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Denken in Schlagzeilen
Zum Abschied des Ankündigungsgesundheitsministers Jens Spahn
Am 14. März 2018 wurde Jens Spahn als Bundesgesundheitsminister und jüngstes Kabinettsmitglied im sogenannten Kabinett Merkel IV vereidigt. Spahn trat sein Amt verhältnismäßig spät an, aufgrund der gescheiterten Jamaika-Verhandlungen hatte sich die Regierungsbildung gezogen. Im Gegensatz zu so manchem Gesundheitsminister vor ihm war Jens Spahn aber gesundheitspolitisch kein unbeschriebenes Blatt. Nachdem er im Jahr 2002 im Alter von 22 Jahren erstmalig in den Bundestag eingezogen war, wurde er Mitglied des Gesundheitsausschusses. Von 2009 an bekleidete er den Posten des gesundheitspolitischen Sprechers seiner Fraktion, bis er 2015 ins Finanzministerium wechselte. In dieser Zeit kreuzten sich die Wege des Westfalen und die der Apotheker mehrfach. Denn gleich mehrere für die Apothekerschaft wichtige Entscheidungen fielen in diese Zeit, darunter das AMNOG, die Erhöhung des Apothekenhonorars im Jahr 2013 und die Nacht- und Notdienstpauschale. Vor allem in seinen ersten Jahren als Abgeordneter hinterfragte Spahn regelmäßig die etablierten Strukturen im Apothekenmarkt wie das Fremd- und Mehrbesitzverbot. Später gab er dann viele Deregulierungsvorstellungen auf. Die Idee, die Honorierung der Apotheken nicht nur an die Abgabe einer Packung zu knüpfen und statt einer pauschalen Erhöhung zusätzliche Honorarbestandteile einzuführen, brachte er aber schon in seiner Zeit als gesundheitspolitischer Sprecher ins Spiel. So sagte er beispielweise 2013 im DAZ-Interview: „Ich könnte mir Honorarbestandteile für die Betreuung chronisch Kranker vorstellen oder beim Medikationsmanagement. Da sind wir gesprächsbereit und warten auf konkrete Vorschläge der Apothekerschaft.“
Die großen Themen
Spahn hatte bei seinem Amtsantritt viel vor. „Drei großen Themen“ wollte er sich im Besonderen widmen: der flächendeckenden ärztlichen Versorgung, der Pflege und der Digitalisierung. Themen, bei denen klar war, dass er mit der Ankündigung, sich ihrer annehmen zu wollen, auf breite Zustimmung stößt. Apothekenthemen standen offensichtlich nicht ganz oben auf seiner Agenda. Ganz entziehen konnte er sich ihnen aber nicht – dem EuGH-Urteil aus dem Oktober 2016 sei Dank. Dessen Folgen „erbte“ er von seinem Amtsvorgänger und Parteifreund Hermann Gröhe.
Das unerledigte To-do
Der Kontrast zu seinem Vorgänger im Amt, Hermann Gröhe, hätte größer kaum sein können: Gröhe, der Verwalter, der seine To-do-Liste Punkt für Punkt abarbeitete. Im Gegensatz dazu Spahn, der sich von Anfang an als Macher und Gestalter präsentieren wollte und dabei Konflikte unter anderem mit der Selbstverwaltung, aber auch in der eigenen Fraktion nicht scheute. Ein wesentlicher Punkt auf Hermann Gröhes To-do-Liste blieb am Ende seiner Amtszeit aber unerledigt. Denn Gröhe war es nicht mehr gelungen, seine und die von der Apothekerschaft favorisierte Lösung des Versandhandelskonflikts infolge des EuGH-Urteils durchzusetzen: das Rx-Versandverbot. Als letztes Vermächtnis landete folgende Formulierung im Koalitionsvertrag: „Um die Apotheken vor Ort zu stärken, setzen wir uns für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein“. Allerdings war jedem, der die Karriere von Jens Spahn aufmerksam verfolgt hatte, klar: Das Rx-Versandverbot war für ihn keine Herzensangelegenheit – im Gegenteil. Da auch vom Koalitionspartner SPD nicht mit Druck in Richtung Rx-Versandverbot zu rechnen war – die Sozialdemokraten hatten dies nie befürwortet –, war rückblickend eine Umsetzung während der Amtszeit von Jens Spahn nicht wirklich realistisch. Er ließ auch von Beginn der Legislaturperiode an durchblicken, dass es aus seiner Sicht nötiger wäre, das Apothekenhonorar grundlegend zu reformieren, und dass er dazu Vorschläge aus der Apothekerschaft erwarte. Geschehen ist hier bis heute nichts.
Was Spahn bezüglich des von ihm niemals favorisierten Rx-Versandverbots vorhatte bzw. welche Alternativen er plante, blieb für die Apothekerschaft lange eine Black-Box. Im Rahmen einer Facebook-Diskussion erklärte er bis zum Deutschen Apothekertag ein „Gesamtpaket“ vorstellen zu wollen – wie wahrscheinlich kein Bundesminister vor ihm nutzte Spahn die sozialen Netzwerke als zusätzliche Plattform. Darin sollte nicht nur eine Regelung zum Versandhandelskonflikt enthalten sein, sondern auch eine Reform der PTA-Ausbildung und die Vergütung pharmazeutischer Dienstleistungen. Was er genau plante, blieb vage. Immerhin war mittlerweile klar, dass er keine Rx-Rabatte in Deutschland zulassen, den Versand aber auch nicht verbieten wollte. Der ABDA-Spitze hatte er offensichtlich bei den vielen Besprechungen hinter verschlossenen Türen deutlich gemacht, dass sie bei ihm mit ihrer Forderung nach einem Rx-Versandverbot auf Granit beißen werde. Sie hatte sich nämlich derweil von den Kammern- und Verbandschefs das Mandat eingeholt, auch über Alternativen zum Rx-Versandverbot verhandeln zu können. Den versprochenen und mehrfach angekündigten Lösungsvorschlag zum Rx-Versandhandelskonflikt blieb Spahn beim Apothekertag 2018 jedoch schuldig. Er diskutiere gerne kontrovers, deswegen habe er kein fertiges Konzept mitgebracht, lautete seine Erklärung. Vielleicht hatte er zu diesem Zeitpunkt auch einfach keines.
Im Dezember 2018 schlug Spahn dann einen Bonus-Deckel vor und griff damit den Vorschlag der SPD-Fraktion zur Lösung des Versandhandelskonflikts auf. Außerdem sollte die Preisbindung im SGB V verankert werden. Clever koppelt er diesen dicken Brocken an Neuregelungen, die die Apothekerschaft gerne schon seit längerem hätte: zum Beispiel die Möglichkeit, von den Kassen vergütete pharmazeutische Dienstleistungen zu erbringen, die Erhöhung der Nacht- und Notdienstpauschale sowie der BtM-Gebühr. Bei der ABDA stieß der Bonus-Deckel und damit die Aufhebung der Gleichpreisigkeit auf Widerstand. Eine komplette Ablehnung kam aber aufgrund der gebotenen Perspektiven auch nicht infrage. Der Gegenvorschlag, die Arzneimittelpreisverordnung zwar ins SGB V zu transportieren, aber gleichzeitig ein striktes Rx-Boni-Verbot gegenüber GKV-Versicherten mit Sanktionsmöglichkeiten festzuschreiben, findet sich tatsächlich auch in der heute geltenden Regelung wieder. Das von Spahn seit jeher ungeliebte Rx-Versandverbot aber nicht – und das sogar mit Rückendeckung der ABDA.
Das Apothekenstärkungsgesetz und was davon übrig blieb
Der erste Entwurf eines Apothekenstärkungsgesetzes aus dem Sommer 2019 hätte im Rundumschlag Gleichpreisigkeit im SGB V, die vergüteten pharmazeutischen Dienstleistungen, die Erhöhung der Notdienstpauschale und des Abgabehonorars für Betäubungsmittel, Dauerverordnungen, die gesetzliche Verankerung des Botendienstes und mehr geregelt. Außerdem enthielt er ein Überraschungsei des Ministers, das die Apothekerschaft nie gefordert hatte: In Apotheken sollte künftig gegen Grippe geimpft werden können. Der Konflikt mit den Ärzten war vorprogrammiert.
Spahns Apothekenreform wurde allerdings filetiert und das Kernelement, das Rx-Boni-Verbot für den GKV-Bereich und somit die Lösung des Versandhandelskonflikts, wurde vertagt. Spahn wollte eine Entscheidung aus Brüssel abwarten. Trotzdem sah er zumindest einen Teil seiner Mission im Apothekenmarkt als gelöst an. Vollendet wurde das Werk dann im Corona-Jahr 2020. Im Dezember 2020 trat das VOASG bzw. das was davon übrig war in Kraft und mit ihm das Rx-Boni-Verbot für GKV-Versicherte. Außerdem schuf Spahn die gesetzliche Grundlage für vergütete pharmazeutische Dienstleistungen. Mit seiner Beharrlichkeit – er hatte seine Lösung des Versandhandelskonflikts ohne Rx-Versandverbot gegen Widerstände in den eigenen Reihen und in der Apothekerschaft verteidigt und die Gutachten und Analysen namhafter Juristen sowie hunderttausende Unterschriften für Petitionen ignoriert – hat er sich am Ende durchgesetzt. Zwischenzeitlich drohte er beim DAT 2019 sogar bockig mit Arbeitsverweigerung, sollte die Standesvertretung seinen eingeschlagenen Weg verlassen und versuchen, über den Bundesrat ein Rx-Versandverbot durchzusetzen.
Herzensprojekt Digitalisierung
Von Anfang war klar: Digitalisierung sollte Jens Spahns Thema werden. So ebnete er unter anderem den Weg für die Telemedizin und ermöglichte Digas auf Rezept. Außerdem trieb er den ins Stocken geratenen Ausbau der Telematik-Infrastruktur voran. Um den Einfluss des BMG zu vergrößern und das Ganze so zu beschleunigen, entmachtete er Kassen- und Leistungserbringer in der Gematik. Sie stellten nämlich bis 2019 jeweils die Hälfte des Gremiums. Dass dies die digitalen Anwendungen im Gesundheitswesen, wie die elektronische Gesundheitskarte, jahrelang nicht voranbrachte, ist kein Geheimnis. Für einen, der wie Spahn angetreten war, das Gesundheitswesen zu digitalisieren, waren das denkbar schlechte Vorrausetzungen. So initiierte er eine Gesetzesänderung, durch die dem Bund 51 Prozent der Anteile und damit die Kontrolle über die Gematik-Gesellschaft zukamen. Der Wille des BMG war somit maßgeblich für die Entscheidungen der Gematik. Digitalisierungsprojekte, wie das E-Rezept, hat das ohne Frage beschleunigt. Doch so schnell, wie Spahn sich das vorstellte, ging es dann doch nicht. So mussten immer wieder Fristen verlängert werden, zum Beispiel die Anbindung der Apotheken an die TI. Auch die Einführung des E-Rezepts wird nicht mehr wie ursprünglich geplant in seine Amtszeit fallen. Die Testphase war, gelinde gesagt, ein Reinfall. Bei manchem Digitalisierungsprojekt musste er auch zurückrudern. So wurde beispielsweise die Kooperation seines Ministeriums mit Google per Gerichtsbeschluss gestoppt. Die Richter sahen einen Verstoß gegen die Pressefreiheit. Tempo schien Spahn oft wichtiger als Gründlichkeit. Gerne wurde der Datenschutz als Sündenbock für Verzögerungen herangezogen. Ob hinter den vielen Einzelprojekten ein großer Plan steckte, war nicht zu erkennen.
Spahn hatte zu Beginn seiner Amtszeit gesagt, die Digitalisierung im Gesundheitswesen sei kein Selbstzweck, sondern solle die Patientenversorgung effizienter gestalten. Wenn das wirklich für jedes einzelne Digitalisierungsprojekt gelten sollte, ist es Spahn nicht gelungen, das den Leistungserbringern, die die Patientenversorgung nun mal stemmen, klarzumachen und sie mitzunehmen. Ihnen wurde die Digitalisierung von oben verordnet. In diesem Bereich hinterlässt Jens Spahn seinem Nachfolger Karl Lauterbach viele offene Baustellen, unter anderem das unfertige E-Rezept-Projekt.
Spahn and Friends
Der Vorwurf der Nähe zu den Arzneimittelversendern stand von Beginn seiner Amtszeit an im Raum. Hintergrund war zum einen, dass Spahn 2006 unter anderem mit dem früheren DocMorris-Vorstandsmitglied Max Müller eine Polit-Agentur gegründet hatte. Er habe einen Freund unterstützt, und würde heute anders entscheiden, rechtfertigte er sich 2012 gegenüber der DAZ. Zudem wurden seine Gesetzentwürfe seitens der Apothekerschaft immer wieder als versenderfreundlich eingestuft. Zu nennen sind hier unter anderem die Sonderbehandlung der Versender bei der Ausgabe der für den TI-Zugang notwendigen Smartcards oder die Lücken zu ihren Gunsten in den Regelungen zum E-Rezept, zum Beispiel beim Makelverbot. Nachdem vieles nachgebessert werden konnte, ist nicht immer klar, ob es sich wirklich um Absicht oder einfach um redaktionelle Ungenauigkeiten handelte, die es in den Gesetzentwürfen seines Hauses häufig gab. Allerdings nützt die Einführung des E-Rezepts nach Ansicht vieler Apothekerinnen und Apotheker generell vor allem den Versendern. Und zuletzt trug auch seine beharrliche Weigerung, das Rx-Versandverbot umzusetzen, nicht dazu bei, den Verdacht der guten Beziehungen in die Niederlande aus der Welt zu schaffen.
Für große Kritik und den Vorwurf der Vetternwirtschaft sorgte dann die Personalie Leyck Dieken bei der Gematik. Spahn machte den ehemaligen Pharmamanager dort zum Geschäftsführer inklusive üppigem Gehaltsplus. Allerdings verband die beiden offenbar eine langjährige persönliche Bekanntschaft und ein gemeinsames Immobiliengeschäft. Markus Leyck Dieken hat Spahn vor Jahren eine Wohnung verkauft. Sowohl Spahn wie Leyck Dieken wiesen jedoch zurück, dass Wohnungskauf oder persönliche Kontakte bei der Besetzung des Spitzenpostens eine Rolle gespielt hätten.
Auch lukrative Maskendeals im Zuge der Coronapandemie sollen seinem Umfeld zugeschustert worden sein. So soll beispielsweise Spahns Ehemann Maskenlieferanten die Tür zum BMG geöffnet haben.
Mit heißer Nadel gestrickt
Spahns Amtsvorgänger Gröhe galt bereits als fleißiger Minister. 30 Gesetze und 40 Verordnungen brachte sein Haus auf den Weg. Spahn überbietet das mit über 40 Gesetzen und einigem mehr an Verordnungen, die zwar auch, aber nicht nur der Pandemie geschuldet waren. Auch davor veröffentlichte das Ministerium Gesetzentwürfe mit hoher Frequenz. Das ging oft zulasten der Sorgfalt. Immer wieder fanden sich Ungenauigkeiten und redaktionelle Fehler in den Entwürfen. Meist wurden diese im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens ausgemerzt. Ein Beispiel, bei dem das nicht so war, ist das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV), das eine Antwort auf die Skandale um verunreinigtes Valsartan und den brandenburgischen Importeur Lunapharm sein sollte. Hier hatte sich ausgerechnet bei der hoch umstrittenen Importförderklausel, um die man im Gesetzgebungsverfahren lange gerungen hatte und die viele am liebsten ganz fallen sehen wollten, ein Fehler eingeschlichen. So sollten biotechnisch hergestellte Arzneimittel sowie antineoplastische Arzneimittel zur parenteralen Anwendung von der Importförderklausel ausgenommen sein. Dank des Fehlers war das aber nicht sofort der Fall, sondern erst 2022. Das Gesetz trat dann auch erst einmal so in Kraft, erst mit dem Implantateregister-Errichtungsgesetz wurde später nachgebessert.
Jens Spahn und die Pandemie
Jens Spahn hatte große Pläne. Corona war sicher keiner davon. Relativ bald sorgte Spahn im März 2020 mit der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite unter anderem dafür, dass das BMG Corona-Maßnahmen schnell per Verordnung regeln konnte und nicht den üblichen Weg der Gesetzgebung über das Parlament gehen musste. Ein Schritt, der viel kritisiert wurde und der auch immer wieder für Widerstand gegen die „am Bundestag vorbei“ beschlossenen Maßnahmen sorgte. Beim zähen Ringen um die „Bundesnotbremse“, die im Frühjahr 2021 über den verfassungsmäßig vorgesehenen Weg verabschiedet wurde, bekam man aber einen kleinen Eindruck wie langwierig so manche Entscheidung ohne den erweiterten Handlungsspielraum des BMG geworden wäre. Und Zeit gab es in der Pandemie eigentlich nie. Zwar war Deutschland glimpflich durch die erste Welle gekommen. Spahn katapultierte das in den Beliebtheitsrankings der Politiker weit nach oben. Gar eine Kanzlerkandidatur und der Parteivorsitz schienen möglich. Doch dann schlitterte das Land offensichtlich unvorbereitet in die nächsten Wellen. Schnell hatte man das Gefühl, die Regierung (allen voran das BMG) hinke mit ihren Entscheidungen immer hinterher – trotz eindringlicher Mahnungen und Warnungen der Wissenschaft. Und dann musste es immer ganz schnell gehen. Die Apothekerschaft bekam das direkt zu spüren. So galt es innerhalb von kürzester Zeit die Maskenverteilung zu organisieren und Testzentren aufzubauen. Die nächste Hauruck-Aktion war die Digitalisierung der Impfzertifikate. Die Apothekerinnen und Apotheker meisterten das mit Bravour – und wurden, zumindest in ihrer Wahrnehmung, mehrfach um den versprochenen Lohn geprellt. Denn die Honorare wurden jeweils nachträglich empfindlich gekürzt, nachdem es Kritik an deren Höhe gegeben hatte. Und auch außerhalb der Apothekerschaft geriet Spahn in Bedrängnis: Denn plötzlich waren ganz neue Kompetenzen seines Ministeriums gefragt, zum Beispiel Masken organisieren. Dabei machte der Minister nicht immer die glücklichste Figur. Die Testverordnung wurde außerdem zur Einladung für Betrüger. Hinzu kam die schleppende Impfkampagne, Spahn wurden Fehler bei der Impfstoffbeschaffung vorgeworfen. Er schien seinen politischen Instinkt verloren zu haben. Private Fauxpas taten ihr Übriges: Ein Abendessen mit Großspendern in Zeiten, in denen gleichzeitig der Rest der Republik zum Social-Distancing verdonnert wurde. Am Tag darauf wurde Spahn positiv auf Corona getestet. Auch der Kauf einer Luxusvilla in Berlin bescherte ihm negative Schlagzeilen.
Die Süddeutsche Zeitung schreibt unter Berufung auf Personen, die viel mit Spahn verhandelten, „Spahn denke immer in Schlagzeilen. Der Minister zeigt Härte, der Minister beendet die Pandemie, der Minister setzt sich durch. Spahn habe aber keine intrinsische Überzeugung, was richtig ist oder falsch. Auch deshalb sei die deutsche Corona-Politik immer so chaotisch: weil der Bundesgesundheitsminister nicht weiter vorausdenke als bis zum nächsten Zeitungsaufmacher.“ Eine Einschätzung die er mit dem Hin und Her um die kostenlosen Bürgertests oder zuletzt auch dem Auslaufenlassen der epidemischen Lage unterstrich. Nach bald zwei Jahren Pandemie ist Jens Spahns Beliebtheit auf dem Tiefpunkt. Laut ARD-Deutschlandtrend sind 70 Prozent der Befragten mit seiner Arbeit unzufrieden. Zum Vergleich bei Markus Söder sind es nur 48 Prozent. In der Apothekerschaft dürfte der Anteil der Unzufriedenen vermutlich noch höher sein.
Unterm Strich
Was bleibt über die Amtszeit von Jens Spahn hinaus? Die Apotheker nehmen aus den Jahren mit Jens Spahn zwar weder ein Rx-Versandverbot noch die seit Jahren immer wieder geforderte Anpassung des Fixhonorars mit. Immerhin gab es aber auch kein die Apotheken betreffendes neues Spargesetz, es wurden sogar Anpassungen bei der Notdienstpauschale und der BtM-Vergütung vorgenommen. Außerdem kann ein Honorar für den Botendienst abgerechnet werden. Dass der mittlerweile Regelleistung ist und keine Ausnahme mehr, dürfte in der Praxis kaum etwas verändert haben. Als größten Posten auf der Habenseite kann die Apothekerschaft aber wohl die gesetzliche Grundlage für honorierte pharmazeutische Dienstleistungen für sich verbuchen. Die mit Leben zu füllen, ist nun nicht mehr Spahns Aufgabe. Auch dass in Apotheken mittlerweile im Rahmen von Modellprojekten gegen Grippe geimpft werden darf, geht allein auf die Kappe des scheidenden Bundesgesundheitsministers. Seiner Linie, dass er eher Honorarbestandteile jenseits des Packungshonorars sieht, blieb er damit treu.
Was die Digitalisierung, Spahns Kernthema, angeht, steht in den Apotheken zunächst einmal ein Haufen Hardware in Gestalt von Konnektoren und Kartenlesern rum, über den lediglich Impfzertifikate abgewickelt werden. Der wartet nun darauf, dass die von Spahn angestoßenen unvollendeten Digitalisierungsprojekte flächendeckend Einzug halten. Die Mission „Digitalisierung des Gesundheitswesens“ ist aber vorerst nicht erfüllt.
Während der Pandemie hat Spahn den Apotheken viel zugemutet oder, wenn man es positiv ausdrücken will, viel zugetraut. Die Apothekerinnen und Apotheker haben dies mit Bravour gemeistert und die Wichtigkeit einer flächendeckenden Versorgung unter Beweis gestellt. Inwiefern das in Erinnerung bleibt, wenn die neue Regierung „Effizienzgewinne innerhalb des Finanzierungssystems nutzen“ möchte, bleibt abzuwarten. Dass es für die Apotheken unter einem SPD-geführten BMG nicht gemütlicher wird, dürfte allen klar sein. Zumal die Kassen durch die Pandemie, deren Ende nicht absehbar ist, leer sind. Die Reformen der letzten sozialdemokratischen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt machen den Apotheken auf jeden Fall heute noch zu schaffen oder um es mit den Worten der ABDA-Präsidentin zu sagen: „Die Giftspritzen des BMG unter Ulla Schmidt wirken lange nach“.
Jens Spahn wird aller Voraussicht nach die kommenden vier Jahre in der Opposition verbringen, er hat nach wie vor ein Bundestagsmandat. Dass die Karriere des 41-Jährigen noch nicht zu Ende ist, davon ist auszugehen. Die Frage ist nur, wann und in welcher Funktion es ein Wiedersehen gibt. |
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