Arzneimittel und Therapie

Statine bei Schwangeren – ein No-Go?

Kontraindikationen sollen in den USA gelockert werden

Statine greifen in die Cholesterol-Biosynthese ein, die gerade während der Embryonalentwicklung auf Hochtouren laufen soll. Die Sorge um eine mögliche Teratogenität erwies sich in Tierversuchen als berechtigt. Seit ihrer Erstzulassung sind Statine kontraindiziert in der Schwangerschaft. In den vergangenen Jahren relativierten mehrere Beobachtungsstudien und Übersichtsarbeiten jedoch die Gefahr. Mittlerweile werden Statine sogar als Option bei Präeklampsie gehandelt. Vorsicht ist dennoch geboten.

Seitdem Frauen die Familienplanung immer weiter hinauszögern und Risikofaktoren wie Übergewicht und Hypercholesterinämie in der Gesamtbevölkerung zunehmen, spielen Statine heute auch im gebärfähigen Alter eine Rolle. Das Dilemma: Statine sind fester Bestandteil der Präventionsstrategie und sollten auch prämenopausalen Frauen nicht vorenthalten werden, sind aber gleichzeitig absolut kontraindiziert während einer Schwangerschaft. Die deutschen Fachinformationen weisen auf die Notwendigkeit einer Empfängnisverhütung hin. Bei Bekanntwerden einer Schwangerschaft werden Statine meist schlagartig abgesetzt – das gebietet allein schon die Zulassungslage.

Foto: RomainQuéré/AdobeStock

Unverzichtbar bei familiärer Hypercholesterinämie

Meist bleibt dieses Vorgehen aufgrund des chronischen Charakters atherosklerotischer Erkrankungen folgenlos. Doch gerade Frauen mit einer familiären Hypercholes­terinämie (FH), die schon seit ihrer Kindheit Statine einnehmen müssen, sollten besser nicht zu lange pausieren. Jede Schwangerschaft geht mit Veränderungen im Lipidstoffwechsel einher, die für das Wachstum und die Entwicklung des Fötus wichtig sind. Bei Frauen mit familiärer Hypercholesterinämie ist der absolute Anstieg des LDL-Cholesterol-Wertes während der Schwangerschaft aber deutlich höher als bei Frauen ohne diesen genetischen Hintergrund [1]. Betroffene müssen gut planen: Statine sollten drei Monate vor der geplanten Empfängnis und während der gesamten Schwangerschaft und Stillzeit abgesetzt, aber unmittelbar danach wieder eingenommen werden. Eine mögliche Alternative sind Gallensäurebinder wie Colestyramin, die jedoch den LDL-­Cholesterol-Spiegel im Plasma nur geringfügig senken können und zur verminderten Resorption fettlöslicher Vitamine (A, D, E, K) führen können. Fachleute kritisieren, dass Statine als wertvollste Therapieoption ausgeklammert werden, ohne einen eindeutigen Beweis für einen Zusammenhang zwischen der Exposition in der Schwangerschaft und einem erhöhten Risiko für Komplikationen zu haben [2].

Widersprüchliche Studiendaten

Tatsächlich erfolgten die Tierstudien, in denen über ein Übermaß an kongenitalen Anomalien berichtet wurde, mit deutlich höheren Statin-Dosierungen als die üblicherweise beim Menschen angewendeten [2]. Nun kommen mehr und mehr Beobachtungsstudien und systematische Arbeiten zu dem Schluss, dass das teratogene Risiko längst nicht so hoch ist wie befürchtet. Interventionelle Studien fehlen naturgemäß. In einer epidemiologischen Studie wurden die Daten von 886.996 Schwangerschaften aus einer amerikanischen Versichertendatenbank ausgewertet [3]. 1152 Frauen erhielten während des ersten Trimesters eine Statin-Verordnung. Insgesamt traten bei 73 (6,3%) Schwangerschaften mit Statin-Einnahme und bei 31.416 (3,6%) Schwangerschaften ohne Statin-Einnahme Fehlbildungen beim Neugeborenen auf. Das scheinbar erhöhte Risiko hielt einer adjustierten Analyse, in der Einflussfaktoren wie beispielsweise Diabetes, Übergewicht und Rauchen berücksichtigt wurden, nicht stand. Die Autoren führten die Unterschiede in den beiden Gruppen darauf zurück, dass die Schwangeren, die ein Statin erhielten, älter waren und mehr Komorbiditäten hatten, insbesondere Diabetes.

Eher Grunderkrankung das Problem?

Ein aktueller Review extrahierte aus einer umfassenden Literaturrecherche 18 klinische Studien zur Analyse [2]. Das Ergebnis: Die Statin-Therapie scheint sicher zu sein, da sie nicht mit Totgeburten oder induzierten und elektiven Abtreibungsraten assoziiert war. Allerdings wurde ein signifikanter Anstieg der Spontanabortrate nach einer Statin-Therapie beobachtet, was für einen ungünstigen Einfluss auf die frühen Phasen der Schwangerschaft spricht. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass erstens die Daten nur aus Beobachtungsstudien stammen, zweitens die Studienteilnehmer einiger der einbezogenen Studien nicht als repräsentativ für die allgemeine Population schwangerer Frauen angesehen werden können, da sie beispielsweise Erkrankungen wie Hypercholesterinämie oder ein hohes Prä­eklampsie-Risiko hatten, die ihrerseits das Schwangerschaftsergebnis beeinflussen können. Und drittens kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Einnahme von Statinen im 1. Trimenon stellvertretend für das gleichzeitige Vorliegen klinischer Bedingungen (z. B. höheres Alter, kardiovaskuläre Risikofaktoren) steht, die Frauen einem höheren Abortrisiko aussetzen.

Atherosklerotische Plaques im Wandel

Foto: Rasi/AdobeStock

Nach wie vor ist unklar, inwiefern Statine das Fortschreiten einer Atherosklerose beeinflussen. Mehr Licht ins Dunkel könnten die Ergebnisse der Arbeitsgruppe um van Rosendael et al. bringen. Die Wissenschaftler hatten an 857 Patienten (64% davon hatten ein Statin eingenommen) die Veränderungen von 2458 Koronarläsionen über mindestens zwei Jahre dokumentiert und ausgewertet. Insgesamt konnten sie bei allen Patienten sechs Plaque-­Typen mit unterschiedlicher Dichte ausfindig machen. Es zeigte sich, dass bei den Teilnehmern, die kein Statin eingenommen hatten, das Volumen aller Plaque-Typen über den Beobachtungszeitraum zunahm. Dagegen vergrößerte sich unter Statin-Einnahme zwar das Volumen von Plaques mit hoher Dichte, gleichzeitig nahm das von Plaques mit geringer Dichte ab. Die Hypothese der Wissenschaftler: Durch die Statin-­Einnahme lagern Plaques mit anfangs niedrigen Dichtewerten zunehmend Calcium-Fragmente ein und wandeln sich dadurch in kompaktere Plaques um. Gleichzeitig beeinflusst die Plaque-Zusammensetzung das Atherosklerose-Risiko wesentlich. So ergab eine Auswertung der Studie SCOT-HEART, dass ein hoher Anteil an Plaque mit niedriger Dichte mit einem hohen Herzinfarkt-Risiko verbunden ist, wohin­gegen kompakt kalzifizierte Läsionen das Risiko eher zu senken scheinen.

van Rosendael AR et al. Association of Statin Treatment With Progression of Coronary Atherosclerotic Plaque Composition. JAMA Network 2021. doi:10.1001/jamacardio.2021.3055

USA: Keine Verallgemeinerung mehr

Auch in den USA waren Statine seit ihrer Erstzulassung in Schwangerschaft und Stillzeit absolut kontraindiziert. Die Fachinformationen enthielten dazu ausdrückliche Warnhinweise. Nun will die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) den neuen Erkenntnissen Rechnung tragen und die generelle Anwendungsbeschränkung für alle Schwangeren aufheben [4]. Die Argumentation: Eine Kontraindikation als schärfste Warnung sollte nur hinzugefügt werden, wenn das Risiko eindeutig den möglichen Nutzen überwiegt. Im Fall der Statine zieht eine kleine Gruppe von Patientinnen mit sehr hohem Risiko durchaus einen Nutzen in der Vorbeugung schwerwiegender oder potenziell tödlicher Ereignisse. Unter diesen Gegebenheiten sei die Kontraindikation für Statine bei allen schwangeren Frauen nicht angebracht, so die Behörde [5]. Man gehe davon aus, dass diese Maßnahme es den Angehörigen der Gesundheits­berufe und Patienten erleichtern wird, individuelle Entscheidungen über Nutzen und Risiko zu treffen, insbesondere bei Patienten mit einem sehr hohen Risiko. Dazu gehören Patienten mit homozygoter familiärer Hypercholesterinämie und Patienten, die bereits einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten haben.

Was sagt Embryotox?

Interessant wäre zu erfahren, ob es Unterschiede zwischen den einzelnen Vertretern der Substanzklasse gibt. So ist es denkbar, dass hydrophile Statine die Cholesterin-Biosynthese im Fötus weniger stark beeinflussen als lipophile [2], da die Hydrophilie den Transfer durch die Plazenta erschwert. Embryotox bewertet alle Vertreter (Simvastatin, Atorvastatin, Lovastatin, Pravastatin, Fluvastatin) mit grau [6]. Rosuvastatin ist nicht gelistet. Die Datenbank weist darauf hin, dass einige ältere Fallberichte Fehlbildungen bei den exponierten Kindern beschreiben, sich aber zusammengefasst keine Erhöhung des teratogenen Risikos oder der Spontanabortrate durch die Einnahme im 1. Trimenon ergeben. Zur Anwendung im 2. und 3. Trimenon sowie perinatal gibt es weniger Er­fahrungen, da Statine meistens nach Bekanntwerden der Schwangerschaft abgesetzt werden. Eine Weiterführung der Therapie sollte dennoch kritisch hinterfragt werden. Meist ist eine Unterbrechung der Therapie aus mütterlicher Sicht möglich. Eine ver­sehentliche Behandlung rechtfertigt jedoch keinen Schwangerschafts­abbruch oder invasive Diagnostik. Am besten untersucht ist Simvastatin, dem auch der Vorzug gegeben werden sollte, falls eine Behandlung unumgänglich ist. Gleiches gilt für die Stillzeit: So liegen zwar keine ausreichenden Daten vor, Berichte über toxische Symptome bei gestillten Kindern allerdings auch nicht. Bei dringender Indikation kommen am ehesten Pravastatin bzw. Simvastatin infrage. Auch im Fall von Atorvastatin ist aufgrund der kinetischen Daten allenfalls ein sehr geringer Übergang in die Muttermilch zu erwarten.

Hoffnung bei Präeklampsie

Den Sicherheitsbedenken zum Trotz gibt es sogar Hinweise auf vorteilhafte Wirkungen von Statinen in der Schwangerschaft, allen voran die Vorbeugung einer Präeklampsie. Dabei handelt es sich um eine hypertensive Erkrankung, die mit erheblichen neonatalen und mütterlichen Morbiditäten und Mortalitäten einhergeht. Dahinter vermutet man eine abnorme Plazentation, die zur Freisetzung löslicher antiangiogener Faktoren führt, verbunden mit erhöhtem oxidativem Stress und Entzündungsreaktionen. Möglicherweise können Statine aufgrund ihrer pleiotropen Effekte diese pathophysiologischen Vorgänge korrigieren. Insbesondere Pravastatin hat sich in verschiedenen präklinischen und klinischen Studien bewährt, die nebenbei auch Bedenken hinsichtlich der Teratogenität gemildert haben [7]. Große klinische, randomisierte und kontrollierte Studien fehlen aber bislang. Ebenso wird eine mögliche Schutzwirkung von Statinen gegen Frühgeburten diskutiert, da sie dem Umbau des Gebärmutterhalses und der Kontraktion der Myometriumzellen entgegenwirken [2].

Fazit

Die FDA begründet ihre Entscheidung, die absolute Kontraindikation von Statinen in der Schwangerschaft fallen zu lassen, mit der Bewertung einer Reihe von Fallserien und Kohortenstudien. Die Aussagekraft nicht-interventioneller Studien ist aufgrund ihres Charakters limitiert, Verzerrungen sind nicht auszuschließen. Zudem wurden in anderen Studien durchaus Sicherheits­signale gefunden. So ergab beispielsweise eine Metaanalyse von sechs kleinen Beobachtungsstudien eine erhöhte Rate von Fehlgeburten [8]. Der FDA fehlte es in diesem Fall aber an Angaben zu möglichen Störfaktoren, die für sich das Risiko erhöht haben könnten. Schlussendlich lässt die Behörde ja auch nur die absolute Gegenanzeige streichen, nicht aber den Hinweis auf ein potenzielles Risiko. Es gilt auch weiterhin, Statine während einer Schwangerschaft wenn möglich zu meiden. Eine überarbeitete Formulierung in den Beipackzetteln soll Ärzten und Patientinnen mehr Sicherheit geben, falls die Einnahme von Statinen in der Schwangerschaft zwingend notwendig sein sollte oder eine unbeabsichtigte Exposition in der Frühschwangerschaft erfolgte. Eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung bleibt davon unberührt.

Und in Deutschland?

Hierzulande werden die Gegenan­zeigen wohl nicht so schnell gekippt werden. Da sich interventionelle Studien aus ethischen Gründen verbieten, wird jedoch womöglich niemals eine bessere Evidenz erreicht werden. Die Fachinformationen generischer Präparate richten sich in der Regel nach denen des Erstinverkehrbringers. Ist dieser nicht mehr im Markt, kann anhand von Literaturdaten, Leitlinien etc. überlegt werden, Änderungen unabhängig vom Referenzarzneimittel beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bzw. der EMA einzureichen. |

Literatur

[1] Pang J et al. The knowns and unknowns of contemporary statin therapy for familial hypercholesterolemia. Current Atherosclerosis Reports 2020;22:64

[2] Vahedian-Azimi A et al. A systematic review and meta-analysis on the effects of statins on pregnancy outcomes. Atherosclerosis 2021:336;1-11

[3] Bateman BT et al. Statins and congenital malformations: cohort study. BMJ 2015;350:h1035

[4] FDA lockert Kontraindikation für Statine in der Schwangerschaft. Online-Meldung vom Ärzteblatt vom 20. August 2021, verfügbar unter www.aerzteblatt.de/nachrichten/125793/FDA-lockert-Kontraindikation-fuer-Statine-in-der-Schwangerschaft, Abruf am 3. November 2021

[5] Statins: Drug Safety Communication - FDA Requests Removal of Strongest Warning Against Using Cholesterol-lowering Statins During Pregnancy. Meldung der US Food and Drug Administration vom 20. Juli 2021, verfügbar unter www.fda.gov/safety/medical-product-safety-information/statins-drug-safety-communication-fda-requests-removal-strongest-warning-against-using-cholesterol, Abruf am 3. November 2021

[6] Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie, www.embryotox.de

[7] Smith DD et al. The role of statins in the prevention of preeclampsia. Am J Obstet Gynecol 2020;17:S0002-9378(20)30868-1

[8] Zarek J et al. Are statins teratogenic in humans? Addressing the safety of statins in light of potential benefits during pregnancy. Expert Rev Obstet Gynecol 2013;8:513-24

Apothekerin Rika Rausch

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