Arzneimittel und Therapie

Wenn sich eine Depression trotz Therapie nicht bessert,

... kann auch die Begleitmedikation eine Ursache sein

In der klinischen Praxis sprechen bis zu zwei Drittel der depressiven Patienten nicht adäquat auf eine ­initiale medikamentöse Therapie an. Die Ursachen sind vielfältig – so spielen unter anderem Sozial­faktoren, Komorbiditäten oder ­mangelnde Adhärenz eine Rolle. Doch welche Auswirkung hat möglicherweise eine Begleitmedikation? ­Können nicht psychiatrische Arzneimittel mit depressiven Symptomen als mögliche Nebenwirkung die Symptome der Depression verstärken und das Therapieansprechen mindern?

Die unipolare Depression zählt global zu den am häufigsten auftretenden psychischen Erkrankungen. Nach Diagnosestellung werden in der Regel ­Antidepressiva eingesetzt, um die Beschwerden zu lindern. Doch bei einigen Patienten stellt sich die gewünschte Wirkung nicht oder nur unzureichend ein und in 20 bis 30% der Fälle tritt sogar eine Therapie­resistenz auf (s. Kasten „Therapieresistente Depression vorbeugen und erkennen“) [1]. Bei Nichtansprechen auf eine Monotherapie mit Antidepressiva sollten nach Empfehlung der Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) „Unipolare Depression“ mögliche Ursachen gemäß einem Algorithmus evaluiert werden (siehe Abb.) [2]. Im Fokus steht unter anderem eine depressiogene, also eine potenziell Depressionen auslösende Komedikation. Deren Einfluss wurde in einer aktuell im „Journal of Clinical Psychiatry“ veröffentlichten Studie genauer untersucht [3]. Für die Querschnittsstudie wurden Daten der US-amerikanischen National Health and Nutrition Examination Surveys ­(NHANES) im Zeitraum von 2013 bis 2018 herangezogen. Insgesamt 885 ­Erwachsene mit einer seit mindestens sechs Wochen mit Anti­depressiva behandelten Major Depression wurden eingeschlossen. Knapp über 70% der Studienteilnehmer waren Frauen. Als häufigste antidepressive Medikation erhielten die Probanden selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI). Sie wurden bei 67,9% der Studienteilnehmer eingesetzt. Die Schwere der depressiven Symptomatik wurde mit dem Fragebogen Patient Health Questionnaire-9 (PHQ-9) erfasst. Nach diesem hatten trotz Behandlung 28,4% der Teilnehmer moderate bis schwere depressive Symptome (PHQ-9-Wert ≥ 10), bei 43,0% waren die Symptome nicht (mehr) vorhanden bzw. nur minimal ausgeprägt (PHQ-9-Wert < 5).

Therapieresistente Depression vorbeugen und erkennen

  • Patienten sollten ausführlich über ihre Erkrankung und Möglichkeiten bzw. Grenzen der Therapie aufgeklärt werden.
  • Die Therapiepräferenz ist mit­entscheidend für den Erfolg einer ­Therapie.
  • Bedenken gegenüber einer medikamentösen anti­depressiven Therapie sollten ernst genommen werden.
  • Therapieziele sollten von Arzt und Patient gemeinsam festgelegt werden.
  • Eine therapieresistente Depression liegt vor, wenn ein Patient auf mindestens zwei angemessen dosierte Antidepressiva aus unterschiedlichen Substanzklassen nicht angesprochen hat.
  • Die therapieresistente Depression stellt eine Herausforderung für Patient und Arzt dar – ein stabiles Vertrauens­verhältnis ist Grund­voraussetzung für die Behandlung.
  • Eine Pseudotherapieresistenz gilt es auszuschließen. Sie kann beispielsweise bei Non-Adhärenz aufgrund von Nebenwirkungen auftreten oder bei Ultra-Rapid-Metabolizern, bei denen sich keine ausreichenden Wirkspiegel einstellen.
  • Eine neue medikamentöse Option bei therapieresistenter Major Depression ist Esketamin intranasal (Spravato®), das mit einem selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitor oder Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitor kombiniert wird.

[1, 2, 4]

Abb.: Algorithmus bei Nichtansprechen. Wenn ein Patient nach vier Wochen (bei älteren Patienten eventuell nach sechs Wochen) nicht auf eine antidepressive Monotherapie anspricht, sollen zunächst die Ursachen evaluiert und möglichst korrigiert werden. Spricht der Patient danach immer noch nicht auf die Therapie an, kann der Behandlungsstrategie eine weitere Option hinzugefügt oder das Antidepressivum gewechselt werden. Nach etwa vier Wochen sollte die Wirkung erneut überprüft und die Behandlungs­strategie gegebenenfalls erneut angepasst bzw. erweitert werden. Über die im Algorithmus genannten Optionen hinaus kann die ­Behandlung auch durch geeignete Angebote unterstützt werden, z. B. durch eine Bewegungs- und Sporttherapie oder nach Bedarf auch durch psycho­soziale Therapien wie Ergo- oder Soziotherapie (modifiziert nach [2]). SSRI: selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren, SNRI: Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren (SNRI), TZA: tricyclische Antidepressiva

Depressiogene Komedikation bei zwei Dritteln der Probanden

Die Mehrheit der Studienteilnehmer (66,7%) nahm neben der antidepressiven Medikation mindestens ein nicht psychiatrisches Arzneimittel ein, das potenziell depressive Symptome hervorrufen kann. 37,3% der Probanden erhielten sogar mindestens zwei solcher Arzneimittel. Die Zahl an Arzneimitteln mit depressiven Symptomen als mögliche Nebenwirkung war mit dem Schweregrad depressiver Symptome assoziiert. So war es unter der Einnahme mehrerer solcher Arzneimittel eher unwahrscheinlich keine bis minimale depressive Symptome zu haben (PHQ-9 Score < 5; adjustierte Odds Ratio [aOR] = 0,75; 95%-Konfidenzintervall [KI] = 0,64 bis 0,87) und eher wahrscheinlich an moderaten bis schweren Symptomen zu leiden (PHQ-9 Score ≥ 10; aOR = 1,14; 95%-KI = 1,004 bis 1,29). Solche Assoziationen konnten für Arzneimittel ohne potenzielle depressive Neben­wirkung nicht festgestellt werden.

Zehn Arzneimittel besonders auffällig

Nach genauer Analyse der depressio­genen Begleitmedikation fiel auf, dass besonders die Einnahme von Ome­prazol, Gabapentin, Meloxicam, Tramadol, Ranitidin, Baclofen, Oxycodon, Tizanidin, Propranolol und Morphin mit der Schwere depressiver Symptome assoziiert war. Je mehr dieser Wirkstoffe eingenommen wurden, desto häufiger waren die depressiven Symptome der Patienten moderat bis schwer.

Fazit

Bei der Betrachtung der Studie müssen mehrere Limitationen bedacht werden, zum Beispiel, dass die Gesundheitsinformationen auf Selbst­berichten der Patienten beruhten und keine Daten zur Krankheitsgeschichte wie der Symptomschwere zu Behandlungsbeginn vorlagen.

Zusammenfassend deuten die Studienergebnisse darauf hin, dass depressiogene Arzneimittel die Symptome einer Major Depression verstärken können. Wenn ein inadäquates Therapieansprechen bewertet wird, sollte daher auch ein genauer Blick auf die Begleitmedikation geworfen werden. |
 

Literatur

[1] Fugger G et al. Die therapieresistente Depression (TRD) – Herausforderungen und praktisches Management. Psychopraxis.Neuropraxis 2022;25:49-54, doi: 10.1007/s00739-021-00776-3

[2] Unipolare Depression. Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (Hrsg.) unter Beteiligung weiterer Fachgesellschaften, AWMF-Register-Nr.: nvl-005, Stand: September 2022

[3] Mojtabai R et al. Use of Non-Psychiatric Medications With Potential Depressive Symptom Side Effects and Level of Depressive Symptoms in Major Depressive Disorder. J Clin Psychiatry 2023; 84(4):22m14705, doi: 10.4088/JCP.22m14705

[4] Fachinformation Spravato®, Stand: Juli 2023

Apothekerin Dr. Martina Wegener

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.