Management

(Fach-)Sprache verbindet

Alltag einer Apothekerin beim Unterricht ausländischer Kolleginnen und Kollegen

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Fachlich seien die Kolleginnen und Kollegen sehr gut, die hierher kommen, um in den Apotheken zu arbeiten, meint Apothekerin und Sprachtrainerin Regina Tischtau. Nicht wenige haben das Pharmaziestu­dium bereits in einer Fremdsprache, wie Englisch oder Französisch, absolviert. Doch Deutsch als Fremd- und Fachsprache sei „nicht ganz so einfach“. Wie sie gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland sprachliche und kulturelle Hürden meistert, hat Regina Tischtau für uns protokolliert.
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Apothekerin Regina Tischtau meint: „Deutsch als Fremdsprache ist nicht ganz so einfach.“ Tischtau ist auch als Trainerin und Dozentin für pharmazeutische Fachsprache und Kommunikation für Nicht-Muttersprachler im Beruf tätig.

„Ich möchte mich sehr über meine Kopfschmerzen beschweren!“ Ich muss ein bisschen schmunzeln während des Rollenspiels, das zwei meiner Schülerinnen im Unterricht durchspielen. Grammatikalisch einwandfrei, denke ich, und Recht haben sie ja in gewisser Hinsicht auch – über körperliche Beschwerden möchte man sich ja am liebsten auch einmal beschweren. Wir gehen es gemeinsam durch: die Beschwerde, die Beschwerden, körperliche Beschwerden, sich beschweren.

Weiter im Rollenspiel: Mit W-Fragen mehr Informationen vom Patienten gewinnen, mit geschlossenen Fragen eingrenzen, die korrekte Art der Anwendung eines Arzneimittels erklären. „Wandeln Sie die Passiv-Ersatz-Kon­struktion aus der Fachinformation im Patientengespräch in einen Imperativ um“, erkläre ich die Aufgabe. „Nehmen Sie zunächst nur eine Tablette“, „Drehen Sie das Dosierrad gegen den Uhrzeigersinn bis zum Anschlag.“ Perfekt, denke ich, heute läuft es...

Nur sprechen und nichts selber tun?

„Ich hab’ mal eine andere Frage“, meldet sich ein Apotheker, der aus dem Irak nach Deutschland gekommen ist: „Darf der Apotheker in Deutschland nur sprechen und nichts selber tun? Im Irak haben wir auch schon mal eine Adrenalinspritze gesetzt, wenn gerade kein Arzt da war.“
Wir sprechen über Erste Hilfe, die Nummer für den Notarzt und über den Adrenalin-Pen, den Patienten sich selbst setzen können.
„Ziehen Sie die Schutzkappe ab“. Richtig, „abziehen“ ist ein trennbares Verb.
„Halten Sie den Pen im rechten Winkel an die Außenseite Ihres Oberschenkels“.
Und ja, in der Apotheke wird hauptsächlich kommuniziert – deswegen üben wir das, denn Missverständnisse könnten große Folgen haben, Fehl­dosierungen im schlimmsten Fall sogar tödlich enden. „Achten Sie darauf, dass das Steigrohr des Pumpsprays vollständig in die Flüssigkeit eintaucht“ – die Anwendung des Nitrosprays in einer Akutsituation muss klappen, das Arzneimittel muss jederzeit funktionstüchtig und gebrauchsfertig zur Verfügung stehen. Meine Schüler schauen in die Fachinforma­tion – jeder kommt dran, darf sich einen Aspekt aussuchen und mit eigenen Worten erläutern.
Etwas in der Fachinformation oder im Computer nachzuschauen und dabei kommunikativ beim Patienten zu bleiben, das ist wichtig im Apo­thekenalltag. „Wirkt das denn nicht inkompetent?“, fragt eine Schülerin aus Nordafrika. „Die Leute erwarten, dass man alles weiß. Wenn man nachschaut, denken sie, man wäre gar kein richtiger Apotheker.“ Andere pflichten bei.

Eine fremde Frau fragen, ob sie schwanger ist

Es kommt darauf an, worum es geht. Vieles muss man wissen, viele Details aber kann man bei der Vielzahl der Fertigarzneimittel gar nicht im Kopf haben. „Besprechen Sie Grundsätz­liches frei und schauen Sie Details nach, wenn Sie sich nicht sicher sind. Formulieren Sie es als Service für den Patienten, geben Sie dem Patienten das Gefühl, dass Sie sich besonders gut um ihn und seine Belange kümmern“, empfehle ich.
Kulturelle Aspekte spielen immer wieder eine Rolle. Viele Kolleginnen und Kollegen stellen gezielt Fragen, wie ein bestimmtes Verhalten unter Umständen bewertet werden könnte. Das variiert von Herkunftsland zu Herkunftsland und sorgt für manch spannende Diskussion im Unterricht.
„Spreizen Sie die Beine und führen Sie den Vaginalapplikator ein“ – das kann zu einer Herausforderung werden!
„Sind Sie verheiratet?“, fragt ein syrischer Apotheker seine Kollegin im Rollenspiel.
Er soll den UAW-Bogen der AMK ausfüllen und arbeitet sich langsam vor.
Soll er „schwanger“ oder „nicht schwanger“ ankreuzen? Die Apothekerinnen aus Kroatien und Italien brechen in schallendes Gelächter aus. „Ich kann doch nicht einfach eine fremde Frau fragen, ob sie schwanger ist“, verteidigt er sich.

Klarheit und Präzision

Klare Kommunikation, keine Weichmacher, ja oder nein, Indikativ statt Konjunktiv, das harte Modalverb „müssen“ – ja, das muss manchmal sein, wenn es darum geht, Arzneimittelrisiken zu minimieren bzw. schwerwiegende Folgen eines Fehlgebrauchs zu vermeiden.
Viele ausländische Kolleginnen und Kollegen befürchten, zu hart oder unhöflich zu sein. In vielen Kulturen gilt es als Affront, zuerst mit einem „nein“ zu antworten. Familie, gute Beziehungen – ein hohes Gut in vielen Ländern, da möchte man niemanden vor den Kopf stoßen.
Diese feinfühlige Art gilt es zu bewahren, sie ist in der Apotheke sehr viel wert – jedoch muss sie gerade in unserem Fach ergänzt werden um Klarheit und Präzision, wo der Sachverhalt es erfordert. Kolleginnen und Kollegen, die diese Aspekte verinnerlichen und integrieren, sind Gold wert – ihre Kommunikation ist fachlich kompetent und menschlich sehr wertschätzend. Ich würde mich als Kundin bzw. Patientin in den besten Händen fühlen.
„Sie wissen, wie alt ich bin. Fragen Sie mich, ob ich schwanger bin oder nicht“, fordere ich den syrischen Kollegen auf. „Der Vollständigkeit halber.“ „Eine Schwangerschaft können wir ausschließen?“, lächelt er mich an.
Super! Danke, Pause.
„Eine Kombination dieser beiden Arzneistoffe wird nicht empfohlen“, so ein Passus aus einer deutschen Fachinformation, oder „die Kombination dieser beiden Arzneistoffe sollte vermieden werden.“ Wir diskutieren die sprach­lichen Abstufungen und die zugrunde liegende Pharmakodynamik bzw. Pharmakokinetik.
Und auch hier: Es ist eine kollegiale Diskussion, in der ich feststelle, wie viel die Kolleginnen und Kollegen können, wie gut sie in ihrem Fach sind. Hatte ich lange geglaubt, das Pharmaziestudium sei nur in Deutschland besonders anspruchsvoll – ich wurde mittlerweile eines Besseren belehrt.

Andere Schwerpunkte im Studium

In vielen Herkunftsländern umfasst das Studium der Pharmazie sechs Jahre, viele Kolleginnen und Kollegen haben in ihrer Heimat mehrere Jahre im Krankenhaus gearbeitet, einige als Sales Rep in der pharmazeutischen Industrie, einige waren selbstständige Apothekerinnen und Apotheker.
Allerdings unterscheidet sich die Schwerpunktsetzung in unserem interdisziplinären Fach teilweise deutlich – oft liegt der Schwerpunkt im Ausland auf dem Praxisbezug, der Klinischen Pharmazie, weniger auf der Chemie wie bei uns. Hier kann nachträgliches Vertiefen helfen. Dreiwertiger Stickstoff, quartäre Ammoniumverbindung, ein Arzneistoff liegt als Hydrochlorid vor oder als Hemihydrat. Auch diese chemischen Feinheiten müssen mit eigenen Worten formuliert werden können – es gibt schließlich neben der Kommunikation mit den Patienten auch die Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen sowie Ärztinnen und Ärzten.

Hilfe im Bürokratie-Dschungel

Zu guter Letzt: Wir arbeiten in einem (zu Recht) hoch regulierten Bereich.
Auch hier: Unterschiede und Abstufungen erkennen, die richtigen Prioritäten setzen – keine leichte Angelegenheit für jemanden, der nicht hier aufgewachsen ist. „Ist die Abgabe eines Nicht-Rabattartikels eine Straftat?“, werde ich oft gefragt. Die meisten wollen alles unbedingt richtig machen: BtMG, AMG, Apotheken­betriebsordnung, QMS – und bloß keine Retax!
Mit der Erteilung der Approbation werden die Kolleginnen und Kollegen voll verantwortlich, es gibt keine Aufsicht mehr, sie haben potenziell selbst die Aufsicht. Ordnungswidrigkeiten, Straftaten, privatrechtliche Haftungsrisiken – hier lauern zahlreiche Fallstricke, bei schweren Verstößen steht die Approbation auf dem Spiel.
Hier in einer komplexen Situation die verschiedenen Rechtsgüter mit Sachverstand und Verantwortungs­bewusstsein gegeneinander abwägen zu können, alleine, im Notdienst, in einer fremden Sprache – das erfordert ein möglichst tiefes Grundlagenverständnis, Training & Coaching on the Job – und umfangreiche eigene Erfahrung. Diese helfen aufzubauen – das sehe ich als unsere Aufgabe an. |

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