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Management
Demut – eine Tugend moderner Führungskräfte
Wie man den Platz zwischen egozentrischer Führungsperson und dienender Führungskraft findet
Einen Satz meiner Tante habe ich nach vielen Jahren immer noch sehr präsent im Ohr. Ich war gerade frisch gebackene Apothekerin, hatte eine feste Anstellung angenommen und war sehr glücklich, zufrieden und stolz. (Schließlich gab es Zeiten, in denen der Arbeitsmarkt für Approbierte anders aussah und das Staatsexamen war auch nicht ohne.) Ich fand, ich hatte einiges geleistet und viel geschafft, und ihr Kommentar dazu war: „Anja, denk immer daran, du bist Stift im ersten Lehrjahr.“ Dieser Satz passte weder zu meinem Empfinden noch zu meinem neuen Tätigkeitsbereich, in dem ich Verantwortung übernahm für mein eigenes Handeln und das meiner Kollegen. Meine Tante war eine sehr weise Frau, hatte meinen vollen Respekt und war (und ist) ein großes Vorbild. Ich diskutierte diesen Satz deswegen nicht mit ihr, sondern versuchte herauszufinden, was es damit auf sich hatte.
Meine Tante hatte lange Zeit eine entscheidende Position in einem vermögenden Familienunternehmen bekleidet und war dabei immer bodenständig geblieben. Genau das war der springende Punkt. Sie hielt mich an, demütig zu bleiben und nicht zu denken, ich wäre „etwas Besseres“. Mir sollte klar werden, dass ich vieles zu lernen hatte, was ich für die neue Position brauchte, im Studium jedoch nicht unterrichtet wurde. Kein einfacher Auftrag, aber ich nahm ihn an und bin fest überzeugt, dass er mich vor vielen Fehlentscheidungen bewahrt hat.
Was bedeutet „demütig sein“?
Wenn Sie dem Begriff Demut vor allem in Verbindung mit der Rolle der Führungskraft skeptisch gegenüberstehen, kann ich das gut nachvollziehen. Mir ging es – wie beschrieben – ähnlich. Die Bedeutung der „modernen“ Demut lässt sich jedoch durch vier Elemente definieren:
- die eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen
- anderen Anerkennung entgegenzubringen für das, was sie tun
- lernbereit und offen zu sein
- das Verständnis, dass es nicht um das Ego jedes Einzelnen geht, sondern jeder ein Teil des Ganzen ist
Es bedeutet, dass wir uns selbst gut kennen und unsere Aufmerksamkeit besonders auf die Menschen um uns herum richten. Wir nehmen uns selbst ein Stück zurück und unterstützen andere bei ihrer Entwicklung. Diese Haltung lässt sich besonders bei dem neueren coachenden Führungsstil entdecken. Nicht mehr die Leistung des Einzelnen steht im Vordergrund, sondern das Ergebnis des Teams.
Zwischen den beiden Polen – auf der einen Seite die egozentrische Führungsperson, die sich für unentbehrlich und unfehlbar hält, auf der anderen Seite die dienende Führungskraft, die ganz auf das Wohl und die Bedürfnisse der Mitarbeiter bedacht ist und sich selbst darüber vergisst – gibt Demut uns die Möglichkeit, uns an der Mitte zu orientieren und ein gutes Augenmaß zu bewahren. Jede Führungskraft kennt – besonders in krisenbehafteten Situationen – dieses Wanken zwischen den Polen, das Abwägen, die Suche nach der richtigen Reaktion. Demut hilft dabei, besonnene Alternativen zu finden, und bewahrt davor, in die Extreme abzudriften. Sowohl die Mitarbeiter als auch das Unternehmen und sich selbst im Blick zu behalten und bei allen Abwägungen zu bedenken, ist die Folge.
Welche Vorteile bringen die Gedanken zur Demut?
Führungskräfte, die ein demutsvolles Verhalten vorleben, fördern dadurch eine vertrauensvolle Atmosphäre. Die Kooperation unter Kollegen wird gestärkt und der Umgang mit Fehlern verbessert. Die Mitarbeiter fühlen sich im Unternehmen sicherer und trauen sich dadurch, verantwortungsvolle Aufgaben zu übernehmen, engagieren sich mehr und legen mehr unternehmerisches Denken an den Tag. Zudem hilft Demut bei einer realistischeren Einschätzung, sowohl was den eigenen Einfluss als Führungskraft angeht als auch die Wettbewerbssituation und mögliche Chancen.
Demut lässt sich lernen
Wenn Sie den Gedanken zur Demut Taten folgen lassen wollen, können Sie sich am besten an der obigen Definition orientieren.
1. Entdecken Sie Ihre Stärken und Schwächen
Die eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen und zu benennen, kann furchtbar schwer sein. Wenn wir darüber nachdenken, fällt uns nichts ein, und wenn uns etwas einfällt, dann eher die Schwächen. Wahrscheinlich ist das so, weil unsere Stärken für uns so selbstverständlich sind, dass wir sie gar nicht wahrnehmen.
Beginnen Sie deswegen, Rückmeldungen zu sammeln. Was sagen Kollegen zu Ihnen? Welche Komplimente hören Sie von Kunden? Vielleicht gibt es Menschen, die Sie nach ihrer Meinung fragen können, die Ihnen aufrichtiges Feedback geben. Nutzen Sie das und interviewen Sie diese Impulsgeber. Vergessen Sie aber nicht, dass die Stärken, die andere bei Ihnen erkennen, von der Situation abhängig sein können. Wenn Sie im Privaten lieber zuhören, werden Ihre Freunde unter Umständen nicht darauf kommen, dass Sie ein begnadeter Redner sind und das beruflich nutzen. Werfen Sie nach einer Weile einen kritischen Blick auf Ihre Sammlung und bedenken Sie, dass es Sichtweisen und keine Wahrheiten sind. Diese Sichtweisen können Sie annehmen, sofern Sie sie für sinnvoll erachten, oder Sie lassen sie vorbeiziehen.
2. Erkennen Sie an, was die Menschen um Sie herum leisten
Heute schon jemanden gelobt – ganz gleich ob Ehepartner, Kollege oder Führungskraft? Wenn die Antwort „Nein“ ist, dann denken Sie kurz darüber nach, welche Chancen Sie nicht genutzt haben. Natürlich geht es nicht darum, sich etwas aus den Fingern zu saugen, schließlich ist Anerkennung nur etwas wert, wenn sie aufrichtig ist. Es gibt aber sicher viele Dinge, für die Sie dankbar sein können. Hat Ihnen jemand Kaffee gekocht? Na also. In den wenigsten Apotheken kocht sich jeder seinen eigenen Kaffee.
Wenn Sie loben, sollte das Lob so konkret und klar wie möglich formuliert sein. Was ist es genau, was Sie anerkennen? Was hat Ihnen besonders gefallen? Welchen Vorteil (mentales Geschenk) hat es Ihnen gebracht? Was empfinden Sie? (Ich sehe ein, bei einem Kaffee reicht wahrscheinlich ein „Danke“.)
Eine Kundin kam letztens in die Apotheke und begann ihre Anerkennung mir gegenüber mit den Worten: „Ich möchte Ihnen meinen Dank ausdrücken, endlich kann ich wieder ruhig schlafen.“ Sie erläuterte, was sie an meiner Beratung einige Tage zuvor im Speziellen schätzte, wie es ihr ging und was geholfen hat. Ihre Worte waren mit Bedacht gewählt und ihre Rückmeldung sicher fünf bis sechs Sätze lang. Das war wirklich etwas Besonderes.
Holen Sie Ihre verpasste Chance nach und formulieren Sie heute noch ein schönes Lob.
3. Offen und lernbereit
Richten Sie Ihren Blick nach innen und überprüfen Sie, ob Sie in dem einen oder anderen Fall eine zu starre Denkweise entwickelt haben. Was trauen Sie sich und Ihrem Team zu? Sie können sich Ideen ganz offen anhören und auf Fortbildungen gehen, aber die Reise endet abrupt, sobald Sie auf Gedanken stoßen wie: „Ist ja alles schön und gut, das ließe sich aber nie bei uns umsetzen“ oder „Das würde ich nie schaffen“. Vieles, was in den Apotheken in den letzten beiden Jahren geleistet wurde, hätte vorher als utopisch gegolten. Aber es hat geklappt. Es geht also meist mehr, als man so denkt.
4. Das große Ganze im Blick
Isaac Newton sagte: „If I have seen further than others, it is by standing upon the shoulders of giants.“ Da spricht die Ehrfurcht. Demut gibt einem die Möglichkeit, die eigene Person in eine angemessene Perspektive zu rücken – weder zu klein noch zu übersteigert. Das bringt Newton gut auf den Punkt, denn wir leisten als Teil des Ganzen unseren Beitrag und der mag nicht unerheblich sein, aber alleine, losgelöst von allem anderen, fahren wir höchst selten Erfolge ein. Die Bücher, mit deren Hilfe wir auf die richtige Lösung kommen, hat vor uns jemand geschrieben, oder der exzellente Ruf einer Apotheke entsteht dann, wenn alle mitziehen.
Demut und Freiheit
Sich mit demütigem Verhalten zu beschäftigen und es anzunehmen, braucht einen Moment Zeit. An einigen Tagen klappt es besser, an einigen schlechter. Wer demütig ist, gönnt sich etwas Freiheit. Er braucht nicht alles zu wissen oder zu können. Er kann um Hilfe oder einen Rat bitten. Er braucht nicht alle Lösungen zur Hand zu haben, sondern darf auf die Unterstützung anderer bauen. Vor allem demütigt er sich damit nicht selbst, sondern darf seinen Selbstwert, seine Würde, seinen Stolz frei machen von den Leistungen und Ansprüchen anderer. |
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