Fehlermanagement

Auf den Namenszusatz kommt es an!

Medikationsfehler mit Oxycodon vermeiden

Im Berichts- und Lernsystem CIRS-NRW sind mehrere Medikationsfehler mit Beteiligung des Opioids Oxycodon dokumentiert. Viele Fehler beruhen auf Verwechslungen zwischen schnell und langsam freisetzenden Darreichungsformen. Auf diese Fehler gilt es, bei der Abgabe von Arzneimitteln auf ärztliche Verordnung in der Apotheke sensibilisiert zu sein. Auch pharmazeutische Unternehmer können durch den Bezeichnungszusatz „akut“ zur Abgrenzung von normal freisetzenden gegenüber retardierten Oxycodon-­Arzneimitteln zur Arzneimittel­therapiesicherheit beitragen. | Von Oliver Schwalbe

Der Wirkstoff Oxycodon wird zur Behandlung von starken Schmerzen eingesetzt, die lediglich durch Opioid-Analgetika adäquat behandelt werden können. Oxycodon wirkt als Agonist an den µ-, κ- und δ-Opioidrezeptoren im Gehirn und im Rückenmark. Sein therapeutischer Effekt ist hauptsächlich analgetisch und sedierend. Wie bei allen Opioiden besteht auch hier das Risiko von Missbrauch und Abhängigkeit. Es gibt Oxycodon-Handelspräparate in einer Vielzahl an Stärken. Hinzu kommen in oftmals gleicher Stärke schnell und langsam freisetzende Darreichungsformen. Von einem Hersteller gibt es in einigen Stärken sogar zwei unterschiedliche Retardpräparate (z. B. Oxycodon-HCl beta einmal täglich 10 mg Retardtabletten und Oxycodon-HCl beta 10 mg Retardtabletten). Auch sind Kombinationspräparate mit Naloxon als zweitem Wirkstoff zugelassen, um die Opioid-bedingte Obstipation zu verringern. Im Falle von Oxycodon scheinen vor allem Medikationsfehler eine Rolle zu spielen, die auf Verwechslungen zwischen schnell und langsam frei­setzenden Darreichungsformen zurückzuführen sind [1], so das Ergebnis der Auswertung eines nationalen Berichts- und Lernsystems aus den USA.

CIRS-NRW

CIRS-NRW steht für „Critical-Incident-Reporting-System Nordrhein-Westfalen“. Es handelt sich um ein internetgestütztes Berichts- und Lernsystem zur anonymen Meldung von kritischen Ereignissen in der Patientenversorgung. CIRS-NRW soll dazu beitragen, dass über kritische Ereignisse offen gesprochen und aus ihnen gelernt wird. Somit sollen Wege zur Vermeidung von Risiken diskutiert und Lösungsstrategien erarbeitet werden. Die Apothekerkammern Nordrhein und Westfalen-Lippe sind Partner von CIRS-NRW – gemeinsam mit den Ärztekammern, den Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenhausgesellschaft NRW. Die Professionen Arzt und Apotheker treffen insbesondere im Medikationsprozess aufeinander. Die beidseitige Sensibilisierung für Medikationsfehler sowie die gegenseitige Kenntnis der organisatorischen Strukturen in Arztpraxis und Apotheke tragen zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit bei. Das sektoren- und professionsübergreifende Berichts- und Lernsystem CIRS-NRW ist in Deutschland einzigartig: www.cirsmedical.de/nrw/

Medikationsfehler unter Beteiligung von Oxycodon in CIRS-NRW

In CIRS-NRW sind (Stand 11. August 2023) insgesamt 15 Medikationsfehler mit relevanter Beteiligung von Oxy­codon dokumentiert (s. Tab. 1). Relativ häufig kam es auch hier zu Verwechslungen zwischen schnell und langsam freisetzenden Darreichungsformen. Dies führte zu Verordnungs- und Abgabefehlern. Die meisten schnell freisetzenden Oxycodon-Handelspräparate tragen den Zusatz „akut“ (s. Tab. 2). Der Hersteller Heumann hat derzeit sowohl Präparate mit dem Zusatz „akut“ als auch ohne diesen verfügbar. Bei Fehlen des Namensbestandteils „akut“ kann die Ärztin/der Arzt bei der Verordnung irrtümlicherweise schlussfolgern, dass es sich um ein Retardpräparat handelt. Auch kommt das Verrutschen in der Zeile in den Arzt-Verwaltungssystemen während des Verordnungsvorganges als Ursache dieses Medikationsfehlers infrage. Neben Verordnungsfehlern kommt es auch zu Abgabefehlern: Die zweimal tägliche Dosierung auf dem Rezept für ein unretardiertes Präparat wurde nicht auf ihre Plausibilität überprüft, wie dies in der BAK-Leitlinie „Information und Beratung des Patienten bei der Abgabe von Arzneimitteln auf ärztliche Verordnung“ festgelegt ist (Fall-Nr. 252809) [2]: Sind die (individuelle) Dosierung bzw. das Dosierungsintervall, die Art und Dauer der Anwendung therapeutisch üblich? Schnell freisetzendes Oxycodon wird üblicherweise alle vier bis sechs Stunden eingenommen. Für Durchbruchschmerzen wird es in Kombination mit retardiertem Oxycodon als Bedarfsmedikation eingesetzt. Das Auftreten des Symptoms Müdigkeit diente schließlich in der Apotheke als Aufhänger, die Medikation dieser Patientin noch mal zu hinterfragen.

Tab 1: Beschreibung der Medikationsfehler in CIRS-NRW mit relevanter Beteiligung von Oxycodon
Beschreibung Medikationsfehler (Häufigkeit)
relevante Begleitumstände
Verwechslung zwischen schnell und langsam freisetzenden Darreichungsformen (6)
Vertretungsarzt
Dosierungsfehler (3)
mündliche Verordnung, schlechte Erreichbarkeit Arzt
Verwechslung zwischen unterschiedlichen Retard­darreichungsformen (2)
Verwechslung von Oxycodon- mit Oxycodon-Naloxon-­haltigen Arzneimitteln (2)
Sound alike: Carenoxal und Carbimazol (1)
Patient teilt nicht teilbare Tablette (1)
Tab. 2: Namenszusätze schnell freisetzender Oxycodon-Handelspräparate
Hersteller
Hinweis auf schnelle Freisetzung
Aristo Pharma
akut
Aliud Pharma
betapharm Arzneimittel
akut
Krugmann
akut
Zentiva
1A Pharma
akut
ratiopharm
akut
Heumann Pharma
derzeit sowohl Präparate ohne Zusatz als auch mit Zusatz „akut“ (Nachfolger) verfügbar
Puren Pharma
Mundipharma
akut, Dispersa (Reimporte), Dispersa akut

Fazit

Der Patientenfall aus CIRS-NRW zeigt sehr eindringlich, wie wichtig die Sicherheitsbarriere öffentliche Apotheke bei der Rezeptbelieferung ist. Hier gilt der Leitsatz „Überprüfe sorgfältig und habe Zweifel“ [3], denn Sie haben die Aufgabe, die ärztliche Verordnung auf ihre Plausibilität zu überprüfen. Dies hat nichts mit Misstrauen zu tun, sondern mit professioneller Erhöhung der Patientensicherheit. Durch regelmäßiges Beschäftigen mit CIRS-Fällen sollten Apothekenteams immer wieder für Medikationsfehler sensibilisiert werden. Auf Systemebene können pharmazeutische Unternehmer dazu beitragen, die Gefahr von Medikationsfehlern durch eine eindeutigere Bezeichnung zu verringern.

Fall-Nr. 252809: Oxycodon-Verordnungsfehler retardiert vs. unretardiert

Was ist passiert?
Die Schmerzen einer Patientin sollten mit Oxycodon retard behandelt werden. In der Praxis wurde „Oxycodon-HCl Zentiva 5 mg HKP N3“ zur zweimal täglichen Einnahme verordnet. Patientin bekam in der Apotheke das Medikament wie verordnet

Was war das Ergebnis?
Bei Folgeverordnung wurde in der Apotheke über Müdigkeit berichtet. Die Apotheke hielt daraufhin Rücksprache mit der Arztpraxis.

Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis und wie hätte es ver­mieden werden können?
Der Arzt hat sich auf den in der EDV angezeigten Namen verlassen und hielt das verordnete Medikament aufgrund der fehlenden Angabe „akut“ für ein retardiertes Produkt, dem war jedoch nicht so.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat zu dieser Thematik eine Leitlinie erstellt [4]: Der Namenszusatz „akut“ wird zur Abgrenzung von normal freisetzenden gegenüber retardierten BtM-Arzneimitteln empfohlen (s. Tab. 2). Hier wäre es für die Patientensicherheit bedeutsam, wenn alle pharma­zeutischen Unternehmer dieser Empfehlung folgen würden. |

 

Literatur

[1] Dy SM et al. Medication errors with opioids: results from a national reporting system. J Opioid Manag 2007;3(4):189-194, doi: 10.5055/jom.2007.0004

[2] Information und Beratung des Patienten bei der Abgabe von Arzneimitteln auf ärztliche Verordnung. Leitlinie der BAK zur Qualitätssicherung, Stand: 13. November 2019, www.abda.de/fileadmin/user_upload/assets/Praktische_Hilfen/Leitlinien/Rezeptbelieferung/LL_Info_Beratung_Rezept.pdf, aufgerufen am 23. August 2023

[3] Neumayr A et al. Risikomanagement in der prähospitalen Notfallmedizin. Springer Verlag 2016

[4] Leitlinie des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte und des Paul-Ehrlich-Instituts zur Bezeichnung von Arzneimitteln. Version 8.2 , 25. Juli 2023, www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Zulassung/leitlinie.html

Autor

Dr. Oliver Schwalbe war nach einem Studium der Pharmazie sieben Jahre als Versorgungsforscher tätig. Seit 2012 ist er Abteilungsleiter Ausbildung, Fortbildung und Arzneimitteltherapiesicherheit bei der Apothekerkammer West­falen-Lippe (AKWL). Seit 2020 ist er Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AKWL für Versorgungsforschung in der Apotheke.

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