Arzneimittel und Therapie

Hepatitis-Ursache noch unbekannt

Gehäuft auftretende schwere Infektionen bei Kindern bleiben weiterhin rätselhaft

dab | Anfang April wurde aus Schottland eine ungewöhnliche Häufung von schweren akuten Hepatitiden bei Kindern gemeldet. Im Verlauf der nächsten Wochen kamen weitere Fälle in England, Wales und Nordirland hinzu. Inzwischen erkrankten Kinder auch im US-Bundesstaat Alabama, in weiteren europäischen Ländern sowie in Israel an einer bislang ungeklärten Ursache. Bis zum 21. April wurden laut WHO weltweit 169 Fälle im Alter zwischen einem Monat und 16 Jahren, darunter ein Todesfall bekannt. Die als Erreger naheliegenden Hepatitis-Viren A bis E wurden bei keinem Kind nachgewiesen. Aktuell scheint dennoch eine Infektion als Auslöser wahrscheinlich. SARS-CoV-2 und Adenoviren gehören zu den Verdächtigen. Könnte das pandemiebedingt fehlende Training des Immunsystems mitverantwortlich sein?

Hepatitis – eine Entzündung der Leber – kann bei Kindern auftreten, verläuft aber in der Regel asymptomatisch bis mild. Die aktuell berichteten Fälle von akuten Hepatitiden bei Kindern sind allerdings alles andere als mild. Bei manchen Kindern kam es zu einem akuten Leberversagen, und bei etwa 10% (n = 17) wurde sogar eine Lebertransplantation notwendig. Ein Kind starb. Bislang sind 114 Fälle in Großbritannien und Nordirland, 13 in Spanien, 12 in Israel, neun in den USA, sechs in Dänemark und weitere einzelne in den Niederlanden, Italien, Norwegen, Frankreich, Rumänien und Belgien gemeldet worden. Zu den ersten 13 in Schottland erkrankten Kindern liegen ausführliche Daten vor: Sie waren im Median 3,9 Jahre alt, und sieben von ihnen waren weiblich.

Hohe Leberwerte, selten Fieber

Die schwere Erkrankung, die zum Teil mit einer Gelbsucht einherging, zeigte sich durch stark erhöhte Werte der Enzyme Alanin-Aminotransferase (ALT) und der Aspartat-Aminotransferase (AST). Ein Expertenteam, das die ersten 13 in Schottland aufgetretenen Fälle untersuchte, fand bei den meisten Kindern Aminotransferase-Werte oberhalb von 2000 IE/l (Normbereich: 10 bis 40 IE/l). Einige der Erkrankten wiesen in den Wochen vor der stationären Aufnahme gastrointestinale Symptome wie Bauchschmerzen, Durchfall und Erbrechen auf. Das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC), das die Daten der Fälle in Europa sammelt, berichtete weiterhin, dass bei den meisten Kindern kein Fieber auftrat.

Foto: New Africa/AdobeStock

Ursachenforschung

Das ECDC, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie weitere Partner­organisationen unterstützen die Untersuchung der rätselhaften Fälle durch die Gesundheitsbehörden der betroffenen Länder. Wie das ECDC berichtet, war die erste Hypothese eines britischen Teams, dass ein Krankheitser­reger oder eine Exposition mit einem Toxin die schweren Hepatitiden verursacht haben könnte. Tests auf die typischen Hepatitis-Viren A bis E waren bei allen Kindern negativ. Eine Impfung gegen SARS-CoV-2 kommt auch nicht als Ursache infrage, da laut der WHO der überwiegende Anteil der Kinder nicht damit geimpft war. Toxikologische Analysen dauern derzeit noch an. Bei den 13 Fällen, die in Schottland auftraten, konnten durch Fragebögen keine Lebensmittel oder Gewohnheiten identifiziert werden, die die Krankheit verursacht haben könnten. Auch ihre Wohnorte wiesen kein bestimmtes Muster auf, z. B. in der Nähe eines Flusses. Bei zwei Kindern wurde festgestellt, dass sie mit zwei anderen Fällen engen Kontakt hatten. Proben der 13 Patienten wurden bakteriologisch getestet, aber da nur die wenigsten Fieber hatten, wurde nur bei weiteren klinischen Anzeichen intensiver untersucht. Fünf von 13 Erkrankten hatten einen positiven SARS-CoV-2-Test, davon zwei innerhalb von drei Monaten vor der Aufnahme, zwei innerhalb von elf Tagen nach Aufnahme in die Klinik, und ein Point-of-care-Test erwies sich im Nachhinein durch einen PCR-Test als falsch positiv. Im März erreichten die COVID-19-Infektionen mit der Omikron-Variante Schätzungen zufolge in der betroffenen Altersgruppe einen Höchststand. Darüber hinaus wurde auf weitere Viren getestet: auf Hepatitis-Viren, Enteroviren, Parechoviren, humane Herpesviren Typ 6 und 7, Varizella-Zoster sowie Adenoviren. Bei fünf der 13 Patienten war ein PCR-Test auf Adenoviren positiv. Diese treten üblicherweise im Frühjahr in Schottland auf. Pandemiebedingt waren die Fallzahlen in den Vorjahren niedriger und im März 2022 wieder so hoch wie vor der Pandemie. Das schottische Expertenteam sieht eine Infektion als wahrscheinlich, und zum Zeitpunkt ihrer Publikation (12. April 2022) waren Adenoviren im Fokus als Auslöser. Denkbar ist für das Team eine neue Virusvariante oder dass die Kinder mit ihrem wenig trainierten Immunsystem (Stichwort Pandemie und Hygienemaßnahmen) stärker von einem bereits vorkommenden Adenovirus getroffen wurden. Die Experten merkten an, dass Adenoviren bei immunkompetenten Kindern nur sehr selten schwere Hepatitiden auslösten, aber dass es durchaus Berichte darüber gibt [6 – 8]. Die WHO berichtete zuletzt, dass mindestens 74 Kinder positiv auf Adenoviren getestet wurden. Dabei wurde in 18 Fällen der Adenovirus Typ F41 identifiziert.

SARS-CoV-2 „nicht sehr plausibel“

Privatdozent Dr. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ) stuft einen ­Zusammenhang der beschriebenen Fälle mit SARS-CoV-2 als „nicht sehr plausibel“ ein. Seiner Meinung nach wären während der Pandemie „derartige Hepatitis-Fälle früher schon ­einmal aufgefallen“. In seinem Statement gegenüber dem Science Media Center nannte er neben der durch Hepatitis-Viren A bis E verursachten Hepatitiden weitere „Viruserkrankungen mit einer Leberbeteiligung, zum Beispiel solche durch Zytomegalie-Viren, Epstein-Barr-Viren unter anderem, selten auch einmal Adenoviren, meist dann bei Patienten mit Immunerkrankungen“. Er unterstützt die Hypothese, dass pandemiebedingt die Immunsysteme von Kindern und Jugendlichen wenig trainiert wurden. Durch die Lockerungen würden sie „in relativ kurzer Zeit aus der Isolation kommen und auf einmal vielen Keimen ausgesetzt sein, mit denen sie zuvor aufgrund diverser Lockdown- oder anderer Maßnahmen nicht in dieser Fülle zuletzt in Kontakt gekommen sind. Durch Infektionen mit zum Beispiel den oben genannten Erregern könnten die Hepatitis-Fälle zu erklären sein. Grundsätzlich wäre das natürlich auch ein Szenario, das wir in Deutschland bei weitgehenden Lockerungen sehen könnten“. Bislang sind noch keine Fälle in Deutschland bekannt geworden. |

Literatur

[1] Häufung von Hepatitis-Fällen bei Kindern in Großbritannien. Informationen des Science Media Centers, 14. April 2022

[2] Increase in hepatitis (liver inflammation) cases in children under investigation. Nachricht der britischen Gesundheitsbehörde UKHSA, 12. April 2022, www.gov.uk/government/news/increase-in-hepatitis-liver-inflammation-cases-in-children-under-investigation#full-publication-update-history

[3] Marsh K, Tayler R, Pollock L et al. Investigation into cases of hepatitis of unknown aetiology among young children, Scotland, 1 January 2022 to 12 April 2022. Euro Surveill. 2022;27(15):pii=2200318

[4] Schwere Hepatitis-Erkrankungen bei Kindern in mehreren europäischen Ländern und US-Staat geben Rätsel auf. Nachricht des Ärzteblatts, 19. April 2022, www.aerzteblatt.de/nachrichten/133458/Schwere-Hepatitis-Erkrankungen-bei-Kindern-in-mehreren-europaeischen-Laendern-und-US-Staat-geben-Raetsel-auf?rt=1cfb547db151f1984cab2dc98f8dfd73

[5] Update: Hepatitis of unknown origin in children. Nachricht des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC), 19. April 2022, www.ecdc.europa.eu/en/news-events/update-hepatitis-unknown-origin-children

[6] Kiwan P, Hamod DA. Adenoviral Hepatitis in an Immunocompetent Child: Case report. J Pediatr Neonatal Care 2017;7(3):00290

[7] Munoz FM, Piedra PA, Demmler G J. Disseminated adenovirus disease in immunocompromised and immunocompetent children. Clin Infect Dis 1998;27(5):1194-1200

[8] Rocholl C, Gerber K, Daly J et al. Adenoviral infections in children: the impact of rapid diagnosis. Pediatrics 2004;113(1):e51–e56

[9] Multi-Country – Acute, severe hepatitis of unknown origin in children. Nachricht der World Health Organization (WHO), 23. April 2022, www.who.int/emergencies/disease-outbreak-news/item/multi-country-acute-severe-hepatitis-of-unknown-origin-in-children

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