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Gut gealtert?

Fortbildung der Apothekerkammer Nordrhein thematisiert geriatrische Pharmazie

mp | Im Alter werden Schmerzen stärker, die Ohren und Augen schlechter. Mehr Arzneimittel müssen eingenommen werden, doch es fällt schwerer, diese richtig anzuwenden. Den Problemen, die bei geriatrischen Patienten auftreten, widmete sich die 61. große Fortbildung der Apothekerkammer Nordrhein. Apotheker können für die verschiedenartigen Probleme nicht sensibilisiert genug sein.

Die 800 Kolleginnen und Kollegen, die die 61. große Fortbildung der Apothekerkammer Nordrhein besuchten, konnten sich leider nicht im Kölner Gürzenich treffen. Diese Tatsache ­bedauerte so mancher Redner in den Abendstunden des 25. November 2021. Die Pandemie lässt ein direktes Treffen in der Art einfach nicht zu.

Wenn schon nicht der direkte Austausch mit Kolleginnen und Kollegen im Zentrum der Fortbildung stehen konnte, so wenigstens das Fachliche.

Der Abend drehte sich um den geria­trischen Patienten. Wie jeder Pharmazeut weiß, häufen sich im Alter schnell die arzneimittelbezogenen Probleme. In drei Vorträgen und einer Podiumsdiskussion erörterten die Redner die Facetten der geriatrischen Pharmazie und fanden Lösungen für die Offizinapotheke. Sensibilisiert zu sein, ist ein gutes Rezept für die Zukunft. Denn schon jetzt ist Deutschland das zweitälteste Land der Welt. Während immer mehr Menschen in Rente gehen, kommt nur vergleichsweise wenig Nachwuchs hinterher. „Der demogra­fische Wandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit“, unterstrich Kathrin Lubold, Vize­präsidentin der Apothekerkammer Nordrhein, in ihrer Eröffnungsrede.

Zehn Jahre Priscus-Liste

Den ersten Vortrag hielt Prof. Dr. Petra Thürmann, Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie der Universität Witten/Herdecke. Vor zehn Jahren etablierte sie die Priscus-Liste, die es Ärzten und Apothekern erleichtern soll, problematische Arzneimittel in der Medikation älterer Patienten zu identifizieren. Sie umfasst 83 Arzneimittel, die potenziell inadäquat sind. Auf manche Wirkstoffe reagieren geriatrische Patienten empfindlicher. Paradoxe Reaktionen können auftreten oder die physiologische Gegenregulation gestört sein. Bei Antihypertonika kann der Blutdruck stark abfallen, Schwindel und Stürze können die Folge sein. Unter Diuretika dehydrieren Senioren schneller, unter Analgetika treten nephrotoxische Wirkungen eher auf. Die Arzneimittel der Priscus-Liste lösen größtenteils unerwünschte Wirkungen aus, die die Kognition beeinträchtigen oder das Sturzrisiko erhöhen. Diese un­erwünschten Arzneimittelwirkungen werden bei älteren Patienten oft nicht als solche erkannt, weil sie als Alterserscheinungen fehlinterpretiert werden. Seit die Liste existiert, sind die Verordnungszahlen der 83 aufgeführten Arzneimittel zurückgegangen. Aber die Effekte sind nicht so gut wie erwartet. In Studien, in denen Pflegende und Ärzte gezielt auf die Liste mit den potenziell inadäquaten Arznei­stoffen aufmerksam gemacht wurden, zeigte sich keine Verbesserung hinsichtlich Lebensqualität oder Mortalität der Patienten. Thürmanns Fazit: Die Priscus-Liste ist ein einfaches Hilfsmittel, um die Arzneimitteltherapie zu optimieren. In Zukunft bräuchte es aber umfängliche Tools, die alle zwei Jahre aktualisiert werden sollten.

Foto: AK Nordrhein

Die Gäste und Moderatorinnen der Fortbildungsveranstaltung betonten, dass eine fachlich gute Betreuung geriatrischer Patienten sowohl das Verhältnis zum Patienten als auch zum behandelnden Arzt verbessert.

Seniorengerechte Arzneiformen

Im zweiten Vortrag sprach Dr. Wolfgang Kircher, Apotheker aus Peißenberg, über Arzneiformen, die Senioren Probleme bereiten. Als Beispiel besprach er ein Formoterol-Inhalationspulver, das einem Patienten in Form von Hartkapseln verordnet wurde. Schwierig wird die Anwendung eines Pulverinhalators für den, der schlechte Ohren und Augen, wenig Kraft in den Fingern und eine eingeschränkte Feinmotorik hat. Kircher erläuterte die richtige Anwendung: Der Patient drückt die Hartkapseln aus dem Blister und legt sie in den Inhalator. Anschließend müssen die seit­lichen Inhalatortasten kräftig gedrückt werden, wobei die Hartkapseln angestochen werden. Bringt der Patient nicht die nötige Kraft auf, öffnet sich die Kapsel nur unvollständig, bei der anschließenden Inhala­tion würde die Kapsel nicht vollständig entleert werden. Nun muss der Inhalator geöffnet und überprüft werden, ob die Hartkapsel vollständig entleert wurde. Apotheker sollten ältere Patienten auf diesen letzten Schritt aufmerksam machen, auch wenn einige nicht mehr gut sehen können.

Kircher untersuchte verschiedene Inhalatoren und fand heraus, dass Präparate von Aliud Pharma, Aristo und Stada bei der Bedienung weniger Kraft benötigen als andere Präparate. Pharmazeuten können also bei der Präparateauswahl ihre betagten Patienten unterstützen. Außerdem können sie empfehlen, für die Betätigung der Inhalatortasten nicht den „Spitzgriff“ (mit den Spitzen von Daumen und Zeigefinger), sondern den kräftigeren „Schlüsselgriff“ zu nutzen – also so, wie man einen Schlüssel hält, wenn man die Tür aufschließt.

Nicht nur Inhalatoren können problematisch sein. Auch mit Augentropfen oder Insulinpens haben Senioren oftmals Probleme, oder mit Lösungen, deren Tropfgeschwindigkeit zu hoch ist. Kircher motivierte die zuhörenden Apothekerinnen und Apotheker, die Initiative zu ergreifen und die Patienten zu fragen, ob sie Probleme mit manchen Arzneiformen hätten. Derzeit steht leider noch keine Liste zur Verfügung, die ähnlich der Priscus-Liste eine Übersicht über problematische Arzneiformen gibt. Etwas Vergleichbares sei aber in Aussicht, so Kircher. Wer an dem Thema interessiert ist, könne die Arzneimittel­anwendung einfach im Apothekenlabor untersuchen.

Was Medikationsreviews leisten

Beim dritten Vortrag der großen Fortbildungsveranstaltung richtete Marjan van den Akker, Professorin für Multi­medikation und Versorgungsforschung am Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Univer­sität, den Fokus auf die Problematik der Multimedikation. Mit zunehmendem Alter steigt die Prävalenz einer Multimedikation. Infolgedessen wird die Belastung der Patienten durch die Behandlungen größer. Das Risiko der Non-Adhärenz steigt, Nebenwirkungen und Hospitalisierungen werden wahrscheinlicher. Schließlich kann die Mortalität der Patienten zunehmen. Ein Medikationsreview könnte Abhilfe schaffen. Dabei sind viele verschiedene Arzneimittel nicht immer zwingend zu viel. Wichtig ist, zu identifizieren, welche Arzneimittel notwendig sind und ob eine Multi­medikation zum Wohle des Patienten angepasst werden könnte.

Wie ein Medikationsreview konkret aussehen kann, war Gegenstand des letzten Teils der Fort­bildungsveranstaltung. PharmD Ina Richling, Apothekerin in der Zentralapotheke der Katholischen Kliniken im Märkischen Kreis, Iserlohn, stellte einen Patientenfall vor, der auf dem Podium diskutiert wurde: Ein multimorbider 81-jähriger Patient erlitt just eine Verschlechterung seiner Herzinsuffizienz. Mit einem Blick auf die Medikation berieten sich Richling sowie die Apothekerinnen Katja Renner, Susann Behrens und Franziska Lemmer über Ursachen und eine Lösung des Problems. Wichtig sei beim Medikationsreview solcher Patienten, nicht ausschließlich mit pharmazeutischer Brille auf die Wirkstoffe zu blicken. Oft ist das Dosierungsschema zu kompliziert oder die Teilbarkeit der Tabletten zu schwierig. Daher sei umso wichtiger, dem Patienten viele Fragen zu stellen, um zu ergründen, wo Probleme liegen. Dann könnte man alle Arzneimittel auf dem Medikationsplan mit dem Patienten besprechen und ihm erklären, welches Mittel er wogegen einnimmt, um die Wichtigkeit herauszustellen. Auch sollte ergründet werden, welche Ziele ein Patient mit seiner Therapie verbindet. |

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