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Arzneimitteltherapie im Alter
Christen in der Pharmazie geben Impulse und Hilfen
Die positive Nachricht aktueller Statistiken zeigt einen Trend: Wir werden gesünder älter. Dennoch gilt gleichzeitig: „Es ist schön, dass wir älter werden. Aber das Älterwerden ist nicht immer schön.“ Dabei sind die Ursachen für die Alterung weitgehend unklar, in jedem Fall kann aber beobachtet werden, dass sowohl die Zellregeneration als auch der Energiestoffwechsel abnehmen.
Oft versäumt – die Dosisanpassung
Oft werden im Alter Arzneimittel überdosiert. Der Grund liegt in der nachlassenden Fähigkeit zur Ausscheidung und Entgiftung des Körpers über die Nieren und Leber. Darauf verwies Prof. Dr. Carsten Culmsee vom Lehrstuhl für Klinische Pharmazie, Philipps-Universität Marburg. Die veränderte Pharmakokinetik sollte noch viel häufiger bei Dosisanpassungen berücksichtigt werden, so sein dringender Rat. Das gilt insbesondere für Wirkstoffe mit geringer therapeutischer Breite und hoher Niereneliminationsrate. Beispielhaft nannte Culmsee als kritische Wirkstoffgruppen bei eingeschränkter Nierenfunktion: bestimmte Antibiotika, Thiazid-Diuretika, ACE-Hemmstoffe, Lithium, Antidiabetika wie Metformin und NSAR.
Ebenso relevant sind pharmakodynamische Veränderungen im Alter. Sie äußern sich in nachlassender Wirksamkeit, paradoxen Wirkungen oder gestörten Kompensationsmechanismen.
Kritische Polymedikation
Durchschnittlich nimmt jeder geriatrische Patient acht bis zehn verschiedene Arzneimittel ein, häufig verschärft diese Polymedikation die Eliminationsproblematik und Veränderungen in der Verträglichkeit durch zusätzliche Wechselwirkungen. Nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gibt es jährlich in Deutschland 500.000 Notaufnahmen in Krankenhäuser wegen fehlerhafter Medikation. Mindestens 25.000 Todesfälle werden damit in Verbindung gebracht, so der Prodekan der Marburger Universitäts-Pharmazie. Deshalb gilt es, ständig die verordneten Medikamente und Dosierungen kritisch zu überprüfen und nicht unbedingt notwendige Verordnungen im Alter abzusetzen.
Respekt vor dem Alter
„Der Umgang mit älteren Menschen sollte von Respekt geprägt sein“, eröffnete Priv.-Doz. Dr. Albrecht Eisert, Chefapotheker der Uniklinik RWTH Aachen, seinen Vortrag zur patientenorientierten Arzneimitteltherapie. Die Würde des Menschen als Geschöpf Gottes und der Respekt vor dem Alter gebiete es, kritisch zu hinterfragen, wo es unnötige Beeinträchtigungen gibt. Eisert ermutigte die Teilnehmer, engagiert Medikationsmanagement zu betreiben. „Vielleicht schluckt Ihr Patient nur zu viele oder die falschen Medikamente?“, so Eisert. Der Mensch dürfe nicht zum Objekt der Medizin verkommen.
Verschreibungskaskaden hinterfragen
Der Klinikapotheker illustrierte am Beispiel von Ödemen durch Calcium-Antagonisten eine Verschreibungskaskade. Die deshalb verordneten Diuretika können am Ende zu Muskelschwäche durch Kalium-Mangel und zu Verwirrtheit durch Exsikkose führen. Oft werden Arzneimittel zusätzlich verordnet, um Nebenwirkungen zu kompensieren, anstatt die verursachenden Arzneimittel wegzulassen oder zu tauschen. Der Apotheker als Arzneimittelfachmann hat hier eine wichtige Aufgabe. Intravenöse Pantoprazol-Gaben führen nicht selten in der Klinik zu Pneumonien, mit teilweise letalem Ausgang. Durch eine optimierte Medikation sei es in Aachen gelungen, die Zahl der Pantoprazol-Verordnungen drastisch zu senken, berichtete Eisert. Eine gute Zusammenarbeit von Pharmazeuten, klinischen und ambulanten Medizinern kann die Zeit bis zu einer erneuten möglichen Hospitalisierung eines Patienten reduzieren.
Altersgerechte Arzneitherapie
Besondere Beachtung verdient bei älteren Patienten die Reduzierung der Sturzgefahr. Mögliche medikamentöse Ursachen dafür sind Schwindel, Halluzinationen oder Hangover, Muskelrelaxation und orthostatische Dysregulation. Analysen haben gezeigt, dass ein erheblicher Teil geriatrischer Patienten für sie ungeeignete Arzneimittel verordnet bekommt. Jeder Apotheker sollte deshalb die PRISCUS- und FORTA-Listen kennen, auch wenn die dortigen Angaben individuell zu diskutieren sind. Eine potenziell inadäquate Medikation (PIM) lässt sich so leichter identifizieren.
Ein Problem sehen Eisert und Culmsee unisono in der oft schlechten Datenlage mancher Datenbanken zu Arzneimittelinteraktionen: Beim Vergleich stimmen die Ergebnisse nur teilweise überein.
Ein besonderes Problemfeld für geriatrische Patienten ist die anticholinerge Last vieler Arzneimittel. Schluckstörungen, reduzierter Appetit, Herzinsuffizienz, Unruhe und Verwirrtheit müssen nicht Alterserscheinungen sein, viel häufiger sind es einfach die anticholinergen Nebenwirkungen der Medikamente. Ebenso ist die hohe Non-Adhärenz von 30 bis 50% bei geriatrischen Patienten problematisch. Häufig ist gar nicht abschätzbar, was der Patient wirklich einnimmt. Es bleibt oft die Frage: „Ist die Verschlechterung auf die Unwirksamkeit der Medikamente oder deren Nichteinnahme zurückzuführen?“
Fachgruppe „Christen in der Pharmazie“
Seit 1993 treffen sich jährlich Pharmazeuten aus ganz Deutschland, ehrenamtlich verantwortet und organisiert. Die Fachgruppe „Christen in der Pharmazie“ gehört zum Netzwerk der Akademiker-SMD, einem Netzwerk von Christen in Schule, Hochschule und Beruf. Nähere Informationen unter: www.pharmazie.smd.org
Die nächste Tagung findet vom 17. bis 19. März 2023 zum Thema „Apothekenteam im Schmelztiegel – Wie gelingt das Miteinander?“ in Marburg statt.
Ziel geriatrischer Medizin
In der geriatrischen Medizin wird in einem multiprofessionellen Team gearbeitet. Mediziner, Physiotherapeuten, Psychologen, Ergotherapeuten, Musiktherapeuten und Logopäden, aber nicht zuletzt die Apotheker nehmen hier wichtige Aufgaben wahr. Das gemeinsame Ziel ist es, so Dr. Jörg Schwab, Chefarzt der Geriatrie im Diakoniekrankenhaus Marburg-Wehrda, dem alten Menschen so lange wie möglich seine häusliche, vertraute Umgebung zu erhalten. Durch die Rehabilitation kann die Geriatrie teure Pflegekosten reduzieren.
Der geriatrische Patient
Das Alter ist geprägt von einem zunehmenden Rückgang der menschlichen Leistungsfähigkeit. Dadurch wird der geriatrische Patient zunehmend instabil, gebrechlich und hilfsbedürftig. Schwab ging auf die I’s (Immobilität, Instabilität, Inkontinenz, iatrogene Probleme, Isolation, Immunschwäche, Ingestionsschwäche, Impotenz) und O’s (Osmolalität/Trinkschwäche, Orthostase, Obstipation, Orientierungsstörungen, Osteoporose, Orthopädie) der Geriatrie ein. Dabei betonte er: Geriatrische Medizin ist keine Sterbemedizin. Im Vergleich zu anderen Fachrichtungen versterben nur wenige Patienten in der Klinik.
Nach seiner Einschätzung haben 75% der alten Menschen einen Vitamin-D-Mangel. Das wiederum führt zu Defiziten bei der enteralen Calcium-Resorption. Ein weiteres großes Problem ist aus seiner Sicht die Einsamkeit alter Menschen. Hier empfiehlt er die Nutzung von Tagespflege, insbesondere bei berufstätigen Familienangehörigen.
Singen hilft beim Schlucken
Überraschend vielfältig können die Effekte durch Musiktherapeuten sein. Das Singen verbessert nicht nur die Stimmung und Kognition, sondern trainiert auch präventiv die Muskulatur, um Schluckstörungen zu vermeiden. Ebenso profitiert die Immunabwehr durch eine verstärkte Bildung von Immunglobulin A, wusste Schwab zu berichten.
Reifen statt altern
Aus Verbrauchersicht reflektierte Ulrich Schlappa, Pfarrer im Ruhestand aus Marburg, humorvoll den Umgang mit Arzneimitteln im Alter. Ob physisch oder mental, gesund oder krank – das Thema des Alterns wurde mit all seinen Facetten beleuchtet. Schlappa ermutigte zum Reifen als „Best Ager“. Aufgrund ihrer Kompetenz erfahren Ältere oft Wertschätzung als „Senior Experts“. Ebenso bietet das Alter Gelegenheit zum Loslassen und zur Versöhnung. Im Gottesdienst unter dem Thema „Im Alter versöhnt und voller Erwartung“ lud Schlappa zu gespannter Erwartung mit Ewigkeitsperspektive ein. |
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