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Praxis
Antiseptika auf Rezept – alles klar?
Was es zu beachten gilt, wenn Octenisept®, Lavanid® und Co. verordnet sind
In der Apotheke wird ein Muster- 16-Rezept über Octenisept® Lösung 15 ml, ausgestellt für einen Erwachsenen, vorgelegt. Auf dem Rezept ist zudem die Diagnose „zur Wunddesinfektion nach chirurgischem Eingriff“ vermerkt. Bei der Eingabe in die Warenwirtschaft erscheint eine Benachrichtigung, die auf Unsicherheiten bei der Abrechnung mit der Krankenkasse hindeutet. Was gilt es zu beachten?
Rechtliche Grundlagen
Gemäß § 31 Abs. 1 SGB V haben GKV-Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Grundsätzlich unterliegt jedes zugelassene Arzneimittel in Deutschland der Apothekenpflicht, es sei denn, es fällt unter die Regelungen der Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel (AMVerkRV). Für Erwachsene besteht der Versorgungsanspruch nur über verschreibungspflichtige Arzneimittel (§ 34 Abs. 1 SGB V). Im Gegensatz zu Kindern unter 12 Jahren oder bei Vorliegen von Entwicklungsstörungen unter 18 Jahren, können nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel für Erwachsene nicht ohne Weiteres verordnet werden. Allerdings definiert der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) entsprechende Ausnahmen: In der Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) listet der G-BA Konstellationen, in denen apothekenpflichtige, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel für Versicherte ab 18 Jahren verordnungsfähig sind („OTC-Übersicht“).
Auf den aktuellen Fall bezogen
Octenisept® Lösung 15 ml ist nicht apothekenpflichtig. Solche Produktcharakteristika können der Lauer-Taxe entnommen werden, verbindlich ist jedoch die AMVerkRV. Diese gilt jedoch nicht für alle Packungsgrößen. Auch hier lohnt der Blick in die Lauer-Taxe, die Packungen größerer Volumina listet, die unter Umständen der Apothekenpflicht unterliegen können. Wie verhält es sich also im aktuellen Fall?
Die Anlage I der AM-RL listet tatsächlich zwei Ausnahmeregelungen für Antiseptika auf: Zum einen für die Selbstbehandlung schwerwiegender generalisierter blasenbildender Hauterkrankungen (z. B. Epidermolysis bullosa hereditaria; Pemphigus) (Nr. 5) und für Patienten mit Katheterisierung (Nr. 6). Für diese Patienten ist eine Verordnung zulasten der GKV möglich.
Grundsätzlich ist die Apotheke nicht verpflichtet zu überprüfen, ob eine der oben genannten Bedingungen vorliegt. Allerdings ist im konkreten Fall eine Diagnose, „zur Wunddesinfektion nach chirurgischem Eingriff“, auf dem Rezept vermerkt, die nicht unter die Ausnahmeregelungen fällt. Bei Verordnungen zulasten der Ersatzkassen sowie einiger Primärkassen gilt eine „erweiterte Prüfpflicht“. Es besteht also eine Retaxgefahr.
Welche Fälle sind ansonsten denkbar?
Die Verordnung über Octenisept® Lösung 15 ml kann nicht mit der GKV abgerechnet werden. Der Kunde muss privat dafür aufkommen. Eventuell kann die Apotheke nach ärztlicher Rücksprache die Verordnung auf eine apothekenpflichtige Packung umstellen. Doch Volumina größer als 500 ml (N3) sind Jumbo-Packungen und daher ebenfalls nicht abrechenbar. Ist eine Diagnose vermerkt, die nicht in Anlage I AM-RL steht, bedingt die erweiterte Prüfpflicht bei einigen Kassen Retaxgefahr. Hilfreich ist, beim zuständigen Apothekerverband Informationen einzuholen oder direkt im gültigen Liefervertrag nachzulesen.
Antiseptika sind jedoch nicht immer Arzneimittel, wie folgendes Fallbeispiel zeigt: Eine Kundin möchte in der Apotheke ein Rezept über Lavanid® Wundgel, einem Hydrogel mit dem antiseptischen Wirkstoff Polyhexanid, einlösen. Auf dem Rezept ist ebenfalls die Diagnose „zur Wunddesinfektion nach chirurgischem Eingriff“ vermerkt. Gibt es hier etwas zu beachten?
Anders als bei Octenisept® Lösung (siehe oben), handelt es sich beim Lavanid® Wundgel um ein Medizinprodukt. Ein definierter Leistungsanspruch analog zu Arzneimitteln (vgl. § 31 Abs. 1 SGB V) gibt es für Medizinprodukte nicht. Es kommt vielmehr auf den Anwendungskontext an. Der G-BA veröffentlicht in Anlage V der AM-RL verordnungsfähige Medizinprodukte, denen ein Arzneimittelcharakter zugesprochen wird. Im Sinne einer Positiv-Liste nennt die Anlage V konkret Produkte und den zugehörigen Anwendungsbereich. Die Aufnahme in diese Liste erfolgt nach Antragstellung des Herstellers auf Grundlage vorgelegter Studien. Die Listung ist zumeist auf wenige Jahre befristet. Wird ein Medizinprodukt von dieser Liste gelöscht, verliert es damit die Verordnungsgrundlage. Eine weitere interessante Option ist die Verordnung als Verbandstoff. Im § 31 Abs. 1 SGB V ist ferner ein Versorgungsanspruch mit Verbandmitteln festgelegt. Somit sind Medizinprodukte, die als Verbandstoffe deklariert sind, grundsätzlich verordnungsfähig. Tatsächlich handelt es sich gemäß Lauer-Taxe bei Lavanid® Wundgel um einen Verbandstoff. Lavanid® Wundgel wird als sogenannte „Moderne Wundauflage“ in Form eines Hydrogels eingruppiert. Die Warenwirtschaft behandelt das Produkt daher als Verbandmittel und verknüpft zur Abrechnung automatisch den jeweils gültigen Arzneiliefervertrag. Genehmigungen werden für gewöhnlich nicht gefordert.
Das Rezept über Lavanid® Wundgel kann also abgerechnet werden, da es als Verbandstoff deklariert ist. Ob eine Diagnose auf dem Rezept steht, ist für die Apotheke nicht relevant. Es gibt hier keine erweiterten Prüfpflichten.
Sonderfall Bayern
Problematisch ist es jedoch, wenn ein Kassenrezept über Lavanid® Wundgel im Bundesland Bayern eingelöst wird.
Der Arzneimittelversorgungsvertrag Bayern ermächtigt die Landesverbände (AOK Bayern, BKK Landesverband Bayern, Knappschaft und IKK classic) eine Liste von Medizinprodukten zu erstellen, die „im ABDA-Artikelstamm als Verbandstoffe oder Pflaster eingeordnet sind, aber nach ihrer Auffassung nicht zweifelsfrei dem Begriff des Verbandmittels im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V unterfallen“ (§ 3 Abs. 9). Diese Negativ-Liste von der Versorgung ausgeschlossener Medizinprodukte gilt für Apotheken, die der Zuständigkeit des Bayerischen Apothekerverbandes unterliegen. Das Lavanid® Wundgel fällt unter eben diese Regelung. Für dieses Wundgel gilt für bayerische Apotheken ein Lieferausschluss, sofern es sich beim Kostenträger um die AOK Bayern bzw. eine Primärkasse handelt. Verordnungen zulasten der Ersatzkassen können hingegen beliefert werden. Übertragen auf die Patientenebene bedeutet dies, dass es in Bayern von der jeweiligen Krankenkasse abhängt, ob Patienten trotz gültiger Muster-16-Verordnung für Lavanid® Wundgel selbst für die Kosten aufkommen müssen.
Aktuelle Entwicklungen
Vor kurzem hat sich auch der G-BA mit Abgrenzungsfragen bei Verbandstoffen auseinandergesetzt. In Abschnitt P der AM-RL wurde der Begriff Verbandmittel konkretisiert und kategorisiert. Die am 2. Dezember 2020 in Kraft getretene Anlage Va definiert nun drei Gruppen: Unmittelbar verordnungsfähig sind „klassische“ eindeutige Verbandmittel wie Mullbinden- oder Kompressen und Verbandmittel mit ergänzenden Eigenschaften wie Salbenkompressen oder Superabsorber. Anders verhält es sich bei „Sonstigen Produkten“ zur Wunderversorgung, die eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Hauptwirkung entfalten. Analog zu Medizinprodukten mit Arzneimittelcharakter prüft der G-BA künftig auf Antrag des Herstellers den Nutzen derartiger Produkte. Bei positiver Bewertung wird ein sonstiges Produkte zur Wundversorgung in die Anlage V der AM-RL aufgenommen und ist erst dann verordnungsfähig. Für Produkte, die nach der neuen Anlage Va nicht mehr zulasten der GKV verordnungsfähig sind, gilt eine 12-Monatige Übergangsregelung, sofern sie bereits vor dem 11. April 2017 zulasten der GKV verordnungsfähig waren. Was bedeutet das für den Fall Lavanid® Wundgel? Beim Blick in die Lauer-Taxe fällt auf, an den Systemkennzeichen hat sich nichts verändert, der Lieferausschuss für bayrische Apotheken besteht weiterhin. Also bleibt alles beim Alten? Langfristig wohl eher nicht, denn maßgeblich für den bayrischen Sonderweg, war der ausstehende Regelungsbedarf durch den G-BA. Mit der nun erfolgten Klarstellung durch die neue Anlage Va ist fraglich, ob die „Ersatzvornahme“ der Landesverbände weiterhin besteht. |
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