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Aus den Ländern
Viel erreicht, doch Herausforderungen bleiben
Nordrheins Kammerpräsident blickt zurück auf zwei Jahre Pandemie
Für einen Sonderweg hatte sich die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) in den letzten beiden Pandemiejahren entschieden: Die Delegiertenversammlungen fanden weiterhin als Präsenzveranstaltungen unter strengen Hygienebedingungen in großen Sälen statt. Das Konzept hat sich offenbar bewährt, zahlreiche Delegierte waren in Neuss vor Ort. Kammerpräsident Dr. Armin Hoffmann gab einen aktuellen Überblick über die Arbeit in der Kammer und den Apotheken. Die letzten beiden Pandemiejahre nutzte man in Nordrhein, um das Dienstleistungs- und Fortbildungsangebot weiterzuentwickeln. Den Kammermitgliedern bietet man inzwischen nahezu alle Informationen auf digitalen Kanälen an. Hoffmann sprach von einem „großen Erfolg“ gerade im Hinblick auf das Webinar-Angebot.
Pandemie, Hochwasser und Digitalisierung
Auch auf politischer Ebene lief der Informationsaustausch ununterbrochen. Mit den zuständigen Ministerien in Nordrhein-Westfalen finden persönliche Absprachen statt. Die Impfzentren, in denen sich zahlreiche Apothekerinnen und Apotheker engagieren, mussten administrativ abgewickelt und abgerechnet werden. Auch die Hochwasserkatastrophe 2021 im Westen Deutschlands beschäftigt die Apothekerkammer weiterhin. Die Apotheken an Rhein und Ruhr sieht die Kammer als „feste Säule“ in der pandemiebedingten Versorgung der Menschen. Dieses Bild herrsche bei der Politik und in der Bevölkerung, so der AKNR-Präsident. So seien die Apotheken ein fester Bestandteil beim Impfstellen-Netzwerk. COVID-19-Impfungen bieten die Apotheken seit Anfang 2022 an, im nächsten Herbst folgen die Grippeimpfungen. Die Pandemie habe gezeigt, so Hoffmann, welche Vorteile die wohnortnahen Apotheken mit ihrer sofortigen Verfügbarkeit und ihrem niederschwelligen Zugang bieten. Standespolitisch leitet man aus diesen Erfahrungen ab, dass man viele Sonderregelungen, wie Abgabefreiheiten bei geltenden Rabattverträgen sowie den Bürokratieabbau, verstetigt haben möchte. Kurz sprach Hoffmann auch die Organisationsanalyse der ABDA an. Insgesamt hält Nordrheins Kammerpräsident den eingeschlagenen Weg für „wichtig und richtig“. Zu konkreten Punkten, die im Rahmen einer bevorstehenden Strukturreform der ABDA vorgeschlagen wurden und bereits öffentlich bekannt sind, äußerte er sich nicht kritisch. Wie die DAZ schon mehrfach berichtet hat, sehen einige Vertreter der Mitgliedsorganisationen die Reduzierung der Entscheidungsgremien und die Stärkung des Hauptamts äußerst kritisch.
Was wird aus Sparplänen und Lieferdienst-Angeboten?
Als Schattenseiten wertet Hoffmann die klaffende Finanzlücke der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von rund 25 Milliarden Euro und die damit einhergehende Gefahr, dass durch Spargesetze die Leistungserbringer, also vor allem die Apotheken, stärker zur Kasse gebeten werden. Zu den aktuell laufenden rechtlichen Auseinandersetzungen der Apothekerkammer Nordrhein äußerte sich Hoffmann nicht detailliert. Nur so viel: „Wir sind gerade in einer Hochphase.“ Man führe derzeit über 30 Verfahren, z. B. gegen Anbieter von Plattformen und Lieferdiensten, „und es werden immer mehr“. Hoffmann kündigte an, den Delegierten in der nächsten Kammerversammlung einen Überblick zu geben. Auch zum aktuellen Stand der Novellierung der Approbationsordnung reagierte Hoffmann erst auf Nachfrage aus dem Auditorium. Er halte es für wichtig, dass man mit dem jetzt vorliegenden Kompromiss in Form des Positionspapiers an die Politik herantrete. Es folge ohnehin noch ein längerer Prozess, bei dem über alle Vorschläge noch mal intensiv gesprochen werden muss.
100.000 COVID-19-Impfungen in Apotheken
ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening, die gleichzeitig Nordrheins „Schwesterkammer“ Westfalen-Lippe vorsteht, war persönlich nach Neuss gereist, um zu den Delegierten zu sprechen. Sie lobte den Mut und das Engagement in Nordrhein, sich den Gefahren und Herausforderungen der Corona-Pandemie zu stellen. Overwiening beobachtete während der Pandemie, dass in der Apothekerschaft eine Art Schalter umgelegt wurde. Plötzlich war die Kreativität des Berufsstandes überall zum Greifen nah. Gerade als in den ersten Wochen nach Beginn der Corona-Krise die Desinfektionsmittel knapp wurden, begannen die öffentlichen Apotheken plötzlich wieder ins Bewusstsein von Politik und Gesellschaft zu geraten. Man realisierte, dass es allein bürokratische Hürden waren, weshalb Apotheken es viele Jahre verwehrt blieb, Desinfektionsmittel herzustellen, während das Vertrauen herrschte, die Großindustrie würde jederzeit und ununterbrochen liefern können.
Auch im Hinblick auf die seit Anfang des Jahres gestartete COVID-19-Impfkampagne in den Apotheken zeigt sich, „was wir leisten können“, so Overwiening. Mehr als 100.000 Impfungen wurden bereits realisiert.
Overwiening: Opferrolle tut nicht gut
Dagegen habe sich der Berufsstand bis unmittelbar vor der Pandemie in einer Art Schockzustand befunden. Damit meinte die ABDA-Präsidentin das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Arzneimittelpreisbindung im Jahr 2016 und das daraus resultierende politische Tauziehen um die Einführung eines Rx-Versandverbots als gesetzgeberische Reaktion. „Wir hatten ein Trauma. Wir waren angstbesessen und fürchteten die Katastrophe.“ Die Apothekerschaft adressierte damals die Ordnungspolitik nach dem Motto „Schützt uns!“ Das sei legitim gewesen, so Overwiening. „Doch wir haben auch erfahren, dass uns Weltuntergangsstimmung nicht weiterhilft.“ Im Gegenteil: Aus Sicht der ABDA-Präsidentin habe die Opferrolle dem Berufsstand nicht gutgetan. Die Große Koalition hakte Ende 2020 mit dem Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz den Versandhandelskonflikt aus ihrer Sicht ab und brachte gleichzeitig die honorierten, pharmazeutischen Dienstleistungen auf die Startbahn. Zum Fliegen kamen sie aber erst nach zähen Verhandlungen zwischen dem Deutschen Apothekerverband (DAV) und dem GKV-Spitzenverband und der Einleitung eines Schiedsverfahrens. Genau diese Richtung favorisiert die ABDA-Präsidentin: Die Apothekerschaft soll offensiv und sicher die eigene Zukunft gestalten. Gleichzeitig scheint ihr bewusst zu sein, dass mit dem Fremd- und Mehrbesitzverbot, mit allen rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Digitalisierung sowie mit der Honorarentwicklung sich bald wieder neue standespolitische Herausforderungen ergeben werden.
Mehrerträge dürfen nicht gestrichen werden
Hinzu komme die Gefahr durch massive Sparpläne aus dem Bundesgesundheitsministerium, wie bereits der bekanntgewordene, noch nicht abgestimmte Entwurf eines entsprechenden Gesetzes vor einigen Wochen durchblicken ließ. Ein persönliches Treffen mit Minister Karl Lauterbach habe es bisher noch nicht geben können, doch die erste Frage, die Overwiening ihm stellen möchte, verriet sie den Delegierten in Nordrhein: „Sind Sie die männliche Reinkarnation von Ulla Schmidt?“ Overwiening machte klar: „Verstecken müssen wir uns nicht im Hinblick auf die pandemiebedingten Mehrerträge!“ Für die zusätzlichen Leistungen müsse es zusätzliche Entlohnungen geben, und diese dürften den Apotheken nicht rückwirkend durch Spargesetze wieder gestrichen werden. Dafür sei die Branche jahrzehntelang abgekoppelt worden von den GKV-Ausgaben und der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – gerade, was das Lohnniveau angeht. „Wir müssen der Ampel-Koalition zeigen, dass man das System stabilisieren muss!“
Darüber hinaus berichtete Overwiening, dass man seit einiger Zeit den Schulterschluss mit der Ärzteschaft suche, um die Digitalisierung im Sinne der Patienten und Leistungserbringer vor Ort weiterzuentwickeln. Bislang herrschte bei den Ärzten die Ansicht, dass die Plattformökonomie das Problem der Apothekerschaft sei. Doch hier gebe es nun ein Umdenken. Selbstironisch kündigte die ABDA-Präsidentin an: „Wir sind die Dinosaurier vor Ort und gemeinsam werden wir das System verteidigen.“
Dienstleistungen: wichtige Tür steht einen Spalt breit offen
Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Rede waren die honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen: Am Freitag zuvor hatte die ABDA den schriftlichen Schiedsspruch empfangen und informierte daraufhin die Berufsöffentlichkeit, welche fünf Tätigkeiten unter welchen Voraussetzungen Apotheken zukünftig anbieten und durchführen dürfen. Die Freude und Erleichterung über das positive Votum der Schiedsstelle brachte Overwiening immer wieder zum Ausdruck. Jahrzehntelang hatte man die Dienstleistungen vorbereitet und bereits in regionalen Projekten testweise umgesetzt. Dass Medikationsanalysen und Patientenbetreuung Mehrwert schaffen und Lebensqualität erhöhen, davon war man im Berufsstand seit Langem überzeugt. Diese „apothekerliche Wirklichkeit“ galt es in den vergangenen Monaten in eine „politische Wirksamkeit“ umzuwandeln. Mit Erfolg: Overwiening sieht nun eine wichtige Tür einen Spalt breit offen stehen. Die Delegierten in Nordrhein versuchte sie nicht nur zu motivieren, sondern zu begeistern. Als einen „Quantensprung“ bezeichnete die ABDA-Präsidentin wiederholt den Umstand, dass die Apotheken selbsttätig den Bedarf bei Patienten erkennen und die Dienstleistung umgehend auslösen dürfen. Dass in vielen Apotheken akute Personalprobleme bestehen, dass für manche Dienstleistungen spezielle Qualifikationen vorhanden sein müssen und dass mitunter auch die Honorierung kritisiert wird, dafür zeigte Overwiening Verständnis. Von den Apotheken erwartet sie trotzdem, dass sie sich in diesem neuen Feld engagieren. Die Kollegenschaft habe doch schon während der Corona-Pandemie bewiesen, welche Kreativität und welchen unternehmerischen Geist im heilberuflichen Sinne sie hervorbringen können. Diese Einsatzfreude erwartet die ABDA-Präsidentin nun auch bei der Umsetzung der honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen.
ABDA-Strukturreform versus Transparenz
Bei den Delegierten sorgte dies für Beifall – immerhin gilt Nordrhein als eine der aktivsten Apothekerkammern im Hinblick auf die Etablierung und Umsetzung der AMTS-Schulungen – doch auch einer kritischen Nachfrage musste sich Gabriele Regina Overwiening stellen. Unmittelbar vorausgegangen war ihr relativ kurzer Exkurs zur anstehenden ABDA-Strukturreform. Die Präsidentin sprach von einer neuen agilen, resilienten sowie schnellen Spitze der Standesvertretung. Man müsse die ABDA zukunftsfähig machen. Entscheidungen müssten heutzutage anders getroffen werden. Unerschrocken solle man seine Kräfte bündeln. Und schließlich: „Unterstützen Sie mich auf diesem Weg.“ Ein Delegierter wollte daraufhin wissen, wie diese Vision zur Bekanntmachung der pharmazeutischen Dienstleistungen passt. Lange wurde das Thema in der Berufsöffentlichkeit seit Inkrafttreten des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes praktisch totgeschwiegen. Über die Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband drangen fast keine Informationen nach außen. In der Apothekerschaft wurde spekuliert, welche Dienstleistungen unter welchen Voraussetzungen zukünftig angeboten werden können. Erst nach Eingang des schriftlichen Schiedsspruches Ende vergangener Woche begann die ABDA über die eigenen Medien mit der Information der Kammern und Verbände. Direkt am darauffolgenden Dienstag fand eine mehrstündige Kickoff-Veranstaltung statt, bei der die ehrenamtlichen Vorstände sowie die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Mitgliedsorganisationen unterrichtet wurden. Zugleich bestand bereits seit Freitag die Ansage, dass alle Apothekerinnen und Apotheker bei Fragen ihre Kammern oder Verbände kontaktieren sollen. „Ist das so in Ihrem Sinne gelaufen, Frau Präsidentin?“, fragte der Delegierte. Overwiening versuchte zu erklären: Man hätte mit den Informationen zu keinem früheren Zeitpunkt nach draußen gehen können. Der GKV-Spitzenverband spielte während der Verhandlungen auf Zeit. Jegliche Diskussionen in den Kammern und Verbänden, von denen die Kassen erfahren, hätten das Verfahren torpedieren können. „Der Prozess lag nicht bei uns“, so Overwiening. Also musste man sich wenigstens darum mühen, die Deutungshoheit zu behalten. Unter anderen Voraussetzungen, so ließ die ABDA-Präsidentin schließlich durchblicken, hätte man womöglich anders entschieden. |
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