Arzneimittel und Therapie

Orales Carbapenem so gut wie intravenöses?

Zweifel an Nichtunterlegenheit von Tebipenem bei schweren Harnwegsinfektionen

mab | Carbapeneme sind gängige Reserveantibiotika bei schweren Infektionen mit breitem Wirk­spektrum. Ein großes Manko: Die Applikation kann lediglich intravenös erfolgen. Kürzlich soll für Tebipenem – als erstem oral bio­verfügbarem Carbapenem – im Vergleich zu Ertapenem in einer Phase-III-Studie die Nichtunter­legenheit zu Erbepenem gezeigt worden sein, die FDA zweifelt.

Der Bedarf an neuen Antibiotika gegen multiresistente gram-negative Bakterien, die komplizierte Harnwegsinfektionen hervorrufen, ist groß. So sind in den USA bei jedem dritten ­hospitalisierten Patienten mit Harnwegsinfekt Fluorchinolon-resistente Enterobakterien und bei jedem fünften β-Lactamase-produzierende Enterobakterien nachzuweisen. Als Reserveantibiotika dienen in solchen Fällen häufig Carbapeneme wie Ertapenem. Sie wirken bakterizid, indem sie durch die Bindung an die Transpeptidase die Quervernetzung der bakteriellen Peptidoglykane verhindern, die für eine stabile Zellwand ­nötig ist. Alle bisher verfügbaren Carbapeneme können nur intravenös verabreicht werden.

Tebipenem versus Ertapenem

Nachdem das ­erste oral bioverfügbare Carbapenem-Prodrug Tebipenem-­pivoxil-hydrobromid (aktive Substanz: Tebipenem), das ein erweitertes Wirkspektrum gegen β-Lactamase-pro­du­zierende bzw. Fluorchinolon-resistente Stämme aufweist, in Tierversuchen vielversprechende Ergebnisse bei diversen schweren Infektionen gezeigt hatte, sollte kürzlich im Rahmen einer multizentrischen, doppelverblindeten Phase-III-Studie die Wirksamkeit und Sicherheit des Antibiotikums auch am Menschen untersucht werden.

An der Studie nahmen 1372 erwachsene hospitalisierte Patienten (Durchschnittsalter: 58,1 Jahre) teil, von denen 868 in der Intention-to-treat-Analyse ausgewertet wurden. Bei 51% war ein komplizierter Harnwegsinfekt diagnostiziert worden, bei den übrigen 49% eine Pyelonephritis. Mehr als 90% der nachgewiesenen Erreger waren Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae, Entero­bacter cloacae und Proteus mirabilis. 1 : 1-randomisiert bekamen die Teilnehmer über sieben bis zehn Tage (bei vorliegender Bakteriämie bis zu 14 Tage) entweder alle acht Stunden per oral 600 mg Tebipenem plus einmal täglich eine Placebo-Infusion, oder alle 24 Stunden 1 g intravenös verabreichtes Ertapenem plus dreimal täglich Placebo-Tabletten. Als Nicht­unterlegenheitsgrenze wurde eine maximale Differenz von 12,5% festgelegt. An Tag 19 (± 2 Tage) erfolgte ein mikrobiologischer Test. Und es scheint zu wirken: In der Tebibenem-Gruppe erreichten 58% (264 von 449) der Patienten den primären Endpunkt, der aus einer Kombination aus klinischer Heilung (vollständiges Verschwinden oder signifikante Verbesserung der Symptome) und mikrobiologischem Ansprechen (verringerte Erregerkonzentration auf < 103 Kolonie-bildende Einheiten/Milliliter im Urin und eine negative Blutkultur) bestand. In der Ertapenem-Gruppe waren es 62% (258 von 419) – die Nichtunterlegenheit von Tebipenem gegenüber Ertapenem soll somit ­gezeigt worden sein. Eine klinische ­Heilung wiesen 93% in der Tebipenem-Gruppe und 94% in der Ertapenem-Gruppe auf. Und auch die Nebenwirkungsrate fiel in beiden Be­hand­lungs­gruppen ähnlich hoch aus: Während in der Tebipenem-Gruppe 26% über Nebenwirkungen berichteten, waren es in der Kontrollgruppe 26%. Am häufigsten wurden leichter Durchfall und Kopfschmerzen ­genannt.

Einfluss auf den Darm?

Da Carbapeneme ein breites Wirkspektrum haben, beeinflussen sie ­relevant die Darmflora. In der Tebipenem-Gruppe konnten die Wissenschaftler jedoch kein erhöhtes Risiko für Clostridiodes-difficile-Infektionen oder eine erhöhte Darm-Besiedelung mit Carbapenem-resistenten Enterobakterien sehen. Wie sich Tebipenem generell auf die Darmmikrobiota auswirkt, wird in einer laufenden Studie untersucht (ClinicalTrials.gov, NCT04376554). Tebipenem ist bisher lediglich in Japan erhältlich. In den USA hat der Hersteller Spero Therapeutics eine Zulassung beantragt.

Andere Analyse, anderes Ergebnis

Vor Kurzem wurde jedoch bekannt, dass die FDA bei der Bewertung der Wirksamkeit von Tebipenem eine separate Analyse der mikrobiologischen Intention-to-treat-Population (micro-ITT) durchgeführt hat, die sich von der im Studienprotokoll festgelegten Analyse unterscheidet. Diese neue Analyse hatte zur Folge, dass sich die Zahl der auswertbaren Patienten verringerte. Infolgedessen ist die FDA der Meinung, dass die vorgegebene Nichtunterlegenheitsgrenze von -12,5% nicht erreicht wurde. Über einen möglichen Zulassungsantrag in Europa ist bisher nichts bekannt. |

 

Literatur

Eckburg P et al. Oral Tebipenem Pivoxil Hydrobromide in Complicated Urinary Tract Infection. NEJM 2022, doi: 10.1056/NEJMoa2105462

Geisslinger G, Menzel S, Gudermann T, Hinz B, Ruth P. Mutschler – Arzneimittelwirkungen. Pharmakologie Klinische Pharmakologie Toxikologie. 11. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2020

FDA identifies deficiencies in NDA for tebipenem HBr and ADAPT-PO trial. Informationen von Medthority, 5. Mai 2022

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