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(Zu) Späte Einsicht?

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

Vielleicht ist es Ironie des Schicksals, dass derzeit ausgerechnet Karl Lauterbach als Bundesgesundheitsminister amtiert. Lauterbach, der Gesundheitsökonom, der einstige Berater aus der zweiten Reihe, der seit einem Vierteljahrhundert an allen Reformen des Gesundheitswesens eigenen Angaben zufolge politisch mitarbeitete. Nun muss er hautnah miterleben und verantworten, dass der ökonomische Druck der letzten Jahrzehnte auf die Leistungserbringer offenbar zu groß gewesen ist: Kliniken stoßen an ihre personellen Belastungsgrenzen. Praxen und Apotheken schließen, weil in den Heilberufen immer weniger die Bereitschaft zur Selbstständigkeit besteht. Arzneimittellieferengpässe beherrschen den Alltag, nachdem sich auch die billigsten Anbieter aus den Märkten verabschieden mussten.

„Nach fest kommt ab“, lautet ein Spruch, den man gerne Menschen in den Mund legt, die vor allem mit ihren Händen arbeiten. Doch auch Akademikern wie Lauterbach sollte längst bewusst sein, dass die Kostendämpfungsinstrumente, die an Schreib­tischen geplant und in Hinterzimmern ausgehandelt wurden, einen ähnlichen Effekt erzielen wie überdrehte Schrauben. „Wir haben die Balance zwischen Medizin und Ökonomie längst verloren“, stellte der Minister in einem Interview mit der „Zeit“ kurz vor Heiligabend fest. Lauterbach erkennt die Probleme und will sie lösen. Doch kommt seine Einsicht in der Vorweihnachtszeit nicht zu spät, oder gerade noch rechtzeitig?

Was neben den Reformankündigungen mal wieder fehlt ist Wertschätzung, den Kliniken, Praxen oder Apotheken gegenüber, die seit Jahren gegen die Auswirkungen der Systemfehler ankämpfen. Als in den vergangenen Wochen unzählige Menschen, vor allem Kinder, mit schweren Atemwegserkrankungen in die Krankenhäuser kamen, wurde kurzfristig umdisponiert, Personal aus lukrativeren Tätigkeitsbereichen abgezogen, um die Patientinnen und Patienten adäquat behandeln zu können. Als Fiebersäfte und -zäpfchen knapp wurden, haben viele Apotheken begonnen, die benötigten Präparate selbst herzustellen, und das zunächst ohne konkrete Zusage, ob sie die Kosten erstattet bekommen oder nicht.

Diese Leistungsfähigkeit und Flexibilität des Versorgungssystems kann nur auf einer soliden finanziellen Grundlage funktio­nieren. Dafür wird einerseits mehr Geld im System benötigt, andererseits müssen Fehlanreize reduziert werden. Eine hochspezialisierte Medizin in Zentren muss neben der wohnortnahen Versorgung existieren können, innovative Arzneimittel neben etablierten Präparaten. Die Stellschrauben müssen also gelockert werden, damit Leistungs­erbringer wieder mehr Luft zum Atmen haben. Dass beispielsweise die Festbeträge für Antibiotika und Fiebersäfte ab Februar für drei Monate ausgesetzt werden sollen (s. S. 9), klingt zunächst vielversprechend. Doch wie soll sich ein Versorgungssystem innerhalb weniger Wochen erholen, das über Jahrzehnte hinweg in Grund und Boden gespart wurde? Vielmehr zeigt sich an diesen offenbar gut gemeinten Geschenken von den Krankenkassen, an welchen Stellen langfristige Reformen notwendig sind. Es bleibt somit zu hoffen, dass der vorweihnachtlichen Einsicht des Ministers in den nächsten Monaten auch weitsichtige Taten folgen.

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