Die Seite 3

Toxische Kombination

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

Auf Fehler folgen oftmals Strafen. Das will niemand gerne wahrhaben. Doch wer negative Konsequenzen fürchten muss, wird besonders darauf achten, Regeln einzuhalten. Das gilt vor allem dann, wenn es um Menschen­leben und/oder sehr viel Geld geht. Beides hat im Gesundheitswesen bekanntlich höchste Priorität. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Leistungserbringer tagtäglich mit Regeln und möglichen Konsequenzen bei Missachtung konfrontiert werden.

Für die Apotheken stellen Retaxierungen ein sehr großes Ärgernis dar. Retaxierungen zu verhindern oder zu bearbeiten frisst Ressourcen, Zeit und Geld. Besonders ärgerlich ist dabei, dass Apotheken vor allem aufgrund von Formfehlern retaxiert werden. Also dann, wenn weder der Krankenkasse ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist noch Patienten irgendwelche Nachteile erfahren haben. Thomas Rochell, Vorsitzender des Apothekerverbands Westfalen-Lippe, macht den Irrsinn anhand von sogenannten Dosierungs­retaxierungen deutlich (S. 58). Die Apotheken werden hierbei für eine versäumte Formalie des Arztes in Form eines Rezeptvermerks bestraft, obwohl der Patient alles bekommen hat, was er braucht bzw. was ärztlich verordnet war.

Die Krankenkassen schaffen es in solchen Fällen immer wieder, den Apotheken sowohl ihr Honorar als auch den Wareneinsatz vorzuenthalten. Ohne bezahlen zu müssen, werden ihre Versicherten trotzdem versorgt. Besonders perfide: Die Retaxierungen können die Kassen ganz einfach mit den künf­tigen Forderungen der Apotheken aufrechnen. Schriftwechsel und Streitfälle bleiben so eher die Seltenheit, und die Apotheken sind es, die ihrem Geld gewissermaßen hinterherrennen müssen.

Dass Retaxierungen für die Kranken­kassen inzwischen zu einem lukrativen Geschäftsmodell geworden sind, zeigt sich auch daran, dass Dienstleister beauftragt werden, die in ihrem Namen Rezepte auf jegliche Fehler überprüfen. Verbandsvorsitzender Rochell sieht dadurch zusätzlichen ökonomischen Druck aufseiten der Krankenkassen entstehen, der dazu führt, dass die Rate zweckwidriger Retaxierungen zunimmt. Irgendwie muss sich das System ja finanziell am Laufen halten.

Retaxierungen verschärfen somit das ungleiche Machtverhältnis zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern. Für die Politik und die Patienten laufen sie unter einem Deckmantel der sozialrechtlichen Legitimität. Niemand kontrolliert die Kranken­kassen dabei effektiv. Die Verweigerung von Zahlungen im Zusammenspiel mit künftigen Forderungen stellen aus Sicht der Apotheken toxische Kombi­nationen dar.

Damit das Versorgungssystem nicht weiter leidet, muss die Flut der Retaxierungen gebrochen werden – allein schon deshalb, weil die nächsten Jahre für die Apotheken im Hinblick auf den erhöhten Kassenabschlag und den immer größer werdenden Anteil von Hochpreisern zu einer ganz besonders großen Belastungsprobe werden.

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