DAZ aktuell

Wie steht es um die Klinische Pharmazie an den Unis?

Es gibt immer noch Standorte ohne Professur

jr | Am 1. Oktober 2001 wurde das Prüfungsfach „Klinische Pharmazie“ in die Approbationsordnung für Apotheker aufgenommen. 22 Jahre später haben immer noch nicht alle Pharmaziestandorte eine ordent­liche Professur für dieses Fach. Die DAZ hat an den Universitäten nachgehakt, wie die Lehre in Klinischer Pharmazie aussieht.

Die Fachgruppe Klinische Pharmazie der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft forderte 2020 unter anderem, dass die Klinische Pharmazie durch eine eigenständige Vollprofessur vertreten werden soll und am Standort patientenorientierte Forschung stattfindet. Außerdem soll an echten praktischen Fällen gearbeitet und auch Mediziner mit in die Lehre einbezogen werden. Werden diese Forderungen an den Pharmaziestandorten erfüllt?

An den Universitäten in München und Freiburg gibt es bis jetzt keinen Lehrstuhl für Klinische Pharmazie. Stattdessen wird das Fach von externen und internen Referenten gelehrt, häufig von Pharmakologen und Klinik­apothekern. Im Pharmaziestudiengang in Frankfurt am Main unterrichtet der Lehrbeauftragte für Klinische Pharmakologie, in Freiburg der Leiter der Klinikapotheke. An den pharmazeutischen Instituten in Mainz und Münster obliegt die Klinische Pharmazie einer außerplanmäßigen Professur, also einem Habilitierten ohne ordentliche Professorenstelle. An der Universität in Mainz unterrichtet die Apothekerin Prof. Dr. Irene Krämer, in Münster Apotheker Prof. Dr. Georg Hempel.

An der Universität Heidelberg wird das Fach vom interprofessionellen „Kooperationsnetzwerk Klinische Pharmazie“ betreut. Die Abteilungen Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg sowie die Klinikapotheke und das Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie betreiben dieses Kooperationsnetzwerk unter der Leitung von Apothekerin Prof. Dr. Hanna Seidling, das sowohl Pharmaziestudierende als auch Medizinstudierende unterrichtet.

Was ist Klinische Pharmazie?

Die Klinische Pharmazie beschäftigt sich mit patientenorientierter Arzneimitteltherapie, die sich situationsgerecht und individuell am Erkrankten orientieren soll. Laut Appro­bationsordnung gehört zum Prüfungsfach „Klinische Pharmazie“ unter anderem die Arzneimitteltherapie vulnerabler Gruppen wie Schwangere, Stillende, Betagte oder Patienten mit Multimorbidität. Laut der Approbationsordnung von 2001 soll das Prüfungsfach „Klinische Pharmazie“ in einem Umfang von 210 Stunden unterrichtet werden (6,6% des Gesamt­studiums). Der neue Vorschlag zur Approbationsordnung der Bundesapothekerkammer vom 10. Mai 2022 sieht 574 Stunden oder 14,7% des Gesamtstudiums vor.

An den übrigen 16 Instituten für Pharmazie an deutschen Universitäten ist ein Lehrstuhl eingerichtet, der mit einer ordentlichen Professur besetzt ist. An den Universitäten in Halle und Düsseldorf wird die Klinische Pharmazie nicht durch eine Apothekerin bzw. einen Apotheker gelehrt, sondern von einem Mediziner und Molekularbiologen (Prof. Dr. Ralf Benndorf in Halle) und einer Ärztin (Prof. Dr. Stephanie Läer in Düsseldorf). Universitäten mit Universitätskrankenhaus bieten im zweiten Ausbildungsabschnitt eine Hospitation der Studierenden an. Die Pharmaziestudierenden begleiten Klinikapotheker sowie Ärzte und besprechen aktuelle Patienten­fälle aus dem Krankenhaus. An Universitäten ohne Lehrkrankenhaus werden im praktischen Teil zumeist Patientenfälle in einem Seminar in Kleingruppen besprochen.

Ausrichtung der Forschung

Forschung im Bereich patientenorientierte Arzneimitteltherapiesicherheit betreiben die Arbeitsgruppen der Klinischen Pharmazie an den Universi­täten in Bonn, Braunschweig, Heidelberg, Düsseldorf, Leipzig, Kiel, Würzburg, Jena und Münster. An den anderen Standorten werden Zell- und Tierversuche betrieben sowie mathematische Modelle zu Krankheitsentstehung erstellt (s. Tab.).
 

Tab.: Stand der Lehre im Fach „Klinische Pharmazie“ an den Hochschulen mit dem Studiengang Pharmazie
Universität
Professur für klinische Pharmazie vorhanden
besetzt mit Pharmazeutin/Pharmazeut
Forschungsschwerpunkte
Friedrich-Schiller-Universität Jena
ja
ja
Gender Medizin, entzündliche Erkrankungen
Universität des Saarlandes
ja
ja
mathematische Modellierung von Krankheitsverläufen und statistischen Risiken (Typ-2-Diabetes, Zervixkarzinom), Arzneimitteltherapiesicherheit in Pflegeeinrichtungen
Philipps-Universität Marburg
ja
ja
mitochondriale Mechanismen des Zelltodes, Neuro­protektion
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
außerplanmäßige Professur
ja
keine Angaben
Universität Hamburg
ja
ja
In-vitro Infektionsmodelle, mathematische Modellierung
Universität Greifswald
ja
ja
molekulare Mechanismen der Resistenzentstehung im Rahmen der Tumortherapie
Universität Bonn
ja
ja
Arzneimitteltherapiesicherheit in der Tumortherapie
Universität Regensburg
ja
ja
Professur seit Februar 2023, noch im Aufbau
Universität Leipzig
ja
ja
pädiatrische und geriatrische Pharmazie
Ludwig-Maximilians-Universität München
keine Professur, Lehre erfolgt durch andere Fachgruppen und Externe
teilweise Pharmazeuten aus der Pharmakologie
keine Angaben
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Professur für klinische Pharmakologie lehrt klinische Pharmazie
ja
mathematische Modelle, Schmerzforschung
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
ja
Mediziner und Molekularbiologe
Suche nach Biomarkern und genetischen Faktoren, die kardiovaskuläres Risiko erhöhen
Universität Münster
außerplanmäßige Professur
ja
Therapieoptimierung in der pädiatrischen Onkologie, Bioanalytik von Arzneistoffen
Technische Universität Braunschweig
ja
ja
Schwangerschaft mit Diabetes
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Leiter der Klinikapotheke hält Vorlesungen, außerdem Externe / aus anderen Fachbereichen
ja
keine Angaben
Universität Würzburg
ja
ja
pharmakokinetische und molekularpharmakodynamische Untersuchungen
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
ja
ja
Calcium- und Kaliumkanäle, zellbiologische Signal­transduktion
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Forschung und Lehre im Kooperationsnetzwerk Klinische Pharmazie
ja
Entwicklung, Implementierung und Evaluation von Projekten der Arzneimitteltherapiesicherheit insbesondere durch die Stärkung der interprofessionellen Kooperation und der Patientenkompetenzen
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
ja
ja
Arzneimitteltherapiesicherheit in der Neonatologie, Entwicklung buccaler Arzneiformen
Freie Universität Berlin
ja
ja
Arzneimitteltherapiesicherheit für vulnerable Personen
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
ja
Professur für Molekulare und Klinische Pharmazie
ja
Zellbiologische Forschung im Bereich der Tumorforschung (Transkriptionsfaktoren)
Heinrich-Heine-Universität-Düsseldorf
ja
Ärztin
Arzneimitteltherapiesicherheit bei Kindern, Digitalisierung in der pädiatrischen Pharmazie

Isabel Waltering von der Deutschen Gesellschaft für Klinische Pharmazie findet deutliche Worte: „Die Klinische Pharmazie hat an deutschen Univer­sitäten noch immer nicht den Stellenwert, den sie in anderen Ländern hat. Der Umfang im Studium ist für eine moderne Pharmazie nicht mehr angemessen. Um eine ausreichende und umfassende Ausbildung für die heilberuflichen Aspekte und eine patientenorientierte Pharmazie zu gewährleisten, muss der Klinischen Pharmazie ein deutlich höherer Stellenwert eingeräumt werden.“ Für ein zukunftsorientiertes Studium würden die Forderungen der neuen Approbationsordnung nicht weit genug gehen. 22 Jahre nach der Einführung des Prüfungsfaches sollte das Fach und der Forschungs­bereich an den Universitäten weiter ausgebaut werden, wie die Gesellschaft fordert. |

Literatur

Approbationsordnung für Apotheker vom 19. Juli 1989 (BGBl. I S. 1489), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 7. Juni 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 148) geändert worden ist. Bundesministerium für Justiz, www.gesetze-im-internet.de/aappo/BJNR014890989.html

Positionspapier Runder Tisch „Novellierung der Approbationsordnung für Apotheker. Bundesapothekerkammer, 10. Mai 2022, www.abda.de/fileadmin/user_upload/assets/Ausbildung_Studium_Beruf/AAppO_Runder_Tisch_22_06_29.pdf

Standards zur universitären Ausbildung im Fach Klinische Pharmazie. Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft, 2020, https://bphd.de/wp-content/uploads/2020/01/StandardsKlinPharmazie_.pdf

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