Arzneimittel und Therapie

Kein Zytokinsturm dank Alpha-1-Blocker?

Tamsulosin und Co. könnten die Mortalität von COVID-19-Patienten reduzieren

Selektive α1-Adrenorezeptor-Ant­­­­­­­­­­­­­­­­­agonisten (Alpha-1-Blocker) werden in der Urologie und zur Hypertonie-Behandlung eingesetzt. Mehrere ­aktuell publizierte Studien geben Anlass zu der Hoffnung, dass diese Arzneistoffe COVID-19-Patienten vor dem gefürchteten Zytokin­sturm schützen und damit möglicherweise viele Leben retten könnten.

Selektive α1-Adrenorezeptor-Antago­nisten wie Doxazosin oder Tamsulosin können offenbar viel mehr als den Blutdruck senken oder die Beschwerden des benignen Prostatasyndroms lindern. Bereits 2018 hatten Forscher im Mausmodell gezeigt, dass Katecholamine an der Verstärkung von starken Entzündungsreaktionen, auch unter den Begriffen Hyperinflammation oder Zytokinsturm bekannt, beteiligt sind. Sie stimulieren vor allem die Produktion von Interleukin-6, aber auch anderen proinflammatorischen Zytokinen. Durch eine adrenerge Blockade konnten in diesen Experimenten Mäuse, die beispielsweise mit pathogenen Bakterien infiziert worden waren, vor den tödlichen Entzündungsreaktionen geschützt werden [1]. Zudem hatte sich in einer retrospektiven Analyse gezeigt, dass Patienten mit akuter schwerer Atemwegser­krankung oder Pneumonie, die wegen einer anderen Krankheit Alpha-1-Blocker eingenommen hatten, seltener starben und weniger häufig beatmet werden mussten als Patienten ohne diese Komedikation [2].

Dänische Kohortenstudie

Weitere Hinweise lieferte die retrospektive Untersuchung einer dänischen Kohorte, in der mehr als 528.000 Patienten wegen Influenza oder Pneumonie stationär aufgenommen worden waren. Bei Patienten, die zu dieser Zeit Alpha-1-Blocker eingenommen hatten, lag die 30-Tage-Mortalität bei 15,9%, bei Patienten ohne diese Medikation bei 18,5%. Nicht ganz so ausgeprägt war der Unterschied beim Risiko für die Verlegung auf eine Intensivstation (7,3% unter ­Alpha-1-Blockern vs. 7,7%) [3].

Übertragbarkeit auf COVID-19-Patienten?

Für die Wissenschaftler stellte sich nun die Frage, ob auch bei COVID-19-Patienten durch die Gabe von Alpha-1-Blockern die Hyperinflammation in einer frühen Phase gehemmt und damit die Mortalität reduziert werden könnte. Anhaltspunkte dafür hatte eine weitere epidemiologische Untersuchung von Rose et al. geliefert, deren Ergebnisse kürzlich als Preprint veröffentlicht worden sind. Bei den mehr als 12.200 eingeschlossenen Patienten handelte es sich um männliche amerikanische Kriegsveteranen zwischen 45 und 85 Jahren, die wegen einer COVID-19-Erkrankung in eine Klinik eingeliefert werden mussten. Davon nahmen zu diesem Zeitpunkt 2555 Personen wegen Bluthochdruck, benignem Prostatasyndrom oder einer posttraumatischen Belastungsstörung einen Alpha-1-Blocker ein. Die meisten Patienten (72%) waren auf Tamsulosin eingestellt, 4% auf Doxazosin, die übrigen auf Alfuzosin, Prazosin, Silodosin oder Terazosin. Im Zeitraum zwischen Februar und August 2020 lag die Gesamt-Mortalitätsrate unter den COVID-19-Patienten bei 17,3%. Patienten, die mit einem Alpha-1-­Blocker behandelt worden waren, hatten ein 14% niedrigeres Risiko, an COVID-19 zu sterben, als diejenigen ohne die Komedikation (p ≤ 0,001). Aufgeschlüsselt auf die einzelnen Wirkstoffe betrug die Reduktion des relativen Risikos bei Tamsulosin 10%, bei Doxazosin 43% [4].

Foto: devmarya – stock.adobe.com

Zum Weiterlesen

Überblick über Mittel gegen Zytokinsturm 
von Helga Blasius: DAZ 2020, Nr. 25, S. 34

Präventiver Einsatz von Prazosin?
von Marina Buchheit: DAZ 2020, Nr. 22, S. 38

Klinische Studie gestartet

Um die Hypothese zu bestätigen, dass Alpha-1-Blocker die Mortalität bei COVID-19-Patienten reduzieren können, sind randomisierte klinische Studien notwendig. Eine solche wurde im Mai 2020 mit finanzieller Unterstützung der Johns-Hopkins-Universität in den USA gestartet. Darin soll an 220 hospitalisierten Patienten mit COVID-19 geprüft werden, ob der Alpha-1-Blocker Prazosin, der in den USA, aber nicht in Deutschland verfügbar ist, Zytokinstürme und weitere Komplikationen effektiv und sicher verhindern kann. Prazosin wird dabei unter engmaschiger Blutdruckkontrolle über sechs Tage langsam aufdosiert. Ergebnisse dieser Phase II-Studie mit der Bezeichnung PREVENT-COVID-Trial sollen Mitte 2021 vorliegen [5, 6]. |

 

Literatur

[1] Staedtke V et al. Disruption of a self-amplifying catecholamine loop reduces cytokine release syndrome. Nature 2018;564:273–277

[2] Vogelstein JT et al. Alpha-1 adrenergic receptor antagonists for preventing acute respiratory distress syndrome and death from cytokine storm syndrome. Preprint 2020, arXiv:2004.10117v5

[3] Thomsen RW et al. Association of α1-blocker receipt with 30-day mortality and risk of intensive care unit admission among adults hospitalized with influenza or pneumonia in Denmark. JAMA Network Open 2021;4(2):e2037053

[4] Rose L et al. The association between alpha-1 adrenergic receptor antagonists and In-hospital mortality from COVID-19. Preprint 2020, doi:10.1101/2020.12.18.20248346.

[5] Alpha-1 adrenergic receptor antagonism to prevent COVID-19 cytokine storm syndrome and acute respiratory distress syndrome: A randomized study comparing the efficacy of prazosin vs. standard of care for SARS-CoV-2 infection. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT04365257?term=prazosine&draw=3.

[6] Konig MF et al. Preventing cytokine storm syndrome in COVID-19 using α-1 adrenergic receptor antagonists. J Clin Invest 2020;130(7):3345-3347,doi: 10.1172/JCI139642.
 

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

 

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