Foto: DAZ / Alex Schelbert

Management

Der Weg zum pharmazeutischen Götterboten

Der Botendienst als verlängerter Arm der Apotheke / Schwungvoller Überbringer oder gequälter Lieferant?

Schon Hermes, der Götterbote, wusste, was seine Aufgabe war: Botschaften überbringen und dabei diese auch übersetzen. Abgesehen von diversen Analogien, die wir hier anführen könnten, ist es ebenfalls erwähnenswert, dass er das, mit Flügeln versehen, schneller als das Licht tun konnte. Und wie stellt sich der heutige Botendienst durch uns, durch unsere Apothekenboten dar? Beflügelt? Beseelt vom Auftrag? Mit Lichtgeschwindigkeit? Sich der Wichtigkeit und Bedeutung der zu überbringenden Inhalte bewusst? Oder ist eher das Gegenteil der Fall?

Die Einstellung der apothekerlichen Kuriere auf Rädern (oder auch per pedes) ist entscheidend für den bleibenden, im besten Falle positiven Eindruck des Kontaktes auf den Kunden. Spielen wir kurz Mäuschen und lauschen einem zugegebenermaßen provokativ dargestellten suboptimalen Gespräch, das so oder so ähnlich leider keine Seltenheit, möglicherweise strukturell gewachsen ist und einen diskreten Hinweis auf die Einstellung dieses Fahrers, als Einzelbeispiel geltend, zulässt. Des Weiteren lassen Sie uns gemeinsam überlegen, was in dieser Situation für alle Beteiligten hilfreich ist und auch im Vorfeld schon in weiser Voraussicht getan werden kann, um dem sehr frühzeitig zu begegnen. Denn Gesprächsverläufe dieser Art mögen auf unterschiedlichstem Nähr­boden entstanden sein.

Um Ihnen schon einmal einige kleinere Hinweise zu geben, die Sie bereits jetzt in der Übertragung auf Ihre ganz persönliche Apotheken- und Bringdienstsituation mitlaufen lassen dürfen, sei hier erwähnt, dass a) die Fahrer-Auswahl, b) die (nicht vorhandene) Vermittlung der Philosophie der Apotheke an denselben und/oder c) die eigene Einstellung zum Botendienst richtungweisend sein können!

Apotheke an der Sackgasse, Packstraße 14 a, Paketdorf, 14.30 Uhr. Alle Tüten gepackt. Also fast alle. Eine Großhandelslieferung fehlt noch. Wir stehen im Backoffice schon in den Startlöchern und warten auf die noch ausstehenden Kisten, um sie direkt mit Ein­treffen sofort gemeinsam und schnellstmöglich zu bearbeiten. Gerade heute, wo schon so viele Schicker darauf warten, in Windeseile zugestellt zu werden. Meine Kollegin Maja Multitask als Hauptansprechpartnerin ahnt bereits, was trotz bester Vorbereitung gleich auf sie einprasseln wird. Denn: Wer betritt den Lieferanteneingang zuerst? Na? War doch klar, oder? Unser Fahrer. Erich Electro.

Etwas atemlos kommt er in den Raum, schaut sich nach Luft ringend missbilligend um, sieht die drei Kartons, die zwei Kisten mit den fein säuberlich arrangierten Tüten, bemerkt die noch leeren, bereits etikettierten Sendeaufträge und legt direkt ohne weiteren Gruß los: „Wer soll das denn alles wegbringen? Und wieso ist das noch nicht komplett fertig? Wenn ich jetzt nicht sofort wegkomme, dann bin ich erst um halb acht zu Hause. Und das ist mir zu spät.“

Maja Multitask hört ganz unaufgeregt zu, nickt bestätigend und schlägt besänftigend vor, schon einmal eine erste Runde zu fahren, um dann den Rest in Ruhe abzuholen. (Entlastet schließlich alle Beteiligten!) Die Antwort von Herrn Electro erfolgt, mit einem erneuten kritischen Blick auf einen besonders großen Karton und kleinen Schweißperlen auf der Stirn, da der Zeitdruck für ihn schon jetzt gefühlt hoch ist, postwendend: „Bei denen war ich doch gestern erst. Was glauben die denn? Dass ich ihr privater Chauffeur bin? Muss ich da überhaupt heute hin?“ Natürlich ist die Antwort ein glasklares „ja“, gefolgt von einem sehr vorsich­tigen: „Und dann ist da noch das Rezept, das du zur Änderung bitte in die Arztpraxis Dr. Kreuzvergessen bringst.“

Kopfschüttelnd, sehr mürrisch und schwer bepackt macht sich Herr Electro auf den Weg, um nach seiner ersten Runde darüber zu klagen, dass zwei Päckchen falsche Hausnummern aufwiesen, eine Patientin fünf Minuten bis zur Tür brauchte, um ihm dann zu sagen, dass das nicht das gleiche Arzneimittel wie beim letzten Mal sei, ein weiterer Kunde leider kein Geld zu Hause und die Arztpraxis bereits geschlossen hatte. Wie es mit der zweiten Runde läuft? Nun, wir dürfen gespannt sein, denn mittlerweile ist es auch noch dunkel geworden!

Foto: Federico Magonio – stock.adobe.com

Nicht nur der reine Transportweg ist als Aufgabe des Botendienstes zu verstehen, er fungiert auch als Aushängeschild der Apotheke. Den Boten als wichtiges Teammitglied wahrzunehmen, ist deshalb von Bedeutung.

Auch der Bote ist das Gesicht der Apotheke

So, wie Stürme unausweichlich die Boten des Herbstes sind, so sind Damen und Herren wie unser Herr Electro als Botendienst und Überbringer der ausstehenden Medikamente der verlängerte Arm und zeitgleich das Gesicht der Apotheke. Das wird mir, die als unbeteiligte Dritte im Raum war und dem Gespräch folgen durfte, in genau diesem Moment sehr bewusst. Und ja, es ist ein anspruchsvoller Job. Einer, der mehr verlangt, als nur Tüten abzugeben. Unsere Fahrer sind das Bindeglied zwischen der Institution Apotheke und dem Kunden, respektive dem Patienten. Sie sind die ganz essenzielle, oft nicht so wahrgenommene Verbindung von Mensch zu Mensch. Von beratendem Personal mit Fachwissen zu denen, die Unterstützung benötigen. Und als solch tragende Säule in der Versorgungskette dürfen sie sich auch begreifen. Gerade in Momenten, in denen sich ihre vermeintlich einfache, ja profane Aufgabe als klare Herausforderung darstellt, benötigen sie von uns, die wir in den Apothekenräumen ver­bleiben, ein Gefühl der Verbundenheit und das Wissen, dass sie stets Unterstützung haben. Logistisch. Organisatorisch. Und immer häufiger auch auf der empathischen Ebene.

Fernab von der früher oft wenig wertschätzenden Philosophie, dass es sich hier um einen reinen Transportweg von A nach B handelt, der durch jedwede x-beliebige Person gewährleistet werden kann, sind heute und gerade auch in Zukunft die Ansprüche weit höher, weit vielfältiger und von größerer Tragweite als noch in der Zeit, in der der Botendienst keine Regelleistung war. Kann doch die Zustellung durch einen „göttergleichen“ Boten (oder natürlich einer Botin – also einen Hermes oder eine Hermine! → Kleiner Scherz, das bot sich einfach an!), eingebettet in das digitale Ver­sorgungssystem, bestehend aus E-Rezept, niedrigschwelliger Bestellung via Internet und Telepharmazie, den Unterschied aus Sicht des zu Versorgenden machen. Und für uns, die öffentliche Apotheke vor Ort, das Überleben sichern.

Ich, Frau Rosa Unbeteiligt, frage mich an dieser Stelle, ob all das Herrn Electro so bewusst ist. Ob ihm klar ist, dass er als pharmazeutischer Bote so viel mehr als „nur“ der Überbringer von Schachteln und Päckchen ist. Ob ihm, wenn ich das anspreche und erfrage, vor diesem Hintergrund ebenfalls der Geistesblitz kommt, dass seine Stimmung sich auf sein Gegenüber übertragen und gespiegelt wieder zu ihm zurückkommen kann? (Heute in der oben geschilderten mürrischen Variante – und ich habe auch schon erlebt, mit welchem Charme er agieren kann!)

Ein essenzielles Mitglied in der Wertschöpfungskette

Und dabei fällt mir selbst auf, dass wir zwar über alles mögliche mit ihm gesprochen haben, aber nie ihn selbst, seine Leistung und Bedeutung für uns alle erwähnt haben. Zum einen seine Verbindung zum Patienten. Zum anderen die Fortführung der Arbeit des Teams.

Ich gestehe mir ein, dass auch ich selbst diesen Gedanken noch nicht allzu lange denke: Botendienst und damit auch der Bote selbst als essenzielles Mitglied in der Wertschöpfungskette Gesundheitssystem. Ein neues Denken, was sich mir da gerade offenbart. Denn das hat selbstverständlich auch für die zukünftige Auswahl der Fahrer, so ein Wechsel denn anliegen sollte, immense Bedeutung. Gilt es doch schon beim Einstellungsgespräch zu ermitteln, ob der Bewerber oder die Bewerberin in der Botentätigkeit einen reinen Beruf sieht und einfach nur emotional ganz unbeteiligt abliefert oder sich eben als schwungvoller Überbringer, verlängerter Arm der Apotheke versteht. Eine Berufung im Sinne einer Erweiterung des pharmazeutischen Versorgungsauftrages in der Erfüllung der ausgeübten „Schickertätigkeit“ sieht. Sich als „Roadrunner“ für die Apotheke der neuen Zeit begreift und in der Lage ist, energetisch wertvoll zu fungieren.

Viel mehr als Päckchenübergabe

Ich werde in meinem Gedankenfluss unterbrochen: Kollege Bote, Herr Electro, kehrt von seiner zweiten Runde zurück. Ein vorsichtiger Blick auf die Uhr: 18:53 Uhr. Passt doch. Sichtlich entspannter berichtet er, dass allen Befürchtungen zum Trotz die Dunkelheit kein so erschwerter Umstand war. Auch zeigten sich die nun besuchten Patienten freundlich, dankbar und sehr erleichtert ob der nun zur Ver­fügung stehenden Arzneimittel. Maja Multitask freut sich für Erich und fasst interessanter­weise das eben von mir Gedachte mit den Worten zusammen: „Siehst Du Erich, Du machst viel mehr als nur Päckchen übergeben, Geld kassieren und Rezepte hin und her karren. Du vollendest quasi, was wir hier mit unserer Beratung begonnen haben!“ Seine Körpersprache spricht Bände!

Nachdem Herr Electro zufrieden in seinen wohlverdienten Feierabend gegangen ist, teile ich meine Ideen mit Maja. Die Tragweite dieser neuen Philosophie wird uns immer bewusster und so beschließen wir, alle im Team mit ins Boot zu holen. In bester Coaching-Manier werden wir unseren Boten fragen, wie wir ihn auf dem Weg zum „pharmazeutischen Götter­boten“ begleiten können. Ein schöner Gedanke. Lässt er doch sehr viel Freiraum für Individualität, Kreativität und ein „Mehr“ an Interpretationsmöglichkeiten. Wir verlassen pünktlich und sehr zufrieden die Apotheke zur Sack­gasse. Wir werden einen gemeinsamen Weg finden, Erforderliches und Nützliches (siehe Minimierung der Ansteckungsgefahr) sinnvoll zu kombinieren.

Fazit: Auf zu neuem Denken, neuen Ufern und einer Apotheke der Neuen Zeit, die mit dem Botendienst als verlängertem Arm ein noch größeres „Mehr“ an Möglichkeiten im Sinne des #kraftortapo­theke für alle schafft! |

Monika Raulf, Apothekerin und zertifizierter Coach, www.co-pha.com

Das könnte Sie auch interessieren

Warum Apotheken in Kehl einen Lieferdienst machen

„Kehl bringt’s“ – dank Apotheken

Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

Antidote für Choleriker / Über den richtigen Umgang mit der Wut

Wenn die Galle überläuft

Sabine Dittmar (SPD) über das Verhältnis Arzt - Apotheker, Versandhandel und Apothekenhonorar

„Die ABDA sollte keine Horrorszenarien verbreiten“

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.