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Management
Öfter mal die Perspektive wechseln!
Kundenorientierung in der Apotheke
Beispiele verdeutlichen anschaulich und nachhaltig, worum es geht: Stellen wir uns also vor, ein Kunde betritt die Apotheke und sieht sich im Frei- und Sichtwahlbereich um. Offensichtlich sucht er etwas, er ist aber unsicher und traut sich wohl nicht, sich an einen der Apothekenmitarbeiter zu wenden. Ein Mitarbeiter fragt schließlich nach, ob er weiterhelfen könne. Doch es handelt sich um einen schweigsamen und zurückhaltenden Kunden, der wenig konkret antwortet. Der Apothekenmitarbeiter zieht sich zurück, der Kunde verlässt die Apotheke. Was ist hier schiefgelaufen?
Allgemeingültigkeit der eigenen Haltung hinterfragen
Der Apothekenmitarbeiter ist der Meinung, man dürfe nicht zu forsch agieren und solle den Kunden in Ruhe prüfen lassen, ob er nun eine Kaufentscheidung trifft oder nicht. Das jedoch ist seine Sicht der Dinge: Der Apothekenmitarbeiter tendiert als Kunde ebenfalls dazu, möglichst in Ruhe gelassen zu werden. „Wenn ich im Buchladen oder im Bekleidungsgeschäft vom Verkäufer ständig mit Fragen oder Empfehlungen gelöchert werde, nervt mich das gewaltig!“ Die Frage ist, ob diese Haltung auch in dem geschilderten Beispiel die angemessene Vorgehensweise ist. Wenn der Apothekenmitarbeiter es verstünde, den Kundentypus zu identifizieren und sich so in die Lage des schweigsamen und zurückhaltenden Kunden zu versetzen und die Perspektive zu wechseln, könnte er vielleicht doch noch einen Zugang zu ihm gewinnen. In diesem Fall wäre es nicht zielführend, sich zurückzuziehen, sondern opportun und sogar im Sinn des unsicheren Kunden, weiter nachzufragen: „Was konkret suchen Sie, bei der Lösung welchen Problems kann ich Sie unterstützen?“
Dabei geht es nicht um das berühmt-berüchtigte Einfühlungsvermögen, über das Apothekenmitarbeiter oft verfügen. Wenn eine Kundin aufgelöst und aufgebracht in die Apotheke stürmt, weil sie für ihr erkranktes Kind dringend ein Medikament benötigt, das in einer anderen Apotheke nicht vorrätig war, werden sich die meisten Apothekenmitarbeiter in die Gefühlswelt der Kundin einfühlen können. Sie wissen: Die aufgeregte Mutter hofft, in dieser Apotheke das Rezept sofort einlösen zu können und das Medikament rasch zu erhalten. Nein – in dem Falle des introvertierten Kunden ist die Herausforderung eine größere. Sie besteht darin, dass der Mitarbeiter die Fähigkeit haben muss, mitzudenken und das Verhalten des Kunden genau zu beobachten und zu analysieren. Vor allem benötigt er die Kompetenz, von seiner prinzipiellen Einstellung, Kunden nicht mit Fragen zu belästigen, abzurücken. Er darf nicht seine eigene Haltung zur allgemeingültigen erheben. Vielmehr sollte er fähig sein, sich in die Schuhe des Kunden zu stellen, um zu der Entscheidung zu gelangen, dass es in diesem Fall zum Nutzen des Kunden ist, ihm weitere Fragen zu stellen.
Den Perspektivenwechsel gezielt trainieren
Mit „Perspektivenwechsel“ ist mehr gemeint als das empathische Sich-Einfühlen in die Vorstellungswelt eines Kunden. Es geht um die grundlegende Bereitschaft und den Willen, von sich selbst abzusehen, eine Situation aus der Sicht eines anderen Menschen zu betrachten und dessen Perspektive einzunehmen. Das ist deswegen nicht leicht, weil nicht wenige Menschen in ihrer eigenen Welt verharren und die eigenen Maßstäbe unreflektiert auf andere übertragen, nach dem Motto: „Ich mag es nicht, im Geschäft von Verkäufern angequatscht und zugetextet zu werden, und das geht allen anderen ebenso!“
Der erste Schritt zur konstruktiven Verbesserung besteht in der Selbstreflexion und der Überlegung, wie man sich selbst im Kundenkontakt – wenn also der Apothekenleiter oder -mitarbeiter als Kunde unterwegs ist – verhält und inwiefern man dazu neigt, sein Verhalten auf die eigenen Kundengespräche zu transferieren. Klug ist es, wenn sich das Apothekenteam zusammensetzt, sich über selbst erlebte einschlägige Erlebnisse mit Kunden austauscht und die selbstkritische Frage diskutiert, ob die entsprechenden Kundenkontakte unter der Unfähigkeit gelitten haben, von den eigenen Haltungen abzusehen.
Zudem lässt sich der Perspektivenwechsel gezielt trainieren und üben, indem sich Apothekenleitung und Team absichtlich neuen und ungewöhnlichen Situationen aussetzen: Die Apothekenleitung liebt gegenständliche Kunst – und besucht die Ausstellung mit Kunstwerken der abstrakten Moderne. Der Mitarbeiter, der gern Goethe, Faust und Shakespeare liest, führt sich einen Thriller oder Krimi zu Gemüte. Der Beyoncé-Fan kauft sich eine Karte fürs Klassikkonzert. Ein Kollege, der männlichen Geschlechts ist, fragt sich, wie er eine Situation beurteilen würde, wäre er eine Frau. Und das CDU-Mitglied überlegt, welche Meinung es äußern würde, verträte es linke Positionen.
Umgekehrt funktionieren diese Tipps natürlich auch – aber nur, sofern die Beteiligten langen Atem mitbringen. Sich ein einziges Mal auf den Stuhl eines anderen Menschen zu setzen, genügt nicht. Es ist notwendig, sich permanent aktiv solchen Perspektivenwechseln auszusetzen und sich nach und nach dafür zu sensibilisieren, dass es neben der egozentrischen Haltung andere Blickwinkel gibt.
„Und wie würde Helmut Kohl das Projekt angehen?“
Eine weitere kreative Übung ist, sich bei der Beurteilung eines Sachverhalts oder einer Situation möglichst unterschiedliche Brillen aufzusetzen, um die Dinge bewusst anders wahrzunehmen. Dies kann personalisiert geschehen, etwa: „Wie würde Helmut Kohl das Projekt angehen? Oder wie Jogi Löw? Was würden Günther Jauch und Sahra Wagenknecht dazu sagen?“ Eine Alternative ist, sich zu fragen, wie ein Apothekenmitarbeiter Sachverhalt oder Situation mit – zum Beispiel – einer pragmatischen, finanziellen, ästhetischen oder technischen Wahrnehmungs- und Beurteilungsbrille einschätzen würde. Oder auch mit einer juristischen, sozialen, traditionellen oder fortschrittlichen Brille auf der Nase. Und was würde jemand dazu sagen, der zu den konservativen Bewahrern gehört und am liebsten alles beim Alten belassen möchte? Solch ein Mensch entwickelt naturgemäß eine gänzlich andere Sichtweise als derjenige, der als kreativer Innovator die Dinge jeden Tag von links auf rechts drehen und neu erfinden will.
Das Prinzip ist ähnlich: Entscheidend ist, dass die Apothekenleitung und das Team sich Möglichkeiten erarbeiten, die Situation aus wechselnden Blickwinkeln zu beurteilen. Denn so befreien sie sich Schritt für Schritt aus ihrer beschränkten und beschränkenden Standpunktverhaftetheit. Unser Mitarbeiter in dem Beispiel oben ist dann mit einiger Wahrscheinlichkeit eher in der Lage, die Unsicherheit des introvertierten Kunden zu erkennen und sich ohne egozentrische Vorbehalte mit Fragen an ihn zu wenden. |
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