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Arzneimittel und Therapie
Wenn Hirnblutungen unter Antikoagulation auftreten
Prothrombin-Komplex-Konzentrat und spezifische Antidote sind ähnlich wirksam und sicher
Zu den direkten oralen Anitkoagulanzien zählen die Thrombin-Hemmer Dabigatran (Pradaxa®) und die Faktor-Xa-Hemmer Apixaban (Eliquis®), Edoxaban (Lixiana®) sowie Rivaroxaban (Xarelto®). Von 1000 Patienten, die ein direktes orales Antikoagulans (DOAK) einnehmen, erleiden jährlich ein bis zwei eine Hirnblutung. Die Mortalität ist hoch und liegt nach 30 Tagen bei 35 bis 48%. Schon ein Hämatomvolumen von 60 ml kann zu schweren Hirnschäden oder Tod führen. Um das Risiko für Nachblutung und Volumenzunahme des Hämatoms zu senken, ist daher eine rasche Antagonisierung der Antikoagulation entscheidend [2].
Doch zum Zeitpunkt der Zulassung der DOAK fehlten spezifische Antidote, sodass bei lebensbedrohlichen Blutungen zunächst nur unspezifische Mittel blieben, wie gefrorenes Frischplasma oder am gängigsten Prothrombin-Komplex-Konzentrat (PPSB, engl. PCC, z. B. Octaplex®).
2015 wurde zuerst Idarucizumab (Praxbind®) als spezifisches Antidot für den Thrombin-Inhibitor Dabigatran zugelassen, ehe 2018 mit Andexanet alfa (Ondexxya®) ein Pendant für die Faktor-Xa-Inhibitoren Rivaroxaban und Apixaban folgte (s. Kasten „Gegenspieler direkter oraler Antikoagulanzien“). Die Kosten für die spezifische Antidot-Therapie sind hoch: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) kalkulierte 2019 für Andexanet alfa in der niedrigen Dosierung Arzneimittelkosten in Höhe von 19.040 Euro pro Patient und Jahr [3]. Prothrombin-Komplex-Konzentrate sind vergleichsweise günstiger.
Ist teurer automatisch besser?
Um die Frage zu beantworten, ob die teurere Antidotgabe besser ist als Prothrombin-Komplex-Konzentrate, wurden in einem systematischen Review 36 Studien mit insgesamt 1832 Patienten untersucht, bei denen eine Hirnblutung unter Einnahme eines direkten oralen Antikoagulans aufgetreten war. Über die Hälfte der Patienten (n = 967) war mit Prothrombin-Komplex-Konzentrat behandelt worden, während 525 Andexanet alfa und 340 Idarucizumab erhalten hatten. Die Antikoagulation konnte dadurch in 77% (PPSB), 75% (Andexanet alfa) beziehungsweise 82% (Idarucizumab) der Fälle erfolgreich aufgehoben werden. Durch die Therapie ließ sich die Gesamtmortalität auf 26% (PPSB), 24% (Andexanet alfa) und sogar 11% (Idarucizumab) senken. Ein thromboembolisches Ereignis trat in 8% (PPSB), 14% (Andexanet alfa) respektive 5% (Idarucizumab) der Fälle auf. Das überrascht nicht, schließlich gab es bei den Patienten ursächlich eine Indikation für ein direktes orales Antikoagulans. Zusammengefasst scheinen sowohl Sicherheitsprofil als auch Wirksamkeit der verschiedenen Ansätze zur Aufhebung der Gerinnung ähnlich zu sein. Auch eine Subanalyse von acht Studien, die retrospektiv Prothrombin-Komplex-Konzentrat und Andexanet alfa miteinander verglichen, konnte keine Unterschiede feststellen.
Gegenspieler direkter oraler Antikoagulanzien
Idarucizumab (Praxbind®) ist ein monoklonales Antikörperfragment. Es bildet mit dem Thrombin-Inhibitor Dabigatran hochaffin und rasch einen stabilen Komplex und neutralisiert spezifisch die antikoagulatorische Dabigatran-Wirkung.
Andexanet alfa (Ondexxya®) ist eine rekombinante Form des humanen Faktors Xa ohne enzymatische Xa-Wirkung. Es hebt die Wirkung von Faktor-Xa-Inhibitoren (Rivaroxaban, Apixaban) durch Bindung und Sequestrierung auf, wirkt also als kompetitives Substrat. Aufgrund fehlender Daten ist Andexanet alfa nicht als Antidot für Edoxaban zugelassen.
Prothrombin-Komplex-Konzentrat (PPSB, z. B. Octaplex®) ist ein Blutprodukt und enthält neben den vier Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren II (Prothrombin), VII (Prokonvertin), X (Stuart-Prower-Faktor) und IX (antihämophiler Faktor B) auch Protein C und S.
Vergleichsstudien fehlen
Allerdings mahnen die Autoren zur Vorsicht bei der Interpretation und weisen auf Schwächen der Metaanalyse hin, wie beispielsweise die große Heterogenität, fehlende Kontrollgruppen sowie den Einschluss kleiner Fall-Serien. Außerdem könnten schwere Fälle bevorzugt die teuren spezifischen Antidote erhalten haben. Es fehlen randomisierte Studien zu einem direkten Vergleich von spezifischen Antidoten und Prothrombin-Komplex-Konzentrat.
Ausblick
Für 2024 werden Ergebnisse der großen, randomisierten Studie ANNEXA-I mit etwa 900 Patienten erwartet [4]. Hier wird untersucht, ob die Gabe von Andexanet alfa einer Standardbehandlung überlegen ist, wenn Patienten unter einer Antikoagulation mit Apixaban, Rivaroxaban oder Edoxaban eine akute intrakranielle Blutung erleiden. Sie könnte dank zusätzlicher Daten wie Anti-Faktor-Xa-Aktivität auch handfeste Belege für den Nutzen von Andexanet alfa liefern. Bis dahin sollten Ärzte je nach Patient und Verfügbarkeit der Antidote individuell entscheiden, wann und wie sie die Wirkung eines direkten oralen Antikoagulans aufheben. Die nationale S2k-Leitlinie zur Behandlung von spontanen intrazerebralen Blutungen berücksichtigt die neuen Antidote bereits als offene Empfehlung. Dort heißt es, die Gabe von Idarucizumab und Andexanet alfa könne erwogen werden [5]. |
Literatur
[1] Chaudhary R et al. Evaluation of Direct Oral Anticoagulant Reversal Agentsin Intracranial Hemorrhage. JAMA Netw Open 2022;5(11):e2240145, doi: 10.1001/jamanetworkopen.2022.40145
[2] Gemeinsame Stellungnahme zur Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V von Andexanet alfa (akute schwere Blutungen). IQWiG Bericht Nr. 849, 28. November 2019
[3] Dossier zur Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V: Andexanet alfa. Modul 3A, S. 59, Stand: 1. September 2019, www.g-ba.de/downloads/92-975-3245/2019-09_01_Modul3A_Andexanet%20alfa.pdf
[4] Trial of Andexanet Alfa in ICH Patients Receiving an Oral FXa Inhibitor. NCT03661528, ClinicalTrials.gov, Abruf: 21. Dezember 2022
[5] Behandlung von spontanen intrazerebralen Blutungen. S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), AWMF-Registernummer: 030/002, Stand: April 2021
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