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Doping

Süchtig nach dem perfekten Körper

Der riskante Missbrauch androgener anaboler Steroide ist weit verbreitet

Doping im Sport hat viele Facetten. Anabolika, Amphetamine, Narkotika – Athleten konsumieren verschiedenste Substanzen zur Leistungssteigerung. Ausgesprochen potente Vertreter sind die androgenen anabolen Steroide, Abkömmlinge des männlichen Sexualhormons Testosteron. Hohe Dosen der Anabolika steigern Leistung und Muskelmasse beträchtlich, bleiben aber nicht ohne Nebenwirkungen. Neben dem besonders in den Medien in den Fokus gerückten Missbrauch im Hochleistungssport sind diese Substanzen mittlerweile in den Fitness-Studios angekommen und verbreiten sich endemisch im Breitensport. | Von Tony Daubitz

Am 24. September 1988 schnellte der Kanadier Ben Johnson bei den Olympischen Spielen in Seoul die 100 m Sprint­strecke in bis dahin nie dagewesenen 9,79 s entlang. Ein neuer Weltrekord war geboren und der Athlet um eine Goldmedaille reicher. Drei Tage später entspann sich dann einer der größten Skandale der Sportgeschichte. Johnsons Urinprobe wurde positiv auf Stanozolol getestet, ein androgenes anaboles Steroid. Solche Anabolika oder auch kurz Roids genannte Substanzen werden illegal zur Leistungssteigerung und zum Muskelaufbau eingesetzt. Johnson war seine Medaille schnell wieder los und wurde mittlerweile von anderen Athleten wie Usain Bolt auf legalem Wege überholt. Diese spektakulären Fälle im Hochleistungssport stehen nur für die Spitze des Eisberges, denn Anabolika verbreiten sich mehr und mehr im Breitensport. Eine konservative Schätzung geht davon aus, dass diese Substanzen von fünf Prozent aller Besucher von Fitness-Studios missbraucht werden – das ergibt schätzungsweise mindestens 450.000 Konsumenten in Deutschland [1]. Der „typische“ Nutzer anaboler Steroide ist männlich, zwischen 20 und 40 Jahre alt und betreibt Kraftsport und Kampfsport [2]. Weibliche Konsumenten sind in der deutlichen Minderheit [2]. Bei den meisten resultiert der Gebrauch anaboler Steroide dabei nicht aus Wettbewerbsgründen wie beim Profisport, sondern oft ist der Konsum intrinsisch motiviert. Eine erhöhte Muskel­masse und -kraft sowie ein ästhetisches Erscheinungsbild stehen im Vordergrund [2].

Testosteron – Männerhormon und Muskelhormon

Bei den androgenen anabolen Steroiden handelt es sich um synthetische Derivate des männlichen Sexualhormons Testosteron. Das Hormon wird im männlichen Körper in den Leydig-Zellen der Hoden und in den Nebennieren aus seinem Ausgangsstoff Cholesterol gebildet. Frauen produzieren geringe Mengen sowohl in Nebennieren als auch in den Ovarien. Testosteron und sein durch die 5-alpha-Reduktase gebildetes Stoffwechselprodukt Dihydrotestosteron vermitteln ihre Wirkung über die zellkernständigen Androgen-Rezeptoren. Grob lassen sich die Effekte der Hormone in die androgene und die anabole Wirkung unterteilen. Testosteron und Dihydrotestosteron (DHT) sind zuständig für die Ausbildung der primären und sekundären männlichen Geschlechtsmerkmale während der fetalen Entwicklung bzw. der Pubertät. Die Hormone halten zudem die männliche Sexualfunktion aufrecht; Testosteron reguliert die Spermienproduktion und ist wichtig für Libido und Potenz, DHT fördert die Bildung des Prostatasekrets. Neben dieser androgenen Komponente hat das Hormon auch zahlreiche anabole Eigenschaften. Testosteron steigert die Protein- und Nukleinsäure-Synthese, fördert den Muskel- und Knochenaufbau, stimuliert die Erythrozytenproduktion und regt die Talgdrüsen an. Zusätzlich beeinflusst Testosteron die Psyche und das Verhalten.

Testosteron konnte zum ersten Mal im Jahre 1935 chemisch synthetisiert werden. Dieser Durchbruch öffnete die Tür für zahlreiche Derivatisierungen des Hormons in den folgenden Jahrzehnten und seine Ausbreitung im Profisport. Da orales Testosteron einem ausgeprägten First-pass-Metabolismus unterliegt, wurden Alkylierungen am C-17 in das Molekül eingefügt, um die Oxidation der OH-Gruppe an dieser Stelle in der Leber zu unterbinden [3]. Beispiele hierfür sind Methandienon, Oxandrolon und Stanozolol. Allerdings wirkt diese Modifikation hepatotoxisch. In der Szene stehen die Vertreter trotzdem weiter hoch im Kurs [2]. Um den First-Pass-Metabolismus zu umgehen, werden Androgene intramuskulär injiziert. Veresterungen am C-17 tragen dazu bei, die Plasmahalbwertszeit des Derivats zu erhöhen. Dabei gilt: je länger der Ester, umso länger die Halbwertszeit [3]. Solche Vertreter sind bspw. Testosteronenantat und Testosteron­undecanoat (Nebido®), welche beispielsweise medizinisch zur Hormonersatztherapie bei männlichem Hypogonadismus indiziert sind, aber auch als Anabolika genutzt werden. Zahlreiche weitere Modifikationen haben das Ziel, die anabole Wirkung zu erhöhen und die androgene Wirkung zu vermindern (siehe Abb. 1). Beispiele hierfür sind die fehlende C-19-Methylgruppe bei Nandrolon und Trenbolon. Nandrolon ist bspw. noch in der Schweiz und Österreich (Deca-Durabolin®) zur Behandlung der Osteoporose zugelassen. In Deutschland existiert es als anaboles Tierarzneimittel für Hunde und Katzen (Myodine®), erfreut sich in der Dopingszene aber nach wie vor außerordentlicher Beliebtheit. Weitere Abkömmlinge des Testosterons, die aufgrund ihrer günstigen anabolen Eigenschaften häufig im Doping verwendet werden, sind die 1-2-Dehydro-Derivate Boldenon, Methenolon und Metandienon, das 2-methyl-substituierte Drostanolon und das 1-methylierte Mesterolon, allesamt in Deutschland nicht zugelassen (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Auswahl an chemischen Modifizierungen der Testosteron-Struktur, die die anabole Wirkung verstärken [nach 3].

Noch bevor die anabole Wirkung wissenschaftlich bestätigt werden konnte, experimentierten die Athleten bereitwillig mit den Substanzen. Mittlerweile ist auch in Studien er­wiesen, dass Testosteron und androgene Steroide in supraphysiologischen Dosen, also weit über den physiologischen Konzentrationen liegend, enorme Effekte auf Muskelkraft und Muskelmasse ausüben [4]. Grundsätzlich bedeutet dabei mehr zugeführtes Testosteron auch mehr Muskelmasse [5]. Allerdings ist unbekannt, ab welcher Dosis eine Grenze erreicht wird. Anabolika-Konsumenten nutzen teilweise außerordentlich hohe Dosierungen, die das Hundertfache einer therapeutisch indizierten Dosis betragen können [6]. 1974 wurde der Konsum dieser Substanzen schließlich vom Internationalen Olympischen Komitee untersagt. In Deutschland ist es nach dem Gesetz gegen Doping im Sport verboten, Steroide herzustellen, zu veräußern, zu vertreiben und in nicht geringen Mengen zu besitzen. Doping im Sport und Selbstdoping verbietet das Gesetz. Da die Präparate auf legalem Weg nicht zu beziehen sind, werden sie entweder online gekauft oder über Dealer vor Ort. Testosteron-Ester werden unter Umständen auch von Ärzten verschrieben. ­Illegal produzierte Steroide stammen oft aus Osteuropa oder Asien [2]. Sie weisen häufig Mängel wie abweichende Dosierungen bzw. Verunreinigungen und andere als die deklarierten Wirkstoffe auf und stellen ein erhebliches Risiko für die Konsumenten dar [7].

Zyklus um Zyklus zum perfekten Körper

Androgene anabole Steroide werden häufig in Zyklen angewendet [2, 6]. Informationen zu den verschiedenen Möglichkeiten beschaffen sich die Steroid-Konsumenten dabei bspw. im Internet oder über Bekannte. Es wird häufig mit verschiedensten Steroiden und unterschiedlichen Dosierungen experimentiert. Der Hintergedanke zur zyklischen Anwendung ist, dass der Körper in der Anwendungsphase Muskeln aufbaut und sich in der steroidfreien Zeit oder zumindest Periode geringerer Dosierung erholen kann. Die Dauer eines Zyklus bewegt sich zwischen sechs und zwanzig Wochen. Die steroidfreie bzw. steroidärmere Zeit kann mehrere Wochen bis Monate andauern. Während eines Zyklus werden verschiedenste Steroide miteinander zu einem sogenannten „Stack“ (zu deutsch Stapel) kombiniert [2]. Wenn die Dosis langsam erhöht und gegen Ende des Zyklus langsam wieder reduziert wird, spricht man vom „Pyramiding“. Die Dosierungen können dabei um das Zehn- bis Hundertfache gegenüber den für medizinische Zwecke verschriebenen Dosen liegen [2]. Üblicherweise setzt sich ein Stack aus intra­muskulär injizierbaren Testosteron-Estern in Kombination mit Estern von Nandrolon, Trenbolon, Drostanolon oder Boldenon zusammen. Wer neu einsteigt oder eher vorsichtig ist, nutzt oft einzelne, orale Testosteron-Präparate in moderateren Dosen [2]. Orale Präparate werden oft auch zusätzlich zu injizierbaren Testosteron-Estern als Kick­starter oder Finisher eines Zyklus verwendet.

Tab. 1: Bulking-Zyklen (Quelle: Steroid-Subforum der Onlineplattform Reddit)
Zyklus für Einsteiger
Woche des Zyklus
Wirkstoff
Dosis
1 – 12
Testosteronenantat
200 – 300 mg alle drei Tage
1 – 12
Anastrozol, Exeme­stan (Aromatase-
Inhibitoren)
individuell, je nach estrogenen Nebenwirkungen
Zyklus für Fortgeschrittene
Woche des Zyklus
Wirkstoff
Dosis
1 – 20
Boldenonundecylenat
600 mg alle drei Tage
1 – 28
Testosteronenantat
450 mg alle drei Tage (8 Wochen länger als Zyklusdauer zur Testosteron-Substitution, da Boldenonundecylenat eine sehr lange Halbwertszeit aufweist und die endogene Testosteron-Produktion inhibiert)
1 – 20
Drostanolonenantat
250 mg alle drei Tage
1 – 20
Nandrolondecanoat
200 mg alle drei Tage
1 – 20
Exemestan
12,5 mg alle drei Tage

Beim Muskelaufbau-Training unterscheidet man zwei verschiedene Phasen: das sogenannte Bulking (zu Deutsch Aufbau) und das Cutting (zu Deutsch definieren). Während des Bulkings soll effektiv an Muskelmasse zugelegt werden. Um dies zu erreichen, wird ein intensives Krafttraining in Kombination mit einer hyperkalorischen Ernährung durchgeführt. Oft verwendete Steroide in einem Bulking-Zyklus sind Testosteron, Boldenon, Nandrolon und Metandienon [2]. Das Bulking vermehrt aber zwangsläufig das subkutane Fettgewebe. Um dem athletischen Ideal nahezukommen, schließt sich oft eine Cutting-Phase an, um überschüssiges Fettgewebe wieder loszuwerden und den Körper zu definieren. Die Ernährung wird in der Kalorienzahl stark reduziert, und das Training umfasst eine Kombination aus Kardiotraining und Kraftsport. Um während eines Cutting-Zyklus den Verlust an Muskelmasse zu verhindern, werden die Steroide niedriger dosiert sowie Vertreter eingesetzt, die nicht aromatisiert werden können, da Estrogene den Aufbau des Fettgewebes fördern. Zu den weniger aroma­tisierbaren Vertretern gehören z. B. Trenbolon, Stanozolol und Drostanolon [2]. Üblich ist auch die Kombination mit Aromataseinhibitoren wie Anastrozol oder Exemestan, um die estrogenen Nebenwirkungen der Steroide sowohl in Bulking- als auch Cutting-Zyklen zu unterbinden. Beispiele für Bulking- und Cutting-Zyklen, wie sie im Internet ver­breitet werden, finden sich in den Tabellen 1 und 2.

Tab. 2: Cutting-Zyklen (Quelle: Steroid-Subforum der Onlineplattform Reddit)
Zyklus für Einsteiger
Woche des Zyklus
Wirkstoff
Dosis
1 – 12
Testosteronenanatat
100 – 200 mg alle drei Tage
1 – 12
Anastrozol, Exemestan
individuell, je nach estrogenen Nebenwirkungen
Zyklus für Fortgeschrittene
Woche des Zyklus
Wirkstoff
Dosis
1 – 16
Boldenonundecylenat
450 mg alle drei Tage
1 – 24
Testosteronenantat
300 mg alle 3 Tage (8 Wochen länger als Zyklusdauer zur Testosteron-Substitution, da Boldenon­undecylenat eine sehr lange Halbwertszeit aufweist und die endogene Testosteron-Pro­duktion inhibiert)
4 – 16
Trenbolonacetat
50 – 100 mg alle drei Tage

Muskeln um jeden Preis

Für den gestählten Körper nehmen die Nutzer der Steroide zahlreiche Nebenwirkungen in Kauf. Viele Effekte sind dabei nach Absetzen der Präparate reversibel, andere begleiten die Konsumenten ein Leben lang. An erster Stelle stehen die Auswirkungen auf die Homöostase der Sexualhormone [6]. Die Steroide unterdrücken über die Hypothalamus-Hypophysen-Feedback-Schleife die Sekretion der Gonadotropine luteinisierendens Hormon und follikelstimulierendes Hormon in der Hypophyse, sodass diese im Blut (fast) nicht mehr nachweisbar sind. Im Hoden fehlen somit die Stimuli, um körpereigenes Testosteron zu bilden und Spermien zu produzieren (s. Abb. 2). Während eines Steroidzyklus sind die meisten Männer daher unfruchtbar [6]. Bei chronischem Gebrauch schrumpfen die Hoden mit der Zeit. Da die meisten Steroide im Organismus zu Estrogenen aromatisiert werden, gehört auch eine vorübergehende oder permanente Gynäkomastie zu den Folgen des endokrinologischen Ungleichgewichts. Libido und Potenz leiden ebenfalls, vor allem nachdem der Konsum beendet oder unterbrochen wurde [6].

Bis die endogene Testosteron-Produktion sich nach einem Steroidzyklus wieder erholt, können Wochen und Monate vergehen. In einigen Fällen bleiben die Hormonlevel aber noch jahrelang niedrig, und Betroffene haben mit den Folgen des Hypogonadismus zu kämpfen [8]. Um die eigene Testosteron-Produktion wieder zu stimulieren und damit auch die gewonnenen Muskeln zu erhalten, wird in der Szene die „Post-Zyklus-Therapie“ angewendet. Da Estrogene, sowohl körpereigene als auch aromatisierte androgene anabole Steroide, die Freisetzung von Gonadotropin besonders stark inhibieren, sind sie ein wichtiger Ansatzpunkt. Im Rahmen dieser Strategie versucht der Steroid-Konsument, sich die anti-estrogene Wirkung der Selektiven Estrogen-Rezeptor-Modulatoren (SERM) Tamoxifen und Clomifen zunutze zu machen. Studien haben gezeigt, dass diese Wirkstoffe die Gonadotropin- und Testosteron-Freisetzung gesunder sowie in ihrer Fruchtbarkeit eingeschränkter Männer stimulieren können [9, 10]. Eine weitere Möglichkeit, die körpereigene Testosteron-Produktion nach einem Steroidzyklus wieder hochzufahren, bietet humanes Choriogonadotropin. Das Hormon wirkt aufgrund seiner strukturellen Ähnlichkeit zum luteinisierenden Hormon als Gonadotropin-Mimetikum in den Leydig-Zellen der Hoden. Da die gesteigerte Testosteron-Produktion aber den negativen Feedback-Loop im Hypothalamus und der Hypophyse stimuliert, verzögert das Hormon eher die Erholung der körpereigenen Gonadotropin-Sekretion. In den einschlägigen Onlineforen wird daher die zusätzliche Einnahme von SERMs und/oder Aromatasehemmern angeraten.

Abb. 2: Die Bildung des Testosterons wird über die Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse gesteuert. Der Hypothalamus setzt pulsatil das Gonadotropin-Releasing-Hormon frei, welches in der Hypophyse die Freisetzung des luteinisierenden Hormons (LH) und des follikelstimulierenden Hormons (FSH) fördert. LH regt die Produktion des Testosterons (T) in den Leydig-Zellen an. FSH stimuliert die Spermatogenese durch die Sertoli-Zellen. Testosteron und die androgenen anabolen Steroide wiederum blockieren über negative Feedback-Schleifen die Freisetzung der beiden stimulierenden Hormone in Hypothalamus und Hypophyse.

Analog leidet der weibliche Organismus stark unter den Auswirkungen der Anabolika [6, 11]. Frauen entwickeln einen unregelmäßigen Zyklus bis hin zur Amenorrhö. Den Männern gleich sind sie während des Steroidkonsums oft unfruchtbar, da die Ovulation unterdrückt wird. Der chronische Gebrauch kann zu einer Klitorishypertrophie führen. Außerdem manifestieren sich bei Frauen die androgenen Wirkungen der Steroide und fördern eine allgemeine Virilisierung des Äußeren [11]. Kennzeichnend sind hier der Hirsutismus, also eine verstärkte Behaarung nach dem männlichen Verteilungsmuster bzw. auch ein androgenetisch bedingter Haarausfall. Darüber hinaus vertieft sich die Stimme, und die Brust atrophiert [11]. Da Testosteron und seine synthetischen Vertreter die Talgproduktion in der Haut stimulieren, neigen sowohl Frauen und Männern, die Anabolika konsumieren, oft zu öliger Haut und Akne [2].

Die psychischen Auswirkungen der Steroide sind weit­reichend und komplex. Bei Nutzern zeigen sich oft Zeichen geringerer Impulskontrolle und aufbrausendes bis aggressives Verhalten. Selbst manische und hypomanische Zustände werden beschrieben [6]. Einen ursächlichen Zusammenhang herzustellen, ist allerdings nicht so einfach, da vielmals andere psychische Probleme wie Depressionen und Angststörungen einem Konsum zugrunde liegen [6]. Nach dem Absetzen der Anabolika fühlen sich viele ehemalige Nutzer hingegen antriebslos, depressiv, und sie leiden unter Schlafproblemen sowie einem geringen Selbstwertgefühl [12]. Psychische Folgeerscheinungen gehören zu den am häufigsten auftretenden Problemen bei (ehemaligen) Steroid-Konsumenten [12]. Obwohl Steroide keine psychotropen Substanzen sind und sich deren Gebrauch deutlich von solchen Drogen unterscheidet, erinnern die psychischen Konsequenzen häufig an Entzugserscheinungen. Eine Abhängigkeit von Steroiden wurde immer wieder diskutiert. Verschiedene Theorien postulieren die unterdrückte kör­pereigene Testosteron-Produktion sowie neurobiologische Veränderungen als wichtige Einflussfaktoren [13]. Aber auch psychologische Komorbiditäten und ein geringes Selbstwertgefühl, das sich vor allem auf den Körperbau und das Aussehen stützt, scheinen eine Rolle zu spielen [13].

Sportler, die Anabolika nutzen, gefährden zusätzlich ihr Herz-Kreislauf-System. Das kardiovaskuläre Risiko ist deutlich erhöht gegenüber Nichtnutzern, was sich in Bluthochdruck, Atherosklerose, Herzversagen etc. äußern kann [14]. Die Steroide verursachen Fettstoffwechselstörungen, die sich in erniedrigten HDL-Spiegeln und erhöhten LDL-Spiegeln manifestieren [6]. Bei all diesen zahlreichen gefährlichen Nebenwirkungen ist es daher nicht verwun­derlich, dass eine retrospektive Studie aus Schweden ein dreifach erhöhtes Mortalitätsrisiko für Steroid-Konsumenten gegenüber Nichtnutzern feststellte [15].

Die beste Hilfe ist immer noch Prävention

Es sind aber auch oft die Nebenwirkungen, allen voran die Unfruchtbarkeit und die psychischen Folgen, die Nutzer zum Aufhören bewegen. Medizinisch begleitet werden kann diese kritische Phase durch verschiedene Maßnahmen [2]. Meist werden die Steroide sofort gestoppt, bei langjähriger Nutzung kann es aber sinnvoller sein, die Präparate langsam auszuschleichen. In den ersten drei Monaten nach dem Stopp der Steroide muss zunächst einmal abgewartet werden, wie gut sich der Körper selber erholen kann [2]. Blutbestimmungen der Sexualhormone sind zu diesem Zeitpunkt wenig sinnvoll, da sie noch zu verzerrt sind durch den vorangegangenen Steroid-Konsum. Wenn sich nach drei Monaten noch keine Besserung einstellt, sollten die Blutwerte des Testosterons und der Gonadotropine FSH und LH bestimmt werden, um sich ein genaueres Bild zu verschaffen [2]. Wie bereits erwähnt, erholt sich die Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse nur langsam von der Manipulation durch Anabolika, sodass oft weiter abgewartet werden muss. Sind die Entzugssymptome für die Betroffenen aber unerträglich, kann, ähnlich zur Post-Zyklus-Therapie, über eine Behandlung mit Tamoxifen oder Clomifen nachgedacht werden [2]. Wenn sich aber auch langfristig die endogene Hormon­produktion nicht erholt, ist eine Hormonersatztherapie mit bspw. Testosteron-Gelen ein möglicher Ausweg [2]. Bei einer anhaltenden Infertilität sind Injektionen mit humanen Choriogonadotropin ein bewährtes Mittel, um die Spermienproduktion bei einem Kinderwunsch zu steigern [2].

Am wirksamsten ist natürlich, einen Missbrauch von vornherein zu verhindern. Präventions- und Aufklärungsprogramme direkt in den Fitness-Studios, bspw. mit positiven Vorbildern wie Bodybuildern, die einen Konsum klar ablehnen, können helfen und werden gut angenommen [1]. |

 

Literatur

 [1] Hörning M. No Roids inside – ein Programm zur Prävention des Medikamentenmissbrauchs in Fitnessstudios. Sachbericht für das Bundesministerium für Gesundheit. 2015

 [2] De Ronde W. und Smit DL. Anabolic androgenic steroid abuse in young males. Endocr Connect 2020;9:R102-R111

 [3] Kicman AT et al. Pharmacology of anabolic steroids. Br J Pharmacol 2008;154:502-21

 [4] Bhasin S et al. The effects of supraphysiologic doses of testosterone on muscle size and strength in normal men. N Engl J Med 1996;335:1-7

 [5] Bhasin S et al. Testosterone dose-response relationships in healthy young men. Am J Physiol Endocrinol Metab 2001;281:1172-1181

 [6] Brower KJ. Anabolic steroid abuse and dependence. Curr Psychiatry Rep 2002;4:377-387

 [7] Smit DL et al. Positive and negative side effects of androgen abuse. The HAARLEM study: A one-year prospective cohort study in 100 men. Scand J Med Sci Sports 2021;31:427-438

 [8] Rasmussen JJ et al. Former abusers of anabolic androgenic steroids exhibit decreased testosterone levels and hypogonadal symptoms years after cessation: a case-control study. PLoS One 2016;11:e0161208

 [9] Tsourdi E et al. The effect of selective estrogen receptor modulator administration on the hypothalamic-pituitary-testicular axis in men with idiopathic oligozoospermia. Fertil Steril 2009;9:1427-1430

[10] Birzniece V et al. Gender difference in the neuroendocrine regulation of growth hormone axis by selective estrogen receptor modulators. J Clin Endocrinol Metab 2012;97:521-527

[11] Performance enhancing anabolic steroid abuse in women. Committee Opinion No. 484. American College of Obstetricians and Gynecologists. Obstet Gynecol 2011;117:1016-1018

[12] Havnes IA et al. Anabolic-androgenic steroid users receiving health-related information; health problems, motivations to quit and treatment desires. Subst Abuse Treat Prev Policy 2019;14:20

[13] Mhillaj E et al. Effects of anabolic-androgens on brain reward function. Front Neurosc 2015;9:295

[14] Thiblin I et al. Anabolic steroids and cardiovascular risk: a national population-based cohort study. Drug and Alcohol Dependence 2015;152:87–92

[15] Horwitz H et al. Health consequences of androgenic anabolic steroid use. J Intern Med 2019;285:333-340

Autor

Dr. Tony Daubitz, Studium der Pharmazie an der Universität Leipzig; Diplomarbeit in Basel an der Hochschule für Life Sciences der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) zu antientzündlichen Eigenschaften von Bambusextrakten; Promotion am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin zur Pharmakologie von Anionenkanälen.

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