- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 17/2022
- Raus aus der Personalnot
Management
Raus aus der Personalnot
Wie man neue und vor allem die richtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter findet
Das Thema Geld ist in Zeiten der Inflation und den exorbitant steigenden Strom-, Gas- und Spritkosten wichtig und unumgänglich. Für die meisten Regionen in Deutschland ist aufgrund des Fachkräftemangels die übertarifliche Bezahlung in den Apotheken schon lange vor der spürbaren Inflation ein großes Thema gewesen. Die Frage ist schon lange nicht mehr, ob übertariflich bezahlt wird, sondern wie hoch. Die meisten Angestellten verdienen fünf bis 15 Prozent übertariflich – je nach Angebot und Nachfrage auch mitunter über 30 Prozent. Mit der Tariferhöhung Anfang des Jahres wurde dies in vielen Betrieben ausgeglichen. Birgit Zimmermann, Inhaberin der Pharmazeutix-Apotheken in Henstedt-Ulzburg, meint dazu: „Eine Tarifanpassung war lange fällig. Ich zahle schon lange übertariflich und wäre die Tariferhöhung nicht gekommen, hätte ich selbst auch noch mal erhöht. Denn das, was das Team vor Ort leistet, muss honoriert werden.“ Während der Pandemie zahlten viele Inhaber einen Jahresbonus. Die wenigstens nutzen Bonuszahlungen oder Geldprämien als regelmäßige Mitarbeitermotivation.
In dieser und weiteren DAZ-Ausgaben möchten wir das Thema „Personalnot in Apotheken“ aus verschiedenen Blickwinkeln thematisieren. Wie ist die allgemeine Lage auf dem Arbeitsmarkt? Welche Möglichkeiten gibt es, neue Mitarbeiterinnen und neue Mitarbeiter zu finden? Dieser Artikel legt den Fokus auf das Finden neuer Teammitglieder. Anhand der Employee Journey wird deutlich, dass es viel Potenzial in den einzelnen Phasen gibt:
- Bezahlung vielfältiger gestalten und Benefits anbieten, die Mehrwerte schaffen und gleichzeitig steuerliche Entlastungen bringen.
- Teilzeitmodelle weiterdenken – z. B. Aufgaben ins Homeoffice verlegen.
- Entlastung annehmen und den technischen Möglichkeiten eine Chance geben oder auch gemeinsam Sprachbarrieren überwinden und Fachkräfte aus dem Ausland einstellen.
- individuellen Weg gehen, um authentisch auftreten zu können und damit die richtigen Mitarbeiter anzuziehen.
- Der Blick über den Tellerrand zeigt, dass auch andere Branchen mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen haben.
Neue Wege für die Mitarbeitermotivation
Kathrin Hartmann, Rechtsanwältin mit dem Fokus auf Arbeitsrecht, beschäftigt sich intensiv mit dem Thema „New Work“ und den aktuellen Herausforderungen, wenn es um die Attraktivität des Arbeitsplatzes geht. „Es geht nicht immer ums Geld“, so Kathrin Hartmann, und weiter: „Hier muss ein Umdenken stattfinden, und es gilt, noch individueller auf die Mitarbeiterwünsche einzugehen oder auch neue Modelle auszuprobieren.“ Es gebe Phasen im Leben, da sei das Geld bedeutsamer, in anderen Phasen sei es die Erfahrung oder die Freizeit. Das Umfeld spiele auch eine wichtige Rolle, so Hartmann. Ein Firmenwagen könne die Attraktivität in den ländlichen Regionen erheblich steigern, während in der Stadt das Jobticket für die öffentlichen Verkehrsmittel spannend sei. Neben diesen beiden Optionen gebe es viele weitere Benefits, die steuerlich sowohl für den Arbeitgeber als auch den Arbeitnehmer interessant sein können. Diese werden in den öffentlichen Apotheken kaum genutzt wie zum Beispiel die Bereitstellung von E-Bikes, Sachbezüge (z. B. Tankgutscheine), Essensbons (z. B. für die Restaurants im Umkreis), gesundheitsfördernde Maßnahmen, Corporate Benefits, Kinderbetreuungszuschüsse. Es existieren viele Bezüge, die steuer- und sozialversicherungsfrei und damit einen spannenden Bonus darstellen – angepasst an die Bedürfnisse des Einzelnen. Hier dürfen und müssen kreative Lösungen her: Apothekeninhaberinnen und -inhaber sollten ihr Netzwerk im Umkreis nutzen, um zum Beispiel gemeinsam mit anderen Unternehmen Kinderbetreuungsmöglichkeiten auszubauen und so ihren Mitarbeitenden den Wiedereinstieg zu vereinfachen, rät Hartmann.
Sharing is caring – Arbeitsmodelle weitergedacht
Teilzeitkräfte sind in der Apothekenwelt Normalität. Oftmals wird die Teilzeitarbeit als Jobsharing verstanden, und selbst das Teilen einer Führungsfunktion wird zunehmend eingefordert, also zum Beispiel einer Filialleitung. Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren ist die Kommunikation untereinander, die zum Beispiel durch eine etablierte Teamsoftware sichergestellt werden kann. Der gleiche Wissensstand bildet die Basis für ein erfolgreiches Miteinander. Neben der Teilung des Arbeitsplatzes ist die Teilung des Arbeitsortes auch eine Option, die erst wenige Apotheken nutzen. Homeoffice war bis vor wenigen Jahren in der Apotheke undenkbar, und dennoch ist es eine spannende Option. So kann eine Teilzeitkraft die wöchentliche Arbeitszeit um eine bestimmte Stundenanzahl erhöhen, um zum Beispiel an Social-Media-Beiträgen und Inhalten zu arbeiten. Die Aufgaben vom Homeoffice aus können aber noch weit darüber hinausgehen, vor allem in Bezug auf die Kundenbetreuung und -bindung: von Medikationsmanagement über Telepharmazie bis hin zu Webinaren. Damit ermöglicht man dem Mitarbeiter nicht nur einen attraktiveren Arbeitsplatz, sondern baut auch die eigenen Geschäftsmodelle aus. Nico Reinold, Inhaber der Schönhauser Apotheke in Berlin Prenzlauer Berg: „Vieles was im Backoffice gemacht wird, kann auch von zu Hause aus erledigt werden – teilweise sogar besser, denn man wird weniger abgelenkt, und es ist ruhiger. In Zukunft ist die ganzheitliche Versorgung der Menschen noch wichtiger, und hier sehe ich großes Potenzial in der digitalen Welt, die meine Mitarbeitenden im Homeoffice wunderbar erledigen können und wenn wir das nicht bieten, dann werden es andere machen.“
Go digital – Entlastung durch Technik und andere Branchen
Die Entlastung des pharmazeutischen Personals ist ein zentraler Dreh- und Angelpunkt. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es nicht nur neue pharmazeutische Felder sind, die es zu belegen gilt – auch nicht pharmazeutische Aufgaben vermehren sich. Hierbei helfen einfache Tools zur Automatisierung von Prozessen. Alles, was durch Technik, sprich Automatisierung und Digitalisierung, gelöst werden kann, sollte den Arbeitsalltag vereinfachen, sodass sich jeder auf seine Kernkompetenz fokussieren kann. So ist zum Beispiel die Vorschaltung einer Ansage in der Telefonanlage sehr sinnvoll. Die Einrichtung kann zwar kurzzeitig Zeit und Nerven rauben, wird aber den Mitarbeitern eine spürbare Entlastung geben. Wichtig ist hier die flexible Anpassung der Ansagen auf die aktuellen Anfragen. Eine Ansage, die vom Inhaber oder einem Mitarbeiter eingesprochen wurde, ist hierbei nicht nur sehr pragmatisch, sondern dem Kunden gegenüber auch sehr authentisch und keinesfalls unprofessionell, wie manche glauben. Schließlich ruft man nicht in irgendeinem Callcenter, sondern in seiner Apotheke vor Ort an. Neben den digitalen Helfern schreiben Apotheken auch vermehrt nicht pharmazeutische Stellenanzeigen aus und holen sich Hilfe aus anderen Branchen. Ob Einzelhandelskräfte, Sachbearbeiter, Kundenbetreuer oder ähnliche Berufe – die Arbeiten im Backoffice sind vielschichtig und werden in Zukunft eher mehr als weniger.
Fachkräfte aus dem Ausland
Der Fachkräftemangel ist seit vielen Jahren ein großes Problem – schon lange vor der Pandemie. Patrick Marx, Inhaber der Marx Apotheken in Mülheim an der Ruhr, beschäftigte sich bereits 2014 intensiv damit, wie man diesen Mangel durch Fachkräfte aus dem Ausland beheben könnte und startet gemeinsam mit der Apothekenkooperation Migasa und Partnern in Spanien bzw. Italien ein Programm, um interessierte Apotheker nach Deutschland zu holen. In dem ersten Jahr gab es für die 15 Plätze über 100 Bewerber. Das Netzwerk hat sich ausgebaut und inzwischen haben sie bereits über 150 Approbierte aus Spanien, Italien und Portugal nach Deutschland geholt, und sie arbeiten mit der Agentur für Arbeit zusammen. „Klar, es braucht Zeit, bis die Mitarbeiter zum Beispiel den Notdienst alleine bestreiten können, aber mit einem guten Team an der Seite sind sie nicht nur eine enorme Unterstützung, sondern auch eine wertvolle, interkulturelle Erfahrung für uns alle“, so Patrick Marx. Die pharmazeutische Ausbildung der Approbierten sei exzellent und sie erhalten hier den angemessenen Lohn und die Wertschätzung für die Ausübung des Berufes in einer Art und Weise, wie sie es in ihrer Heimat nicht haben. Fachkräfte aus dem Ausland seien eine gute Option für eine mittel- und langfristige stabile Mitarbeiterstruktur, so Marx.
Ein Blick auf die Employee Journey (Reise der Mitarbeiter) zeigt, dass das Finden bzw. Kommen der Mitarbeiter ein kleiner Part ist, während das Bleiben sehr viele Facetten hat. Wenn der Fokus auf dem liegt, was innerhalb des Teams passiert, wer wie individuell gefördert und gefordert wird, wie das Miteinander ist, dann ist eine wichtige Basis gelegt. Wie bei der Customer Journey (die Reise des Kunden) ist die Königsdisziplin die Weiterempfehlung. Wenn das Team sich wohlfühlt, finden sich neue Mitarbeiter auch über eine einfache Abkürzung und vielleicht sogar ohne das Schalten von Anzeigen – nämlich über Weiterempfehlung. Manchmal trennen sich die Wege – die Liebe, ein Umzug, eine neue Berufung – die Gründe sind sehr unterschiedlich. Und dennoch bleibt eines, das oftmals unterschätzt wird: das Offboarding – das Austreten des Mitarbeiters aus dem Unternehmen. Wird dieses gut gemacht, bleibt der gute Ruf der Apotheke erhalten und ein ehemaliger Mitarbeiter wird sich auch weiterhin positiv über die Arbeitsstelle äußern und im besten Fall auch einen potenziellen neuen Mitarbeiter empfehlen.
Mitarbeiter magnetisch anziehen
Wenn die Apotheke nun all diese Voraussetzungen mitbringt, also die Employee Journey in den einzelnen Punkten gut erfüllt, gilt es, dies nach außen sichtbar zu machen. Denn neben der verbalen Weiterempfehlung ist die digitale Sichtbarkeit ein wichtiger Punkt. Sowohl die Homepage als auch der Auftritt in sozialen Netzwerken können wichtige Entscheidungskriterien sein. Wenn sich eine Apotheke beispielsweise in der Stellenanzeige als modern und technikaffin beschreibt und man digital auf veraltete Strukturen trifft, ist das ein Bruch, der dazu führen kann, dass die Person sich erst gar nicht bewirbt. Sicherlich braucht nicht jede Apotheke seinen eigenen Podcast und YouTube-Kanal, dennoch sind es die Menschen, die eigene Vision und die individuellen Werte, die man sehen sollte – und zwar nicht nur als Worthülse auf einer Unterseite der Homepage. Dies erlebbar und spürbar zu machen, kann dazu führen, dass ein Sog entsteht und dass Mitarbeiter in dieser Apotheke arbeiten wollen und sich initiativ bewerben.
One size fits all – eine Illusion
Der Ablauf entlang der Employee Journey ist bei allen Unternehmen der gleiche, und dennoch ist es höchst individuell, wie die Maßnahmen aussehen. Denn der Weg, um Mitarbeiter zu finden und zu binden, orientiert sich an den eigenen Werten, der Authentizität und am wichtigsten an der echten Wertschätzung. Was ist echte Wertschätzung? Die Rechtsanwältin Kathrin Hartmann berichtete von einem Erlebnis bei der Gärtnerei bei ihr ums Eck – es ist ein Familienunternehmen und New Work ist ihnen sicher nicht bekannt, gleichzeitig spürt man die angenehme Atmosphäre. Während der Chef sie bediente und mit ihr durch die Pflanzen ging, erzählte er ganz beiläufig, dass jede Pflanze so besonders sei, wie jeder einzelne Mitarbeiter. Dieses Flair spüren die Kunden und auch das Team. Es ist ein wertvoller Baustein für das Image und ein vorbildhaftes Verhalten. Kathrin Hartmann trifft es auf den Punkt: „Du kannst noch so tolle und hippe Vorteile und Arbeitsmodelle einführen, wie du willst – das bringt nichts, wenn du keine Wertschätzung hast.“
Bewerbung anders gedacht
Die Stellenanzeigen auf dem Apothekenmarkt sind fast alle gleich: übertarifliche Bezahlung, tolles Team, neueste Technik. Um Mitarbeiter zu finden, kann man sich klassisch an die AIDA-Regel halten. Das Akronym AIDA setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der einzelnen Phasen zusammen: Attention (Aufmerksamkeit wecken), Interest (Interesse wecken), Desire (Auslösen des Wunsches) und Action (die Bewerbung). Der Schlüssel ist der Einstieg und die Ansprache. „Wenn ich jemand Neues für mein Team suche, setze ich mich hin und schreibe das so runter, wie ich es in dem Moment empfinde. Also wen wünsche ich mir für das Team – da ist jede Anzeige individuell. Für mich ist es selbstverständlich, dass wir die Basics erfüllen, die sich ein Mitarbeiter wünscht“, so Jeannette Bernstein, Inhaberin Neue Apotheke Hollenstedt. Es gehe darum in der Masse aufzufallen – durch die andere Ansprache oder auch die andere Art von Bewerbung. Einfach nur eine Stelle als Apotheker, PTA oder PKA auszuschreiben, sei heute nicht mehr ausreichend. In vielen Fällen sei es ratsam die Abläufe zu prüfen und zu schauen, was wirklich gebraucht wird. Wenn man mehrere Filialen hat, warum nicht mal einen „Springer“ suchen. Nicht jede Person möchte jeden Tag an den gleichen Arbeitsplatz und gleichzeitig möchte sich nicht jeder selbstständig machen. Diese Stelle wäre die perfekte Kombination aus Flexibilität und Abwechslung. Wieso sollte jeder alles machen, wenn jeder vielleicht sein Steckenpferd hat? Der andere ist anders, und das ist gut so.
Blick über den Tellerrand
In der Gesundheitsbranche ist die Personalkrise in nahezu allen Bereichen zu spüren. Besonders betroffen ist der Pflegesektor – Grund hierfür ist sicher der demografische Wandel, der zukünftig immer mehr Einfluss auf das Gleichgewicht haben wird, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Menschen in Zukunft immer älter werden. In Deutschland waren 2021 bereits über 4,5 Millionen Menschen pflegebedürftig – das sind gut 5 Prozent. Einige Menschen können und müssen zu Hause gepflegt werden, andere werden vom Pflegedienst betreut oder wohnen im Heim. Die Zeit pro Patient wird immer knapper bemessen, der Aufwand immer höher – vor allem durch die Dokumentationspflichten. In der Pflegebranche werden noch zu wenige digitale Tools eingesetzt, um den Ablauf und zum Beispiel die Dokumentation zu vereinfachen. Am meisten wird der Notstand durch Pflegehilfskräfte aus dem Ausland abgefangen. Die Politik versuchte mit der Pflegereform im Jahr 2020, dem Notstand entgegenzuwirken. Neben der Generalistikausbildung, Gesetzen für bessere Löhne und der Einführung von Tarifverträgen soll das Fachkräfteeinwanderungsgesetz die Einreise und die Arbeit für Pflegekräfte aus dem Ausland vereinfachen.
Nicht nur die Gesundheitsbranche ist betroffen, im Handwerk spüren fast alle Deutschen früher oder später ebenfalls, dass bundesweit 250.000 Mitarbeiter fehlen. Die durchschnittliche Wartezeit bis ein Auftrag begonnen werden kann, liegt bei knapp neun Wochen. Hier kann die Digitalisierung und Automatisierung nur bedingt helfen – das Handwerk ist und bleibt eben ein Handwerk. Laut Bundesinstitut für Berufsbildung konnten viele Betriebe im vergangenen Jahr 30 Prozent der Ausbildungsplätze nicht besetzen. Was die meisten nicht wissen – bereits 2004 wurde in vielen Berufen der Meisterbrief, als Voraussetzung ein eigenes Unternehmen zu gründen, abgeschafft. Und dennoch verliert das Handwerk von Jahr zu Jahr an Attraktivität. Auch in dieser Branche wird der Mangel über Fachkräfte im Ausland abgedeckt und für die Ausbildungsplätze kann man immer mehr Flüchtlinge für sich gewinnen – im Jahr 2020 konnten so gut 25.000 Ausbildungsstellen besetzt werden. |
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.