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Kongresse
Suizidale Menschen in der Apotheke
Was tun, wenn der Kunde nicht mehr leben will?
Bestimmte Lebensumstände erhöhen das Suizidrisiko – dazu zählen auch Krankheiten, z. B. Krebs und Depression. Das berichtete Prof. Dr. Barbara Schneider, Chefärztin der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen am akademischen Lehrkrankenhaus der Universität Köln. Hat das pharmazeutische Personal den Verdacht, ein Patient könnte des Lebens überdrüssig sein, ist es das A und O, auf die passende Ansprache zu achten, wenn man helfen möchte.
Hierzu hatte Schneider einige Tipps im Gepäck. Das Wichtigste vorweg: „Bleiben Sie authentisch!“ Schneider rät explizit davon ab, „zu sagen, was man in einem Buch gelesen hat“. Ein Beispiel für einen Gesprächseinstieg könnte der Ärztin zufolge sein: „Ich kenne Sie ja schon seit einiger Zeit als einen sympathischen und aufgeschlossenen Menschen. Aber jetzt mache ich mir ein wenig Sorgen um Sie. Hätten Sie vielleicht gerade Zeit für ein kurzes Gespräch?“ Letztlich muss aber jeder einen individuellen Weg finden, Zugang zum Gegenüber zu bekommen.
Ausgangspunkt könne etwa sein, sich zu fragen, wie es einem selbst in der jeweiligen Situation gehen würde. In jedem Fall sei es wichtig, die Probleme nicht zu bagatellisieren. Das sorge für einen Vertrauensverlust. „Nehmen Sie sie ernst, ohne zu werten“, empfiehlt Schneider.
Gelingt es, ins Gespräch zu kommen, gilt es laut Schneider folgende Fragen zu klären:
- Hatten Sie in letzter Zeit mal das Gefühl, dass Sie nicht mehr weiterleben möchten?
- Haben Sie in letzter Zeit mal daran gedacht, Ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen?
- Haben Sie Vorstellungen oder Pläne darüber, wie oder wann Sie sich das Leben nehmen würden?
- Haben Sie schon irgendwelche Vorbereitungen getroffen, etwa einen Abschiedsbrief geschrieben oder Suizidmittel besorgt?
Entwicklung der Suizidziffer in Deutschland
Die Zahl der Suizide in Deutschland (Suizidziffer) hat sich von 1980 bis 2020 etwa halbiert: Sie ist von rund 180.000 auf ungefähr 90.000 pro Jahr gesunken. Nach wie vor nehmen sich deutlich mehr Männer das Leben als Frauen (2020: gut 7000 Männer und knapp 2000 Frauen). Besonders oft trifft es Männer ab einem Alter von 75 Jahren – bei den 75- bis 79-Jährigen lag die Suizidrate nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2020 bei mehr als 30 pro 100.000 Einwohner. Je älter die Männer werden, desto gefährdeter sind sie: Die Suizidrate steigt mit zunehmendem Alter bis auf 80 pro 100.000 Einwohner bei den über 89-Jährigen. Zum Vergleich: Bei den Frauen in dieser Altersgruppe lag die Suizidziffer im Betrachtungszeitraum ungefähr bei 17.
Warnzeichen können der Psychiaterin zufolge neben einer konkreten Ankündigung und Vorbereitung einer suizidalen Handlung auch eine zunehmende gedankliche Einengung, Vernachlässigung der sozialen Kontakte, eine plötzliche Veränderung der Stimmung und eine unerwartet auftretende Ruhe nach Suizidäußerungen sein. Sieht jemand keinen Sinn mehr oder kündigt an, reinen Tisch machen zu wollen, sollten die Alarmglocken schrillen, ebenso wenn von verschiedenen Ärzten suizidtaugliche Mittel verschrieben werden.
Übrigens: Der Suizid mit Arzneimitteln liegt auf Platz drei der am häufigsten gewählten Wege, sich das Leben zu nehmen. Etwa 1000 Menschen wählten ihn im Jahr 2020 – und zwar ungefähr gleich viele Männer und Frauen. „In der Selbstmedikation spielt zum Beispiel Paracetamol noch immer eine große Rolle“, sagte Schneider. Auf Platz 1 rangiert das Erhängen (2020: knapp 3500 Männer und gut 700 Frauen), Platz 2 belegten sonstige Todesarten (400 Frauen und fast 900 Männer), zu denen aber auch der Gebrauch von Giftstoffen zählt, die in der Apotheke zu haben sind.
Suchen Sie das Gespräch!
Was kann das Apothekenpersonal konkret tun, wenn ein Kunde suizidale Absichten äußert? „Reden hilft“, betonte Schneider. „Schauen Sie nicht weg, bieten Sie Hilfe an.“ Wichtig sei es, einen verlässlichen Ansprechpartner für diesen Menschen zu organisieren, etwa eine Beratungsstelle, einen Arzt oder die Telefonseelsorge. Sind die suizidalen Absichten sehr akut, sodass die Person zum Beispiel nicht mehr garantieren kann, dass sie am nächsten Tag noch am Leben ist oder sie ihre Suizidgedanken nicht mehr kontrollieren kann, komme auch eine stationäre psychiatrische Behandlung in Betracht. „Begleiten Sie den Suizidalen in die nächste Einrichtung oder rufen Sie den Rettungswagen oder die Polizei.“ Allerdings, unterstrich Schneider, dürfe niemand dazu gezwungen werden, Hilfe anzunehmen.
Auch aus rechtlicher Sicht keine leichte Entscheidung
Eine ähnliche Meinung vertritt auch Prof. Dr. Helmut Frister, Rechtswissenschaftler an der Heinrich Heine Universität in Düsseldorf. Er befasst sich als Mitglied des Deutschen Ethikrats unter anderem mit dem Thema Patientenautonomie am Lebensende, äußerte in Meran aber ausdrücklich seine Ansichten als Privatperson und nicht die des Gremiums. Frister sieht einen grundlegenden Konflikt, wenn ein Heilberufler auf einen Menschen trifft, der nicht mehr leben und sich auch nicht mehr helfen lassen möchte. Denn (nicht nur) aus Sicht dieser Professionen gilt die Prämisse, dass es kein lebensunwertes Leben gibt. Doch in der Palliativmedizin zum Beispiel stelle sich manchmal die Frage, was Vorrang hat: Leben retten oder das Selbstbestimmungsrecht des Patienten?
Eine Verpflichtung zum Leben kann es Frister zufolge nicht geben. „Die Entscheidungsbefugnis der Betroffenen muss man respektieren“, meint er. Heilberufler könnten Hilfe anbieten, aber ein Zwang, diese anzunehmen, bestehe nicht. Wer nicht mehr leben möchte, habe zwar das Recht, andere um Unterstützung beim Suizid zu bitten – doch auch hier sei eine Pflicht, diesem Wunsch folge zu leisten, undenkbar, auch für bestimmte Berufsgruppen wie Ärzte und Apotheker.
Diese Überlegungen gelte es auch zu berücksichtigen, wenn es darum geht, dem assistierten Suizid einen gesetzlichen Rahmen zu geben. Drei Entwürfe von Gruppen von Bundestagsabgeordneten liegen aktuell auf dem Tisch, die Politiker ringen darum, eine Mehrheit für einen der Vorschläge zu finden. Frister hofft, dass das gelingen wird – „sonst endet es wie bei der Impfpflicht“. Diese ist bekanntlich gescheitert, weil die Abgeordneten in Berlin sich hinter keinem der vorgelegten Entwürfe versammeln konnten. Mindestens so dringend wie ein Gesetz zum assistierten Suizid braucht es aus Fristers Sicht jedoch Präventionsangebote. „Suizid ist immer das Resultat einer Notlage“, hob er hervor. „Wenn es möglich ist, müssen wir den Menschen helfen, sich aus dieser Notlage zu befreien.“ Dazu brauche es flächendeckende Hilfsangebote und einen Plan, wie sich Einsamkeit in unserer Gesellschaft bekämpfen lässt. |
Literaturtipp
Stefanie Pügge
Am Ende des Lebens
Rechtliche, medizinische und pharmazeutische Aspekte der Freitodbegleitung.
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