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Mutige Politiker gesucht

Foto: Philip Kottlorz Fotografie

Julia Borsch, Chefredakteurin der DAZ

Das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz, kurz ALBVVG (siehe S. 10), läuft große Gefahr, seinem Namen nicht einmal ansatzweise gerecht zu werden. So werden, zumindest nach aktuellem Stand, die Möglichkeiten der Apotheken, auf Lieferengpässe flexibel zu reagieren, beschnitten werden. Die geplante 50-Cent-Pauschale für das Engpassmanagement ist nicht nur für den entstehenden Aufwand viel zu niedrig, sondern es besteht auch das Risiko, dass sie komplett aufgefressen wird. Schließlich verursacht die Umsetzung bei der Abrechnung Aufwand. Auch die Pharmaindustrie und der pharmazeutische Großhandel haben durch­blicken lassen, dass sie die Pläne aus dem Hause Lauterbach nicht für geeignet halten, das Problem der Engpässe in den Griff zu bekommen. Denn kein Hersteller wird für ein paar Cent mehr seine Produktion zurück nach Europa verlagern. Damit wird sich das ALBVVG wohl nahtlos in die mutlose und uninspirierte Gesetzgebung des Bundesgesundheitsministeriums der letzten Jahre einreihen – einige innovative Ideen von Jens Spahn mal ausgenommen.

Das Gesundheitssystem, insbesondere der GKV-Finanzierung, bräuchte eine grundlegende Reform, da sind sich alle Beteiligten eigentlich einig. Denn es krankt an allen Ecken und Enden: Apothekensterben, Fachkräftemangel, Lieferengpässe, defizitäre Krankenhäuser, um nur einige der Baustellen zu nennen. Aber dieses heiße Eisen anzugehen und Doppelstrukturen und falsche Anreize zu beheben, traut sich keiner. Nach der Wahl ist schließlich vor der Wahl und die Gefahr, dass man bei einem großen Wumms irgendwen verärgert, ist natürlich groß. Stattdessen wird immer wieder Flickschusterei betrieben, wie aktuell beim ALBVVG. Auch dieses Gesetz wird Geld kosten, aber ob es nachhaltigen Nutzen bringt, darf bezweifelt werden.

Der Reflex auf knappe Kassen ist seit Jahrzehnten dann immer wieder ein neues Spargesetz. Das nächste wird kommen, spätestens nach der nächsten Bundestagswahl. So ein Gesetz bringt dann vielleicht auch kurzfristig Entlastung, aber mittel- und langfristig ganz andere Probleme, wie beispielsweise die Engpässe und den Exodus von Fachkräften. Um das System nachhaltig zu reformieren, ist aber überall einfach nur zu sparen genau der falsche Weg. Für einen grundlegenden Umbau des Gesundheitssystems, müsste zunächst investiert werden. Das heißt, es bräuchte erst mal wesentlich mehr Geld im System, an den richtigen Stellen. Damit dies geschieht, bedarf es aber Politikerinnen und Politiker, die nicht nur bis zum Ende der Legislaturperiode denken, sondern weiter, am besten noch über Parteigrenzen hinweg. Doch das ist nicht in Sicht. Stattdessen lässt man das bestehende System ausbluten, um kurzfristig ein paar Euro zu sparen. Dass es am Ende viel teurer werden wird, weil verloren gegangene Strukturen, wie eine flächendeckende Apothekenlandschaft, wieder aufgebaut werden müssen, sieht offenbar keiner. Warum auch? Die Wahrscheinlichkeit, dass dann jemand anders am Ruder ist und die Suppe auslöffeln darf, ist schließlich groß.

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