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Pharmazeutische Dienstleistungen: „Chance nicht verspielen“
Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten warnt vor nachlässiger Umsetzung
Es erinnert an das Gedankenexperiment des Quantenphysikers Erwin Schrödinger, an „Schrödingers Katze“, hier „Schrödingers pharmazeutische Dienstleistung“: Jene ist, weil in einem undurchsichtigen Kasten eingesperrt, in diesem unbestimmten Zustand „lebendig“ und „tot“ zugleich. Auch die Verhandlungen zu den pharmazeutischen Dienstleistungen zwischen Deutschem Apothekerverband (DAV) und GKV-Spitzenverband stecken in einem solchen unbestimmten Zustand. Nach § 129 Abs. 5e SGB V haben Versicherte ab dem 1. Januar 2022 Anspruch auf die Dienstleistungen. Nun sind die Vertragspartner verpflichtet, zu verhandeln. Wie weit die Verhandlungen vorangeschritten sind, wie diese aussehen werden, ob sich beide Seiten überhaupt einigen können – alles ist unklar, nichts dringt nach außen. Sollten die Verhandlungen bis zum 30. Juni 2021 keine Ergebnisse liefern, entscheidet eine Schiedsstelle (siehe Kasten „Die ‚Referees‘ des Gesundheitswesens“).
Vergütung bald wieder gekürzt?
Der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) gibt sich mit dieser Unsicherheit nicht zufrieden. Er veröffentlichte am 31. Mai ein Positionspapier, in dem er warnt: Sollten die Dienstleistungen nur halb gar in die Praxis überführt werden, liefen sie Gefahr, den „nächsten zu erwarteten Sparrunden“ im Gesundheitssystem „zum Opfer zu fallen“. Wie könnte man das verhindern? Pharmazeutische Dienstleistungen müssen die Arzneimitteltherapie fortlaufend verbessern, der Nutzen ist zudem wissenschaftlich zu evaluieren, so die Autoren. Andere Länder konnten bereits Erfahrungen über vergleichbare Dienstleistungen sammeln und wissenschaftlich auswerten, es handelt sich also nicht um Neuland.
Zusammen mit Patienten und anderen Heilberufen
Die Autoren des Positionspapiers raten, diese Erkenntnisse zu berücksichtigen, um von Beginn an Dienstleistungen mit dem größtmöglichen Patientennutzen auf den Weg zu bringen. Dafür seien einerseits multimorbide, geriatrische oder Patienten mit Polymedikation ins Zentrum pharmazeutischer Dienstleistungen zu rücken, vor allem Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sowie nicht mobile ambulante Patienten würden besonders profitieren. Wichtig sei auch, Patientenorganisationen mit einzubeziehen. Nicht zuletzt müssen pharmazeutische, ärztliche und pflegerische Kompetenzen zusammengefügt werden. Des Weiteren nennt der VdPP eine Reihe von Dienstleistungen, die Apothekerinnen und Apotheker ergreifen könnten:
- Medikationsanalysen und anschließende Fallbesprechungen im interdisziplinären Team, auch zur Gesundheitsprävention
- Einsatz von Apothekerinnen und Apothekern in ambulanten medizinischen Einrichtungen zur Verbesserung der AMTS
- Regelmäßige Schulungen von Pflegefachkräften in den Pflegeeinrichtungen bzw. ambulanten Pflegediensten zu Arzneimitteltherapie und Therapiebeobachtung, die weit über bisherige Schulungen hinausgehen
- Arzneimittelbezogenes Entlass-Management
- Pharmazeutische, aufsuchende Betreuung von Patienten mit Mobilitätseinschränkungen
- Aufbau und Unterstützung von Qualitätszirkeln zur evidenzbasierten Arzneimittelversorgung für alle beteiligten Berufsgruppen
Gefahr der weiteren Konzentration im Apothekenwesen
Ein weiteres, wichtiges Anliegen des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten: Das Konzept der pharmazeutischen Dienstleistungen kann nicht die flächendeckende Arzneimittelversorgung über Apotheken sicherstellen. Genau dies besagt jedoch das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) wörtlich. Der VdPP erinnert, dass pharmazeutische Dienstleistungen hoher Qualität Apotheken zunächst Investitionen abverlangen. Weiterbildungen, Hilfsmittel, das Vernetzen mit anderen Heilberufen: Finanziell und personell schwache Apotheken sollte das VOASG unterstützen, doch gerade diese können ihren Patienten nur ein geringeres Spektrum an Dienstleistungen bieten. Die Folge wäre, dass die flächendeckende Arzneimittelversorgung gerade nicht geschützt wird, sondern sich das Apothekenwesen weiter konzentriert. Unter „flächendeckender Versorgung“ versteht der VdPP aber auch, dass sich Menschen in unterversorgten Regionen wie dem ländlichen Raum und in sozial benachteiligten Gegenden zu Arzneimitteln informieren und beraten lassen könnten.
Versorgung ist Teil öffentlicher Daseinsvorsorge
Als Lösungsoptionen nennen die Autoren des Positionspapiers, in unterversorgten Gegenden den Aufbau von Zweig- oder kommunalen Apotheken finanziell zu unterstützen. Ein weiteres Modell, das der VdPP anführt, ist, dass Apotheken Teil von Primärversorgungs-Netzwerken sein könnten. In Deutschland sind solche Konzepte nur vereinzelt anzutreffen, das Programm PORT (Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung) der Robert Bosch Stiftung betreibt Polikliniken oder medizinische Versorgungszentren unter anderem in Berlin-Neukölln, Büsum und Hamburg Veddel. In anderen Ländern wie dem Vereinigten Königreich oder Kanada macht das Konzept, bei dem der Staat Apotheken systematisch in solche Zentren einbindet, bereits Schule. „Das ist die Richtung, in die es gehen wird“, sagt VdPP-Vorstandsmitglied Dr. Udo Puteanus gegenüber der DAZ-Redaktion.
Die „Referees“ im Gesundheitssystem
Können sich bei Rahmenverhandlungen zur Arzneimittelversorgung nach § 129 des fünften Sozialgesetzbuchs die Vertragspartner bis zu einem Stichtag nicht einigen, entscheidet die Schiedsstelle nach § 129 Abs. 8. Die Apotheken-Schiedsstelle setzt sich aus drei Unparteiischen zusammen, die auch den Vorsitzenden oder die Vorsitzende stellen. Hinzu kommen je fünf Vertreterinnen oder Vertreter des Deutschen Apothekerverbandes und des GKV-Spitzenverbands. Amtierender Vorsitzender der Schiedsstelle ist der Sozial- und Gesundheitsrechtler Dr. Rainer Hess.
Die bestehenden Strukturen zu erhalten oder neue aufzubauen, so der VdPP, ist nicht Aufgabe beitragszahlender Krankenkassenmitglieder, sondern Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Investitionen für eine flächendeckende Arzneimittelversorgung müsse der Bund tragen. Der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten appelliert an die Vertragspartner GKV-Spitzenverband und DAV, dass die Vergütung für pharmazeutische Dienstleistungen dahin gelangen soll, wo Patienten die Kompetenzen dringend brauchen und am stärksten von den Angeboten profitieren. Es bleibt spannend, was und ob überhaupt etwas in den verschlossenen Kasten „Schrödingers pharmazeutischer Dienstleistung“ dringt. Erst wenn sich der Kasten öffnet, werden wir eine Einigung zwischen den Vertragspartnern und damit das Angebot als „tot“ oder „lebendig“ beobachten können. |
Literatur
Zusätzliche Pharmazeutische Dienstleistungen nach dem Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG). Positionspapier des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten, Mai 2021
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