Arzneimittel und Therapie

Eine Infektion verschlummern?

Wie Schlaf die Impfantwort beeinflussen kann

„Schlaf Dich gesund!“ oder „Schlaf ist die beste Medizin!“, schon unsere Vorfahren wussten, wie wichtig Schlaf für die Erholung, Regeneration und Genesung ist. Aber ist alles nur eine Redewendung oder existiert tatsächlich ein plausibler Zusammenhang zwischen Dauer und Qualität des Schlafes, insbesondere dem Tiefschlafanteil, und einem effizient funktionierenden Immunsystem? Auch lassen einige wissenschaft­liche Untersuchungen vermuten, dass die Immunantwort nach einer Impfung durch erholsamen Schlaf gesteigert und durch Schlafentzug reduziert werden kann.

Schlafstörungen belasten erheblich Körper und Geist und sind langfristig mit zahlreichen gesundheitlichen Problemen assoziiert, zum Beispiel mit Adipositas und weiteren Stoffwechselerkrankungen, Konzentrations- und Angststörungen, Depressionen, erhöhtem Blutdruck und auch Infektanfälligkeit. Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie lässt insbesondere der zuletzt genannte Punkt aufhorchen. Schließlich sind psychische Belastungen, Stress und (Existenz-)Ängste, die ihrerseits zu Ein- und Durchschlafstörungen führen können, aktuell allgegenwärtig und jede negative Beeinflussung der Abwehrkräfte unerwünscht.

Schlaf und das Immunsystem

Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) sieht einen unumstrittenen, aber bisher wenig verstandenen Zusammenhang zwischen Schlaf und Immun­system [1]: „Man nimmt an, dass der Schlaf wesentlich dafür verantwortlich ist, ein Gleichgewicht von während des Wachens anfallenden Entzündungsmediatoren wiederher­zustellen und bestimmte Funktionen des Immunsystems in Gang zu setzen, die für die Abwehr eines Infektes notwendig sind“, so die DGSM in einer Pressemitteilung zum diesjährigen Aktionstag „Schlaf in Zeiten von COVID-19“ [1]. Nachdenklich stimmen hier die Ergebnisse einer Befragung von annähernd 3000 Ärzten und Pflegekräften aus sechs Ländern (u. a. Deutschland), mit hoher COVID-19-Exposition am Arbeitsplatz [2]. 568 Teilnehmer erkrankten selber an COVID-19 und berichteten im Vergleich zu den 2316 Kontrollen häufiger über Schlafprobleme und arbeitsbedingtem Burn-out im Jahr vor Beginn der COVID-19-Pandemie. Wer im Vorfeld seiner Erkrankung über Ein- und Durchschlafprobleme klagte sowie an mehr als drei Tagen in der Woche Hypnotika einnahm, hatte dabei verglichen mit Personen ohne Schlafprobleme ein fast doppelt so hohes Risiko für eine COVID-19-Erkrankung (Odds Ratio: 1,88, 95%-Konfidenzintervall 1,17 bis 3,01, p = 0,22). An dieser Stelle sei betont, dass Schlaf nur einer von vielen mög­lichen Einflussfaktoren auf unser Immunsystem ist, es hier aber sehr wichtige wechsel­seitige Einflüsse gibt (s. Abb. 1) [3].

Abb. 1: Wechselseitige Beeinflussung zwischen Schlaf und Immunsystem. Eine gesteigerte Infektabwehr infolge bakterieller oder viraler Infektionen kann den Schlaf beeinträchtigen. Umgekehrt führt Schlafmangel oder nicht erholsamer Schlaf über immunologische und inflammatorische Dysregulationen zu einer verminderten Infektabwehr, beeinträchtigt das Immungedächtnis und die -homöo­stase, adaptiert nach [3].

Schlaf und Impfungen

Forschende glauben ferner, dass erholsamer und ausreichend langer Nachtschlaf zur Konsolidierung, das heißt Verfestigung, des Immungedächtnisses beitragen kann, ähnlich wie Schlaf die Gedächtniskonsolidierung fördert. Um diese wissenschaftliche Theorie zu überprüfen, bieten sich Untersuchungen an, die die Reaktion unseres Körpers auf Impfungen in Abhängigkeit vom Schlaf messen. Einige human- und tierexperimentelle Studien, die allesamt vor Beginn der COVID-­19-­Pandemie durchgeführt wurden, beschäftigten sich bereits mit dieser Frage. Bei Impfungen gegen Influenza-A- sowie Hepatitis-A- und -B-Viren konnte man in kleineren Studien zeigen, dass Schlaf zu einer verstärkten Immunantwort im Vergleich zu Geimpften führte, denen zu Studienzwecken Schlaf entzogen wurde. So ließ man in einer Lübecker Untersuchung die eine Hälfte der Probanden, die gegen Hepatitis A immunisiert wurden, in der Folgenacht normal schlafen, die andere Hälfte musste bis zur nächsten Nacht wach bleiben [4]. Bei der Kontrolle der Antikörpertiter nach vier Wochen stellte sich interessanterweise heraus, dass diejenigen mit Schlafrestriktion nur halb so viele Antikörper aufwiesen als die „Ausgeschlafenen“. Ähnliche Effekte zeigten sich bei Probanden, die in den vier Tagen vor und zwei Tagen nach einer Influenza-Impfung nur vier Stunden schlafen durften. In der Vergleichsgruppe wurde der normale Schlaf-Wach-Rhythmus mit 7,5 bis acht Stunden Nachtschlaf eingehalten [5]. Bei letztgenannten waren die Influenza-Virus-spezifischen Antikörpertiter, gemessen zehn Tage nach der Impfung, mehr als doppelt so hoch wie bei denjenigen mit Schlafdefizit.

Einfluss auf T-Helferzellen

Dass Schlafmangel sich nicht nur in den ersten Wochen nach einer Impfung auf verschiedene Immunpara­meter auswirkt, sondern auch längerfristig betrachtet nachteilig sein kann, wurde bereits vor zehn Jahren in einer weiteren deutschen Unter­suchung gezeigt [6]. Von 27 jungen männlichen Probanden, die in den Wochen null, acht und 16 gegen Hepatitis A und Hepatitis B geimpft wurden, sprachen drei Personen im Nachbeobachtungszeitraum von einem Jahr nicht ausreichend auf die Hepa­titis-B-Impfung an (Antikörpertiter < 100 mIU/ml IgG) und mussten nachgeimpft werden. Hierbei handelte es sich ausschließlich um Personen, denen in der Folgenacht der jeweiligen Impfungen der Schlaf entzogen wurde. In dieser Studie konnte mittels umfassender Blutuntersuchungen auch gezeigt werden, dass Schlaf­mangel nach der Impfung die Zahl antigenspezifischer T-Helferzellen signifikant reduzierte und dieser Effekt im Laufe eines Jahres nicht ausgeglichen werden konnte (s. Abb. 2). Diese Beobachtung unterstreicht die Bedeutung der frühen Phase der adaptiven Immunantwort.

Abb. 2: Schlaf verstärkt die Hepatitis-A-Virus(HAV)-spezifische T-Helferzellanzahl nach der Impfung. Während die Probanden der Schlafgruppe zwischen 23.00 Uhr und 6.30 Uhr schliefen, wurde den Probanden der Wachgruppe der Schlaf in der Folgenacht nach jeder der drei Impfungen entzogen, sie blieben bis 20.00 Uhr am Folgetag wach, **p < 0,01, *p< 0,05, (*) p < 0,1, adaptiert nach [6].

Empfehlungen zu COVID-19-­Impfungen

Diese und weitere Daten deuten auf eine wichtige Rolle des Schlafes für die Immunantwort nach einer Impfung hin. Nach Ansicht von DGSM-Vorstandsmitglied Dr. Anna Heid­breder, Oberärztin in der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Innsbruck, ist bisher zwar nicht bestätigt, ob dies auf eine COVID-19-Impfung übertragbar ist, es sei aber sehr gut möglich. Es empfiehlt sich aus Sicht der Schlafforscherin, vor und nach einer Impfung aktiv auf einen ausreichenden und erholsamen Nachtschlaf zu achten [1]. |

Literatur

[1] Schlaf in Zeiten von COVID-19, Aktionstag „Erholsamer Schlaf“ der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e. V., 21. Juni 2021, www.dgsm.de/fileadmin/aktionstag/2021/Aktionstag_Schlaf_2021_Pressemappe.pdf

[2] Kim H et al. COVID-19-illness in relation to sleep and burnout. BMJ Nutrition, Prevention & Health 2021;4:e000228. doi:10.1136/bmjnph-2021-000228

[3] Besedovsky L et al. The Sleep-Immune Crosstalk in Health and Disease. Physiol Rev 2019;99(3):1325-1380, doi: 10.1152/physrev.00010.2018

[4] Lange T et al. Sleep enhances the human antibody response to hepatitis A vaccination. Psychosom Med 2003;65:831–835

[5] Spiegel K et al. Effect of sleep deprivation on response to immunization. JAMA 2002;288(12):1471-1472, doi: 10.1001/jama.288.12.1471-a

[6] Lange T et al. Sleep after Vaccination Boosts Immunological Memory. J Immunol 2011;187(1):283-290, https://doi.org/10.4049/jimmunol.110001

Apothekerin Dr. Verena Stahl

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