Kongresse

Verminderung von Arzneimittelrück­ständen im Abwasser

Symposium brachte Experten zusammen

Rückstände von Arzneimitteln belasten Gewässer und haben Auswirkungen auf Ökosysteme. Das Unternehmen able dresden GbR hatte das vielschichtige Thema in einem digitalen Symposium Mitte April aufgegriffen, unter Mitwirkung von Fachleuten aus Wissenschaft und Forschung, Politik und Industrie. Sie beleuchteten aus ihrer Sicht bestehende und neue Strategien und Ansätze, wie einer größer werdenden Umweltbelastung durch Medikamente entgegengewirkt werden kann. Ein Blick nach Schweden zeigt, welche Ansätze unsere Nachbarn verfolgen.

„Bei diesem Thema spielt die Interprofessionalität eine besondere Rolle“, so Professor Dr. Ali El-Armouche, Pharmakologe an der Technischen Universität Dresden, der als Moderator, aber auch als Referent das Symposium am 16. April 2021 begleitete. Warum das so ist, wurde schnell klar, als die verschiedenen Expertinnen und Experten das Thema aus den eigenen Fachrichtungen beleuchteten und dabei die Komplexität in aller Breite darstellten. Das veranstaltende Unternehmen, die able dresden GbR, wurde 2015 von Elisabeth Rothe und Martin Seipt, beide PTA, gegründet. Unternehmensziel ist die Vernetzung der Gesundheitsfachberufe durch Fortbildungsveranstaltungen mit interprofessionellen Themen.

Foto: Imago images/Hans Lucas

Apothekerin und Europaabgeordnete Jutta Paulus fordert, schon bei der Entwicklung neuer Arzneimittel mit der „Green Pharmacy“ anzusetzen.

Laut Apothekerin und Europaabgeordneter Jutta Paulus gibt es rund 3000 aktive Wirkstoffe, die in mehr oder weniger großen Mengen in der Umwelt in der EU verortet werden. „Wir wissen nicht, wie die Wirkung auf die Umwelt ist“, so die Bündnis 90/Grünen-Politikerin und Mitglied im EU-Ausschuss für Umwelt, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Lange Zeit habe dies jedoch bei der Prüfung von Arzneimitteln keine Rolle gespielt. Grundsätzlich war man der Auffassung, dass Arzneimittel einen so überwältigenden Nutzen für die Menschen bieten, dass das Verhalten in der Umwelt vernachlässigbar sei. Erst in den 1990er-Jahren fing man an, „Basics“ zu überprüfen. Die Europäische Kommis­sion hat dabei, laut Paulus, in Studien festgestellt, dass bis zu 90 Prozent der Pharmaka in ihrer ursprünglichen Form oder nur gering­fügig verändert vom Menschen wieder ausgeschieden werden. Die Abwasseraufbereitung könne dabei nur einen kleinen Teil der Arzneimittel beseitigen.

Geiersterben durch Diclofenac

Die dabei in die Umwelt gelangenden Stoffe sind jedoch schon in geringen Mengen schädlich für die Tierwelt. So habe man zum Beispiel festgestellt, dass Ethinylestradiol nachweislich in Gewässern die Fortpflanzung von Fischen beeinflusst. Diclofenac kann in Fischen und Ottern nachgewiesen werden und hat in Indien und Pakistan zum Tod hunderttausender Geier geführt. Trotz umweltschonender Alternativen ist das Medikament in der EU als Veterinärarzneimittel zugelassen und somit droht eine Wiederholung des Geiersterbens in Europa. Ein WHO-Bericht kommt, laut EU-Politikerin Paulus, sogar zum Schluss, dass bereits geringe Konzentrationen von Arzneimitteln im Trinkwasser mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellten. Die Europäische Kommission erkennt inzwischen das Problem durch Arzneimittel in der Umwelt an. Die beiden oben genannten bedenk­lichen Wirkstoffe – Ethinylestradiol und Diclofenac – wurden daher in die Europäische Wasserrahmenrichtlinie aufgenommen. Diese beiden Wirkstoffe müssen nun in den Standard-Messprogrammen der Überwachungsbehörden enthalten sein. Zudem möchte die Europäische Kommission ein Bewusstsein für einen bedachten Einsatz von Pharmazeutika schaffen, ein besseres Abfallmanagement etablieren sowie die Einschätzung und Überwachung der Umweltfolgen verbessern. Die großen Wissenslücken sollen durch eine Forschungsinitiative geschlossen werden. „Doch wir müssen weitergehen!“, fordert die Bündnis 90/Grünen-Politikerin und meint damit, schon bei der Entwicklung neuer Medikamente mit der sogenannten Green Pharmacy anzusetzen. „Die biologische Abbaubarkeit muss kein Widerspruch zur Wirksamkeit sein, wenn man von vorneherein schon den Designansatz hat.“ Mit dem Blick zurück nach Indien und Bangladesch, wo ein Großteil der Medikamentenwirkstoffe hergestellt wird, plädiert die Politikerin zudem dafür, Umweltvorgaben in die Richt­linien zur guten Herstellungspraxis einzubringen. Dann würde nicht nur von staatlicher Seite überwacht, sondern auch von den Pharmafirmen selbst, deren Inspekteure die Standards auch internationaler Produktions­stätten überprüfen.

Dresdner MikroModell untersucht quellenorientierte Ansätze

„Was nicht erst in die Umwelt eingetragen wird, muss am Ende nicht teuer wiederaufbereitet oder entsorgt werden“, umschreibt die Kaufmännische Geschäftsführerin der Stadtentwässerung Dresden, Gunda Röstel, den Ansatz des Dresdner Forschungsprojektes MicroModell. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung von Professor Peter Krebs vom Institut für Siedlungs- und Industriewasserwirtschaft der TU Dresden entwickelten dazu ein räumlich und zeitlich gut auflösendes Stofffluss­modell. Dieses beschreibt den Eintrag von Mikroschadstoffen in Gewässer anhand konkret vorliegender Daten. Hieraus entwickelte das Forschungsteam verschiedene Szenarien und daraus einen Handlungsleitfaden mit Empfehlungen zur Emissionsminderung. Ein Ergebnis der Studie ist, dass die chemische Belastungssituation der Gewässer durch verschiedenste Stoffe aus punktuellen sowie diffusen Quellen komplex und nicht durch einzelne Maßnahmen pauschal zu lösen ist. Daher sei die Kombination aus verschiedenen Reduktionsmaßnahmen am effektivsten, um die Gesamtbelastungssituation zu verbessern. Eine davon sei laut Röstel die Sensibilisierung der Zielgruppen. So wurde das Projekt auch zum „Probekaninchen“, wie die Öffentlichkeit zu diesem Thema sensibilisiert und Fachexperten als Dialogpartner gewonnen werden können.

Dialogveranstaltungen „Medizin trifft Kläranlage“

Gunda Röstel, ebenfalls Mitglied im Rat für nachhaltige Entwicklung, berichtet von Dialogveranstaltungen und darauf aufbauenden Fortbildungen von Ärzten, Apothekern und Vertre­terinnen und Vertretern der Uni zum Thema „Medizin trifft Kläranlage“. „Die Ergebnisse waren ausgesprochen positiv und überraschend“, so Röstel. Die Fachleute seien dankbar für Infos und die Sensibilisierung zur Quantität und Qualität der Medikamentengabe bezogen auf die Umweltverträglichkeit. Sodann berichtet sie von einem spannenden Ansatz am Universitätsklinikum Dresden: Dieses betreibt seit fünf Jahren auf eigene Kosten eine Stationsapotheke. Hier wird jeder einzelne Patient hinsichtlich der Medikation beraten. Das Ergebnis: Es konnte eine deutliche Arzneimittelreduktion von 20 bis 40 Prozent erreicht werden. „Das Projekt wäre es wert, bundesweit als gutes Beispiel von Schadstoffreduktion aufgenommen zu werden“, so Röstel. Des Weiteren fordert sie, dass das Curriculum im Pharmaziestudium sich verstärkt auch mit Umweltthemen befasst.

Das Stockholmer Konzept der „Klogen Liste“

Unsere schwedischen Nachbarn setzen, so berichten die schwedische Apothekerin Helena Ramström und die nach Schweden ausgewanderte deutsche Pharmazeutin Roswita Abelin von der Health Care Administration in Stockholm, ebenfalls auf eine quellenorientierte Lösung bei der Vermeidung des Eintrags von Pharmazeutika in die Umwelt. Dazu gibt es eine sogenannte „Kloge Liste“, etwa eine Positivliste, wie sie auch von einigen Expertinnen und Experten in Deutschland gefordert wird. Diese Liste wird jedes Jahr, basierend auf Studien, neu erstellt und gibt Empfehlungen an die Arztpraxen, welche Arzneimittel als erste verschrieben werden sollen. „Die Empfehlungen beruhen auf Bewertungen neuer Wirksamkeitsstudien aufgrund pharmazeutischer Zweckmäßigkeit, Kosten und seit 2005 auch Umwelt­aspekten“, so Abelin. Bei den Empfehlungen stünden natürlich die medizinische Wirksamkeit und die Nebenwirkungen immer im Vordergrund der Entscheidung, doch bei mehreren ähnlichen Präparaten entscheide Preis und Umweltrisiko. Die Ärzte folgen den Empfehlungen der Positivliste bis zu 95 Prozent. Zudem wird die Liste, für alle einsehbar, unter www.janusinfo.se, veröffentlicht. Hier sind ebenfalls Hinweise zum verhältnis­mäßigen Gebrauch von Arzneimitteln sowie Ratschläge für einen gesunden Lebensstil zu finden. Ärzte sind an­gehalten, sich mit ihren Patientinnen und Patienten auch darüber auszutauschen und die Gesamtverschreibung von Arzneien bei den ­Patientinnen und Patienten zu überprüfen. Die Apotheken in Schweden müssten zudem Arzneimittel zurücknehmen, die dann in speziellen Verbrennungsanlagen fachgerecht entsorgt würden.

Die Umweltrisikobewertung bei der Zulassung der Arzneimittel

Die Gewässer wieder in einen guten Zustand zu bringen sei ein politischer Dauerauftrag, so die Umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Marie-Luise Dött. Sie berichtet von der Spurenstoffstrategie des Bundes: Das Bundesministerium für Umwelt, Natur und nukleare Sicherheit (BMU) und das Umweltbundesamt (UBA) haben 2016 einen Prozess initiiert, der maßgebliche Akteure, wie Pharmaverbände, weitere Zweige der chemischen Industrie und der Agrarwirtschaft, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, den Deutschen Städte- und Gemeindebund sowie die Wasserwirtschaft, zusammenbringt. Ziel ist es, gemeinsam Maßnahmen zu erarbeiten und umzusetzen, die Einträge von Spurenstoffen in Gewässer in Deutschland vermindern. Um den Austausch der Vertreter zum Teil unterschiedlicher Interessen zum Erfolg zu führen, fand in den Jahren 2016 bis 2019 zunächst ein Stakeholder-Dialog statt. Seit 2020 wird nun ein Spurenstoffzentrum mit einem Expertengremium etabliert, das die Forschung und Umsetzung weiter vorantreibt. Davon berichtet auch Ina Ebert, Fachgebietsleitung für Arzneimittel beim Umweltbundesamt. Sie beschreibt, dass das Bundesamt nach § 28 des Arzneimittelgesetzes für die nationale Bewertung von neu zugelassenen Medikamenten im Hinblick auf Umweltrisiken zuständig ist. Allerdings gehen diese Bewertungen nicht abschließend in Nutzen-Risiko-Abwägungen bei der Neuzulassung von Medikamenten mit ein. „Wir brauchen daher Handlungsempfehlungen außerhalb der Regelungen“, fordert die Expertin. Sie plädiert für deutlich mehr Forschung, das Problembewusstsein bei Patienten, Ärzten und Apothekern zu schärfen und zur richtigen Entsorgung der Medikamente aufzuklären. Sie hält zudem die Ausweitung der Verschreibungspflicht von Medikamenten oder das Verbot von Werbung für umweltschädliche Arzneien für einen sinnvollen Weg. „Eine große Bedeutung kommt auch der pharmazeutischen Industrie zu, weil hier mit freiwilligen Maßnahmen viel erreicht werden kann“, spielt Ebert den Ball weiter an Marijke Ehlers vom vfa. Diese berichtet, dass der vfa ebenfalls am Spurenstoffdialog des Bundes beteiligt sei. Hier seien zum Beispiel an Runden Tischen zu Diclofenac und zu Röntgenkontrastmitteln konkrete Lösungen auf den Weg gebracht worden. Die Apothekerin nennt zum einen die Forschung und Entwicklung als entscheidend, um Einträge von Medikamentenspuren in die Umwelt zu verhindern. Rund 80 bis 95 Prozent der Arzneistoffe würden durch Exkretion der Patientinnen und Patienten in die Umwelt gespült. Da sei die Entwicklung von Impfstoffen, die langwierige Therapien von Krankheiten vermeiden könnten, einer der Lösungswege, um Einträge zu vermeiden. Auch durch genetische Tests könnten in Zukunft personalisierte Therapien ermöglicht werden, die ein „unnötiges Herumprobieren“ von Medikamenteneinnahmen verhinderten.

Der Eintrag von Spurenstoffen in die Umwelt durch die deutsche Industrie liege, laut Referentin, nur bei weniger als zwei Prozent. Dennoch sei die Industrie bei der Herstellung daran interessiert, ihre Einträge zu vermindern. Dazu gebe es zum Beispiel firmen­eigene Kläranlagen, die ihre Prozesse aufbereiten oder spezialbehandeln.

Umdenken in der Arzneimittelentwicklung

Foto: TU Dresden

„Warum produzieren wir unsere Medikamente nicht einfach in der Pflanze?“ Eine visionäre Frage, die Moderator und Referent Prof. Dr. Ali El-Armouche von der TU Dresden zum Schluss stellte.

Prof. Dr. Ali El-Armouche, der durch das Symposium führte, stellte als Schlussredner weitere interessante Thesen zu einer zukunftsorientierten Arzneimittelentwicklung in den Chatraum. Er beschrieb anhand von Verschreibungskaskaden, dass Medikamentenkombinationen für Patientinnen und Patienten oft fatale Folgen haben – und zusätzlich der Umwelt schaden. Außerdem würden Medikamente vielfach noch nicht präzise genug eingesetzt, sodass die „Blockbuster“ für eine Vielzahl von Patienten nicht den erwünschten Nutzen bringen. „Bei personalisierter Medizin denkt man an neueste Wirkstoffe. Doch das fängt schon mit der Dosierung an“, so El-Armouche. Es wird nicht nur behandelt, sondern auch darauf geschaut, ob die Behandlung auch erfolgreich ist. Um gezielter Medikamente einzusetzen, müsste man daher viel mehr über die Pathomechanismen der Patienten wissen. Klinische Studien seien dabei häufig Momentaufnahmen. So schlägt der Direktor des Integrativen Zentrums für Pharmakologie und Toxikologie der Technischen Universität Dresden vor, jeden Patienten dezentral zu einem potenziellen Studienpatienten und jeden Arzt zu einem Studienarzt zu machen. Durch ein KI-gestütztes Matching der Patienten mit Studien könnten anhand phänotypischer Signaturen zahlreiche neue Drugtargets entdeckt werden.

„Die Zukunfts-High-Tech muss im grünen Sinne wirken“, so El-Armouche. Und damit eröffnet er ein neues Visionsfeld für die nachhaltige Produktion von Arzneimitteln der Zukunft: „Warum produzieren wir unsere Medikamente nicht einfach in der Pflanze?“ Mithilfe der synthe­tischen Biologie könne man über genetische Kombinationen alle mög­lichen Enzyme modulieren. Mittels dieser Technologie könnten komplexe Proteine auch in der Pflanze produziert werden. „Dies ist ein Ansatz, den wir verfolgen und etablieren möchten“, so El-Armouche. Dies sei zwar eine sehr aufwendige Idee, aber ein CO2-neutraler Ansatz der Medizinproduktion für die Zukunft. |

Mareike Spielhofen

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.