Feuilleton

Das Murmeltier schläft, grüßt - und heilt

Was wirklich im Öl steckt und wofür es angewendet wird

Während das Murmeltier Phil aus Punxsutawney im amerikanischen Pennsylvania den Frühling voraussagen kann, haben seine europäischen Verwandten ganz andere Fähigkeiten: Das Fett bzw. Öl des Alpenmurmeltieres (Marmota marmota) wird bei Muskelverspannungen, Schmerzen und Entzündungen sowie Ekzemen eingesetzt. So ist Murmeltiersalbe oder Murmeltiercreme nicht nur ein beliebtes Mitbringsel aus dem Urlaub in Tirol, Vorarlberg oder der Schweiz, sondern ein interessantes Beispiel für arzneilich genutzte Animalia.

Die schmerzstillende und entzündungshemmende Wirkung des Murmeltierfettes beruht auf einem hohen Gehalt an ungesättigten Fettsäuren mit einem Linolsäure-/Linolensäure-Quotienten von 1 : 2 [1]. Cortison, Hy­drocortison, Dehydrocorticosteron, Corticosteron, Reichsteins Substanz S, Desoxycorticosteron, 17α-OH-Proges­teron und Progesteron konnten identifiziert und qualitativ bestimmt werden [2]. In Summe enthält Murmeltierfett (Adeps marmotae) pro Kilogramm etwa 30 mg Kortikosteroide und liegt damit im Bereich rezeptfreier Kortisonsalben, zumindest im Geltungs­bereich deutscher Gesetzestexte – in Österreich müssen entsprechende Präparate ärztlich verordnet werden.

Gewonnen wird das Murmeltierfett durch die Jagd. In Bayern genießen Murmeltiere zwar ganzjährige Schonung, in Österreich und der Schweiz sind sie hingegen ein mit Einschränkungen jagdbares Wild: Das männliche Oberhaupt der Kolonie muss dabei sowohl wegen der Fortpflanzungshierarchie als auch wegen seiner Funktion als winterlicher Wärmelieferant geschont werden. Streng geregelt ist auch die Anzahl der Abschüsse: Im österreichischen Tirol werden beispielsweise jährlich nur rund 4000 Murmeltiere erlegt, die Jagdsaison dauert von Mitte August bis Ende September. Die Schweizer Jagdstatistik weist für das Jahr 2019 eine Zahl von 6344 Murmeltierabschüssen auf (hauptsächlich in Graubünden).

Foto: Susanne Krejsa MacManus

Beliebt wegen seines Öls, unbeliebt wegen seiner Grabtätigkeit: Das Murmeltier untergräbt Wiesen, Almhütten, Strommasten ...

Dass sie überhaupt bejagt werden dürfen, liegt an ihrer „Bauwut“, mit der sie den Almbauern in die Quere kommen: Murmeltiere verändern mit ihrer Grabtätigkeit die Landschaft beträchtlich. Bis zu 113 Meter Länge kann ein Murmeltiertunnel messen, meist jedoch „nur“ etwa zehn bis 70 Meter. Was für die Murmeltiere Sicherheit bedeutet, weil sie schnell „abtauchen“ können, stellt eine große Gefahr für die Kühe und Schafe auf der Weide dar, wenn sie in eines dieser Löcher treten.

Nicht nur Wiesen werden untergraben, auch Almhütten, Strom- und Telefonmasten, weshalb in betroffenen Gebieten Abschüsse nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht sind, wenngleich tierliebende Touristen und Vertreter von Tierschutzorganisationen es zu verhindern suchen.

Apothekenmuseum Winkler, Herzog Friedrich Straße 25, 6020 Innsbruck, Österreich. Besuch nur gegen vorherige Anmeldung möglich: mail@stadtapotheke-winkler.at

Gutes Öl durch gutes Futter

Bei der Gewinnung des kostbaren Fettes ist Eile angesagt: Das Murmeltier muss innerhalb von 20 Minuten nach dem Schuss geöffnet und ausgenommen werden. Nach dem vorsichtigen Schmelzen von Muskelfett und Innereienfett im Wasserbad kann von einem ausgewachsenen Tier mit ca. drei Kilogramm Körpergewicht eine Menge von 1 bis 2 Liter Öl gewonnen werden. In der Kälte erstarrt es leicht zu einer kleinkristallinischen Masse [3]. Die hohe Qualität des Murmeltierfettes beruht auf der „gesunden“ Ernährung, die ausschließlich aus Blüten und Kräutern besteht, sowie auf der Lebensweise in Gebieten ganz ohne Kunstdünger oder Pestizide.

Als Bewohner von Hochlagen ab etwa 200 Höhenmetern über der lokalen Waldgrenze bis hinauf auf 3200 Meter hat das Alpenmurmeltier auch eine wichtige Funktion als Indikator alpiner Umweltveränderungen. Wie eine von der EU finanzierte Langzeitstudie gezeigt hat, beeinflusst die Veränderung des Klimas die Größe der Tiere, ihre Körpertemperatur sowie die Anzahl ihrer Nachkommenschaft [4].

Foto: Susanne Krejsa MacManus

Typisch Nagetier Kräftige Schneidezähne in den Kiefern.

Die Volksmedizin nutzt es schon lange

Eigentlich würde man ein Anwendungsgebiet des Murmeltierfettes im Bereich von Schlaflosigkeit erwarten – „Schlafen wie ein Murmeltier“ ist schließlich das ersehnte Ziel aller Schlaflosen. Doch nichts Derartiges ist in der Überlieferung zu finden. Stattdessen setzte es die Volksmedizin seit Alters her u. a. für schwere Geburten, Rheumatismus, Schwindsucht, Brandwunden, Kropf, Keuchhusten, Frostbeulen und Hodenbrüche ein [5]. Der Schweizer Arzt Theophrastus Paracelsus (1493 – 1541) empfahl es gegen Lähmungen, Fisteln und Seitenstechen.

Erst die moderne Forschung konnte die Schlafmechanismen der Murmeltiere aufklären. Ihr Einschlafen wird durch die Veränderung der Tageslänge im Jahresverlauf gesteuert. Entsprechende Signale werden von den Augen an die Epiphyse weitergeleitet, wo die Melatoninproduktion in Gang kommt. Dadurch wird eine Reihe hormoneller Regelkreise beeinflusst, die physiologische und Verhaltensänderungen der Tiere bewirken.

Das Aufwachen nach sechs bis sieben Monaten oder auch später wird hingegen durch eine während des Sommers synchronisierte innere Jahresuhr veranlasst, da die Tiere während ihres Schlafes tief unter der Erde von jeder externen Zeitinformation abgeschnitten sind [6].

Foto: Susanne Krejsa MacManus

Aufbewahrungsgefäß für Murmel­tieröl aus dem Innsbrucker Apothekenmuseum.

Das Innsbrucker Apotheken­museum

Ein dekoratives Aufbewahrungsgefäß für Murmeltieröl (aus dem beginnenden 20. Jahrhundert) sowie robuste Kieferknochen dieser Nagetiere befinden sich im privaten Apothekenmuseum, das seit 1900 im Gebäude der Innsbrucker Stadtapotheke besteht. Auch viele andere arzneilich genutzte Animalia wurden dort über Generationen gesammelt, hatte doch der Museumsgründer Ludwig Winkler (1873 – 1935) unter anderem das Wiener Dispensatorium von 1729 studiert: Es war „reich an Medikamenten, zu welchen zahlreiche Animalia ihr Blut, Fett, Harn, Horn, ihre Klauen, Eingeweide, Zähne, Eier etc., ja sich selbst ganz opfern mussten, um ein wirksames Arzneimittel zum Wohle der leidenden Menschheit liefern zu können.“ [7] Tatsächlich enthält die Liste außer Pinguedo muris montani (Murmeltierfett) beispielsweise Hundekot (Album graecum), Krötenasche (Bufones combusti) und Vipernfleisch.

Sein Urenkel Andreas Winkler, heutiger Leiter des Apothekenmuseums und Lehrbeauftragter für Geschichte der Pharmazie an der Universität Innsbruck, zeigt bei regelmäßigen Themenführungen u. a. altes Apothekenmobiliar, Laborgeräte, Arbeitsutensilien und antike Apothekengefäße, darunter Albarelli aus der Leibapotheke der Landesfürstin Claudia von Medici (1604 – 1648). Da die Apotheke auf eine lange Geschichte zurückblicken kann (1326 erstmalig urkundlich erwähnt) und seit dem 16. Jahrhundert im Besitz der Familie Winkler ist, sind viele Schätze erhalten. Dazu zählen nicht nur die erwähnten Murmeltierobjekte, sondern auch die barocke Apothekeneinrichtung, ein Charivari aus einer Adlerklaue (der stolze Adler ist das Tiroler Wappentier), Steinbock- und Rhinozeroshorn, menschliche Schädeldecken und Mumienteile. Arzneidrogen und Zubereitungen aus „weißen Mumien“, also von Leichen, die vom Meer ans Land geschwemmt wurden und im Sand ausgetrocknet sind, versprachen größte Heilkraft, etwa gegen epileptische Anfälle, Vergiftungen und das Pestfieber. Zwei Ziergehänge mit Einhorn, Kokosnüssen, Elfenbein etc. schmücken die Decke.

Auf tragische Weise verloren gegangen ist hingegen das ausgestopfte Krokodil aus der Naturaliensammlung: Andreas Winklers Urgroßvater hatte es Erzherzog Eugen (1863 – 1954) aus der Familie Habsburg geschenkt, der in seiner Salzburger Festung Hohenwerfen eine „historische“ Apotheke errichtete. Beim Brand der Burg im Jahr 1931 ist das Krokodil mitverbrannt. |

Literatur

[1] Hahn H, Thier HP: Die Zusammensetzung des Murmeltierfettes, DAZ 113, 1973, 991f.

[2] Wagner H, Nusser D: Murmeltier- und Dachsfett – Das antiphlogistisch wirkende Prinzip, DAZ 38, 1988, 1921-3.

[3] Grübler M: Die Axungia muris montis, Ö. Jahreshefte Pharmacie und verwandte Wissenszweige, 1907, 265-8.

[4] Adaptive Responses to Climate Change, https:/cordis.europa.eu/article/id/180893-mammals-response-to-environmental-changes/de, (abg. 2. 9. 2021)

[5] Aubrecht G: Allerlei Ergötzliches über das Alpenmurmeltier, Katalog des OÖ. Landesmuseums, 1999, 177ff.

[6] Arnold W: Winterschlaf des Alpenmurmeltieres, Katalog des OÖ. Landesmuseums, 1999, 43-56.

[7] Winkler L: Die Animalia des Wiener Dispensatoriums, Pharmazeutische Post v. 25. 9. 1908, 785-8.

Susanne Krejsa MacManus

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.