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Tierpharmazie

So ganz anders als die anderen

Schilddrüsenerkrankungen bei Hunden und Katzen

Die Schilddrüse ist für den Körper wie ein Blasebalg für das Schmiedefeuer. Die von ihr gebildeten Hormone lassen den Fett- und Kohlenhydratstoffwechsel auf einem konstanten Level Energie erzeugen und unterstützen unter anderem das Immunsystem und die Hautgesundheit. Eine Schilddrüsenüberfunktion lässt das Schmiedefeuer zu heiß werden und die Kohlen zu schnell verbrennen. Eine Unterfunktion dagegen erzeugt nicht genug Hitze, um alle notwendigen Prozesse am Laufen zu halten. Es ist ein präzise aufgestelltes Organ und einer der wichtigsten Mechanismen für einen gesunden Stoffwechsel – auch bei Tieren. | Von Susanne Kaiser

Die Schilddrüse sitzt bei uns Menschen und den Säugetieren wie ein Schild auf der Vorderseite des Halses (daher der Name). Sie besteht aus zwei Lappen, die sich wie Schmetterlingsflügel rechts und links gleich unterhalb des Kehlkopfes an die Halsmuskeln schmiegen. Sie ist aus kleinen Läppchen zusammengefügt, die voneinander durch hauchzarte Bindegewebsmembranen abgetrennt sind. Es ist ein sehr stoffwechselaktives Organ und braucht zur Herstellung eines seiner Hormone, Thyroxin, unter anderem eine stetige Zufuhr von Iod.

Wie alle Hormone kommt Thyroxin im Körper nur in Mikrogramm großen Mengen vor. Bereits kleine Abweichungen vom Normalspiegel haben weitreichende Folgen für den Organismus. Wie die meisten anderen Hormone ist es für alle Säugetiere gleichermaßen wichtig (s. Kasten „Aufgaben der Schilddrüse“).

Aufgaben der Schilddrüse

  • Regulation der Körpertemperatur
  • Regulierung des Fett- und Kohlenhydratstoffwechsels
  • Kontrolle des Körpergewichts
  • Regulation von Plusrate und Herzauswurfvolumen
  • Wachstum und Gehirnentwicklung in Jungtieren
  • Steuerung des Reproduktionszyklus
  • Regulierung des Muskeltonus
  • Erhaltung des Immunsystems und der Haut­gesundheit

Extreme Unterschiede bei Hund und Katze

In der Tiermedizin sieht man bei Hund und Katze völlig entgegengesetzte Krankheitsbilder, wenn es zu Schilddrüsenproblemen kommt: Hunde neigen zu Unterfunktionen, Katzen dagegen leiden meist an einer Überfunktion. An zwei typischen tierischen Patienten werden die Unterschiede deutlich: Balu ist ein sechs Jahre alter, kastrierter Labrador Retriever. Seine Besitzer haben ihn in der Tierarztpraxis vorgestellt, weil sie seit drei, vier Monaten mit wiederkehrenden Ohrinfektionen, Dermatitis und dünner werdendem Fell zu kämpfen haben. Zudem scheint Balu mehr und mehr zuzunehmen, obwohl sie ihn bereits auf ein Diätfutter gesetzt haben und kaum noch Leckerchen geben. Er mag nicht mehr auf lange Spaziergänge gehen und lässt sogar seinen geliebten Fußball links liegen.

Während der Untersuchung zeigen sich rote, gereizte Ohren mit übel riechendem Ausfluss in beiden Gehörgängen. Ein Abstrich zeigt eine Mischinfektion mit Escherichia coli und Malassezia-Hefen, die auf die meisten gängigen Ohrentropfen mit Antibiotika, Antimykotika und Steroiden gut ansprechen sollten. Zudem hat Balu krustige Läsionen an den Ohrrändern und generell trockenes, stumpfes Fell. Das Herz schlägt mit 68 Schlägen pro Minute eher langsam, und seine Körpertemperatur beträgt nur 37,4 °C. In den sechs Monaten seit seinem letzten Besuch in unserer Praxis hat er mehr als 15% seines bis dahin stabilen Körpergewichts zugelegt, hat nun einen Body Score von 8 von 9 und gilt damit als fettleibig (Body-Score-Index: 1 bis 3: kachektisch, untergewichtig, 4 bis 5: Normalgewicht, 6 bis 9: übergewichtig bis fettleibig). In einem großen Blutbild wurden normale Leber- und Nierenwerte festgestellt, aber ein zu niedriger T4-Level mit erhöhten Cholesterol- und Calcium-Spiegeln. Der Urintest kam ohne abnormale Befunde zurück.

Keine voreiligen Schlüsse ziehen

Alles deutet auf eine verminderte Schilddrüsenfunktion hin. Aber Vorsicht: An dieser Stelle wäre es falsch, sogleich eine Diagnose zu erstellen und mit der Behandlung anzufangen. Ein Krankheitsbild, das im gewöhnlichen Screening-Blutbild leicht mit einer Schilddrüsenunterfunktion zu verwechseln ist, ist das sogenannte Euthyroid-Sick-Syndrom (ESS). Die Schilddrüse ist selbst sehr empfindlich gegenüber negativen Einflüssen. Daher kann der T4-Level auch bei einer bestehenden schweren Erkrankung, durch Tumore in anderen Körperarealen oder schlicht durch längere Fastenzeiten (Inappetenz bei bestehender Krankheit) erniedrigt sein. Wie kann man nun sicherstellen, dass unser Patient Balu wirklich an einer primären Erkrankung der Schilddrüse leidet?

Von der Schilddrüse gebildete Hormone

  • Thyroxin (T4): Das Prohormon hat selbst kaum eine Wirkung auf den Körper. Die Umwandlung von dem inaktiven T4 zu T3 erfolgt durch die Abspaltung eines Iod-Atoms. Das aktive T3 kann nun an die Schilddrüsenhormonrezeptoren im zentralen Nervensystem andocken und seine Wirkung entfalten. Im Bluttest oft als T4 oder TT4 (total T4) angegeben.
  • Triiodthyronin (T3): Die aktivierte Form des Prohormons T4, normalerweise nicht im Blutbild gemessen
  • Calcitonin: Regulator des Calcium- und Phosphathaushaltes und Gegenspieler des Parathormons, das in der Nebenschilddrüse gebildet wird. Calcitonin senkt den Calcium-Spiegel im Blut. Daher sehen wir oft einen erhöhten Calcium-Spiegel bei Hunden mit Schilddrüsenunterfunktion und einen niedrigen Calcium-Spiegel bei Katzen mit Schilddrüsen­überfunktion.

Wie viele Drüsen im Körper wird auch die Schilddrüse von einer übergeordneten Instanz gesteuert. Dies ist das Thyreoidea-stimulierende Hormon (TSH), das von der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) gebildet wird. Zwischen ihr und der Schilddrüse gibt es ein Feedback-System. Fällt der Schilddrüsenhormonlevel im Blut, wird dies von der Hypophyse erkannt, und sie schüttet daraufhin vermehrt das Thyreoidea-stimulierende Hormon TSH aus.

In gesunden Tieren steigt der T4-Level im Blut, und die Hypophyse reduziert ihre Aktivität. Das Gleichgewicht ist wiederhergestellt. In allgemein kranken oder unterernährten Tieren ist dieser Mechanismus gestört, und weder T4 noch TSH können vermehrt im Blut gefunden werden. Man spricht dann von einem Euthyroid-Sick-Syndrom, und es muss nach weiteren Krankheitsursachen geforscht werden.

Ist die Schilddrüse wie im Fall von unserem Balu geschrumpft und kann schlichtweg mit der erforderlichen Produktion von T4 nicht mehr mithalten, versucht die Hypophyse aber weiterhin, die Schilddrüse zu stimulieren. Der TSH-Level ist hoch, der T4-Level aber zu niedrig. Zwei Krankheiten führen zu diesem Problem: eine chronische Entzündung der Schilddrüse oder eine idiopathische Atrophie. Die Therapie ist in beiden Fällen dieselbe: der lebenslange Ersatz von Thyroxin. Für Balu ist alles gut gegangen. Ein erhöhter TSH-Wert hat bestätigt, dass er unter einer primären Erkrankung der Schilddrüse leidet. Er nimmt nun täglich seine Dosis Thyroxin und kommt regelmäßig in die Praxis, um seinen T4-Wert und sein Körpergewicht kontrollieren zu lassen.

Krankheitsbilder der Schilddrüsenerkrankungen bei Hund und Katz

Hunde

  • vor allem Unterfunktion (Überfunktion durch Krebs ist selten)
  • prädisponiert: mittelgroß, mittleres Alter (fünf bis acht Jahre), vermehrt bei kastrierten Tieren, Rassen: oft in Labrador Retriever, Dobermann, Irish Setter
  • Symptome: Gewichtszunahme, Energielosigkeit, dünner werdendes Fell, Infektionsanfälligkeit (vor allem Haut und Ohren)
  • Test: niedriges totales T4, freies T4, hoher TSH-Level
  • Therapie: lebenslange Hormonsubstitution
  • Prognose: gut

Katzen

  • vor allem Überfunktion
  • meist gutartige Schilddrüsengeschwulst, kann aber mit der Zeit in ein Karzinom umschlagen
  • Prädisposition: meist ältere Katzen, Rassekatzen sind weniger oft betroffen
  • Symptome: Gewichtsverlust, gesteigerter Appetit, Unruhe, Durchfall, Erbrechen, Bluthochdruck
  • Test: erhöhter T4-Wert
  • Therapie: Stabilisierung mit oraler Therapie (Thiamazol, Carbimazol), Iod-Entzug mit Spezialfutter, dann dauerhafte Behandlung durch Thyroidektomie, radioaktive Iod-Therapie
  • Prognose: vorsichtig bis gut (abhängig von Erkrankungen wie Niereninsuffizienz oder hypertrophe Kardio­myopathie)

Ein Problem kommt selten allein

Unsere nächste Patientin ist Mimi, eine 13 Jahre alte Hauskatze, die seit einiger Zeit ständig nach Futter schreit, dabei aber mehr und mehr abnimmt. Seit zwei, drei Wochen erbricht sie nun auch noch fast täglich und hat wässerigen, stinkenden Durchfall. Sie scheint sehr unruhig, hat schon mehrfach auf den Teppich im Badezimmer gemacht und bringt ihre Besitzer langsam zur Verzweiflung.

In der Praxis stellen wir fest, dass Mimi fast 25% ihres Körpergewichts verloren hat. Sie wiegt nur noch 2,8 kg, ihr Body Score ist nur noch 3 von 9. Ihr Puls beträgt über 220 Schlägen pro Minute, und ihr Blutdruck liegt über 190 mmHg. Ihr Abdomen ist weich, und man kann Gas und Flüssigkeit gurgeln hören. An der Vorderseite ihres Halses kann man eine kleine Zubildung fühlen, geformt wie eine große Linse. Sie ist flach, konvex und mit der Schilddrüse verbunden. In einem großen Blutbild erkennt man einen stark erhöhten T4-Wert von 176 nmol/l (Normalwert 15 bis 40). Der Rest ist unauffällig.

Unsere erste Diagnose ist ein Schilddrüsentumor (Adenom, sehr selten Adenokarzinom). Der Bluthochdruck könnte auch durch den hohen Thyroxin-Spiegel verursacht sein. Weitere Erkrankungen, die keinesfalls vergessen werden dürfen, sind eine mögliche Niereninsuffizienz, die von dem vorliegenden Hyperthyreoidismus verschleiert werden kann, und Herzerkrankungen wie eine hypertrophe Kardiomyopathie, die sich manchmal durch die extreme Belastung des Herzens durch den hohen Thyroxin-Level entwickelt.

Eins nach dem anderen

Als Erstes sollte Mimis Thyroxin-Spiegel auf ein normales Niveau gebracht werden. Der Blutdruck kann durch einen normalen T4-Level wieder besser werden. Eine verschleierte Nierenerkrankung kann aber oft erst nachgewiesen werden, wenn sich der T4-Level normalisiert hat. Darum ist eine regelmäßig Kontrolle von Urea, Kreatinin und den SDMA-Werten (symmetrisches Dimethylarginin, SDMA) als Maß für den Kreatinin-Spiegel im Blutbild wichtig. Um den T4-Wert zu senken, ist ein Mittel der Wahl Thiamazol als orale Lösung. Gestartet wird mit einer Einheitsdosis von 2,5 mg alle zwölf Stunden. T4-Wert, Blutdruck und Nierenwerte werden nach zwei Wochen gemessen. Je nach Effekt wird die Dosis weiter angepasst.

Für Hauskatzen, die ohne weitere Haustiere leben, kann eine Spezialdiät eine wirkungsvolle Alternative darstellen, die komplett iodfrei ist und somit dem Schilddrüsentumor den Treibstoff entzieht. Da das Problem durch einen Tumor ausgelöst wird, sollte man an dieser Stelle eine dauerhafte Lösung diskutieren. Ein deutlich fühlbarer Tumor kann operativ entfernt werden, und die meisten Patienten leben anschließend ein normales Leben. Eine Behandlung mit radioaktivem Iod wird in Spezialkliniken angeboten. Sie greift sämtliches Tumorgewebe an, sogar solches, das sich möglicherweise innerhalb des Brustkorbs befindet.

Für sehr alte Katzen oder solche mit weiteren schweren Erkrankungen, die eine solche Behandlung nicht durchstehen würden, kann aber eine dauernde medikamentöse Therapie beibehalten werden.

Mimis Tumor wurde operativ entfernt und eine neu diagnostizierte milde Niereninsuffizienz wird nun mit Spezialdiät und einer täglichen Dosis ACE-Hemmern behandelt. Wir sehen Mimi alle sechs Monate für einen Bluttest. |

 

Literatur

Blackwell‘s Five-Minute Veterinary Consult: Canine and Feline, 7th Edition

IRIS Staging of CKD, Stand 2019. International Renal Interest Society, www.iris-kidney.com/pdf/IRIS_Staging_of_CKD_modified_2019.pdf

Kaplan E. Primary hyperparathyroidism and concurrent hyperthyroidism in a cat. Can Vet J 2002;43(2):117-119, PMID: 11842593; PMCID: PMC339175.

Köhler I, Ballhausen BD, Stockhaus C, Hartmann K, Wehner A. Prevalence of and risk factors for feline hyperthyroidism among a clinic population in Southern Germany. Tierarztl Prax Ausg K Kleintiere Heimtiere 2016;44(3):149-157, doi: 10.15654/TPK-150590, Epub 23. Februar 2016, PMID: 26902958

Merkle JE, Boudreaux B, Langohr I, Hegler A, Ryan K, Fletcher J. Thyroid storm in a dog secondary to thyroid carcinoma. J Vet Emerg Crit Care (San Antonio) 2021;31(3):428-431, doi: 10.1111/vec.13051, Epub 31. März 2021, PMID: 33792155

Product Information Database. Veterinary Medicines Directorate (VMD), www.vmd.defra.gov.uk/ProductInformationDatabase/

Autorin

Dr. Susanne Kaiser Cenaj, MRCVS, ist Tierärztin, Journalistin und Fachzeitschriften Redakteurin. Sie arbeitet seit 25 Jahren als Kleintierärztin und ist Leitende Tierärztin in einer Kleintierklinik nördlich von London in Großbritannien.

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Für die 3. Auflage wurden sämtliche Arzneimittellisten überarbeitet und erweitert und um Normalwerttabellen für Hund und Katze ergänzt.

Susanne E. Kaiser
Arzneitherapie bei Heimtieren

XXXIV, 705 Seiten, 11,5 × 16,5 cm 14 farb. Tab., 43,00 Euro
ISBN: 978-3-8047-3224-7
Wissenschaftliche Verlags­gesellschaft Stuttgart 2016

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