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Medizin

Hoffnungsschimmer beim Veitstanz

Krankheitsmodifizierende Therapieoption bei Chorea Huntington wird geprüft

Die Chorea Huntington, auch Huntington-Krankheit oder Morbus Huntington genannt und früher vor allem als Veitstanz bekannt, ist eine genetisch bedingte, chronisch fortschreitende Erkrankung, die bislang nicht heilbar ist. Allerdings gibt es neue Entwicklungen, die zumindest einen Hoffnungsschimmer hinsichtlich der Möglichkeit einer krankheitsmodifizierenden Therapie rechtfertigen. | Von Christine Vetter

Bei der Huntington-Krankheit handelt es sich um eine seltene Erkrankung, die auf einer Veränderung des Huntington-Gens auf dem vierten Chromosom beruht. Die Erkrankung tritt meist zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr auf, in seltenen Fällen kann sie sich jedoch auch in der Kindheit und ebenso im höheren Lebensalter manifestieren. Der Verlauf ist individuell unterschiedlich, die Erkrankung führt jedoch meist innerhalb von zehn bis 20 Jahren nach Krankheitsbeginn zum Tod des Patienten [1]. In Westeuropa sind etwa sieben bis zehn von 100.000 Menschen betroffen. Die Zahl der Erkrankten wird hierzulande auf etwa 8000 geschätzt [2]. Die Bezeichnung Chorea Huntington geht auf den griechischen Begriff „choreia“ für Tanz sowie auf den amerikanischen Arzt Georg Huntington zurück, der die Erkrankung 1872 als erblich bedingtes Krankheitsbild erstmals beschrieben hat. Die früher übliche Bezeichnung Veitstanz ist ebenso wie der Begriff Chorea durch die augenfälligen Bewegungsstörungen der Betroffenen bedingt.

Motorische Unruhe als Leitsymptom

Plötzlich einsetzende, unwillkürliche und überschießende Bewegungen, insbesondere der Extremitäten, des Rumpfs und des Kopfs, sind ein Charakteristikum der Huntington-Krankheit. Es kann dabei zu einem tänzelnden Gangbild kommen, was den früher gebräuchlichen Namen Veitstanz erklärt. Die unkontrollierten Bewegungen können in Ruhe auftreten, doch ebenso integriert in allgemeine Bewegungsabläufe, was den Eindruck einer übertriebenen Gestik machen kann [1]. Nicht selten sind im weiteren Verlauf der Erkrankung auch die Zungen- und Schlundmuskulatur betroffen, wodurch die Sprache abgehackt und unverständlich wirkt und Schluckstörungen auftreten können [1].

Die choreatischen Bewegungen sind jedoch nur ein Teil der vielgestaltigen Symptomatik der Huntington-Krankheit. So ist bei den Betroffenen üblicherweise zunächst eine Wesensveränderung, psychische Auffälligkeiten wie Depressionen sowie eine vermehrte Reizbarkeit und aggressives sowie enthemmtes Verhalten zu beobachten. Es fällt oftmals auch eine zunehmende Ängstlichkeit auf, und in aller Regel kommt es im weiteren Verlauf zum Nachlassen der geistigen Fähigkeiten bis hin zur Entwicklung einer Demenz [1].

Gewichtsverlust vermeiden

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Hochkalorische Lebensmittelhelfen an Chorea Huntington Erkrankten, ihr Gewicht zu halten. Gemüse und Vollkorn sollten trotzdem nicht zu kurz kommen.

Chorea-Huntington-Patienten haben durch Hyperkinesen sowie metabolische und endokrine Veränderungen einen bis zu dreimal höheren täglichen Kalorienbedarf als gesunde Vergleichspersonen. Da eine Gewichtsreduktion (mehr als 10% des Körpergewichts binnen drei Monaten) mit einer schlechten Prognose assoziiert ist, muss auf eine ausreichende Energiezufuhr geachtet werden. Fünf bis sechs Mahlzeiten pro Tag werden empfohlen. Eine vollwertige Kost mit Getreideprodukten als Basis, die durch reichlich Gemüse und Obst ergänzt wird, ist sicherlich nicht nur für Chorea-Huntington-Erkrankte zu empfehlen. Die Mahlzeiten sollten ohne Hektik ablaufen, aber nicht länger als eine dreiviertel Stunde dauern, da Essen den Kranken ermüden kann. Das Besteck sollte breite, gut greifbare Griffe haben und möglichst aus Kunststoff sein, der unkoordinierte Bewegungen aushält. Da von Chorea Huntington Betroffene oft lange für die Essensaufnahme benötigen, kann der Teller vorher angewärmt werden. Bei fortschreitendem Krankheits­geschehen fallen Schlucken und Kauen immer schwerer. Pürierte Nahrung, die appetitlich angerichtet ist, sowie weich gegartes Gemüse, dünne Fleischstreifen, voll­fetter Joghurt und Quark können meist noch gut verzehrt werden. Eine Schnabeltasse kann das Trinken erleichtern. Um Verschlucken zu vermeiden, sollten die Flüssigkeits-, Nahrungs- und Medikamenten­zufuhr in aufrechter Sitzposition erfolgen. Auf aus­reichend Flüssigkeit ist besonders zu achten, da Erkrankte oft ein vermindertes Durstgefühl aufweisen. Nimmt der Betroffene trotz aller Bemühungen an Gewicht ab, sollte Trinknahrung verwendet werden. Auch das Einrühren von Milchpulver oder Maltodextrin in püriertes Essen erhöht den Energiegehalt der Speise. Gemeinsame Mahlzeiten im Familien- oder Freundeskreis können sich positiv auf den Appetit auswirken. Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium, bei schwindender Kontrolle über die (Schluck-)Muskulatur, werden Füttern und letztlich eine Magensonde nötig [7].

Die CAG-Wiederholungen machen den Unterschied

Ursache der Chorea Huntington ist eine Veränderung des Huntington-Gens auf dem kurzen Arm des vierten Chromosoms, wobei die Nukleinsäuren Cytosin-Adenin-Guanin (CAG) in diesem Bereich normalerweise rund zehn- bis 35-mal wiederholt werden.

Bei Menschen mit einer Chorea Huntington ist der CAG-­Bereich auf 36 bis 100 Wiederholungen verlängert, wobei die Schwere der Erkrankung mit der Zahl der sogenannten CAG-Repeats korreliert: Je höher die Zahl der Wieder­holungen, umso früher manifestiert sich die Huntington-­Erkrankung und umso schwerer ist der Krankheitsverlauf. So tritt die Chorea Huntington bei mehr als 60 CAG-Wie­derholungen oft im Sinne einer sogenannten juvenilen Huntington-Krankheit schon vor dem 20. Lebensjahr auf. Bei weniger als 45 Wiederholungen erfolgt die Manifest­ation meist nach dem 60. Lebensjahr [2]. 30 bis 35 CAG-­Wiederholungen gelten als Graubereich der Erkrankung.

Das veränderte Gen wird als Huntington-Gen bezeichnet [2]. Die Wiederholungen bedingen eine vermehrte Bildung von Glutamin, dem sogenannten Polyglutamin. Dieses kann Verklumpungen bilden und zum Untergang von Neuronen im Gehirn führen. Das veränderte Gen wird üblicherweise mit den Erbanlagen weitergegeben. Allerdings sind auch Neumutationen möglich. So sind bei zwei bis fünf Prozent der Erkrankten keine weiteren Fälle im familiären Umfeld bekannt [2].

Ein Gentest kann Klarheit bringen

Menschen mit Huntington-Erkrankung, die autosomal-­dominant vererbt wird, besitzen in der Regel nur ein verändertes Allel. Sie sind somit auch Träger einer unveränderten Genkopie [3]. Da die Mutation nicht an Geschlechts­chromo­somen gebunden ist, erkranken Männer und Frauen in etwa gleich häufig. Die Nachkommen eines Genträgers haben eine rund 50%ige Erkrankungswahrscheinlichkeit. So wird ein Kind eines Mutationsträgers im Laufe seines Lebens an Huntington erkranken, wenn das jeweilige Elternteil die entsprechende Erbanlage an das Kind weitergibt. Wird hingegen das unveränderte Gen des Erkrankten an das Kind vererbt, so wird dieses nicht erkranken. Das eröffnet die Möglichkeit prädiktiver Testverfahren mit den damit zwangsläufig verbundenen ethischen Implikationen und der Notwendigkeit der Beratung durch einen Humangenetiker [3]. Die Verdachtsdiagnose eines Morbus Huntington ergibt sich bei entsprechender Symptomatik und das insbesondere, wenn bereits Krankheitsfälle bei den Eltern oder Geschwistern manifest sind. Neurologische und psychiatrische Untersuchungen sind zur Abklärung der Differenzialdiagnosen wichtig. Gesichert wird die Chorea Huntington dann jedoch durch den Nachweis des veränderten Gens im Rahmen einer molekulargenetischen Untersuchung. Diese sollte im Idealfall einem spezialisierten Huntington-Zentrum vorbehalten sein [1]. Die molekular­genetische Untersuchung darf allerdings nur nach einer ausführlichen Aufklärung und mit Einverständnis des Betroffenen durchgeführt werden [4].

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Bei Kinderwunsch oder Schwangerschaft sollten von Chorea Huntington Betroffene einen Humangenetiker aufsuchen und sich beraten lassen.

Unheilbar, aber symptomatisch therapierbar

Die Chorea Huntington ist bislang nicht heilbar. Die Therapie erfolgt primär symptomatisch, beispielsweise durch die Gabe von Antidepressiva bei Depressionen oder Neurolep­tika zur Linderung der Bewegungsstörungen. Die Behandlung ist somit der individuellen Symptomatik anzupassen, wobei auch eine gezielte Krankengymnastik zum Einsatz kommt sowie Ergotherapie und gegebenenfalls auch ein Sprechtraining [1]. Wichtig ist ferner eine Ernährungstherapie, da sich die Prognose der Patienten verschlechtert, wenn diese an Gewicht abnehmen.

Bislang ist entsprechend der 2017 erarbeiteten Leitlinie, die allerdings nur noch bis Ende Mai dieses Jahres gültig ist, auch die Evidenz für die symptomatische Therapie ­limitiert. Die Empfehlungen basieren vor allem auf offenen Studien, Kasuistiken und Expertenwissen [4].

Zur Behandlung der Hyperkinesen werden in der Leitlinie klassische Dopaminrezeptor-Antagonisten wie Tiaprid und Sulpirid empfohlen sowie sogenannte atypische Antipsychotika oder Dopamin-depletierende Substanzen wie Tetra­benazin. Aufgrund möglicher extrapyramidaler Nebenwirkungen wird dabei zu einem „sparsamen Einsatz und einer angemessenen Dosierung aller Substanzen“ geraten. Vor einer Behandlung der Hyperkinesen sollte zudem die Relevanz der Symptomlinderung für die Lebensqualität der Betroffenen individuell abgewogen werden [4].

Hinsichtlich der Therapie von Verhaltensstörungen und psychiatrischen Symptomen macht die Leitlinie trotz niedriger Evidenz ebenfalls konkrete Empfehlungen. Demnach sollten Depressionen mit einem selektiven Serotonin (5-Hydroxy­tryptamin, 5-HT)-Wiederaufnahme-Inhibitor behandelt werden sowie mit Venlafaxin, Mirtazapin oder Sulpirid. Bei Psychosen bieten sich therapeutisch Anti­psychotika an, bei Zwangssymptomen Antidepressiva mit überwiegender Hemmung der 5-HT-Aufnahme und Schlafstörungen können mit pflanzlichen Präparaten therapiert werden sowie mit Mirtazapin, Chloralhydrat oder einem Benzo­diazepin-Rezeptoragonisten. Bei Angststörungen empfehlen die Leitlinien einen selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitor und bei erhöhter Reizbarkeit Stimmungsstabili­sierer und gegebenenfalls Antipsychotika.

Suche nach krankheitsmodifizierenden Arzneistoffen

Intensiv gesucht wird in den pharmazeutischen Laboren nach Wirkstoffen, die das Fortschreiten der Erkrankung stoppen oder die zumindest eine krankheitsmodifizierende Wirkung besitzen. Hinweise auf solche Effekte gab es in kleinen Studien für Memantin sowie für Kreatin und Coenzym Q10, diese konnten jedoch in den weiterführenden Studien nicht bestätigt werden. Vielmehr mussten Studien aufgrund negativer Zwischenergebnisse abgebrochen werden [4]. Wie schwierig sich die Entwicklung effektiver Therapeutika bei der Huntington-Krankheit gestaltet, zeigt ein Blick in die Leitlinien. So konnte zum Beispiel der Wirkstoff Pridopidin in der europäischen Phase-III-Studie MermaiHD wie auch der amerikanischen Phase-II-Studie HART den primären Endpunkt, den Subscore TMS (Total Motor Score) der Unified Huntingtons Disease Rating Scale (UHDRS) nicht erreichen. Allerdings zeigte sich in beiden Studien ein signifikanter Effekt auf den Gesamt-Total-Motor-Score. Dieser konnte dann jedoch in einer dritten, global rekrutierenden Phase-II-Studie nicht bestätigt werden. Das Studienergebnis ist laut Leitlinie somit formal negativ, wenngleich ein positiver, stabilisierender Effekt von Pridopidin auf funktionelle Skalen nicht auszuschließen ist [4]. Es werden laut Leitlinie weitere Konzepte zur Entwicklung von Therapieoptionen verfolgt wie die tiefe Hirnstimulation und auch die Stammzelltherapie, wobei die Verfahren derzeit noch als experimentell anzusehen sind.

mRNA-Wirkstoff in klinischer Studienphase

Aktuell gründen sich Hoffnungen hinsichtlich der Verbes­serung der therapeutischen Möglichkeiten auf die Entwicklung des Wirkstoffs Branaplam, dem die US-Arzneimittel­behörde den Fast-Track-Status zugebilligt hat. Die Möglichkeit der beschleunigten Entwicklung und Prüfung des Wirkstoffs trägt dem hohen „medical need“ bei der Therapie des Morbus Huntington Rechnung.

Branaplam wird vom Hersteller Novartis auf Basis der mRNA-Technologie entwickelt. Nach ersten präklinischen und frühen klinischen Studien wurde nunmehr die Phase-IIb-Studie Vibrant-HD zur Sicherheit und Wirksamkeit von Branaplam bei Erwachsenen mit einer Chorea Huntington im Frühstadium gestartet [5].

Forschung und Betroffene zusammenbringen

Die therapeutischen Möglichkeiten der Huntington-Krankheit (Huntington Disease, HD) voranzutreiben, ist Ziel des europäischen HD-Netzwerks. Dieses versteht sich als Plattform für die Zusammenarbeit von Forschern wie auch von Huntington-Betroffenen und deren Angehörigen in Europa. Das Netzwerk koordiniert klinische Studien zu neuen Medikamenten und ermöglicht die Registrierung von Patienten in klinischen Beobachtungsstudien zur Verbesserung der Diagnostik und Therapie der Huntington-Erkrankung [6]. |
 

Literatur

[1] Was ist Huntington? Informationen der Deutschen Huntington-Hilfe e. V., www.dhh-ev.de/leben-mit-huntington/was-ist-huntington

[2] Huntington-Krankheit. Deutsche Huntington-Hilfe e. V., www.dhh-ev.de/ursachen-der-huntington-krankheit

[3] Chorea Huntington. Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften, www.drze.de/im-blickpunkt/prädiktive-genetische-testverfahren

[4] Saft C et al. Chorea/Morbus Huntington. S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), Stand: 2017, gültig bis 31. Mai 2022, www.awmf.org/uploads/tx_szleilinien/030028l_S2k_Chorea_Morbus_Huntinton_2017-12_1.pdf

[5] Novartis erhält Fast-Track-Status für Branaplam. Tamedia Finanz und Wirtschaft AG, www.fuw.ch/article/novartis-erhaelt-fast-track-status-fuer-branaplam/, Stand: 16. Dezember 2021

[6] Über die Huntington Krankheit. Europäisches HD-Netzwerk an der Uniklinik Ulm, www.euro-hd.net

[7] Brückner E. Der Huntington-Ratgeber. Eine Orientierungshilfe mit Ratschlägen für den Alltag. Deutsche Huntington Hilfe e. V., 2012:57-69, ISBN 978-3-9815038-0-7, unterstützt durch Barmer GEK

 

Autorin

Christine Vetter hat Biologie und Chemie studiert und arbeitet seit 1982 als Medizinjournalistin.

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