Pandemie Spezial

Hirnvenenthrombosen auf der Spur

Seltene Nebenwirkung beruht wohl auf Zusammenspiel zweier Thrombozyten-Rezeptoren

Im Kontext einer COVID-19-Er­krankung und nach SARS-CoV-2-­Impfungen mit Vektor-basierten Vakzinen trat in seltenen Fällen das Krankheitsbild einer Hirnvenenthrombose auf. Eine Forschungsgruppe untersuchte die zugrunde liegenden Ursachen und kam zu dem Schluss, dass dafür das Zusammenspiel von zwei Thrombozyten-Rezeptoren verantwortlich sein dürfte. Möglicherweise kann aus dieser Erkenntnis ein neuer Therapieansatz entwickelt werden.

Zur Erinnerung: Im Frühjahr 2021 traten nach Impfungen gegen SARS-CoV-2 mit Vektorimpfstoffen vereinzelte Fälle einer Hirnvenenthrombose auf. Doch nicht nur die Impfung, sondern auch die COVID-19-­Erkrankung sind Risikofaktoren. So ist zwischenzeitlich bekannt, dass Patienten mit COVID-19 eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, an einer selten auf­tretenden Hirnvenenthrombose zu erkranken. Mit den zugrunde liegenden molekularen Vorgängen befasste sich eine Arbeitsgruppe des Rudolf-Virchow-Zentrums – Center for Inte­grative and Translational Bioimaging – in Würzburg. Sie konnte anhand von Mausmodellen zeigen, dass die Aktivierung zweier spezifischer Rezeptoren auf der Oberfläche von Thrombozyten zu Hirnvenenthrombosen führt.

Foto: Matthieu/AdobeStock

Im Fokus: CLEC-2 ...

So sollte im Rahmen eines Experiments untersucht werden, ob ein intravenös applizierter Antikörper gegen den Thrombozyten-Rezeptor CLEC-2 die Blutungsneigung erhöht. Nach der Injektion kam es zu einem Abfall der Thrombozyten, tonisch-myoklonischen Krampfanfällen und dem Tod der Versuchstiere. Diese Symptome wiesen Parallelen mit der Manifestation einer Hirnvenenthrombose beim Menschen auf. Der Tierversuch führte zu der Vermutung, dass die Bindung des Antikörpers die Eigenschaften des Rezeptors CLEC-2 so verändert, dass er Signale in die Zelle weiterleitet. Diese aktivieren die Thrombozyten, die dann im venösen Gehirnkreislauf verklumpen und die Hirnvenenthrombosen auslösen.

... und GPI-Ib / IIIa

Bei der Biopsie der Mäuse waren die Thromben in den Hirnvenen feststellbar, hingegen nicht in anderen Organen. Dies führte zu der Frage, warum nur Hirnvenen betroffen waren. Auch dieses Rätsel konnte gelöst werden. Neben CLEC-2 ist noch ein zweiter Thrombozyten-Rezeptor, nämlich GPIIb/IIIa, an der Entstehung von Hirnvenenthrombosen beteiligt, und nur das Zusammenspiel beider Rezeptoren führt zu einer Thrombenbildung im Gehirn. Wurden die Thrombozyten-­Rezeptoren im Vorfeld blockiert, unterblieb die Bildung einer Hirnvenenthrombose. Was besonders wichtig war: Auch nach Einsetzen der Sym­ptome konnte mithilfe der Rezeptor-­Blockade die Bildung des Blutgerinnsels unterbunden werden, und die Tiere erholten sich.

Mögliche therapeutische Konsequenzen

Diese Beobachtung – nämlich die Wirksamkeit einer Blockade des GPIIb/IIIa-Rezeptors auch nach Bildung der Hirnvenenthrombose – könnte zu einem neuen Therapieansatz führen und das Standardvorgehen (Gabe von Heparin) ergänzen. So kommt einer der Studienautoren zu dem Schluss, „diese Ergebnisse […] könnten den Weg weisen für den Einsatz von GPIIb/IIIa-Blockern bei den Patienten, bei denen die Hirnvenenthrombosen trotz Heparin-Behandlung fortschreiten, was häufig zum Tode führt. GPIIb/IIIa-Blocker (Eptifibatid, z. B. in Inte­grilin® und Tirofiban z. B. in Aggrastat®, Anmerkung der Redaktion) sind für andere kardiovaskuläre Erkrankungen bereits zugelassen.“ |

Literatur

David Stegner et al. Foudroyant cerebral venous (sinus) thrombosis triggered through CLEC-2 and GPIIb/IIIa dependent platelet activation. Nature Cardiovascular Research 2022. DOI: 10.1038/s44161-021-00017-1

Molekulare Ursache von Hirnvenenthrombosen entdeckt. Presseinformation der Universität Würzburg, 10. Februar 2022

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

 

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