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Wirtschaftsbericht

Apotheken in Schieflage

Apothekenwirtschaftsbericht für 2022 mit Signalen des Umbruchs

Nach dem Ausnahmejahr 2021 weist der Apothekenwirtschaftsbericht für 2022 ein um 22,8% vermindertes Betriebsergebnis der Apotheken aus. Ein massiver Rückgang war zu erwarten, aber der Wirtschaftsbericht vermittelt weitere erschreckende Signale: eine neue Dynamik bei den Schließungen, einen Rückgang der Beschäftigung und eine erstaunliche Spreizung der Umsatzverteilung. Das alles zeigt einen Umbruch des Systems, der viele Apotheken in Schieflage bringt – und damit auf einen Weg abwärts. | Von Thomas Müller-Bohn

Claudia Korf, Geschäftsführerin Ökonomie der ABDA, und Dr. Eckart Bauer, Abteilungsleiter Wirtschaft und Soziales der ABDA, haben den Apothekenwirtschaftsbericht mit den Daten für 2022 am 25. April 2023 beim Wirtschaftsforum des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) vorgestellt. Dieser Beitrag verbindet ausgewählte Daten aus dem Bericht und ergänzende Analysen des Verfassers.

Apothekenzahl: neue Dynamik des Rückgangs

Der Rückgang der Apothekenzahl hat sich im Berichtsjahr 2022 stärker als je zuvor fortgesetzt. Die Apothekenzahl sank um den „Rekordwert“ von 393 auf 18.068 Apotheken. Im ersten Quartal 2023 reduzierte sich die Apothekenzahl um weitere 129 auf 17.939. Dies lässt eine weitere Verstärkung dieser Negativentwicklung befürchten, denn im ersten Quartal 2022 war die Apothekenzahl „nur“ um 99 gesunken. Die Erfahrung, dass die Apothekenzahl jährlich „mehr oder weniger“ um 300 abnimmt, gilt offenbar nicht mehr. Die Schließungswelle hat eine neue Dynamik angenommen. Seit 2022 sinkt die Apothekenzahl nicht nur linear, sondern die Abnahme verstärkt sich. Hier findet eine strukturelle und nicht nur eine quantitative Veränderung statt. Es ist kein Boden in Sicht, sondern die Entwicklung nimmt zu. Die neue Qualität des Problems zeigt sich besonders bei den Filialen, deren Zahl im Berichtsjahr um 30 sank, während im Jahr 2021 noch 100 Filialen mehr zu verzeichnen waren (s. Abb.1). Im Jahr 2022 wurden nur noch 142 Apotheken (Vorjahr: 164) in Filialverbünde übernommen. Dagegen schlossen 263 Haupt- oder Einzelapotheken (Vorjahr: 278) sowie 198 Filialen (Vorjahr: 91) und damit überproportional viele Filialen. Die Schließungswelle wirkt also massiv auf die Filialen. Die Übernahmen der Vergangenheit erweisen sich immer öfter als „Tod auf Raten“. Apotheken, die einzeln nicht mehr lebensfähig waren, liefen als Filialen noch mit, aber das hat ihre Probleme nur zeitweilig kaschiert. Dies alles offenbart Umbrüche in der Apothekenlandschaft.
 

Abb. 1: Veränderungen der Apothekenanzahl im Jahr 2022 Links stehen die Daten für alle öffentlichen Apotheken. Diese werden in der Mitte und rechts jeweils für Filialen und für Haupt- oder Einzelapotheken aufgegliedert [Landesapothekerkammern, ABDA].


Unverändert besteht der Trend, dass der Anteil der Apotheken in Filialstrukturen steigt. Von den 18.068 Apotheken am Jahresende 2022 waren 3352 Hauptapotheken von Filialverbünden. Von diesen hatten 2306 jeweils nur eine Filiale (Vorjahr: 2314), 731 jeweils zwei Filialen (Vorjahr: 724) und 315 jeweils drei Filialen (Vorjahr: 327). Damit waren 44,6% aller Apotheken Teil eines Filialverbundes (Vorjahr: 43,9%).

Apothekendichte im Westen wie 1975

Gegenüber dem Höchstwert des Jahres 2008 ist die Apothekenzahl bis Ende 2022 um 3534 bzw. um 16,4% gesunken und hat den niedrigsten Stand seit 1980 erreicht, wobei das andere Apothekensystem in der damaligen DDR zu bedenken ist. Mittlerweile ist die Apothekendichte im Westen mit 21,4 Apotheken pro 100.000 Einwohner geringer als im Osten mit 23,4. Beide Werte liegen weit unter dem EU-Durchschnitt von 32. Der Wert im Westen entspricht etwa der Apothekendichte von 1975. Damals bestanden dort 21,9 Apotheken pro 100.000 Einwohner.

Zahl der Beschäftigten in Apotheken sinkt

Anders als die Zahl der Apotheken steigt die Zahl der berufstätigen Apothekerinnen und Apotheker weiter an. Im Jahr 2022 wuchs sie um 834 auf 69.625 (s. Abb. 2). In den öffentlichen Apotheken als weitaus größtem Arbeitsbereich nahm ihre Zahl aber nur unterproportional um 176 auf 53.461 zu. Davon sind 39.481 Angestellte. Die Gesamtzahl der Beschäftigten mit Apothekenberufen (also ohne Boten, Büro- und Reinigungskräfte usw.) in öffentlichen Apotheken nahm leicht ab – um 441 auf 159.342 (s. Abb.3). Viele Jahre lang hatte diese Zahl trotz der sinkenden Apothekenzahl zugenommen, aber dieser Trend brach im Jahr 2020. Die Zahl der Beschäftigten in öffentlichen Apotheken sinkt, was als weiteres Zeichen für einen strukturellen Umbruch gewertet werden kann. Die steigende Zahl der Teilzeitkräfte unterstreicht dies.
 

Abb. 2: Tätigkeitsbereiche Die Abbildung zeigt, wie sich die berufstätigen Apothekerinnen und Apotheker im Jahr 2022 auf die Tätigkeitsbereiche verteilt haben [ABDA].

Abb. 3: Anzahl der Beschäftigten in öffentlichen Apotheken In den Jahren 2021 und 2022 sank die Zahl der Beschäftigten in öffentlichen Apotheken - bei Betrachtung aller Apothekenberufe. Außerdem ging die Beschäftigung in Apotheken durch einen höheren Anteil von Teilzeitkräften zurück. Die angegebenen Zahlen für pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte schließen Apothekenhelfer, -facharbeiter, -assistenten, Pharmazeutische Assistenten und PKA in Ausbildung ein. Die absoluten Zahlen beziehen sich jeweils auf alle Geschlechter, der Frauenanteil ist in der Tabelle angegeben [ABDA].

Mehr Absatz und mehr Umsatz

Entgegen dem bisherigen Trend nahm der Absatz von Arzneimitteln im Jahr 2022 um 9,1% auf 1.405 Millionen Packungen zu, wobei sich der Anteil der rezeptfreien Arzneimittel von 41,3% im Vorjahr auf 43,7% erhöhte (s. Abb.4). Als Erklärung liegt die außergewöhnlich starke Welle von Atemwegserkrankungen im Herbst 2022 und die damit verbundene Selbstmedikation nahe.
 

Abb. 4: Arzneimittelabsatz in Apotheken im Jahr 2022 Der Absatz von Arzneimitteln, also die Zahl der abgegebenen Packungen, stieg im Berichtsjahr, nachdem er zuvor jahrelang gesunken war. In der Abbildung wird das Ergänzungssortiment nicht berücksichtigt [ABDA, Insight Health]


Der Umsatz der Apotheken stieg entsprechend dem langjährigen Trend weiter. Der Nettowarenumsatz (also ohne Dienstleistungen) stieg um 7,2% auf 64,27 Milliarden Euro (s. Abb.5). Dabei blieb der Anteil der Rx-Arzneimittel mit 83,8% unverändert. Für dieses Gesamtbild dürfte die Kombination aus höheren Preisen für neue patentgeschützte Rx-Arzneimittel und stärkerem OTC-Geschäft ver­antwortlich sein.
 

Abb. 5: Struktur der Warenumsätze in Apotheken im Jahr 2022 Die Abbildung zeigt die Verteilung der Warenumsätze der Apotheken auf die Produktgruppen. Anders als in Abbildung 4 wird hier auch das Ergänzungssortiment erfasst. Die pandemiebedingten Sonderumsätze sind hier nicht enthalten [ABDA, Insight Health].

OTC: Vor Ort mehr Wachstum als im Versand

Die Zuwächse im OTC-Bereich waren bei den nicht verschreibungspflichtigen (apothekenpflichtigen und freiverkäuflichen) Arzneimitteln in Vor-Ort-Apotheken größer als bei den Versendern. Bei diesen Produkten nahm der Absatz vor Ort um 15,1%, im Versand um 11,7% gegenüber 2021 zu. Der Umsatz stieg vor Ort um 13,3% und im Versand um 10,5%, gemessen an tatsächlichen Verkaufspreisen. Daraufhin ergab sich für die Vor-Ort-Apotheken ein Marktanteil von 79,7% am Absatz und 79,3% am Umsatz (Quellen für die Daten der Vor-Ort-Apotheken und Versender: Insight Health und DatmedIQ). Demnach wurde das überproportionale pandemiebedingte Wachstum der Versender durchbrochen. Doch bleibt offen, ob damit eine nachhaltige Rückverschiebung zu den Apotheken vor Ort einsetzt oder ob das überwiegend aus dem akuten Bedarf während der Krankheitswelle im Herbst resultiert.

Dass diese Krankheitswelle außergewöhnlich war, zeigen mehrere Daten aus dem Apothekenwirtschaftsbericht. In der Saison 2022/23 gab es demnach 289.216 bestätigte Influenza-Infektionen, im vorherigen Winter nur 21.038. Im Dezember 2022 wurden 231 Arbeitsunfähigkeitsfälle pro 1000 Barmer-Versicherte mit Krankengeldanspruch gezählt, im Januar 2022 nur 144. In der 50. Kalenderwoche 2022 gab es bei Barmer-Versicherten über 240.000 Arbeitsunfähigkeitsdiagnosen mit akuten Atemwegserkrankungen, in der 50. Woche 2021 waren es etwas über 80.000 Fälle.

Weiterhin Sonderumsätze durch die Pandemie

Die Pandemie hat auch das Jahr 2022 erheblich beeinflusst. Die Apotheken haben weiterhin pandemiebedingte Sonderleistungen erbracht, allerdings deutlich weniger als 2021. Von Dezember 2020 bis April 2021 haben sie etwa 440 Millionen Schutzmasken abgegeben. Vom zweiten Quartal 2021 bis Ende 2022 haben sie etwa 130 Millionen Impf- und Genesenenzertifikate ausgestellt. Die Zahl war jedoch ab dem zweiten Quartal 2022 deutlich geringer als zuvor. Außerdem haben die Apotheken etwa 127 Millionen COVID-19-Impfdosen ausgeliefert. Auch diese Tätigkeit war im ersten Quartal 2022 deutlich intensiver als im Rest des Jahres. Die COVID-19-Impfungen in Apotheken begannen dagegen erst im vierten Quartal 2021 und nahmen zum Jahresende 2022 sogar zu (s. Abb. 6). Bis Ende 2022 wurden insgesamt etwa 306.000 COVID-19-Impfungen in Apotheken durchgeführt. Im März 2023 erfüllten etwa 1600 Apotheken die Voraussetzungen und boten diese Impfungen an. Außerdem boten 1200 Apotheken Grippeimpfungen an. In der Saison 2022/23 wurden 58.000 Personen in Apotheken gegen Influenza geimpft.
 

Abb. 6: Anzahl der COVID-19-Impfungen in Apo­theken Während andere pandemiebedingte Sonderleistungen in Apotheken 2022 weitgehend ausliefen, kamen die Impfungen erst 2022 in Gang. Bis Ende 2022 wurden etwa 306.000 COVID-19-Impfungen in Apotheken verabreicht. Die Abbildung zeigt die Verteilung auf die Quartale [Robert Koch-Institut, Deutscher Apothekerverband].


Die pandemiebedingten Sonderleistungen haben auch 2022 zu Sonderumsätzen geführt (s. Abb. 7). In der Tabelle sind die Bürgertestungen nicht verzeichnet, weil sie sich nicht genau zuordnen lassen. Nach Schätzungen der ABDA kamen für Bürgertestungen in Apotheken im Jahr 2021 etwa 500 Millionen Euro und 2022 etwa 300 Millionen Euro hinzu. Insgesamt hat das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) 17,5 Milliarden Euro für Testungen bezahlt. Die ABDA veranschlagt die Sonderumsätze der Apotheken mit dem BAS für 2021 auf 2,5 Milliarden Euro und für 2022 auf 600 Millionen Euro (s. Abb. 8). Der Gesamtumsatz der Apotheken inklusive Sonderumsätze erreichte im Jahr 2022 damit 64,87 Milliarden Euro, wobei die Sonderumsätze nur noch 0,9% ausmachten. Im Jahr 2021 waren es noch 62,48 Milliarden Euro mit einem Anteil der Sonderumsätze von 4,0%.
 

Abb. 7: Zahlungen des BAS an Apotheken Die Tabelle gibt an, wie viel das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) von 2020 bis 2022 für verschiedene pandemiebedingte Sonderleistungen an Apotheken gezahlt hat (Nettobeträge). Nicht erfasst sind die schwierig zuzuordnenden Bürgertestungen. Nach Schätzungen der ABDA haben Apotheken dafür im Jahr 2021 etwa 500 Millionen Euro und 2022 etwa 300 Millionen Euro erhalten [BAS, ABDA].

Die Tabelle zeigt die Nettoumsatzentwicklung für Rx-Arzneimittel, OTC-Arzneimittel und das Ergänzungssortiment in Apotheken von 2020 bis 2022 sowie die pandemiebedingten Sonderumsätze für Leistungen, die mit dem Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) abgerechnet wurden [ABDA, Insight Health, BAS]

Datensammlung zu Not- und Botendiensten

Daneben enthält der Wirtschaftsbericht einige Daten zu speziellen Leistungen der Apotheken. Demnach steigt die Zahl der Entlassrezepte seit ihrer Einführung, und dieser Trend ist ungebrochen. Im Jahr 2021 wurden 1,85 Millionen, 2022 bereits 2,19 Millionen Entlassrezepte in Apotheken eingelöst. Im Berichtsjahr 2022 leisteten die Apotheken durchschnittlich 21,3 Vollnotdienste pro Apotheke, 2017 waren es noch 20,8. Zu den Details präsentierte die ABDA einige Angaben aus ihrem Datenpanel. Demnach erbrachten die Landapotheken im Jahr 2021 durchschnittlich 35 Vollnotdienste pro Jahr. Dabei hatten sie deutlich weniger Patienten als die anderen Apotheken. In 89,3% der Notdienste an Werktagen in Landapotheken kamen 2021 nur bis zu 15 Patienten. In Stadtapotheken galt dies nur für 42,4% und in Umland-Apotheken für 70,1% der Dienste. Bei den Sonn- und Feiertagsdiensten war für Landapotheken der Besuch von 16 bis 35 Patienten mit 35,0% der häufigste Fall. Die Stadtapotheken hatten in 71,8% und die Umlandapotheken in 46,6% der Sonn- und Feiertagsdienste jeweils mehr als 50 Patienten. Die Verteilung der Häufigkeiten der Botendienste hat sich nach Angaben aus dem ABDA-Datenpanel 2022 gegenüber dem Vorjahr kaum verändert. Demnach bieten 42,3% der Apotheken mehrmals und 49,4% der Apotheken einmal täglich Botendienste an. Durchschnittlich fanden 218 Botendienste pro Monat und Apotheke statt. Im Jahr 2022 wurde das Sonderkennzeichen für Botendienste 29,22 Millionen Mal abgerechnet, im Vorjahr 29,92 Millionen Mal. Aus der Zusammenführung dieser Daten aus unterschiedlichen Quellen lässt sich die Schätzung ableiten, dass etwa 62% der Botendienste von der GKV vergütet werden.

Apotheken von der Wirtschaft abgekoppelt

Wie stets im Wirtschaftsbericht wurden auch Relationen des Apothekensystems zum Gesundheitswesen und zur Gesamtwirtschaft betrachtet. Die Aufwendungen der GKV für die Wertschöpfung der Apotheken, also ohne die Arzneimittel, betrugen im Berichtsjahr 5,76 Milliarden bei 288,86 Milliarden Euro Gesamtausgaben der GKV (s. Abb. 9). Im Vorjahr waren es 5,50 Milliarden Euro von 284,33 Milliarden Euro. Daraufhin wird ein Anstieg von 1,9% auf 2,0% der Gesamtausgaben ausgewiesen. Bei genauerer Rechnung ist es nur ein Anstieg von 1,93% auf 1,99%. Der absolute Betrag stieg um 4,7% und damit weniger als das Preisniveau. Im Jahr 2022 stieg der Verbraucherpreisindex um 6,9%. Im Dezember 2022 lag der Anstieg bei 8,1% im Vergleich zum Vorjahresmonat. Die Apothekenvergütung pro Rx-Packung in der GKV geht dagegen 2023 wegen des gestiegenen Kassenabschlags sogar zurück. Sie wird für 2023 von der ABDA mit 118,8% des Wertes von 2004 angegeben. Dagegen stiegen der Verbraucherpreisindex auf 145,7%, die Tariflöhne auf 152,3%, das Bruttoinlandsprodukt auf 181,0% und die GKV-Einnahmen auf 205,2% des Wertes von 2004 (Quellen: Bundesgesundheitsministerium, Destatis, Adexa, ABDA). Die Vergütung der Apotheken für Rx-Packungen ist damit weit hinter allen diesen Entwicklungen zurückgeblieben.
 

Abb. 9: Anteile an den GKV-Ausgaben Die Tabelle zeigt, wie sich die Gesamtausgaben der GKV 2021 und 2022 auf Krankenhäuser, Ärzte, Arzneimittel und Apotheken verteilt haben. Das Apothekenhonorar wird getrennt von den Ausgaben für die Arzneimittel ausgewiesen. Bei den Arzneimitteln werden nur Abgaben über öffentliche Apotheken erfasst (nach [Bundesministerium für Gesundheit, ABDA]).

Umsatzverteilung mit zweitem Gipfel

Dies alles hat sich auf die Wirtschaftsdaten der Apotheken im Berichtsjahr ausgewirkt. Im Jahr 2021 hatten insbesondere die pandemiebedingten Sonderleistungen zu höheren Umsätzen und vor allem zu höheren Betriebsergebnissen geführt, die den Apotheken von der Politik vorgehalten wurden. Doch es war absehbar, dass die Daten 2022 schlechter werden und eher deutlich machen, wie es den Apotheken wirklich geht. Denn die gestiegenen Warenumsätze führen wegen des Honorierungsschemas nicht zu höheren Roh­erträgen, und zugleich steigen Mühen und Kosten.
 

Abb. 10: Verteilung der Nettoumsätze der Apotheken im Jahr 2022 Die Häufigkeitsverteilung für die Nettoumsätze zeigt, wie viel Prozent der Apothekenbetriebsstätten zu den jeweiligen Umsatzgrößenklassen gehören. Beim Nettoumsatz wird jeweils das obere Ende der Klasse angegeben. Die „typischen“ Apotheken der häufigsten Umsatzgrößenklasse setzen zwischen 2,00 und 2,25 Millionen Euro um. Bei der Umsatzgrößenklasse von 3,00 bis 3,25 Millionen Euro, in der der Durchschnittsumsatz liegt, zeigt sich ein zweiter Gipfel der Verteilung, der jedoch nicht so hoch wie das erste Maximum ist. Bei den Umsatzgrößenklassen oberhalb von 5 Millionen Euro ist die Skala der Abszisse verzerrt. Dies suggeriert Anstiege der Häufigkeiten bei Nettoumsätzen zwischen 5 und 6 Millionen Euro sowie oberhalb von 10 Millionen Euro. Dort liegen jedoch keine weiteren Gipfel der Verteilung [ABDA, Treuhand Hannover].


Der durchschnittliche Nettoumsatz der Apotheken betrug 2022 gemäß Apothekenwirtschaftsbericht 3,225 Millionen Euro und damit 4,7% mehr als 2021 (s. Abb. 10). Wie seit Jahren dürfte der Anstieg zu einem großen Teil auf die steigenden Preise neuer patentgeschützter Arzneimittel zurückzuführen sein. Bei einem Rückgang der Apothekenzahl um 2,1% wirkt sich auch die Umverteilung auf die Durchschnittswerte aus. Angesichts der überwiegend absatzorientierten Honorierung der Apotheken ist der Umsatz schon lange kein Erfolgsmaßstab mehr und auch nur eingeschränkt als Maß für den Arbeitsaufwand geeignet. Die Verteilung der Absatzzahlen oder der Roherträge wäre aussagekräftiger. Doch in Ermangelung solcher Daten können sich Analysen zur Struktur der Apothekenlandschaft nur auf die Umsatzverteilung stützen – und das ist für 2022 durchaus ergiebig. 62,4% der Apotheken setzen weniger als den Durchschnittsbetrag um. Die meisten Apotheken sind also kleiner als die Durchschnittsapotheke. Die häufigste Umsatzgrößenklasse bilden die Apotheken mit einem Nettoumsatz zwischen 2,00 und 2,25 Millionen Euro. Als typisch betrachtet die ABDA eine Apotheke mit 2,05 Millionen Euro Nettoumsatz. Der Quotient aus durchschnittlichem und typischem Umsatz betrug im Jahr 2008 noch 1,32 und steigt seitdem, mit einem kleinen Rücksetzer im Jahr 2020. Von 2021 bis 2022 machte er einen großen Sprung von 1,52 auf 1,57. Die Schere zwischen den Apotheken geht demnach immer weiter auseinander, und das hat sich 2022 besonders verstärkt. Obwohl vermutlich eher kleine Apotheken schließen, gibt es mehr statt weniger kleinere Apotheken. Bemerkenswert ist auch ein zweiter Gipfel, der sich in der Umsatzverteilung für 2022 im Bereich des Umsatzdurchschnitts andeutet. Die Verteilung verschiebt sich nicht einfach nach rechts, sondern der Gipfelbereich verbreitert und spaltet sich. Das erste Maximum verschiebt sich sogar nach links, obwohl der Durchschnitt steigt. Diese erstaunlichen Befunde zusammen deutet der Verfasser so, dass viele typische Apotheken eher stagnieren oder sogar schrumpfen, während die größeren Apotheken umso mehr wachsen. Ab jetzt müssen wohl zwei Apothekentypen unterschieden werden, ein erster Gipfel in der Umsatzverteilung mit kleineren schrumpfenden Apotheken und ein zweiter Gipfel mit größeren wachsenden Apotheken. Dies erscheint auch betriebswirtschaftlich plausibel. Denn viele Apotheken reagieren auf die steigenden Kosten und den Personalmangel mit einer Fokussierung auf ihren Kern. Öffnungszeiten werden reduziert und arbeitsintensive Randsegmente aufgegeben. Daraus speist sich das Wachstum größerer Apotheken, die gerade deshalb ebenfalls vor Problemen stehen. Denn starkes Wachstum bringt viele Apotheken im Bereich des Durchschnittsumsatzes an die Sprungstellen ihrer Kostenfunktion. Sie müssen investieren, um das zusätzliche Geschäft abwickeln zu können – und dann dauert es lange, bis das Wachstum wieder rentabel ist.

Kostenbegrenzung wirksam

Da den pandemiebedingten Sonderleistungen großenteils kein Wareneinsatz gegenübersteht, war der Wareneinsatz 2021 auf 76,8% vom Nettoumsatz gesunken, nach 77,5% im Jahr 2020. Obwohl die Apotheken 2022 immer noch einige Sonderleistungen erbracht haben, knüpfte der Wareneinsatz an seine alte Entwicklung an und stieg 2022 kräftig auf den Rekordwert von 78,4% vom Nettoumsatz. Auch dies ist ein deutlicher Hinweis auf den größeren Anteil margenschwacher Hochpreiser. Die Personalkosten, die 2021 auf 9,7% vom Nettoumsatz gesunken waren, stiegen auf 10,3% und damit über den Wert von 2020 – da waren es 10,1%. Die sonstigen steuerlich abzugsfähigen Kosten sanken auf 6,7% vom Nettoumsatz, nach 7,0% im Vorjahr. Insgesamt sind die Kosten damit im Berichtsjahr um 0,3%punkte vom Nettoumsatz gestiegen. Angesichts der Inflation erscheint dies noch moderat. Das stärkt die These, dass viele Apotheken bereits massive Maßnahmen zur Kostenbegrenzung ergriffen haben. Doch in Verbindung mit dem erhöhten Wareneinsatz sank das Betriebsergebnis erheblich.

Massiver Ergebnisrückgang

Die Apotheken erzielten 2022 ein durchschnittliches Betriebsergebnis von 5,1% vom Nettoumsatz (s. Abb. 11). Das ist der weitaus niedrigste Wert in der Zeitreihe. Im Vorjahr waren es aufgrund der Sondereffekte noch 6,9%. Als absoluten Betrag für 2022 nennt die ABDA 162.890 Euro (s. Abb. 11), das sind 22,8% weniger als im Ausnahmejahr 2021 und 1,7% weniger als 2020. Korrigiert um den Verbraucherpreisindex ergibt dies 113.045 Euro in Preisen von 2002, dem Basisjahr für die Einführung des Kombimodells zur Honorierung von Rx-Arzneimitteln. Das Betriebsergebnis von 2022 entspricht damit in der Kaufkraft dem Ergebnis von 2015 und auch etwa dem von 2003, aber bei viel höheren Umsätzen, daraufhin größerem Geschäftsrisiko und weniger Apotheken.
 

Abb. 11: Absolute und umsatzbezogene Betriebsergebnisse der Apotheken von 2003 bis 2022 Die roten Säulen geben die steuerlichen Betriebsergebnisse durchschnittlicher Apothekenbetriebsstätten in Euro an (linke Skala). Die darin integrierten blauen Säulen zeigen diese steuerlichen Betriebsergebnisse in Prozent vom Nettoumsatz (rechte Skala). Die Zeitachse ist verzerrt. Von 2003 bis 2019 ist nur jedes zweite Jahr angegeben, ab 2019 jedes Jahr [ABDA, Treuhand Hannover]

Schwaches Ergebnis im GKV-Geschäft

Von dem Betriebsergebnis von 162.890 Euro sind nach Berechnungen der ABDA nur 84.470 Euro auf das Geschäft mit der GKV zurückzuführen. Der weitaus größte Abnehmer bringt den Apotheken demnach nur etwa die Hälfte ihres Gewinns. In einem weiteren Vortrag beim DAV-Wirtschaftsforum erklärte Dr. Frank Diener, Generalbevollmächtigter der Treuhand Hannover, die Umsätze mit der GKV würden mittlerweile bei einer packungsbezogenen Rechnung sogar zu einem Verlust führen, was insbesondere auf die wachsende Zahl der Hochpreiser zurückzuführen sei (siehe AZ 2023, Nr. 18).

Für weitergehende Analysen fehlen im Wirtschaftsbericht seit jeher wichtige Daten. Es gibt keine Angaben über die Größenverteilung von Filialen oder über Solitärapotheken, die ein großes Einzugsgebiet allein versorgen. Es fehlt eine Analyse zu den jeweils maßgeblichen Gründen für Schließungen, und vor allem fehlt eine Verteilung der Betriebs­ergebnisse. Das alles erschwert Vorhersagen, insbesondere zu den drohenden Schließungen.

Abwärtsprognose für 2023

Die Prognose, die Bauer im DAV-Wirtschaftsbericht für 2023 aufstellte, stützt sich besonders auf folgende Aspekte: In der Inflation erodiert der Festzuschlag. Der Rx-Absatz stagniert, wobei der Einfluss des E-Rezepts unklar sei. Die Einkaufskonditionen dürften sich wegen des Kostendrucks beim Großhandel verschlechtern. Die Lieferengpässe führen zu Mehrarbeit in den Apotheken. Die letzten pandemiebedingten Sondererlöse fallen weg. Bei den Personalkosten sei durch den Tarifabschluss eine durchschnittliche Mehrbelastung von 10.000 Euro pro Apotheke zu erwarten. Hinzu kämen 6000 Euro oder mehr Rohertragseinbuße durch den erhöhten Kassenabschlag. Durch weitere Apothekenschließungen verteile sich der Gewinn allerdings auf weniger Apotheken. Mögliche Maßnahmen der Politik, steigende Personalkosten als Folge der Inflation und steigende Lohnnebenkosten könnten zu weiteren Belastungen führen. Daraufhin rechnet die ABDA mit einem Rückgang des Betriebsergebnisses einer Durchschnittsapotheke um über 10.000 Euro und damit auf etwa 150.000 Euro, also etwa den Wert von 2019.

Konsequenz: Forderungen der ABDA

In dem von Korf präsentierten Teil zur Entwicklung der gesamten Apothekenlandschaft wurden für das laufende Jahr 180 Millionen Euro als zusätzliche Belastung bei den Personalkosten, 270 Millionen Euro als Steigerung der sonstigen Kosten bei 7% Inflation und 115 Millionen Euro als Belastung durch den erhöhten Kassenabschlag verzeichnet.

Da eine wesentliche Erhöhung des Rohertrags nicht zu erwarten ist, würde das nach Einschätzung des Verfassers einen noch stärkeren Rückgang des Betriebsergebnisses befürchten lassen, als Bauer ihn formuliert hat. Außerdem spricht die oben dargestellte Kostenentwicklung im Jahr 2022 dafür, dass die Apotheken die möglichen Maßnahmen zur Kostensenkung bereits gut ausgeschöpft haben. Die Kostensteigerungen im Jahr 2023 dürften daher stärker durchschlagen.

Mit Blick auf die Prognose für 2023 hat die ABDA ihre politischen Forderungen in den Wirtschaftsbericht aufgenommen. Aus wirtschaftlicher Sicht stehen die Forderungen nach einem Festzuschlag von 12 Euro statt 8,35 Euro, nach künftigen automatischen Anpassungen des Festzuschlags und nach Einführung einer festen Pauschale für jede Apotheke im Mittelpunkt.

Fazit und Ausblick

Die Analyse der Daten des Wirtschaftsberichts unterstreicht, wie dringend diese Forderungen sind. Eine Honorierung, die wesentlich auf einem unveränderten Festzuschlag beruht, führt bei Kostensteigerungen wie auf einer schiefen Ebene abwärts. Das war schon lange vorhersehbar. In den Zahlen für 2022 wird deutlich, dass dieses alte Problem nun zu grundlegenden strukturellen Verschiebungen führt. Dabei darf sich der Blick nicht nur auf die jüngsten Zahlen richten. Entscheidend sind die zeitlichen Entwicklungen und die Zusammenhänge. Die erstaunlichen Veränderungen in der Umsatzverteilung können als Zeichen für eine Spaltung der Apothekenlandschaft betrachtet werden. Offenbar befindet sich ein großer Teil der Apotheken in einer Abwärtsspirale, deren Ende nicht abzusehen ist. Damit ist das Apothekensystem in seinem Kern bedroht. Erstaunlicherweise sind die Kosten im Verhältnis zum Umsatz noch nicht dramatisch gestiegen, aber das dürfte das Ergebnis einer Schrumpfungsstrategie sein. Die Alternative wäre für viele ein noch schnelleres Ende aufgrund massiv steigender Kosten. Die jüngsten Schließungszahlen und die weiteren Belastungen lassen erwarten, dass dieser Fall 2023 häufiger wird. Andere Apotheken mit standort- und größenbedingten Vorteilen erzielen hingegen ihre Gewinne aus einem immer größeren Geschäft mit immer größerem Risiko. Doch ein Geschäft mit geringen Margen ist naturgemäß anfällig für Störungen und daher langfristig ebenfalls problematisch, zumal die Umverteilung nicht endlos wirkt. Vor allem kann ein Geschäftsmodell, das nur in Sonderlagen funktioniert, die flächendeckende Versorgung nicht sichern. |

Literatur

Bauer B, Korf C. Wirtschaftliche Daten zur Apotheke. Wirtschaftsforum des Deutschen Apothekerverbandes 2023 (DAV-Wirtschaftsforum), 25. April 2023, www.abda.de/fileadmin/user_upload/assets/Pressetermine/2023/DAV-WiFo-2023/Apothekenwirtschaftsbericht_2023_DAV_Wirtschaftsforum.pdf

Autor

Dr. Thomas Müller-Bohn, Apotheker und Dipl.-Kaufmann, DAZ-Redakteur

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