Palliativmedizin

Am Ende des Lebens

Rechtliche, medizinische und pharmazeutische Aspekte der Freitodbegleitung

Der Tod gehört zum Leben wie die Geburt. Doch während wir uns tagtäglich viele Gedanken darüber machen, was zu einem glücklichen und erfüllten Leben dazu gehört, beschäftigen wir uns eher ungern mit den Themen Tod und Sterben. Während in früheren Zeiten der Tod sehr viel präsenter war, scheint er heute in den Hintergrund gerückt. Die moderne Medizin macht es möglich: mit Medikamenten und Behandlungen leben wir heutzutage länger als unsere Vorfahren und können mit chronischen Erkrankungen noch viele Jahre mehr oder weniger gesund und zufriedenstellend leben. Gleichzeitig wird dadurch nicht nur das Leben verlängert, sondern auch der Prozess des Sterbens. Dies bietet uns dann auch mehr denn je die Möglichkeit, darüber nachzudenken, was für uns zu einem „guten Sterben” dazu gehört. | Von Stefanie Pügge

Und so individuell jeder Mensch sein Leben gestaltet oder sein Glück empfindet, so individuell sind auch die Vorstellungen über ein gutes Sterben. Es stellen sich Fragen zu „Wie und wo möchte ich sterben?” und vielleicht auch „Wann?” Letztendlich muss jeder dies für sich selbst beantworten und entsprechende Vorkehrungen treffen. Die Angehörigen und das Umfeld in die Überlegungen mit einzubeziehen oder sie zumindest darüber zu informieren, ist jedoch auch wichtig. Und es ist durchaus sinnvoll, sich rechtzeitig mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Denn das Bedürfnis, bis zum Lebensende selbstbestimmt zu handeln, bringt Verantwortung mit sich und erfordert einiges an Vorbereitung. Dazu gehören z. B. das Aufsetzen einer Patientenverfügung und einer Vorsorgevollmacht, solange eigene Bedürfnisse und Belange noch formuliert werden können (s. Kasten).

Definitionen

  • Patientenverfügung: Die schriftliche Patientenverfügung dient dazu, im Falle der Entscheidungsunfähigkeit in medizinischen Angelegenheiten vorsorglich zu bestimmen, dass festgelegte medizinische Maßnahmen durchzuführen oder zu unterlassen sind. So soll sichergestellt werden, dass der Patientenwille auch dann umgesetzt wird, wenn er in der aktuellen Situation nicht mehr geäußert werden kann [1].
  • Vorsorgevollmacht: Mit der Vorsorgevollmacht benennen Patienten eine Person, die stellvertretend für sie handeln kann, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, selbstständig über ihre Angelegenheiten zu entscheiden [2].

Regelungen in Deutschland

Der Gedanke an einen qualvollen Tod, ein Dahinsiechen und Dahinvegetieren, beschäftigt die meisten Menschen vermutlich früher oder später und macht Angst. Menschen mit schweren und lebenslimitierenden Erkrankungen, die unter ihrer Situation so sehr leiden, dass ihnen ihr Leben nicht mehr lebenswert erscheint, möchten selbst entscheiden, wann sie aus dieser Welt gehen. In diesem Zusammenhang kommt immer wieder das Thema der Sterbehilfe auf. Während der Begriff in der Alltagssprache oft etwas simplifiziert verwendet wird, verbergen sich dahinter verschiedene Aspekte, die sich medizinisch, juristisch und auch ethisch doch unterscheiden. Deshalb ist es wichtig, die Begrifflichkeiten zu klären, denn Sterbehilfe ist nicht gleich Sterbehilfe [3]:

  • Passive Sterbehilfe (Sterbenlassen): Verzicht auf lebenserhaltende oder -verlängernde Therapiemaßnahmen (z. B. künstliche Beatmung, Ernährung oder Arzneimittelgabe).
  • Aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen): Behandlungsunabhängiges Töten durch eine dritte Person auf das ausdrückliche Verlangen der Patienten.
  • Indirekte Sterbehilfe (Therapien am Lebensende): Gabe eines Arzneimittels zur palliativen Therapie mit möglicher Förderung des Todeseintritts.
  • Assistierter Suizid (Freitodbegleitung oder Beihilfe zur Selbsttötung): Aushändigung oder Verschreibung eines todbringenden Medikaments an den Patienten zur selbstständigen Beendigung des eigenen Lebens.
  • Suizid: durch eine Person selbst bewusst durchgeführte Selbstschädigung, die zum Tode führt.

Mit der sogenannten „passiven Sterbehilfe” ist das Zulassen des Sterbens gemeint, häufig auch als „Sterbenlassen” bezeichnet. Dies beinhaltet das Aussetzen lebenserhaltender Behandlungsmaßnahmen, wenn diese nicht mehr indiziert sind oder der Behandelte diesen nicht zustimmt. Damit wird nicht aktiv der Tod herbeigeführt, sondern dieser als Folge der unterlassenen Weiterbehandlung in Kauf genommen.

Davon zu unterscheiden ist die „indirekte Sterbehilfe”. Darunter lassen sich Maßnahmen zusammenfassen, die zur Leidenslinderung der Patienten, insbesondere bei starken Schmerzen, angezeigt sind. Mit Einwilligung des Patienten werden durch die Gabe lebensverkürzende Effekte bewusst in Kauf genommen, jedoch nicht aktiv mit dem Ziel des Tötens herbeigeführt. Demgegenüber steht die „aktive Sterbehilfe”, häufig auch als Tötung auf Verlangen bezeichnet. Dabei wird der Tod zwar auf Wunsch des Patienten, aber durch die Handlung eines Dritten mit dem primären Ziel der Tötung, durchgeführt. Die Tötung auf Verlangen ist in Deutschland verboten und stellt laut § 216 Strafgesetzbuch (StGB) eine Straftat dar [4].

Seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. Februar 2020 [5] ist der „assistierte Suizid“, auch Beihilfe zur Selbsttötung, Freitodbegleitung oder Suizidhilfe, wieder vermehrt in den Fokus gerückt. Bezeichnet wird damit die Aushändigung eines Arzneimittels an einen Patienten zum selbstständigen Beenden seines Lebens. So wie der Suizid, also die Selbsttötung durch eine bewusst durchgeführt selbstständige Handlung, in Deutschland nicht strafbar ist, gilt dies auch für den assistierten Suizid. Jedoch sah der § 217 im StGB eine Ausnahme vor, wodurch die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung als Straftat galt. Dies wurde im Februar 2020 vom Bundesverfassungsgericht gekippt und der Paragraf mit sofortiger Wirkung gestrichen. Mit Verweis auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) wurde dem Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben grundlegende Bedeutung beigemessen und der Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt. Eine Beschränkung auf bestimmte Alters- oder Personengruppen oder schwere und nicht heilbare Krankheitsverläufe gibt es dabei nicht [17]. Neben diesen gesetzlichen Vorgaben existierte aber der Satz „Ärzte dürfen keine Beihilfe zum Suizid leisten” in der Berufsordnung für Ärzte. Da dies im Widerspruch zum Gesetz stand, wurde der Satz im Mai 2021 von der Bundesärztekammer (BÄK) gestrichen. Gleichzeitig wurde jedoch in einer Stellungnahme der BÄK noch einmal deutlich gemacht, dass niemand verpflichtet ist, Suizidhilfe zu leisten und diese Aufgabe nicht zur Ausübung des ärztlichen Berufs gehört. Es handelt sich um eine individuelle Entscheidung des Einzelnen, ob dem Wunsch nach Beihilfe zum Suizid entsprochen wird und dies mit dem eigenen Gewissen und ärztlichem Selbstverständnis vereinbar ist. Ebenso ist auch das apothekerliche Handeln auf den Schutz und Erhalt von Leben und Gesundheit ausgerichtet und nicht auf die Beendigung. Dies wird deutlich in der Stellungnahme der Bundesapothekerkammer (BAK) an das Bundesgesundheitsministerium vom Juli 2020. Dort lehnt die BAK eine zukünftige Abgabeverpflichtung für Mittel zum Zwecke der Selbsttötung oder die Einbeziehung der Apotheke bei der Entscheidungsfindung eines Suizidwilligen ab und weist auf die Gewissensfreiheit des Einzelnen hin. Die BAK betont weiterhin den Versorgungsauftrag der Apotheker mit Arzneimitteln. Eine Abgabe der zur Diskussion stehenden Chemikalie Natrium-Pentobarbital als Mittel der Wahl (s. weiter unten) gehört nicht dazu, ist jedoch laut Apothekenbetriebsordnung zulässig. Somit ist eine Abgabe prinzipiell möglich, die Entscheidung liegt beim einzelnen Apothekenleiter bzw. der einzelnen Apothekenleiterin [18].

Regelungen in anderen europäischen Ländern

In anderen europäischen Ländern wie der Schweiz, Belgien oder den Niederlanden ist der assistierte Suizid bereits seit vielen Jahren zulässig. Der Begriff „in die Schweiz fahren” hat sich in diesem Kontext fast schon als feste Redewendung etabliert. Trotzdem ist es kein Freifahrtschein, denn auch in anderen Ländern ist die Rechtsprechung eng geregelt. Im Vordergrund sogenannter Sterbehilfeorganisationen wie z. B. Exit in der deutschsprachigen Schweiz stehen die Beratung und Aufklärung der Patienten. Es muss abgeklärt werden, ob der Todeswunsch selbstbestimmt, konstant und wohldurchdacht ist. Dafür ist es notwendig, dass die betroffene Person urteilsfähig ist, einen dauerhaften Sterbewunsch hegt und nicht aus einer vorübergehenden Lebens- und Sinnkrise heraus handelt, über bestehende Alternativen aufgeklärt ist, unabhängig von Dritten die Entscheidung trifft und den Suizid eigenhändig ausführt.

­Freitodbegleitung durch Exit

Die Sterbehilfeorganisation Exit stellt folgende Bedingungen für eine Freitodbegleitung [6]:

  • Urteilsfähigkeit: der Patient weiß, was er tut
  • Wohlerwogenheit: der Patient handelt nicht aus dem Affekt heraus und kennt mögliche Alternativen
  • Konstanz: Sterbewunsch ist dauerhaft
  • Autonomie: die Person ist von Dritten nicht be­einflusst
  • Tatherrschaft: der Suizid wird eigenhändig ausführt

In Artikel 115 des Schweizer Strafgesetzbuches ist geregelt: „wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmord verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft” [15]. Sterbehilfeorganisationen wie Exit oder Dignitas müssen also ausschließen, dass bei ihnen selbstsüchtige Motive vorliegen, z. B. auch finanzieller Natur. Entschädigungszahlungen müssen die Kosten decken, dürfen aber nicht höher sein als nötig, weshalb die Organisationen auf ehrenamtliche Helfer angewiesen sind.

In den Niederlanden gibt es seit 2002 das sogenannte Sterbehilfegesetz, das „Gesetz zur Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und Hilfe bei der Selbsttötung“ [7]. Prinzipiell stehen dort sowohl die aktive Sterbehilfe wie auch die Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe. Jedoch formuliert das Sterbehilfegesetz einen Strafausschließungsgrund für Ärztinnen und Ärzte und legt verschiedene Sorgfaltskriterien fest, die befolgt werden müssen, um eine Bestrafung abzuwenden. Dazu gehört unter anderem die fachgerechte Durchführung der Sterbehilfe sowie die Feststellung, ob der Entschluss zu Sterben auf freiem Willen beruht (Art. 293 und 294 des niederländischen StGB) [7].

Ähnlich ist die Rechtslage in Belgien. 2002 wurde dort das „Loi relative à l´euthanasie“ verabschiedet. In dem Gesetz, das 2014 auch auf Minderjährige ausgeweitet wurde, ist neben dem assistierten Suizid auch die aktive Sterbehilfe durch Ärzte straffrei gestellt [19]. Weiterhin werden durch einen später hinzugefügten Artikel auch Apothekerinnen und Apotheker vor einer strafrechtlichen Verfolgung geschützt, wenn die Abgabe des Arzneimittels zur Tötung auf eine ärztliche Verordnung erfolgt. Dies ist entscheidend, denn für die Abgabe, Anwendung und Verschreibung von Medikamenten zur Selbsttötung bzw. Tötung auf Verlangen (s. Tab.) bedarf es ebenfalls einer eindeutigen Rechtslage.

Tab.: Wirkstoffe, die in der Sterbehilfe eingesetzt werden (Auswahl [8]
Wirkstoff
Dosierung
Anmerkung
Natrium-Pento­barbital
15 g
Barbiturat, das früher in Deutschland als Schlaf- und Beruhigungsmittel genutzt wurde;
führt durch Atemdepression zur respiratorischen Azidose und hypovolämischen und kardiogenen Schock und damit zum Tode;
Mittel der Wahl für die Selbsttötung durch den Patienten selbst u. a. in der Schweiz, Österreich, den Niederlanden, Belgien
Secobarbital
15 g
Alternative zu Natrium-Pentobarbital
Thiopental
2 g
Anästhetika mit denen die Patienten in ein tiefes künstliches Koma versetzt werden, durch das sie gegebenenfalls bereits sterben;
zusätzlich wird anschließend in jedem Fall ein Muskelrelaxans verabreicht;
nur für die aktive Sterbehilfe z. B. in den Niederlanden oder Belgien
Propofol
1 g
Rocuronium
150 mg
Muskelrelaxanzien, die Patienten verabreicht werden, nachdem diese in ein künstliches Koma versetzt wurden;
führen durch Atemstillstand und Sauerstoffmangel zum Tod;
nur für die aktive Sterbehilfe z. B. in den Niederlanden oder Belgien
Atracurium
100 mg
Cisatra­curium
30 mg

Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes in Deutschland

In Deutschland geht es dabei um den Wirkstoff Natrium-Pentobarbital. Die Substanz ist in der Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz (BtMG) aufgeführt. Es handelt sich damit um ein verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel aus der Gruppe der Barbiturate. Früher wurde es häufig als Schlaf- und Beruhigungsmittel genutzt. Heute wird es aufgrund des Abhängigkeitspotenzials und der Gefahr des Atem- und Herzstillstands bei Überdosis sowie inzwischen verfügbarer besserer Alternativen in der Humanmedizin nicht mehr angewendet. Auch gibt es kein Fertigarzneimittel mehr auf dem Markt, lediglich das Pulver als Chemikalie ist erhältlich. Für den assistierten Suizid gilt es als das Mittel der Wahl, da die eigenständige orale Einnahme durch den Patienten – 15 g aufgelöst in Wasser – möglich ist. Innerhalb weniger Minuten schläft die betroffene Person ein und wird bewusstlos. Der Tod folgt in der Regel kurz darauf durch Lähmung des Atemzentrums und Atemstillstand. In den meisten Fällen passiert dies komplikationslos. Dafür muss darauf geachtet werden, dass die Dosierung eingehalten wird. Um ein Erbrechen zu vermeiden, das durch den stark bitteren Geschmack der Substanz ausgelöst werden kann, ist eine Einnahme von Metoclopramid als Antiemetikum ratsam. Auch eine Applikation über die Magensonde bei Schluckbeschwerden ist möglich. Dennoch wird immer wieder auch über Fälle berichtet, in denen die Wirkung nicht wie gewünscht einsetzt und der Tod erst nach einer bis zwei Stunden oder sogar später eintritt [21]. Grund dafür ist häufig eine unvollständige Einnahme, wenn die sedierende Wirkung schneller einsetzt oder erbrochen wird, aber auch individuelle Faktoren der einzelnen Patienten können eine Rolle spielen, z. B. bei der Resorption. Weiterhin gibt es einzelne Berichte über starke Schmerzen nach der Einnahme [20]. Besonders für die Angehörigen ist dies eine starke zusätzliche Belastung [8, 21]. In den Niederlanden muss beispielsweise ein Arzt bei der Durchführung des assistierten Suizids zugegen sein, um im Notfall eingreifen zu können und das Mittel intravenös zu geben. Dies fällt dann allerdings unter die aktive Sterbehilfe, die in Deutschland verboten ist und nicht zur Debatte steht [8]. Eine umfassende Aufklärung und Betreuung von Sterbenden und Angehörigen ist also bis zum Schluss sehr wichtig, damit es nicht doch zu Komplikationen kommt. Die Verschreibung von Natriumpentobarbital zur Herbeiführung des Todes ist hierzulande allerdings nur im tierärztlichen Bereich im Rahmen einer Einschläferung erlaubt. Humanmedizinisch dürfen Betäubungsmittel nur zum Zwecke der Behandlung und Therapie verschrieben werden. Dies ist eindeutig im BtMG verankert, wie der Kasten „Auszug aus den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes“ zeigt.

Auszug aus den Vorschriften des ­Betäubungsmittelgesetzes

§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG:

Einer Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte bedarf, wer

1. Betäubungsmittel anbauen, herstellen, mit ihnen Handel treiben, sie, ohne mit ihnen Handel zu treiben, einführen, ausführen, abgeben, veräußern, sonst in den Verkehr bringen, erwerben […] will.

§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG:

Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn […]

6. die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln oder die missbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist […].

Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln, Betäubungsmittelgesetz (BtMG) [16]

Zwar entschied das Bundesverfassungsgericht (BVG) in einem Urteil von 2017 [9], dass im Einzelfall einem schwerkranken und entscheidungsfähigen Patienten der Zugang zu einem Betäubungsmittel zu Selbsttötungszwecken nicht verwehrt werden darf, jedoch sind bisher alle eingegangenen Anträge von Patienten vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) durchgehend abgelehnt worden. Bei der Begründung beruft sich die Bundes­oberbehörde darauf, dass es nicht staatliche Aufgabe sein kann „Selbsttötungshandlungen durch die behördliche, verwaltungsaktmäßige Erteilung von Erlaubnissen zum Erwerb des konkreten Suizidmittels aktiv zu unterstützen”.

Patienten haben bereits gegen diese Entscheidung geklagt, verloren aber vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Köln, das zwar das Freiheitsrecht des Einzelnen anerkannte, ebenso aber auch die Suizidprävention als öffentliches Interesse sowie den Schutz des Lebens durch den Staat [10]. Es besteht also immer noch der Bedarf, eine eindeutige Rechtsgrundlage für die Anwendung, Verschreibung und Abgabe in Deutschland zu schaffen.

In Österreich trat am 1. Januar 2022 das „Sterbeverfügungsgesetz“ in Kraft, das auch die Rolle der Apotheker genauer beschreibt. Demnach ist es in Österreich nun mit einer notariell erstellten Sterbeverfügung möglich, dass Natrium-­Pentobarbital an schwerstkranke und sterbewillige Patienten abgegeben und sogar per Botendienst an diese verschickt wird. Im Gesetz wird aber auch betont, dass es sich um eine freiwillige Leistung der Apotheke handelt und niemand verpflichtet werden kann, das Medikament zur Selbsttötung abzugeben [11].

Ungeklärt bleibt jedoch weiterhin, was mit Arzneimitteln geschieht, die zwar abgegeben, von den Betroffenen dann aber nicht angewendet und entsorgt werden müssen. Inwieweit lässt sich dies kontrollieren, nachverfolgen und auch eine weitere Verwendung verhindern? Neben den noch offenen Gesetzeslücken gilt es also, die praktische Umsetzung der Rechtsprechung im Praxisalltag zu verankern. In den vergangenen Monaten wurden verschiedene Gesetzesentwürfe erarbeitet, die nun im Bundestag diskutiert werden sollen. Ziel ist es, bis Ende des Jahres eine konkrete Regelung festzulegen. Wird Sterbehilfe möglich bleiben oder wieder unter Strafe gestellt? Wie erfolgt die Beratung der Betroffenen und Angehörigen? Wird Sterbehilfe nur für erwachsene und schwerkranke Personen angeboten? Wer darf die entsprechenden Mittel verschreiben und abgeben und an wen? Die Diskussion ist und bleibt kontrovers und wird uns wohl noch einige Zeit beschäftigen [22].

Information zum Umgang mit Todeswünschen

  • Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V. (DGP) steht als wissenschaftliche Fachgesellschaft für die interdisziplinäre und multiprofessionelle Vernetzung mit dem Ziel, sterbenskranke Menschen und deren Angehörige bei der Linderung der Symptome und Verbesserung der Lebensqualität zu unterstützen: www.palliativmedizin.deSie stellt einen umfassenden Ratgeber „Zum Umgang mit dem Wunsch nach Suizidassistenz in der Hospizarbeit und Palliativversorgung“ zur Verfügung. Geben Sie in die Suchfunktion auf DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de den Webcode Q8YR7 ein und Sie gelangen direkt zum Ratgeber.
  • Im Kompetenzzentrum Palliativpharmazie engagieren sich Apothekerinnen und Apotheker: Es will ärztliches Personal, Pflegekräfte und Apothekerinnen und Apotheker unterstützen und entlasten und dient als zentrale Anlaufstelle für palliativmedizinische Arzneimittelinformationen, insbesondere zum Off-Label-Use. Es unterstützt alle Berufsgruppen in der Palliativmedizin bei Fragen rund um die Arzneimitteltherapie. Geleitet wird das Kompetenzzentrum Palliativpharmazie von Apothekerin Dr. Constanze Rémi, die seit vielen Jahren im Bereich der Palliativmedizin und Arzneimittelinformation tätig ist: www.klinikum.uni-muenchen.de/Klinik-und-Poliklinik-fuer-Palliativmedizin/de/arzneimittelinfo/index.html

Darüber hinaus bieten in Deutschland weitere Organisationen Information und Unterstützung zum Thema Sterbehilfe an:

  • der Verein Sterbehilfe engagiert sich zum Thema Selbstbestimmungsrecht am Lebensende und für selbstbestimmtes Sterben im eigenen Haus: www.sterbehilfe.de
  • die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) e. V. setzt sich für die Anerkennung und Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts jedes einwilligungsfähigen Erwachsenen bis zum Lebensende ein: www.dghs.de
  • Dignitas Deutschland e. V. engagiert sich dafür, dass Patientenverfügungen und die Rechte auf freie Selbstbestimmung einklagbar und durchsetzbar sind: www.dignitas.de

Im Mittelpunkt die Suizidprävention

Doch was bedeuten diese nüchtern dargestellten juristischen Definitionen für ein so hochsensibles Thema nun für den einzelnen Patienten und die Angehörigen? Wird es in Zukunft durch die Änderung der Gesetzeslage mehr Anfragen und Durchführungen zum assistierten Suizid geben? Und was bringt dies für Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte und auch Apothekerinnen und Apotheker mit sich, die mit diesen Wünschen konfrontiert sind? Die Haltung zur Sterbehilfe ist und bleibt ein kontroverses Thema, auch unter Medizinern, wie neuere Umfragen ergeben [12, 13]. Daten aus Oregon (USA) zeigen, dass der assistierte Suizid dort über die Jahre immer häufiger stattfindet [14]. Ganz allgemein müssen Suizidwünsche und suizidale Gedanken immer ernst genommen und den Betroffenen würdevoll begegnet werden. Die Ausprägung und Intensität der Todeswünsche können je nach Situation sehr unterschiedlich sein sowie vielfältige Ursachen haben. Im Vordergrund sollte deshalb immer die Suizidprävention stehen, sowohl bei allen psychischen Erkrankungen, die ein erhöhtes Risiko für Suizidalität darstellen und den Großteil der vollzogenen Suizide ausmachen, wie auch bei anderen Risikofaktoren, z. B. bei Menschen mit fortgeschrittenen und lebenslimitierenden Erkrankungen. Häufig wird die Palliativversorgung als Stelle für Sterbehilfe angesehen und aufgesucht. Therapieziel dort ist aber vor allem die Linderung von Beschwerden und Symptomen der schwerkranken Patienten. Dadurch wird eine Verbesserung der Lebensqualität und der Krankheitssituation für den Einzelnen und auch die Angehörigen in der letzten Lebensphase erreicht, die von Tagen über Wochen bis Monate und sogar Jahre andauern kann. Die Hintergründe eines Todeswunsches sind immer individuell und bedürfen der genauen Abklärung. Häufig entstehen sie durch einen akuten Leidensdruck und die Angst, anderen eine Belastung zu sein, die Kontrolle und Autonomie über das Leben sowie die eigene Würde zu verlieren. Können belastende Symptome wie starke Schmerzen, Atemnot oder Fatigue gut behandelt und eine angemessene Versorgung im häuslichen Umfeld oder auch in einer entsprechenden Einrichtung gesichert werden, verbessert sich die Lebenssituation für schwerkranke Menschen erheblich. Der Sterbewunsch tritt in den Hintergrund, wenn das Leben wieder als lebenswert erachtet wird und die Zeit, die verbleibt, mehr gelebt werden kann. Bei aller Debatte um ein selbstbestimmtes Sterben und die zweifellos dringend notwendige Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland, sollten wir deshalb immer die Suizidprävention in den Fokus rücken sowie für die Linderung belastender Beschwerden schwerkranker Patienten den Zugang zu einer palliativen Versorgung ermöglichen. Wenn auch nicht alle, so können doch einige Todeswünsche wieder in den Hintergrund treten und es kann in vielen Fällen sogar den Patientinnen und Patienten noch mehr wertvolle Lebenszeit geschenkt werden. |

 

Literatur

[1] Patientenverfügung. Informationen des Bundesministeriums für Gesundheit. Stand 2021, www.bundesgesundheitsministerium.de/patientenverfuegung.html

[2] Vorsorgevollmacht. Informationen der AOK Baden-Württemberg, www.aok.de/pk/uni/inhalt/vorsorgevollmacht/

[3] Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende. Stellungnahme des Nationalen Ethikrats, Stand: Juli 2006, www.ethikrat.org/publikationen/publikationsdetail/?tx_wwt3shop_detail%5Bproduct%5D=47&tx_wwt3shop_detail%5Baction%5D=index&tx_wwt3shop_detail%5Bcontroller%5D=Products&cHash=d1bc97704211795efbb8988f2b213f31

[4] Zum Umgang mit dem Wunsch nach Suizidassistenz in der Hospizarbeit und Palliativversorgung. Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin e.V. (DGP)., Stand: 2021

[5] Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verfassungswidrig. Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 12/2020 vom 26. Februar 2020, Urteil vom 26. Februar 2020, BvR 2347/15, 2 BvR 2527/16, 2 BvR 2354/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 1261/16, 2 BvR 651/16

[6] Selbstbestimmt bis ans Lebensende. Exit, Deutsche Schweiz 2021, www.exit.ch

[7] Lebensbeendigung auf Verlangen und Beihilfe zur Selbsttötung. Gesetz vom 12. April 2001 über die Prüfung der Tötung auf Verlangen und der Beihilfe zur Selbsttötung und Änderung des Strafgesetzbuches und des Feuerbestattungsgesetzes (Gesetz über die Prüfung der Tötung auf Verlangen und die Beihilfe zur Selbsttötung). Strafgesetzbuch der Niederlande, Stand: 19. März 2020, https://wetten.overheid.nl/BWBR0012410/2020-03-19

[8] Guidelines for the Practice of Euthanasia and Physician-Assisted Suicide. Stand: August 2012, Royal Dutch Medical Association (Koninklijke Nederlandsche Maatschappij tot bevordering der Geneeskunst, KNMG), Royal Dutch Pharmacists Association (Koninklijke Nederlandse Maatschappij ter bevordering der Pharmacie, KNMP)

[9] Sucker-Sket K. Recht auf Suizid-BtM im „extremen Einzelfall“. DAZ online vom 3. März 2017, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2017/03/03/recht-auf-suizid-btm-im-extremen-einzelfall

[10] Kein Zugang zum Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Justizportal Nordrhein-Westfalen, Stand: 2. Februar 2022, www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/07_220202/index.php

[11] Sterbeverfügungsgesetz. Verband Angestellter Apotheker Österreichs (VAAÖ); Stand: 2022, https://vaaoe.at/2022sterbeverfg/

[12] Beine KH. Praxis der Sterbehilfe durch Ärzte und Pflegekräfte in deutschen Krankenhäusern. Deutsche Medizinische Wochenschrift (DMW) 2020;145(22):e123-e129

[13] Schildmann J, Junghanss C, Oldenburg M, Schuler U, Trümper L, Wörmann B et al. Role and responsibility of oncologists in assisted suicide. Practice and views among members of the German Society of Haematology and Medical Oncology. ESMO Open 2021;6(6):100329

[14] Death with Dignity Act 2021, Data Summary. Division OPH. Oregon Health Authority, www.oregon.gov/oha/ph/providerpartnerresources/evaluationresearch/deathwithdignityact/pages/ar-index.aspx

[15] Tötung / Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord. Art. 115 1 StGB (Schweizerisches Strafgesetzbuch) 2020, www.swissrights.ch/gesetz/Artikel-115-StGB-2020-DE.php

[16] Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln. Betäubungsmittelgesetz (BtMG), Stand: November 2021 www.gesetze-im-internet.de/btmg_1981/BJNR106810981.html

[17] Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung. zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1546)

[18] Arzneimittel zur Suizidassistenz – Position der BAK. Mitteilung der Bundeapothekerkammer (BAK) vom 6. Juli 2020, www.abda.de/aktuelles-und-presse/newsroom/detail/arzneimittel-zur-suizidassistenz-position-der-bak/

[19] Loi rélative à l‘euthanasie, (28 Fevrier 2014. — Loi modifiant la loi du 28 Mai 2002 relative à l’euthanasie, en vue d’étendre l’euthanasie aux mineurs)

[20] Raupp J. Qualvolle Sterbehilfe? „Ich brenne“. Süddeutsche Zeitung. 2010

[21] Bosshard G, Ulrich E, Bär W. 748 cases of suicide assisted by a Swiss right-to-die organisation. Swiss Medical Weekly 2003;133:310 -317

[22] Sachliche Orientierungsdebatte über Reform der Sterbehilfe. Textarchiv des Deutschen Bundestages vom 18. Mai 2022, www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw20-de-vereinbarte-debatte-sterbehilfe-894644

Autorin

Apothekerin Stefanie Pügge, Pharmaziestudium an der TU Braunschweig, seit Januar 2021 im Kompetenz­zentrum Palliativpharmazie am Klinikum der Ludwig-Maximilians-­Universität München angestellt, Fachapothekerin für klinische Pharmazie

Schwerpunkt: Off-Label-Einsatz von Arzneimitteln in der Palliativmedizin

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