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Wirtschaft
Musterprozesse sollen Aussonderungsrechte klären
AvP-Insolvenz: 314 der 2900 betroffenen Apotheken traten ihre Rezeptforderungen nicht ab / Neuer Geschäftsführer
Das Insolvenzverfahren beim Apothekenrechenzentrum AvP zieht sich weiterhin. Insolvenzverwalter Jan-Philipp Hoos hat dem zuständigen Amtsgericht in Düsseldorf seinen zweiten Bericht vorgelegt, in dem er den aktuellen Stand beschreibt. Darin geht es einerseits um die Situation der Krankenhausapotheken, die über AvP mit den Kostenträgern abrechnen. Dieser Geschäftsbereich konnte bekanntlich fortgeführt werden. Hoos vereinbarte mit 130 Krankenhäusern eine entsprechende Fortführungsvereinbarung und rechnete die Rezepte der Monate September und Oktober 2020 ab. Schließlich konnte er diesen Teil der AvP-Gruppe Wettbewerber Noventi schmackhaft machen. Noventi bezahlte bereits zwölf Millionen Euro, weitere zwei Millionen Euro flossen zwischenzeitlich aus dem variablen Teil des Kaufpreises der Insolvenzmasse zu. Die Fortführungsvereinbarung wird von der Finanzdienstleistungsaufsicht offenbar weiterhin abgesegnet.
Besondere Verträge mit Zusatzvereinbarungen
Weniger rosig sieht es dagegen bei den Offizinapotheken aus: Hoos ließ wie angekündigt etwaige Aussonderungsrechte durch eine Anwaltssozietät prüfen. Das Ergebnis teilte er bereits Anfang 2021 den betreffenden Apotheken mit. 314 Apotheken wurden Aussonderungsrechte an Forderungen gegen Kostenträger anerkannt. Von den insgesamt rund 2900 Apotheken, die von der AvP-Insolvenz betroffen sind, verfügte dieser Bruchteil über abweichende Verträge mit Zusatzvereinbarungen, wonach die Rezeptforderungen nicht an AvP abgetreten wurden. Hoos hat darüber auch die Kostenträger informiert und vermerkt in seinem Bericht, dass nach seiner Kenntnis Zahlungen von den Krankenkassen an die Apotheken stattgefunden haben.
Als große Herausforderung beschreibt der Insolvenzverwalter die Zuordnungsarbeiten im Zusammenhang mit dem von ihm eingerichteten Treuhandkonto und den darauf befindlichen Geldern. Zahlungen der Kostenträger erfolgten regelmäßig in Form von Gesamtbeträgen, notiert er, und diese müssten anhand von Sammelabrechnungen auf die einzelnen aussonderungsberechtigten Apotheken aufgeteilt werden. Erschwerend komme hinzu, dass die überwiesenen Gesamtbeträge in der Regel nicht mit dem Gesamtbetrag der Sammelabrechnung übereinstimmten, vor allem wegen der Retaxationen. Hoos sei hierbei auf detaillierte Informationen der Kostenträger angewiesen.
Er geht davon aus, dass sich der Kreis der 314 Apotheken mit Aussonderungsrechten nicht sonderlich vergrößern wird: „Meine [und] extern beauftragte Prüfungen sind zu dem Ergebnis gelangt, dass Aussonderungsrechte an (weiteren) Forderungen gegen Kostenträger […] nicht bestehen.“ Diese Frage sei aber zwischen ihm und einigen Gläubigeranwälten weiterhin umstritten. Sieben Apotheken haben Klagen auf Aussonderung von Forderungen gegen Krankenkassen sowie von Altgeschäftskontoguthaben bei AvP eingereicht.
Vergleich passé, Musterprozesse als Perspektive
Möglichen kurzfristigen Abschlagszahlungen aus der Insolvenzmasse an die übrigen rund 2600 Apotheken erteilt er eine klare Absage. In Abstimmung mit dem Gläubigerausschuss hatte Hoos bekanntlich ein Vergleichsszenario entworfen. Dieses Szenario sei vertraulich bestimmt gewesen und habe nur dem Ausschuss sowie weiteren Apothekenvertretern sowie -verbänden zur Verfügung gestanden. „Bedauerlicherweise hat einer dieser Apothekenvertreter diese Vertraulichkeit nicht beachtet und Bestandteile des Entwurfs, noch dazu unzutreffend und verkürzt, der Presse zugespielt“, schreibt Hoos. Aus diesem Vorfall zieht er die Konsequenz, dass eine unvoreingenommene Auseinandersetzung nunmehr unmöglich geworden ist und eine gerichtliche Klärung erforderlich wird.
Hoos schreibt davon, dass er eine „breite Zustimmung für ein koordiniertes Vorgehen“ erkennt. Sprich: Musterprozesse sollten seiner Ansicht nach weitere Aussonderungsrechte klären. Hierüber würden sich Apothekervertreter aktuell abstimmen und nach Abschluss der Beratungen mit einem Vorschlag auf Hoos zukommen. Daraufhin könnten den betreffenden Apotheken Mustervereinbarungen zum Beitritt angeboten werden. Der jeweilige Musterprozess soll dann innerhalb der jeweiligen Gruppe Bindungswirkung entfalten. Hoos befürwortet dieses Vorgehen ausdrücklich: „Es erscheint weder (kosten)effizient noch zielführend, eine Vielzahl von vergleichbaren Sachverhalten individuell gerichtlich geltend zu machen.“
Forderungen aus Rabattverfall
Seit Beginn seiner Tätigkeit als – zunächst noch vorläufiger – Insolvenzverwalter legt Hoos einen Schwerpunkt auf die vermeintlich offenen Forderungen von AvP gegenüber den Krankenkassen aufgrund von Rabattverfall. Das Forderungspotenzial wird in einer Bandbreite zwischen 37,2 und 137,4 Millionen geschätzt, ausgehend vom Jahr 2013. Seine Prüfungen ergaben aber inzwischen, dass „zahlreiche zunächst als verspätet eingestufte Zahlungseingänge rechtzeitig erfolgt waren“. Für das Jahr 2016 konnte der Insolvenzverwalter beispielsweise nur rund 3,4 Millionen Euro geltend machen. Mit insgesamt 67 Kostenträgern hat Hoos eine Vereinbarung über die Neufestsetzung der Verjährung geschlossen. Andere wurde von ihm verklagt. Dabei geht es um Rabattverfallforderungen in Höhe von rund 200.000 Euro. Insgesamt konnte er mithilfe all dieser Anstrengungen einen Betrag in Höhe von 3232,81 Euro zusammenbringen.
Verfahrensende erst 2022
Darüber hinaus hat Hoos die Prüfung von Anfechtungsansprüchen gegen die Banken in die Wege geleitet. Zur Erinnerung: Als die Banken AvP am 4. September 2020 den Konsortialkredit kündigten, war es AvP von jetzt auf gleich nicht mehr möglich, den Apotheken für den Monat September ihre Abschläge zu zahlen. Ob sich aus diesem Vorgang Anfechtungsansprüche gegen das Bankenkonsortium ergeben, überprüft nun eine Anwaltskanzlei und wird Hoos sowie dem Gläubigerausschuss berichten. Nach wie vor hält sich der Insolvenzverwalter bezüglich einer möglichen Quote bedeckt, „da die mögliche Spannbreite angesichts etwaiger Drittrechte erheblich ist“. Aktuell bewertet er die freie Masse im AvP-Vermögen äußerst konservativ mit rund 9,4 Millionen Euro. Die Kosten des Verfahrens beziffert er auf 1,5 Millionen Euro. Hoos’ Bericht endet mit der Perspektive, dass das Insolvenzverfahren erst frühestens 2022 abgeschlossen werden kann.
Neuer Geschäftsführer für die AvP Deutschland GmbH
Seit dem 19. Juli 2021 existiert mit Lars Diederichs ein neuer Geschäftsführer für die insolvente AvP Deutschland GmbH. Diederichs ist in der Apothekenbranche kein Unbekannter: Der studierte Jurist begann seine berufliche Laufbahn im August 1993 als Groß- und Außenhandelskaufmann bei der Hageda AG, später Phoenix Pharmahandel. Zwischen Januar und Juli 1996 war er als Assistent der Betriebsleitung beim Vertriebszentrum Köln des Phoenix Pharmahandels tätig. Es folgte eine Station bei der Richard Jacobi GmbH Köln. Nach dreieinhalb Jahren, unmittelbar nach der Jahrtausendwende, übernahm er die Bundesgeschäftsstellenleitung beim Marketing Verein Deutscher Apotheker (MVDA). Im Jahr 2017 wechselte er zur Apothekenkooperation Avie des Arzneimittelimporteurs Kohlpharma, wo er den Posten des Leiters Industrie & Category Management bekleidete.
Im Juni 2020 endete sein berufliches Engagement bei Avie. Seitdem war öffentlich nicht bekannt, für wen und was er arbeitete. Doch zum Stichtag 19. Juli 2021 ist Lars Diederichs nun als Geschäftsführer der AvP Deutschland GmbH im Handelsregister aufgetaucht. Über diese Firmentochter liefen in der angeschlagenen AvP-Gruppe bekanntlich die Auszahlungen der Abrechnungsgelder an die Apotheken. Der von der Finanzdienstleistungsaufsicht eingesetzte „starke“ Sonderbeauftragte Ralf Bauer schied am 6. November 2020 pünktlich zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei AvP aus. Seitdem leitete Insolvenzverwalter Jan-Philipp Hoos allein die Geschäfte. Nun hat also der ehemalige MVDA-Geschäftsstellenleiter Diederichs die Geschäftsführer-Position übernommen. Welche Auswirkungen hat diese Personalie auf das laufende Insolvenzverfahren?
Gegenüber der DAZ äußerte sich Daniela Klahn, die seit dem 22. Februar 2021 im Vorstand der AvP Service AG sitzt. Die Berufung Klahns geht auf den Wunsch des Aufsichtsrats zurück, Branchenkenner gezielt in wichtige Führungspositionen bei der AvP-Gruppe zu berufen, um das Insolvenzverfahren so fundiert wie möglich zu begleiten. Klahn ist Juristin und beschäftigte sich sowohl wissenschaftlich als auch im Rahmen von Verhandlungen und Gerichtsverfahren intensiv mit den Themen Rabattverträge sowie Herstellerrabatte. So war Klahn beispielsweise beteiligt an dem Rechtsstreit um die Frage, ob DocMorris Herstellerrabatte zustehen.
In ihrer Funktion als AvP-Vorständin ist Daniela Klahn seit ihrer Berufung auf der Suche nach weiteren Personen mit Branchenkenntnis für die Geschäftsführungen in den einzelnen Tochterunternehmen. Klahn betont, dass sowohl ihre Position als auch die Position Diederichs aufgrund der Umstände nur über eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten verfügen. Für unternehmerische Entscheidungen sei man auf den Insolvenzverwalter angewiesen. Doch im Sinne der Gläubiger könne man versuchen, durch beratende Funktion das Insolvenzverfahren positiv zu beeinflussen, insbesondere bei den wichtigen Verhandlungen mit den Krankenkassen. |
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