalität hat der Minister wohl erkannt, aber er reagiert mit dem umgekehrten Ansatz, das System zu demontieren und die Versorgung mehr schlecht als recht mit einer Billigversion abzuwickeln, deren Gefahren er offenbar nicht sieht und die er als konstruktive Lösung verkauft.

Sollen alte oder neue Apo­theken zu Filialen werden?

Sein Videoauftritt beim Apothekertag hat gezeigt, dass er dabei in dem wohl entscheidenden Aspekt von einer grundlegend anderen Konsequenz seiner Pläne ausgeht als die Apotheker. Seine ganze Argumentation stützt sich darauf, dass künftige „Apotheken light“ zusätzlich zu den bisherigen Apotheken entstehen würden. Die Apotheker sorgen sich hingegen, dass die bestehenden Filialen und viele weitere heute noch existierende Einzelapotheken zu solchen „Apotheken light“ umgewidmet würden. Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis des Problems.

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Gesundheitsminister Karl Lauterbach ließ in seinen Aussagen nicht erkennen, dass er mehr Geld in das Apotheken­system fließen lassen will.

Filial- und Zweigapotheken unterscheiden

In dieser Deutlichkeit kam das aber in der Diskussion mit dem Minister nicht zur Sprache. Im Gegenteil, Lauterbach differenzierte nicht zwischen Filial- und Zweigapotheken. Doch diese Begriffe sind entscheidend, um das Problem zu verstehen und möglicherweise sogar zu lösen. Zweigapotheken bieten weniger als Vollapotheken, dürfen aber nur unter sehr engen Voraussetzungen mit einer behördlichen Genehmigung betrieben werden. Möglicherweise sind diese Bedingungen in Zeiten des demografischen Wandels zu eng gefasst, und vielleicht bietet sich dort ein sinnvoller Ansatz für etwas mehr solcher Ausnahmestandorte als bisher. Filialapotheken sind dagegen Vollapotheken, können aber aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung eingerichtet werden. Außer der Abweichung vom Mehrbesitzverbot unterscheiden sie sich nicht von anderen Vollapotheken. Das wurde 2004 nach langen Diskussionen bewusst so geregelt, um den Wettbewerb nicht zu verzerren. Denn anderenfalls gäbe es einen Anreiz, immer mehr Apotheken als Filialen mit eingeschränkten Leistungen und geringeren Kosten zu betreiben. Das wollte man 2004 vermeiden, aber das soll nun möglich werden. Wer damals schon dabei war, sollte sich an diese Diskussionen erinnern – und Lauterbach war dabei. Zudem ist die Gefahr heute viel größer. Denn nach mehr als 20 Jahren ohne angemessene Honoraranpassung ist der Kostendruck immens, und jeder Inhaber eines Verbundes wird versuchen, die Kosten durch Apotheken ohne Labor, Rezeptur und Notdienst und sogar mehr oder weniger ohne Apotheker zu senken. Wenn die Zahl der zulässigen Filialen erhöht wird, bietet das weitere Perspektiven, Einzelapotheken als Billigfilialen weiter zu betreiben. Damit würde die Zahl der Vollapotheken in kurzer Zeit dramatisch sinken. Dies würde durch den zusätzlichen Druck beim Notdienst beschleunigt. Wenn nur noch Vollapotheken Notdienst machen müssten, entstünde ein starker Anreiz Apotheken zu Filialen umzuwidmen. Je weniger Apotheken sich den Notdienst teilen, umso größer wird dieser Druck – und das würde dafür sorgen, dass die Zahl der Vollapotheken noch weiter sinkt.

Fehlanreiz führt in die Abwärtsspirale

So entstünde eine Abwärtsspirale zu einer minimalen Zahl von Vollapotheken. Die typische Versorgung fände in einer Filiale mehr oder weniger ohne Apotheker statt. Dies alles wäre zu vermeiden, wenn die „Apotheke light“ auf besondere Standorte beschränkt bliebe, in denen die Alternative gar keine Apotheke ist, also auf die Zweigapotheken. Es darf keine freiwillige Entscheidung sein, sich von den Regeln für alle Apotheken zu befreien, sondern Ausnahmen müssen so eng begrenzt werden, dass keine Fehlanreize entstehen. Fehlanreiz ist damit wohl der zentrale Begriff, um Außenstehenden das Problem zu verdeutlichen.

Fremdbesitz droht

Wenn die Versorgung überwiegend in „Apotheken light“ mehr oder weniger ohne Apotheker stattfände, würde sich das Bild der Apotheken wandeln, und das würde auch das Fremdbesitzverbot aushöhlen. Zugleich stiege der Anreiz, aus solchen kaum noch individualisierten Strukturen Apothekenketten zu entwickeln. Damit würde das Fremdbesitzverbot massiv gefährdet, während der Minister beteuert, dass dies nicht sein Ziel ist. Das spricht wiederum für seine komplett andere Grundannahme über die Folgen seines Plans.

Vieles spricht für Missverständnisse

Hinzu kommen einige Merkwürdigkeiten in Details. Die Zahl der zulässigen Filialen pro Hauptapotheke soll um ein bis zwei steigen. Es gibt aber nur 348 Verbünde (Stand 30. Juni 2023), die die Grenze von drei Filialen ausschöpfen. Die Beschränkung hat also kaum praktische Bedeutung. Das stärkt die These, dass Lauterbach von vielen neu zu gründenden Filialen ausgeht. Die Erhöhung der Grenze verschärft aber zugleich das Problem mit der Abwärtsspirale, weil sie umso tiefer führt, je mehr Filialen eine Hauptapotheke haben darf. Auch der Plan des Ministers, Filialen ohne Labor und Rezeptur zuzulassen, spricht dafür, dass es ihm um neue Filialen geht. Denn bestehende Apotheken haben eingerichtete Labor- und Rezeptur­räume. Ökonomen nennen das „sunk costs“. Diese Kosten sind schon bezahlt. Natürlich lässt sich auch sparen, wenn der laufende Rezepturbetrieb entfällt, aber die größte Erleichterung hätten neue Filialen. Offenbar geht Lauterbach von ganz anderen Szena­rien aus als die Apotheker.

Unverzichtbar: mehr Geld

Ist das also alles nur ein Missverständnis? Das wäre zu schön, und so einfach ist es wohl nicht. Denn Lauterbach hat nicht zu verstehen gegeben, dass er mehr Geld in das Apothekensystem fließen lassen will. Es gab nur Andeutungen zu Umverteilungen, vielleicht von starken zu schwachen Apotheken, vor allem aber zwischen den Leistungen der Apotheken. Lauterbach sprach von einem „anderen Gleichgewicht“ zwischen kaufmännischen und heilberuflichen Leistungen. Möglicherweise soll es also Geld für neue Leistungen zur Prävention oder für was auch immer geben. Doch ohne mehr Geld für die Distribution, die abgabebegleitende Beratung und die Apothekeninfrastruktur wäre das eine Mogelpackung. Denn wenn die Kernleistungen nicht auskömmlich honoriert werden, würde zusätzliches Geld für andere Leistungen nur die Löcher im Kerngeschäft stopfen.

Fazit

Vor jede weitere Diskussion über irgendwelche Reformen gehört also die Frage, ob die Politik das bisherige flächendeckende Netz der Vollapotheken langfristig erhalten will. Wenn das so ist, braucht dieses System mehr Geld für die alte Leistung, weil alles teurer geworden ist und künftig noch teurer wird, vor allem das Personal. Wenn die Politik das System so aber nicht erhalten will, dann sollten das alle Verantwortlichen deutlich gegenüber den Wählern erklären und sagen, welche Leistungen entfallen sollen. Das wäre immer noch besser, als das System durch fatale Fehlanreize in eine unkontrollierbare Abwärtsspirale zu steuern. Denn die würde die gewachsenen Strukturen noch schneller zerstören, als es der Kostendruck in der Inflation macht. |

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